Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Fritz Hausjell

Ich werde ein relativ untypisches Referat halten. Ich werde versuchen, das Thema Journalismus 1945 – wie stand es um die Brüche, Kontinuitäten, wie waren die Voraussetzungen für die Entwicklung eines demokratischen Journalismus ab 1945 – an Hand von drei Geschichten, Journalistengeschichten, zu erzählen. Diese drei Geschichten sind in den dreißiger und vierziger Jahren und folgend verlaufen, und ich verzichte auf Namen, weil es um Typen geht.
Nehmen wir einmal den Journalisten A. Der lebte in der österreichischen Provinz, in Graz. Die Nationalsozialisten machen bald einen großen Eindruck auf ihn, 1931 schließt er sich einem einschlägigen Verband an, es könnte der der NSDAP unterstellte Kampfbund für deutsche Kultur sein. Zwei Jahre später schließt dieser A sein Studium ab und wird Journalist. Die NSDAP ist inzwischen in Deutschland bereits an der Macht und in Österreich als zweite Partei nach der Kommunistischen Partei verboten. Er schreibt in der Folge bis 1938 Österreichberichte und Kommentare für einige Zeitungen und Zeitschriften im Dritten Reich. Die Schreibweise ist eindeutig pronazistisch und er ist durchaus nicht abgeneigt, antisemitische und antimarxistische Haßtiraden beizusteuern, Artikel in Will Vespers Zeitschrift „Die neue Literatur“, in denen Juden als Gesindel, Lumpen und Dilettanten beschimpft werden. Er lobt deren Vertreibung aus der deutschen Literatur.
Trotz politischer Verfolgung durch das Ständestaatregime ist der Journalist A vom österreichischen Boden aus auch sonst rege tätig. Er vertreibt in Deutschland eine eigene Feuilleton-Korrespondenz und er versorgt führende Funktionäre des reichsdeutschen Kulturbetriebes mit detaillierten Informationen über die Situation in Österreich.
Der Journalist B ist zunächst keiner. Wie viele andere Wiener zieht es ihn in den zwanziger Jahren nach Deutschland, wo er als Schauspieler und Regisseur an verschiedenen Theatern arbeitet und dort Erfahrungen sammelt, die er in Österreich jedoch nicht umsetzen kann. 1933 muß B, weil Jude und Linker, fliehen. Er kehrt nach Österreich zurück, was für viele gar nicht so einfach war und wird hier Journalist. Sagen wir bei der „Neuen Freien Presse“. Er hat dort zunächst keinen leichten Stand, aber er ist ehrgeizig, müht sich ab, schafft es schließlich und erhält in der „Neuen Freien Presse“ immerhin eine wöchentliche Rubrik für Film. B wird zwischen 1933 und 1938 zum anerkannten Filmjournalisten in Wien. Doch dann, im März 1938, muß der Filmjournalist B ein weiteres Mal vor den Nazis fliehen, diesmal nach England und dann über das große Wasser nach den USA. Hilfsarbeiter lautet nunmehr die neue Berufsbezeichnung des vormals doch immerhin renommierten Filmjournalisten B.
Kommissarischer Hauptschriftleiter der Blätter des Grazer Styria-Verlages lautet indes schon am 12. März 1938 die Berufsbezeichnung des Kollegen A. Der noch relativ junge Provinzjournalist A, er ist noch keine 30, macht also eine gehörige Karriere, wenn auch Provinzkarriere. Notieren wir, daß A rückblickend diesen 12. März einen Tag, „der den Traum von Jahrhunderten erfüllte“, nannte. In der Folge wählt ihn die NSDAP zum Redaktionsleiter der parteiamtlichen Tageszeitung des Gaues Steiermark. Später ist der Nationalsozialist A Journalist bei einer Wiener Zeitung, einer wichtigen natürlich. Er gilt als zuverlässig und wird in den Parteikreisen geschätzt. Er bekommt einige weitere Funktionen, wird alles das, was zu einer ordentlichen publizistischen, politischen Karriere in diesen Jahren gehört. Auch ein kurzes Lehrintermezzo am Institut für Zeitungswissenschaft, an dem ich arbeite und das heute anders heißt, aber das 1942 gegründet wurde, gehört zu dieser Karriere. Jedenfalls dankt ihm das NS-Regime mit einigen Auszeichnungen, und das Regime wird von ihm nicht enttäuscht. Selbst den Leitartikel der letzten Ausgabe der Wiener NS-Presse verfaßt A Anfang 1945. Dann taucht er rasch unter.
Sie können sich denken, daß sich im Gegensatz dazu der Karriereverlauf des Journalisten B, des Filmjournalisten, bis 1945 erheblich anders liest. Vom Hilfsarbeiter schafft er so um 1940/41 den Sprung zu Universal Pictures in Hollywood. Er ist damit fast schon wieder in seinem Beruf, aber nur fast. Er ist zunächst lediglich Cutter, Lehrling. Wenn er gut und fleißig ist, und er ist beides, bringt er es danach noch zum Musik-Cutter und vielleicht sogar zum Producter Editor bei Metro-Goldwyn-Mayer. Aber mit seinen Berufen, die er in Europa ausgeübt hat, mit Schauspielerei und Journalismus hat dies recht wenig zu tun. Also zieht es ihn zurück nach Europa.
Ich schulde Ihnen noch eine dritte Geschichte. Dank der umfangreichen und ehrgeizigen Diplomarbeit der Kollegin Gerda Steinberger wissen wir heute über Anpassung, Aufstieg, Vertreibung und Vernichtung von Journalisten in den dreißiger Jahren bei wenigstens einer renommierten österreichischen Tageszeitung Bescheid, nämlich der „Neuen Freien Presse“. Akribisch hat Frau Steinberger diese Biografien der Journalisten zwischen 1933 und 1939 rekonstruiert. Die Ergebnisse lauten: Unmittelbar nach dem Anschluß verloren von den 33 damals angestellten Redakteuren 22, also zwei Drittel, ihren Arbeitsplatz sofort. Von diesen 22 sind zwei noch vor 1945 im Exil verstorben, und insgesamt nur drei kehrten nach 1945 nach Österreich zurück. Einer von ihnen hatte indessen den Berufsjournalismus für immer beendet, die anderen beiden kamen als Journalisten zu Zeiten nach Österreich zurück, als die Posten längst schon vergeben waren, und eine neue journalistische Kultur etabliert war. Der eine kam nämlich 1950, der andere gar erst 1959 aus dem Exil zurück. Zumindest von sechs dieser „Neuen Freien Presse“-Journalisten , die ins Exil mußten, ist bekannt, daß sie ihren Beruf aufgegeben haben. Allein an diesen Fallbeispielen wird klar deutlich, daß es in einem sehr hohen quantitativen Umfang zu einer Vertreibung aus dem Journalismus gekommen ist, und daß die Rückkehr eher schwierig und sehr gering war. Wieviele Journalisten aus Österreich insgesamt in den dreißiger Jahren durch Ständestaat und durch Drittes Reich ins Exil getrieben oder auf Dauer vertrieben worden sind, das vermag die Forschung noch nicht zu beantworten. Als ich vor ein paar Jahren den Band I des biografischen Handbuches der deutschsprachigen Emigration auf Journalisten durchgesehen habe, habe ich dort 172 Personen gefunden. Von diesen waren rund 40 Prozent schon vor 1938 außer Landes gegangen, besser gesagt: gegangen worden. Es waren dies vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten bzw. Sozialisten.
Von den erwähnten 22 exilierten „Neue Freie Presse“-Journalisten kehrten also diese drei, knapp 14 Prozent, wenn man das in Zahlen ausdrückt, zurück. Von den 172 von mir analysierten Exiljournalisten kehrten 34 Prozent nach Österreich zurück. Aber diese aus dem Exil heimgekehrten Journalisten waren in der österreichischen Tagespresse in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht tonangebend. Unter den Redaktionsmitgliedern aller österreichischen Tageszeitungen der ersten drei Nachkriegsjahre 1945 bis 1947 befinden sich lediglich 5,5 Prozent erfahrene Journalisten aus dem Exil und weitere 2,4 Prozent Remigranten, die allerdings vor 1945 nicht journalistisch tätig gewesen waren. Wenn man das gegenüberstellt den Journalisten, die schon im Dritten Reich tätig waren, so sind sie wirklich eine sehr kleine Gruppe.
Was diese umfangreiche und, wie sich zeigt, dauerhafte Vertreibung von Journalisten für den österreichischen Journalismus qualitativ bedeutet hat, das ist schwer zu fassen, da liegen auch noch keine ausreichenden Forschungsergebnisse vor. Das einzige, was sich hier wirklich mit Nachdruck zeigen läßt, ist, daß fast alle diese Journalisten, die ins Exil gingen, Journalisten, die engagierten, politischen und sozialkritischen Journalismus in den zwanziger, dreißiger Jahren in Österreich gemacht haben, nach 1945 nicht oder nur zum verschwindenden Teil zurückgekehrt sind.
Doch lassen Sie mich noch rasch die Geschichte der Person C erzählen. Sie entstammt aus einem armen jüdischen Wiener Elternhaus, der Vater ist öfters ohne Arbeit, sie vergißt diese Verhältnisse nicht, ist als Schriftstellerin und Journalistin in höchstem Maße engagiert, doch dauerhafter beruflicher Erfolg hat sich bei ihr nicht eingestellt, obwohl sie auch in der sozialdemokratischen Presse eine willkommene Autorin ist. Nach dem Verbot der linken Presse, sowohl der kommunistischen als auch der sozialdemokratischen 1933 und 1934, hat sie es nach 1934 noch schwerer, und 1938 ist für sie die Katastrophe schlechthin. Für ihre alte Mutter und einen kriegsversehrten Bruder sorgend, gelingt ihr die Flucht nicht. C wird mehrfach die Wohnung gekündigt, sie wird zwangsdelogiert, weil sie nicht einmal mehr die Miete zu zahlen vermag. 1942 wird sie deportiert, in den Distrikt Lublin. Sie wissen, was das für die meisten bedeutet hat. Sie gehört leider wohl auch dazu. Hier bei dieser Gruppe, die ein derartiges Schicksal erfuhr, versagt die österreichische Kommunikationswissenschaft oder Journalistenforschung vollends. Wir können keine Antwort geben auf die Frage, wieviele Journalisten in den KZ's umgebracht worden sind, wieviele in Gestapo-Haft zu Tode gefoltert oder von Volksgerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, und wie groß damit auch das zerstörte Kritikpotential in diesem Berufsfeld ist. Für die Journalismusentwicklung in Österreich in diesem Jahrhundert scheint mir das aber eine wichtige Frage zu sein.

Wie gehen die Geschichten nach 1945 weiter?

A, der Karrierist im Dritten Reich, taucht zunächst unter. Er war zu exponiert und ausdauernd an der publizistischen Front im Dritten Reich tätig und darf auf Grund der Entnazifizierungsgesetze auf Jahre hinaus als Journalist nicht arbeiten. Er ist NS-belastet, doch das ist, wie wir leider mittlerweile ja wissen, nur Theorie. Praktisch taucht er bereits 1947 unter einem Pseudonym wieder als Journalist auf. Er leitet illegalerweise die Redaktion des „Alpenländischen Heimatrufes“. Dieses Blatt wird nicht, weil die Anfangsbuchstaben inhaltlich konsequent an jemanden erinnern, sondern weil das Blatt sich bis 1948 immer offener zum revisionistischen Kampfblatt entwickelt, auf Druck der Alliierten eingestellt. A ändert sich nicht. Noch einige Jahre bleibt er in diesem Metier, leitet Wochenzeitungen, die das Dritte Reich im Rückblick zumindest als harmlos, häufig jedoch auch recht positiv der Leserschaft präsentieren. Etliche Interventionen der Alliierten sind der Preis dafür. Doch bevor A als belasteter ehemaliger Nationalsozialist wieder offiziell als Journalist arbeiten darf, wird er von der ÖVP 1953 als Chefredakteur des großen österreichischen Wirtschaftsverlages engagiert. Er schreibt in der Folge Kommentare und Feuilletons für die ÖVP-Presse und später auch für die Neue Kronenzeitung. Resümierend könnte man in einer Biografie über den Journalisten A formulieren: Ein erfolgreicher Journalist der Zweiten Republik. Die Kronenzeitung schrieb über ihren zeitweiligen Mitarbeiter anläßlich eines runden Geburtstages, ich zitiere: „Einer der großen Journalisten, die Österreich hervorgebracht hat, ging er seinen Weg so kompromißlos und konsequent, daß selbst allmächtige Gauleiter ihn nicht untertan machen konnten“.
Um beruflich reüssieren zu können, mußte dagegen unser Filmjournalist B einige Kompromisse eingehen. 1949 kehrt er aus dem amerikanischen Exil nach Europa zurück. Erste Station ist Berlin Ost als künstlerischer Berater von Bertolt Brecht. Doch in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands traut man dem Westemigranten B nicht so recht, er wird ausgewiesen. B geht nach Wien. Als Kommunist bekommt er zunächst einen Job als Leiter des Besetzungsbüros der Wien-Film. Er ist darob nicht besonders glücklich, hat aber immerhin ein gesichertes Einkommen. Doch nur bis 1955, da verliert er diesen Posten. Er schlägt sich fortan freiberuflich als Schriftsteller und vor allem wieder als Filmkritiker in Wien durch. Obgleich er als Letztgenannter fachlich hoch geschätzt wird, selbst von politisch völlig konträr eingestellten Personen, bekommt er erst, nachdem er sich mehrfach öffentlich vom Kommunismus losgesagt hat, bei der Tageszeitung „Die Presse“, in deren Vorläufer „Neue Freie Presse“ er ja vor 1938 schon als Filmredakteur war, eine feste Stelle, wiederum als Filmredakteur. Fortan macht B, nunmehr deklarierter Exkommunist, eine späte und kurze Karriere. Auch große Blätter wie die „Neue Zürcher Zeitung“ und die „Welt“ nehmen nun seine Beiträge über Film. Das österreichische Fernsehen beschäftigt ihn auch als Filmkritiker, er unterrichtet an der Akademie der Bildenden Künste in Wien und bringt es ehrenhalber bis zum außerordentlichen Hochschulprofessor.
Sein ideologisch konträrer Kollege A, das hätte ich beinahe noch vergessen, fand indes ein deutlich höheres Maß an gesellschaftlicher und staatlicher Anerkennung. Schon 1969 erhält er das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Die Steiermark - Sie erinnern sich: Dort, wo er dem „Alpenländische Heimatruf“ anno 1947/48 zu zweifelhaftem Ruhm verhalf, ganz zu schweigen von den frühen dreißiger Jahren - dankt ihm 1990 für die großen Verdienste um das Land Steiermark und seinen Menschen mit dem großen Ehrenzeichen des Landes Steiermark.
Die drei Geschichten sind plakativ, sie sind auch keine vollständige Typologie. Was hier zum Beispiel völlig fehlt, wäre der katholische Journalist, der es geschafft hat, auch die ganze Zeit einigermaßen mit Kompromissen zu überstehen, aber doch im Land zu bleiben und 1945 wieder nahtlos fortsetzen zu können. Den habe ich Ihnen der Kürze halber jetzt nicht erzählt.
Zum Schluß verrate ich Ihnen noch die Namen der drei Genannten: Die Journalistin C hieß Else Feldmann. Sie ist eine spät Entdeckte unserer Forschungen, nicht zuletzt zu verdanken der Arbeit von Herrn Exenberger im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Journalist B, er ist 1968 in Wien verstorben, hieß Hans Winge. Auch über ihn können wir mittlerweile eine Biografie von Seiten der Forschung beisteuern.
Journalist A ist Dr. Manfred Jasser. Er starb vor etwa zweieinhalb Jahren in Niederösterreich, hoch betagt, hoch dekoriert und letztlich in der Branche unbestritten und unangefochten.

Statement auf dem Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft „50 Jahre Zweite Republik“, 8. Mai 1995

 

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