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Peter Goller: „Während der Schlacht ist es schwer,
Kriegsgeschichte zu schreiben, ...“
Vorwort
Viktor Adler hat 1908 in einer Einführung zu Julius Deutschs
Gewerkschaftsgeschichte bedauert, dass die „notwendigsten Vorarbeiten für ein
eindringendes Verständnis der Geschichte der proletarischen Bewegung fehlen“.
Angesichts der Kampfbedingungen war dies wenig verwunderlich: „Schließlich aber
hat die österreichische Arbeiterbewegung bisher buchstäblich keine Zeit gehabt,
ihre eigene Geschichte zu schreiben. (…) Während der Schlacht ist es schwer,
Kriegsgeschichte zu schreiben, und wir Österreicher haben noch keine
Atempause der Ruhe gehabt.“
Für die bürgerliche Geschichtswissenschaft an den österreichischen Universitäten
war die Arbeiterbewegung noch lange bis in die 1960er Jahre kein würdiger
Forschungsgegenstand. Auch dies überrascht nicht. Die akademischen Historiker
arbeiteten ja von ihrer Klassenlage her in ihrer Hauptströmung irrationalen
Reichsmythologien, dem Habsburgerimperialismus und dann dem Faschismus zu.
Vielmehr entstanden die ersten historischen Rückblicke am Ende des 19.
Jahrhunderts zur eigenen Selbstverständigung, zum „Behelf der Agitation“ aus der
sozialdemokratischen und auch aus der „anderen“ radikalen Arbeiterbewegung
selbst.
Im Umfeld des Austromarxismus gründete der an der Universität Wien lehrende
Nationalökonom Carl Grünberg als ein „Kathedermarxist“ 1910 das Archiv für
die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung. In den Jahren der
Ersten Republik konnte Ludwig Brügel in der Tradition Viktor Adlers zwischen
1922 und 1925 seine große Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie in
fünf Bänden herausgeben. Otto Bauer plante nach 1934 im Exil eine Geschichte der
österreichischen Sozialdemokratie im Sinne seines „integralen Sozialismus“. Dem
Amsterdamer Internationalen Institut für Sozialgeschichte legte Bauer einen
Entwurf vor, der wegen Bauers Tod im Sommer 1938 nicht mehr ausgeführt werden
konnte (jetzt abgedruckt in Otto Bauer, Werkausgabe, Band 4, Wien 1978,
345f.).
Mit seinen Beiträgen zur österreichischen Geschichte hat Alfred Klahr 1937 nicht
nur eine Theorie der österreichischen Nation im antifaschistischen Kampf
geboten, sondern auch einen Beitrag zum geschichtlichen Verständnis des
österreichischen Sozialismus. Eine kontinuierliche Geschichtsschreibung der
Arbeiterbewegung war von Seite der Kommunistischen Partei Österreichs dann nach
der Befreiung vom Faschismus 1945 möglich. Hierfür stehen Namen wie Albert
Fuchs, Leopold Hornik, Anna Strömer-Hornik, Arnold Reisberg, Herbert Steiner,
Eva Priester, Leo Stern oder Franz Strobl.
Wichtig war in diesem Zusammenhang auch die im Globus-Verlag erschienene
Reihe „Biografische Texte zur Geschichte der Arbeiterbewegung“ mit
Autobiographien österreichischer Kommunisten (wie Valentin Strecha, Max Stern,
Heinrich Fritz, Vinzenz Böröcz oder unter anderen mehr jene von Bruno Furch und
Erwin Scharf) und mit Erinnerungen an den antifaschistischen Widerstand (an
Richard Zach oder Fritz Jensen).
Innsbruck, Frühjahr 2009
Peter Goller
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