Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Thomas Schönfeld: Kurs auf Liquidierung der Neutralität

Jene Kräfte in Österreich, die die Neutralität schon lange Zeit abgelehnt haben und abgebaut sehen wollten, haben ihre Bemühungen um Liquidierung der Neutralität und Anbindung Österreichs an die NATO bzw. die militärischen Funktionen der Europäischen Union nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Vertrages 1989/1990 intensiviert. Die mit diesem Ziel auf verschiedenen Ebenen unternommenen Schritte sollen hier diskutiert werden. Zunächst ist auf die Bedeutung von Neutralität für die heutigen internationalen Beziehungen hinzuweisen.
Neutralität steht im Widerspruch zu Machtpolitik, denn diese ist auf eigene Überlegenheit, vor allem auf militärischem Gebiet und durch geeignete Bündnisse ausgerichtet, während durch Neutralität ein Staat oder eine Region aus dem Wirkungsbereich von Machtpolitik herausgehalten werden kann. Neutralität passt hingegen in den Rahmen von internationalen Beziehungen, die durch Gleichberechtigung von Staaten, durch den Verzicht auf militärische Überlegenheit, durch Gewährleistung von Sicherheit aller durch internationale Verträge und durch wirkungsvolle Zusammenarbeit der Staaten auf möglichst vielen Gebieten gekennzeichnet sind. Das sind die Ziele für die Entwicklung der internationalen Beziehungen die 1945 in der Charta der Vereinten Nationen formuliert wurden. Neutralität kann also zum Zurückdrängen von Machtpolitik beitragen, sie dient daher nicht nur einem Staat, der diesen Status angenommen hat, sondern ist von allgemeinerer, friedenssichernder Bedeutung.
Die Gegner der österreichischen Neutralität orientieren sich aber nicht auf eine solche Perspektive, sondern sie halten an den alten Kategorien von Machtpolitik fest. Da Österreich nicht zur Großmacht werden kann, sehen sie die Rolle Österreichs als Unterstützerin der einzigen heutigen Supermacht, der USA. Europa als Supermacht ist eine unwahrscheinliche Perspektive. Dass die in der EU bestimmenden Kräfte die Notwendigkeit enger militärischer und politischer Zusammenarbeit mit den USA und mit der NATO, in der die USA die dominierende Rolle spielen, immer wieder betonen, ist dafür ein deutliches Zeichen. Ein wesentliches Element der Politik der Neutralitätsgegner in Österreich ist die Herstellung enger Beziehungen zur NATO. Das wird später genauer erörtert werden.
Der Kampf um die Aufrechterhaltung der Neutralität Österreichs ist also heute in seinem Zusammenhang mit den Bemühungen zu sehen, Machtpolitik aus den internationalen Beziehungen zu eliminieren und für diese Beziehungen die umfassende Wirksamkeit der Charta der Vereinten Nationen, ständig voranschreitende Abrüstung und eine Ausweitung völkerrechtlicher Vereinbarungen durchzusetzen.
In der österreichischen Bevölkerung genießt der Status der Neutralität große Unterstützung. Alle Meinungsumfragen der letzten Jahre haben ergeben, dass zwei Drittel der Bevölkerung die Aufrechterhaltung der Neutralität auch unter den veränderten politischen Verhältnissen in Europa und insbesondere in Österreichs Nachbarschaft wünschen. Eine Aufhebung des Bundesverfassungsgesetzes über die Neutralität – sei es durch einen Gesetzesbeschluss des Parlaments oder durch eine Volksabstimmung – erscheint den Feinden der Neutralität daher nicht gangbar. Sie nehmen Kurs auf schrittweisen Abbau, auf eine allmähliche Liquidierung der Neutralität. Dazu agieren sie auf verschiedenen Ebenen, insbesondere mit sicherheitspolitischen Argumenten, mit Gesetzesänderungen, durch die Bezüge auf das Neutralitätsgesetz eliminiert werden, mit Änderungen der Beiträge Österreichs zu den Aktionen der Vereinten Nationen, mit Intensivierung der Mitwirkung Österreichs an der NATO-Partnerschaft für den Frieden, und durch Formulierung einer neuen Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin 2001.

Falsche Argumente, falsche Orientierung

Gefälschte Bedrohungsbilder spielen in der Argumentation der Neutralitätsgegner eine wesentliche Rolle. Da wird behauptet: Im Kalten Krieg habe es eine relativ beständige und daher überschaubare Macht- und Bedrohungskonstellation gegeben. Die jetzige Weltordnung sei aber durch Unübersichtlichkeit und neue Unsicherheiten gekennzeichnet. Der Bundesminister für Landesverteidigung Günther Platter hat am 14. März 2005 davon gesprochen, dass die Gefahren heute „wesentlich vielfältiger, unberechenbarer und diffuser geworden sind. … Die neuen Bedrohungen können ohne lange Vorwarnzeiten auftreten. Wir müssen schneller als bisher handlungsfähig sein. Eine Bewältigung von Bedrohungen muss auch im geografischen Vorfeld stattfinden und nicht mehr auf das eigene Territorium beschränkt bleiben. … Die Kooperation der Staaten ist der Schlüssel zur Bewältigung der neuen Bedrohungen und Herausforderungen.“ (www.bmlv.gv.at/php-docs/download_file.php?adresse=/download_archiv/pdfs/10_jahre_pfp.pdf)
Der Sinn solcher sicherheitspolitischer Formulierungen liegt auf der Hand. Wenn die Bedrohungen unberechenbar und diffus sind, kann es eigentlich keine klare Festlegung der zu ergreifenden militärischen Maßnahmen geben, und dann kann auch keine öffentlich-politische Kontrolle, die den militärpolitisch Verantwortlichen stets unerwünscht ist, verlangt werden. Stets kann argumentiert werden, dass die durchgeführten bzw. geplanten Maßnahmen den zu erwartenden Bedrohungen am besten Rechnung tragen. Als Begründung für neue Rüstungsmaßnahmen kann auf die „vielfältigen und unberechenbaren Bedrohungen“ hingewiesen werden.
Mit militärischen Aktionen „im geografischen Vorfeld“ wird auf Auslandseinsätze und zwar auf Kampfeinsätze orientiert, mit denen bedrohliche, feindliche Kräfte ausgeschaltet werden sollen. Da es sich nicht um eine selbständige Rolle Österreichs als internationaler Polizist handeln kann, wird hier der Einsatz österreichischer Verbände als Hilfstruppen für eine von den USA oder der NATO angeführte Militärintervention irgendwo auf der Welt ins Auge gefasst. Das Neutralitätsgesetz erschwert allerdings die Verwirklichung solcher Pläne.

Hinweise auf das Neutralitätsgesetz sollen eliminiert werden

Das 1997 beschlossene „Bundesverfassungsgesetz über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland“ (KSE-BVG, BGBl. I 38/1997) zeigt die Absicht der Neutralitätsgegner, Hinweise auf das Neutralitätsgesetz in der österreichischen Gesetzgebung zu löschen und Möglichkeiten für Kriegseinsätze österreichischer Soldaten zu eröffnen. Dieses Gesetz trat an die Stelle des 1965 beschlossenen „Bundesverfassungsgesetzes über die Entsendung österreichischer Einheiten zur Hilfeleistung in das Ausland auf Ersuchen internationaler Organisationen“ (BGBl. 173/1965). Mit dem früheren Gesetz sollte vor allem eine österreichische Teilnahme an friedenssichernden Einsätzen im Auftrag der Vereinten Nationen ermöglicht werden. Die Entscheidung über solche Entsendungen wurde der Bundesregierung übertragen „unter Bedachtnahme auf die immerwährende Neutralität Österreichs“. Im neuen Gesetz (1997) gibt es aber keinen Hinweis auf die Neutralität, es heißt nur, dass „auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs, auf die Grundsätze der Vereinten Nationen, sowie der Schlussakte von Helsinki und auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU …Bedacht zu nehmen sei“. Diese Formulierung soll offensichtlich einer Bundesregierung, die eine Truppenentsendung beabsichtigt, einen großen Interpretationsspielraum geben. Welche völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs sind da eigentlich zu berücksichtigen? Mit der Bezugnahme auf die „Grundsätze der Vereinten Nationen“ wird darauf verzichtet, die entscheidenden Festlegungen der UN-Charta zu benennen, nämlich dass militärische Aktionen nur auf Grund eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrates zulässig sind. Mit der quasi gleichrangigen Auflistung der Charta der Vereinten Nationen und der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU wird eine Abwertung der UN-Charta vorgenommen. So wird ja verschleiert, dass die Charta das grundlegende Dokument des Völkerrechts unserer Zeit ist, was von der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU keinesfalls behauptet werden kann.

Amsterdamer Vertrag und Art. 23f der österreichischen Verfassung

Mit dem Amsterdamer Vertrag (unterzeichnet am 2. Oktober 1997, in Kraft getreten am 1. Mai 1999) haben die EU-Mitgliedstaaten wesentliche sicherheits- und verteidigungs-politische Aufgaben, also auch militärische Aufgaben, der Union übertragen. Die bis dahin zum Wirkungsbereich der Westeuropäischen Union (WEU, einer 1949 gegründeten militärischen Bündnisorganisation der europäischen NATO-Mitglieder) gehörenden Aufgaben, wurden nun als Aufgaben der EU übernommen. Diese militärischen Aufgaben wurden einige Jahre davor in einem WEU-Beschluss (Juni 1992) als „Petersberger Aufgaben“ formuliert: Rettungs- und Katastropheneinsätze, friedenserhaltende Einsätze, Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedenschaffender Maßnahmen. Die letztgenannte Kategorie von Aufgaben „Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedenschaffender Maßnahmen“ bedeutet: Die EU kann Kriegshandlungen durchführen, sie kann demnach Kriegspartei werden. Es bedarf dazu allerdings eines einstimmigen Beschlusses im Europäischen Rat, dem die höchsten Repräsentanten aller EU-Mitglieder angehören. Eine (!) ablehnende Stimme kann einen solchen Beschluss von Krieghandlungen der EU verhindern. Das kann auch die Stimme eines kleinen Landes wie Österreich sein. (Damit eine kriegswillige Mehrheit von EU-Staaten ihre Pläne auch bei einer kritischen Haltung anderer Mitgliedstaaten verwirklichen kann, wurde die „konstruktive Enthaltung“ in den Vertrag aufgenommen. Nicht-kriegswillige Staaten, die so votieren, müssen zwar an der beschlossenen Aktion nicht teilnehmen, sie dürfen sie aber auch in keiner Weise behindern. „Konstruktive Enthaltung“ führt also nicht zur Verhinderung einer EU-Militäraktion. Zweifelsohne würden größere EU-Mitgliedstaaten, die eine Militäraktion durchsetzen wollen, auf kritische kleinere Staaten Druck ausüben, auf ein „Nein“ zur beantragten Aktion zu verzichten und sich mit „konstruktiver Enthaltung“ zu „begnügen“. Der Handlungsspielraum eines kleineren EU-Staates, der eine Militäraktion der EU ablehnt, wäre unter den Bedingungen der starken Vernetzung der EU-Mitglieder, vor allem durch ökonomische Mechanismen, sehr begrenzt.)
In Verbindung mit der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrags wurde im Parlament am 18. Juni 1998 auch eine Neufassung des Artikel 23f der Bundesverfassung beschlossen. Sie regelt die Entscheidungskompetenz für das österreichische Stimmverhalten im Europäischen Rat wenn dort über friedenserhaltende Aufgaben und über militärische Kampfeinsätze der EU abzustimmen ist. Diese Neufassung wurde nicht als Regierungsvorlage sondern in Form eines gemeinsamen Antrages der Klubobmänner der Regierungsparteien, Peter Kostelka (SPÖ) und Andreas Khol (ÖVP) eingebracht, und wurde daher keinem bei Gesetzesvorlagen üblichen Begutachtungsverfahren unterzogen. Eine öffentliche Diskussion und die Einholung der Meinung kompetenter Fachleute über diese Verfassungsänderung wurde durch diese Vorgangsweise von den Regierungsparteien verhindert.
Die im gegebenen Zusammenhang wichtigen Absätze 3 und 4 des neuen Artikel 23f lauten (siehe BGBl I 83/1998):
(3) Bei Beschlüssen betreffend friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, einschließlich friedenschaffender Maßnahmen, sowie bei Beschlüssen gemäß Art. 17 des Vertrags über die EU in der Fassung des Vertrags von Amsterdam betreffend die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik und die engeren institutionellen Beziehungen zur Westeuropäischen Union ist das Stimmrecht im Einvernehmen zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten auszuüben.
(4) Eine Zustimmung zu Maßnahmen gem. Abs. 3 darf, wenn der zu fassende Beschluss eine Verpflichtung zur Entsendung von Einheiten oder einzelnen Personen bewirken würde, nur unter dem Vorbehalt gegeben werden, dass es diesbezüglich noch der Durchführung des für die Entsendung von Einheiten oder einzelnen Personen in das Ausland verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahrens bedarf.“
Wenn eine neutralitäts- und völkerrechtskonforme Regelung angestrebt worden wäre, so hätte im neuen Artikel 23f unbedingt auf die Verpflichtung hingewiesen werden müssen, dass bei einer Entscheidung über das österreichische Stimmverhalten das Neutralitätsgesetz und die Charta der Vereinten Nationen zu berücksichtigen sind, letztere in dem Sinn, dass Militäreinsätze nur auf Grund eines Mandats des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen bzw. zur unmittelbaren Abwehr eines Angriffs erfolgen dürfen (siehe Präambel der Charta und die Artikel 2(4), 42, 45 und 51).
In den Erläuterungen zum Antrag der Abgeordneten Kostelka, Khol und Genossen wurde offen ausgesprochen, dass der Amsterdamer-Vertrag Beschlüsse von Militäraktionen auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates vorsieht, dass also durch diesen Vertrag und demnach durch Artikel 23f Beschlüsse möglich werden, die als Verletzung der UN-Charta anzusehen sind.
Die wesentliche Festlegung des Absatzes 3 des Artikels 23f, die die Entscheidung über das österreichische Stimmverhalten in einer Frage von „Krieg oder Frieden“ allein dem Bundeskanzler und dem Außenminister überträgt ist aus verfassungsrechtlicher und demokratiepolitischer Sicht inakzeptabel. Während bei Verhandlungen im Rahmen der EU die verhandelnden österreichischen Bundesminister das Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates herzustellen haben, kann über das österreichische Stimmverhalten hinsichtlich von EU-Militäreinsätzen, das gravierende Konsequenzen für Europa und für die internationale Entwicklung im Allgemeinen haben kann, von zwei Regierungsmitgliedern alleine – ohne jede parlamentarische Kontrolle oder Mitbestimmung – entschieden werden. Der Absatz 4 des Artikel 23f legt zwar fest, dass über einen etwaigen Einsatz österreichischer Truppen die Entscheidungsmechanismen des Entsendegesetzes anzuwenden sind, aber Bundeskanzler und Außenminister entscheiden allein, ob Österreich eine EU-Militäraktion durch ein „Nein“ verhindert oder sie durch Zustimmung bzw. „konstruktive Enthaltung“ ermöglicht.
Der neue Artikel 23f wird von den Gegnern der Neutralität oft zur Stützung ihrer Behauptung angeführt, dass das Neutralitätsgesetz nur mehr sehr eingeschränkt gültig ist. Eine Prüfung der Gesetzeslage bestätigt das keineswegs. Mit dem Artikel 23f wurde aber eine Bestimmung geschaffen, die die Gegner der Neutralität ermuntert, gegen das Neutralitätsgesetz zu verstoßen.

EU-Kampfgruppen und Österreich

Im Zug des mit dem Amsterdamer-Vertrag eingeleiteten Militarisierungsprozesses und der beschlossenen Petersberger-Aufgaben hat die EU den Aufbau einer EU-Eingreiftruppe und dann von schnell einsatzbereiten Kampfgruppen („battle groups“) beschlossen. Die EU-Eingreiftruppe soll 60 000 Soldaten stark sein. Als Kampfgruppen sollen zunächst 7 bis 9 Gefechtsverbände von je 1500 SoldatInnen aufgestellt werden, die jedenfalls auch für Kampfeinsätze („am oberen Ende des Petersberger-Aufgabenspektrums“) und außerhalb des Gebietes der EU herangezogen werden können. Verteidigungsminister Günther Platter hat Ende 2004 bekannt gegeben, dass Österreich Einheiten für die EU-Kampfgruppen zur Verfügung stellen wird. Sie sollen in eine Kampfgruppe eingegliedert werden, an der sich Deutschland, Tschechien und Österreich beteiligen. Wenn auch mit der Einmeldung von Verbänden zur Teilnahme an Kampfgruppen die Notwendigkeit eines (einstimmigen) EU-Beschlusses über eine militärische Aktion nicht aufgehoben wird, so entsteht mit einer solchen Teilnahme ein schwer abzuwendender Druck, einem in einer kritischen Situation beantragten Einsatz einer EU-Kampfgruppe und der Teilnahme der eigenen eingemeldeten Verbände daran zuzustimmen. Mit der Bereitschaft zur Teilnahme österreichischer Verbände an Kampfgruppen wurden also die Weichen für deren tatsächlichen Kampfeinsatz gestellt.

PfP: Auf dem Weg in die NATO

Durch die Teilnahme Österreichs an der NATO-Partnerschaft-für-den-Frieden (PfP – Partnership for Peace) wird die Zusammenarbeit mit der NATO laufend intensiviert. Zu prüfen ist: Kommt es da nicht bereits zu einer Verletzung der wesentlichen Verpflichtung aus dem Neutralitätsgesetz, in dem ausdrücklich angeführt ist „Neutralität bedeutet keine Zugehörigkeit zu einem Militärbündnis“? Eine kritische Prüfung dieser Frage ist geboten, von Regierung und Militärführung ist sie allerdings nicht zu erwarten. Denn von dieser Seite wird einerseits behauptet: Österreichs Teilnahme an der PfP ist kein Beitritt zur NATO, die PfP sei kein Militärbündnis sondern nur eine Zusammenarbeit bei bestimmten Programmen. Andererseits wird gerade in Schriften des Bundesministerium für Landesverteidigung behauptet, „die Neutralität sei nun völkerrechtlich und verfassungsrechtlich äußerst eingeschränkt und ist heutzutage sowohl faktisch als auch mittlerweile rechtlich kaum mehr gegeben“ (siehe G. Hauser, Truppendienst 2/2005). Solche Behauptungen sind wohl nicht als persönliche Einschätzung eines einzelnen Artikelverfassers anzusehen, denn sie werden sicherlich nicht ohne Approbierung durch eine dem Bundesministerium für Landesverteidigung unterstehende Schriftleitung abgedruckt. Man hat also den Eindruck: Die Neutralität ist für das Verteidigungsministerium praktisch nicht mehr existent, und daher ist auch nicht zu überlegen, ob PfP-Aktivitäten Österreichs neutralitätswidrig sind.
Die Teilnahme Österreichs an der PfP hat sich schrittweise in Richtung einer Vorbereitung auf Kampfeinsätze entwickelt. Die Institution PfP wurde 1994 von der NATO beschlossen um die Zusammenarbeit mit Nicht-NATO-Mitgliedern zu intensivieren und so eine bessere Kontrolle über ihre militärischen Aktivitäten ausüben zu können. Österreich hat den Beitritt zur PfP 1995 erklärt. In der damals abgegebenen österreichischen Erklärung über die gewünschten Bereiche der Zusammenarbeit mit der N ATO wurden vor allem humanitäre Aufgaben, wurde die Zusammenarbeit bei Rettungs- und Katastropheneinsätzen und bei friedenserhaltenden Einsätzen genannt. In den Jahren darauf folgte jedoch eine Verschiebung zur Betonung einer Vorbereitung auf militärische Kampfeinsätze. 1997 wurde von der
NATO eine Ausweitung der PfP-Aktivitäten beschlossen, d.h. zu einer „vertieften PfP“oder „PfP plus“ überzugehen. Die im Rahmen der PfP-plus vorgesehenen Bereiche der Zusammenarbeit entsprechen nun etwa den Petersberger-Aufgaben, umfassen also auch „Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung und friedenschaffende Maßnahmen“, also Kriegseinsätze. Streitkräfte von PfP-Partnerstaaten sollen nun auch für Einsätze der NATO zur Wiederherstellung von Frieden eingesetzt werden können. Von österreichischer Seite wurde dann 1998 beschlossen, dass die Zusammenarbeit Österreichs im Rahmen der PfP alle von der NATO ins Auge gefassten Aufgabenbereiche umfassen soll. Die Ziele der Zusammenarbeit wurden in einem damals erschienenen Überblick genannt: „Entwicklung kooperativer militärischer Beziehungen zur NATO in Hinblick auf Planung, Ausbildung, Übungen und die Fähigkeit zu gemeinsamen Einsätzen zu erhöhen ... auf lange Sicht: Entwicklung von Streitkräften, die besser mit jenen der NATO zusammenarbeiten können“ (H. Malat, Truppendienst 3/1988). Als Bereiche der Zusammenarbeit Österreichs mit der NATO werden dann genannt: Konfliktverhütung, Friedenschaffung, Friedenserhaltung, Friedensdurchsetzung. Für Militärs bedeuten die meisten dieser Begriffe Kampfeinsätze. An anderer Stelle wurde formuliert, dass die PfP dazu dient, die „Partner für eine Teilnahme an multinationalen friedens-/unterstützenden Operationen vorzubereiten und sie dazu an Struktur und Verfahren der NATO heranzuführen“. In entsprechenden Situationen würde es dann bis zur vollen Einbeziehung der Militärverbände von PfP-Partnern wie Österreich in Operationen der NATO nicht weit sein.
Bereits jetzt sieht die NATO-Operationsplanung vor, dass PfP-Staaten in verschiedenen Phasen einer Militäroperation einbezogen werden können – bei vorbereitenden Konsultationen, der Operationsplanung und bei der Kommandostrukturierung für den tatsächlichen Einsatz. Die Entscheidungshoheit verbleibt allerdings immer beim Nordatlantikrat, dem höchsten NATO-Gremium.
Die konkreten Formen der Zusammenarbeit, an denen Österreich im Rahmen der PfP teilnimmt, sind als Vorbereitung für Einsätze österreichischer Militärverbände bei NATO-Operationen zu verstehen. Es geht insbesondere darum, die „NATO-Interoperabilitätskriterien“ bei österreichischen Verbänden anzuwenden. Österreichische Offiziere nehmen an den „PfP-Elementen“ teil, die auf verschiedenen Kommandoebenen der NATO eingerichtet wurden. Dadurch soll gesichert werden, dass konkrete Aktionspläne eines NATO-Kommandos von österreichischen Verbänden wirkungsvoll unterstützt werden. Österreich leitet Expertengruppen zu Fragen regionaler Stabilität in Südost-Europa, im südlichen Kaukasus und in Zentralasien, an denen Vertreter der Verteidigungsakademien von PfP- und NATO-Staaten teilnehmen. Es handelt sich offensichtlich um Regionen, für die die Möglichkeit von NATO-Einsätzen im Auge behalten wird.
Von 1995 bis 2003 hat Österreich an über 70 NATO-PfP-Übungen teilgenommen. Mehr als vier Jahre, von Dezember 1995 bis März 2000, gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen österreichischen und US-amerikanischen Militäreinrichtungen zur Versorgung der Einheiten der US-Armee, die in Bosnien im Einsatz waren. Bei Bruckneudorf wurde ein Versorgungsstützpunkt eingerichtet, der der Abwicklung des Transits von US-Militärpersonal und Versorgungsgütern diente. Dort wurde auch amerikanisches Personal stationiert. 20.000 US-Soldaten haben auf dem Stützpunkt genächtigt, wurden dort verpflegt und ihre Fahrzeuge wurden auf der Fahrt durch Österreich betankt.
Bei einem Symposium im Parlament aus Anlass „10 Jahre österreichische Mitgliedschaft in der PfP“ (am 14. März 2005) hat Verteidigungsminister Günther Platter angekündigt, dass Österreich sein Engagement in der PfP weiter ausbauen wird, dass also die österreichische Militärführung die Zusammenarbeit mit der NATO verstärken will. Er geht dabei von einer Lobpreisung der NATO aus: „Die NATO wird auch in Zukunft eine Stütze der Stabilität und der Sicherheit sein; das war sie auch in Zeiten des Kalten Krieges.“ Und er orientiert die österreichische Sicherheitspolitik letztlich auf die NATO, denn er schätzt ein, dass weder die Vereinten Nationen noch die OSZE noch die EU ohne Abstützung auf NATO-Mittel agieren können. Also folgert er: „Österreich wird eine komplementäre und enge Zusammenarbeit zwischen EU und NATO unterstützen und seine eigenen Beziehungen zum transatlantischen Bündnis konsequent weiterentwickeln“. (Hinweis auf den Wortlaut der Rede im www – siehe oben)

Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin 2001

Als Teil der Bemühungen zur Liquidierung der Neutralität und zur verteidigungspolitischen Integration Österreichs in die EU begannen im Jahr 2000 in Regierung und Parlament Bemühungen zur Beschlussfassung einer neuen Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin. Versuche zur Ausarbeitung einer von allen vier Parlamentsparteien getragenen „Doktrin“ scheiterten – vor allem weil die Regierungsparteien eine „Rutsche in Richtung NATO“ legen wollten (Formulierung des Sprechers der SPÖ Caspar Einem in der Parlamentsdebatte) – sodass am 12. Dezember 2001 eine neuer Sicherheitsdoktrin als Orientierung für die Politik der Bundesregierung mit den Stimmen der Regierungsparteien, ÖVP und FPÖ, im Nationalrat beschlossen wurde. In Übereinstimmung mit der Orientierung von EU und NATO auf Militäreinsätze auch weitab von den eigenen Territorien wird darin auch für Österreich die Möglichkeit einer Teilnahme an Militärinterventionen weit weg von unserem Land formuliert. Befürwortet wird eine vertiefte Zusammenarbeit von EU und NATO, und die Bundesregierung wird beauftragt, die Option einer NATO-Mitgliedschaft Österreichs im Auge zu behalten. Österreichs Status soll nicht mehr als „neutral“ sondern als „allianzfrei“ verstanden werden. (Anlage zu 939 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrats XXI. GP)

Gegenstimmen: Die Neutralität ist weiter aktuell

Nicht alle Politiker in verantwortlichen Positionen ziehen bei den Bemühungen zur Liquidierung der Neutralität mit bzw. wird die Behauptung, dass es die Neutralität kaum noch gibt, nicht allgemein unterstützt. In den letzten Monaten vorgetragene positive Bewertungen der Neutralität sind zu registrieren. Bundespräsident Heinz Fischer hat in seiner Eröffnungsansprache beim Internationalen Bertha-von-Suttner-Symposium am 27. Mai 2005 in der Stadthalle von Eggenburg erklärt: „Diese (die Neutralität) hat auch heute einen besonders hohen Stellenwert, weil sie nach wie vor aktuell ist. Die Neutralität besagt, dass wir keinem Militärpakt beitreten und dass wir keine ausländischen Truppen in Österreich stationiert haben. Neutralität ist auch möglich, wenn man sich positiv zu Europa und zur EU bekennt und ist vereinbar mit Solidarität und friedenserhaltenden Maßnahmen“ (siehe www.Hofburg.at, Reden). Kurz nach seiner Ernennung zum Staatssekretär im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten im Juli 2005 hat Dr. Hans Winkler in einem Fernsehinterview betont, dass die Aufrechterhaltung der Neutralität – als wesentliches Element der Außenpolitik – für ihn ein wichtiges Anliegen ist.
Solche Aussagen sind natürlich zu begrüßen. Doch um die Bestrebungen zur Liquidierung der Neutralität in die Schranken zu weisen, muss ihnen mit klarer Kritik entgegengetreten werden und es müssen definitive Schritte gefordert werden. Sonst werden auch Stellungnahmen mit positiver Bewertung der Neutralität Lippenbekenntnisse bleiben.
Es bedarf eines Forderungsprogramms für die Absicherung der Neutralität Österreichs. Dieses sollte jedenfalls beinhalten:
– Die Priorität des Neutralitätsgesetzes muss in allen österreichischen Gesetzen und Verordnungen, die sicherheits- und verteidigungspolitische Fragen betreffen, klar zum Ausdruck kommen.
– Artikel 23f der Verfassung ist zu novellieren. Das Abstimmungsverhalten Österreichs im Rahmen der EU über Einsätze von Streitkräften von EU-Mitgliedstaaten ist vom Ministerrat und dem Hauptausschuss des Nationalrates mit Zwei-Drittel-Mehrheit zu beschließen. Eine Zustimmung zu einem Kampfeinsatz von Streitkräften der EU-Staaten darf es nur geben, wenn ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vorliegt.
– Die Teilnahme Österreichs an der NATO-Partnerschaft-für-den-Frieden (PfP) ist zu beenden, da sie eine enge Zusammenarbeit mit dem Militärbündnis NATO darstellt. Diese Zusammenarbeit orientiert auf Mitwirkung österreichischer Verbände an NATO-Militäroperationen, bei denen der österreichische Status dem eines NATO-Mitglieds weitgehend angeglichen sein würde. Solange Österreich weiter an der PfP teilnimmt ist eine parlamentarische Kontrolle einzurichten, die vor allem dem Neutralitätsstatus widersprechende oder ihn untergrabende Aktivitäten zu unterbinden hätte.
– Die vom Nationalrat am 12. Dezember 2001 beschlossene „Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin“ ist durch eine neue Richtlinie für die Politik der Bundesregierung zu ersetzen. Aufzuheben wird sein die Ermächtigung der Bundesregierung, Bemühungen im Rahmen der EU für eine gemeinsame europäische Verteidigung zu unterstützen. Eine enge Zusammenarbeit von EU und NATO ist aus dem Zielkatalog österreichischer Politik zu streichen. Vor allem ist der jetzt enthaltene Punkt über die Prüfung der Möglichkeiten einer NATO-Mitgliedschaft Österreichs zu eliminieren.
Mit der Durchsetzung solcher Forderungen würde den Vorstellungen der großen Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher entsprochen werden: Sicherung der vor fünfzig Jahren beschlossenen immerwährenden Neutralität – im Interesse Österreichs und als Beitrag zu einer friedlichen internationalen Entwicklung.

Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 3/2005

 

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