Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Margit Kain: Über den Videofilm „kain Denkmal“

In der Ankündigung seht, dass ich über den Videofilm der Alenka Maly sprechen werde. Zuerst: Alenka lässt euch recht herzlich grüßen. Leider ist sie verhindert, weil heute in Oberösterreich das Festival der Regionen beginnt unter dem Motto: „Die Kunst der Feindschaft“. Alenka ist am Theaterprojekt der Genossin Tina Leisch und Mirko Messner beteiligt: „Elf Seelen für einen Ochsen“. Das behandelt die Ereignisse zu Kriegsende im zweisprachigen Kärnten am „Persmanhof“ und ihre Aufarbeitung.
Diese Produktion wird in den nächsten Tagen an sechs oberösterreichischen Brennpunkten der NS-Zeit gezeigt: In Vöcklabruck, Pichl bei Wels, St. Georgen an der Gusen, im Euthanasie-Schloss Hartheim, Attnang-Puchheim und im Transformatorenbunker in Redl-Zipf.

Nun, Sie werden wahrscheinlich wissen wollen, wieso die Alenka Maly dazugekommen ist, ein Porträt über Franz Kain zu drehen. Alenka Maly war so viel wie unser Schwiegertochter. Sie war seit der Schulzeit mit unserem Sohn zusammen. Vor einigen Jahren hat sich unser Sohn entschlossen, in Hallstatt die Instrumentenbauschule zu besuchen. Zur gleichen Zeit hat die Alenka, die eine ausgebildete Schauspielerin ist, an der Linzer Kunstuniversität das Studium der Visuellen Mediengestaltung – Abteilung Film und Video belegt. Leider hat die lange Trennung der Beziehung nicht gut getan. Aber da die Alenka auch die älteste Tochter unseres Schwiegersohns Gust Maly war, sind wir noch immer „in der Freundschaft“ wie man im Salzkammergut die Verwandtschaft nennt. Jetzt ist sie hat nur mehr meine Enkelin. Falls einmal jemanden recht fad ist, kann er ja ein Gesellschaftsspiel inszenieren, wer die meisten Verwandtschaftsgrade herausbringt. Der Kain hat immer gesagt, bei uns geht es zu wie bei den Habsburgern.

Nachdem Franz Kain gestorben ist, hat Alenka sofort begonnen, viele Freunde, Genossen, Bekannte zu interviewen. Sie hat es sogar geschafft, im Welser Gefängnis und in der Zelle filmen zu dürfen, in der Franz Kain lange Zeit in Einzelhaft gesessen ist, in der die ersten Gedichte entstanden sind und die ihn zu der Erzählung „Heimkehr in den Dornenbusch“ inspiriert hat. – Sie hat noch viel Material und könnte wahrscheinlich noch einige Filme drehen. Im Vorjahr hat sie das Studium abgeschlossen und der später gezeigte Film ist ihre Diplomarbeit, für die sie eine Auszeichnung erhalten hat. Sie hat mich auch noch für die Mitteilung autorisiert, dass sie momentan ein Konzept vorbereitet, über Menschen in der KPÖ, für das ihr schon eine kleine Förderung vom Bund bewilligt wurde.

Nun zur Hommage an Franz Kain: Wir haben uns gedacht, dass es in diesem Rahmen nicht nur eine Huldigung des Schriftstellers Kain sein soll, weil wir annehmen, dass hier, unter den Anwesenden, sein literarisches Werk doch ziemlich bekannt ist. Darum haben wir uns entschlossen, dass wir heute den Kain vorwiegend selbst zu Wort kommen lassen mit einem Essay und mit Auszügen aus seinem Tagebuch und im Film.

Übrigens: Zur Zeit sind fast alle Bücher erhältlich. Der Verlag der Bibliothek der Provinz hat inzwischen alle Bücher, die in der DDR erschienen sind, wieder aufgelegt. Selbst der autobiografische Roman „Auf dem Taubenmarkt“, der nach seinem Erscheinen bald vergriffen war, ist erst heuer, obwohl ihn der Franz Kain noch zu Lebzeiten leicht überarbeitet und korrigiert hat, wieder erschienen. Das Buch enthält jetzt auch Fotos zu allen Lebensabschnitten. – Obwohl der Autor am Ende schreibt, dass er das Meiste verschwiegen habe, erfährt der Leser doch sehr viel!

Liebe Freunde, den heutigen Abend möchte ich auch missbrauchen kurz einiges zu erzählen und über die Wertschätzung, die Franz Kain selbst über den Tod hinaus erfahren hat, zu berichten. Aus der Fülle des Materials habe ich einige Episoden herausgesucht von denen ich denke, dass sie gerade in dieses Haus passen, z.B. über den jungen politischen Franz Kain.
Von der Anna-Seghers-Gesellschaft wurde ich anlässlich des 100. Geburtstages ersucht, anstelle von Franz Kain einen Geburtstagsgruß für Anna Seghers zu liefern. Im „Argonautenschiff“ 2000 habe ich dann einen Beitrag von dem DDR Schriftsteller Rudi Greulich entdeckt, mit dem Franz in der Gefangenenzeitung in Amerika zusammengearbeitet hat und mit dem er auch gelegentlich lebhaft korrespondiert hat. Er ist jetzt 94 Jahre alt. Ich habe ihm spontan geschrieben und er offenbar erfreut geantwortet.
U.a. hat er geschrieben:
„Erinnere ich mich recht, habe ich Franz im einzigen Anti-Nazi-Lager der USA, Fort Devens, kennen gelernt. Jedenfalls fiel er uns auf. Der blutjunge Holzhackerbua ein politischer 999er? Wie kommt denn der schon zu so einer beeindruckenden Gesinnung? Bei uns Älteren von 999 hatte der Franz Kain sofort einen Stein im Brett. Erst recht, als sich die meisten österreichischen 999er nach dem Untergang des NS-Staates leise und freundlich von den deutschen Antinazis distanzierten, Franz aber die neue Art Anpasserei verspottete. Sein starkes Heimatgefühl stand im Einklang mit seinem Internationalismus...“

Aus der selben Zeit stammt ein Briefwechsel über die nationale Frage. Auf Grund eines Artikels in einer Exilzeitung schrieb Franz Kain einen skeptischen Brief an Bruno Frei nach Mexiko. Die Briefe sind im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Bruno Frei schreibt dem Franz Kain ins Kriegsgefangenenlager am 9. Dezember 1945: „Ihre Frage ist zweifellos die Grundfrage unserer zukünftigen nationalen Existenz und ich weiß, dass sie alle ehrlichen und denken Landsleute beschäftigt: die Frage unseres Verhältnisses zu Deutschland. ... Die Aufgabe ist zu schwierig, um in einem Brief beantwortet zu werden. Ein Buch müsste geschrieben werden (und wird geschrieben werden) um die Frage mit dem Ernst zu behandeln, den sie verdient. Angeregt durch Ihren Brief und überzeugt, dass dieser der Ausdruck einer allgemeinen Unsicherheit in der wichtigsten Frage der nationalen Rekonstruktion Österreichs ist, habe ich mich entschlossen, die entscheidenden Argumente in einer kleinen, populären Broschüre zusammenzufassen, die als Antwort auf Ihren Brief erscheinen soll.“
Die Beiden sind damals sehr höflich miteinander verkehrt. Kain schreibt: Werter Herr Frei! Und Bruno Frei verabschiedet sich: Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen!

Wer den „Taubenmarkt“ gelesen hat, weiß, dass eines Tages zwei Soldaten- ohne Rangabzeichen - im Lager aufgetaucht sind, die den Franz Kain gesucht haben. Der eine war Genosse Thomas Schönfeld und der andere der Sohn von Bruno Frei. Dieser übergab Franz das Manuskript der Broschüre, das er durch alle Wirren der Heimkehr nach Österreich gebracht hat. Beide haben in ihren Autobiographien über das Schicksal dieses Manuskriptes berichtet.
Jahre später, 1964, hat Bruno Frei in einer tschechoslowakischen Zeitung über „Zwei Österreicher“ geschrieben: Hans Lebert und Franz Kain. („Die Wolfshaut“ und „Der Föhn bricht ein“.) Am Ende eines langen Artikels hat er Franz Kain zitiert: „In einer Stadt, in der Stifter und Bruckner, - nur um die beiden Großen zu nennen, - geschaffen haben, ist die Verantwortung eines schaffenden Künstlers besonders groß, und groß ist auch die Gefahr, dass er nicht im Schatten der glorreichen Tradition verbleibt. Unser bester Dank für diese Ehre muss das Bemühen sein, Werke zu schaffen, die in die Welt hinaus dringen. Dass ihm das gelungen ist, würde ihn mit Genugtuung erfüllen. 

Seit 1998 korrespondiere ich mit einer amerikanischen Universitätsprofessorin. Deren inzwischen im Stauffenburg-Verlag gedruckte Dissertation behandelt das Thema: „Der Nationalsozialismus im österreichischen Roman 1945–1969“. Sie erforschte die erste Generation anti-faschistischer österreichischer Romanliteratur innerhalb des konservativen Kulturklimas der Nachkriegszeit. In den Kanon neben den frühen Werken von Ilse Aichinger, Milo Dor, Erich Fried, Gerhard Fritsch und Hans Lebert stellt sie auch Franz Kain mit seinem Roman „Der Föhn bricht ein“. Sie hat mir auch das Manuskript eines Vortrages geschickt in dem sie Probleme der neueren österreichischen Literaturgeschichte veranschaulichte am Beispiel der Literatur zur „Mühlviertler Hasenjagd“. Anhand eines Gedankens von Franz Kain hat sie die These ihrer Arbeit formuliert: Weiße Flecken auf der literaturgeschichtlichen Landkarte: Vergangenheitsbewältigung und österreichische Gegenwartsliteratur.
Große Bedeutung gesteht sie der Erzählung: „Maria Lichtmess-Nacht“ zu. Diese gilt gleichsam als Piloterzählung zur Hasenjagd-Literatur. Sie ist aber ca. 20 Jahre früher und sechs Jahre vor Peter Kammerstätters Dokumentation erschienen – und blieb in der österreichischen Rezension ziemlich unbeachtet. Damals war es noch nicht populär, über diese Dinge zu sprechen und man kehrte viele Themen lieber unter den Tisch. Aber mit der Tradition des Zudeckens hat sich der Kain nie abgefunden. In seinen Geschichten hat er sehr bald u.a. den Februaraufstand 1934 behandelt, hat den Narren in seiner Heimatgemeinde ausgegraben, um die Waldheim-Problematik von unten zu zeigen und er hat auch den SS-Obergruppenführer Dr. Ernst Kaltenbrunner nicht in den Archiven der Landeshauptstadt Linz ruhen lassen. Nicht zu vergessen, dass er durch einen zähen Kampf als Mandatar, den Blutrichter Franz Langoth entmythologisiert hat.

Ich muss mir ja auf die Seele treten, um nicht mehr aus den Briefen dieser Dame vorzulesen – keine Angst! Aber einiges möchte ich doch nicht unterschlagen: Im Vorjahr hat sie mir mitgeteilt, dass sie eine Professur an einer anderen Universität angenommen hat: „Es wird Sie vielleicht interessieren, dass sich an dieser Universität ein Forschungszentrum für Holocaust-Studien befindet. ... Natürlich werde ich in Zukunft mit diesem Zentrum zusammenarbeiten und da wird sich sicherlich manche Gelegenheit ergeben, Franz Kains literarische Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung in Österreich auch in Amerika bekannt zumachen. / Leider sind ja die Werke Ihres Mannes nicht ins Englische übersetzt. Da man sich in der Not selbst helfen muss, habe ich vor einigen Jahren die ´Maria-Lichtmess-Nacht´ selbst übersetzt und in einen meiner Literaturkurse integriert. Außerdem habe ich festgestellt, dass sich diese Erzählung ausgezeichnet dazu eignet, Kindern die Problematik von Nazi-Brutalität und Widerstand näherzubringen. Seit zwei Jahren gehe ich regelmäßig, mit der ´Lichtmess´-Geschichte ausgerüstet, in Volksschulen und Gymnasien und bespreche die Erzählung mit 10 bis 14 jährigen amerikanischen Kindern. Selbstverständlich gebe ich den Kindern auch einen Überblick über das Leben Ihres Mannes. Das Interesse ist jedes Mal sehr groß und die Kinder bewundern den Mut Ihres Mannes zum Widerstand gegen den Faschismus. Ich lege Ihnen einige Dankschreiben von Kindern bei, die Ihnen vielleicht Freude bereiten werden.“

Im nächsten Brief: „Zu meinen kleinen Arbeiten zur ´Maria-Lichtmess-Nacht´: ich habe die Erzählung zusammen mit einem Kinderbuch von Lois Lowry über die Widerstandsbewegung in Dänemark auf die Leseliste meines Kurses über Kinderliteratur gesetzt. Wie ich Ihnen schon einmal schrieb, finde ich den Text, obwohl nicht für Kinder geschrieben, sehr relevant im Literatur- und Geschichtsunterricht für Kinder. Bisher habe ich die Erzählung hauptsächlich in informellen Gastvorträgen an diversen Schulen vorgestellt. Jetzt, wo ich sie in meinen Universitätskurs aufnehme, werde ich die Gelegenheit haben, Franz Kains Werk einem größeren, erwachsenen, Leserkreis bekannt zu machen. Nur schade, dass bisher keines seiner Bücher auf Englisch erschienen sind - das würde meine Arbeit erheblich erleichtern.“

Der Kain hat immer gesagt, ob eine Literatur Bestand hat, das entscheidet die Nachwelt. Was kann sich ein kommunistischer Autor mehr wünschen, als dass er nach dem Tode, mit seinem Werk, vor amerikanischen Kindern als Zeitzeuge wirken darf! Nicht unerwähnt möchte ich auch lassen, dass die Theodor Kramer-Gesellschaft ein Franz-Kain Kolloquium eingerichtet hat, das bis jetzt in Wien, Linz und Innsbruck abgehalten wurde. Das nächste soll im Frühjahr in Salzburg stattfinden.
Die Dame hat mir mit einem Kain-Zitat Ihr Buch gewidmet: „Die Geschichte mit Geschichten zu beleuchten ... ist ein Akt nationaler Selbstkritik.“ Dazu: Franz Kain erzählte diese Geschichten wie kein Zweiter.
Wie der Kain über das Geschichtenschreiben gedacht hat, das soll er selbst sagen: [es folgt Franz Kain im O-Ton: „Vom Wagnis Geschichten zu schreiben“.]

Hommage an Franz Kain am 27. Juni 2003

 

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