Zwischen Wiener Kreis und Marx. Walter Hollitscher (1911–1986)

Vorwort

Am 20. Oktober 2001 fand im Saal der Alfred Klahr Gesellschaft in Wien das Symposium „Zwischen Wiener Kreis und Marx“ statt, eine Gedächtnisveranstaltung zu Ehren von Walter Hollitscher. Renommierte Wissenschafter und Wissenschafterinnen wie die Professoren Hans Heinz Holz, Herbert Hörz, Hans Mikosch, Samuel Mitja Rapoport, Thomas Schönfeld, Friedrich Stadler sowie Dr. Petra Stöckl hielten Referate, in denen wichtige Aspekte des Lebenswerks von Walter Hollitscher behandelt wurden. Ein zahlreich erschienenes Publikum aus dem In- und Ausland legte den Beweis dafür ab, dass dieser enzyklopädische Denker, der zum Zeitpunkt der Veranstaltung 90 Jahre alt geworden wäre, nicht vergessen ist.
Der marxistische Wissenschafter und Kommunist Walter Hollitscher (1911–1986) trat sowohl als Theoretiker und Publizist als auch als Volksbildner in Erscheinung und leistete mit einer Vielzahl von Veröffentlichungen wesentliche Beiträge zur Philosophie, Biologie, Psychologie, Medizin, Ethologie, Anthropologie, Sexualwissenschaft und Ökologie, aber auch für ein marxistisches Verständnis der Religion, des Friedenskampfes und der Ideologie. Hollitschers Hauptwerk über die Natur und den Menschen im Weltbild der modernen Wissenschaft (1960 und 1969, sowie in einer überarbeiteten sechsbändigen Neuausgabe 1983-1985 erschienen) ist eine universal angelegte Darstellung der Entwicklungsgeschichte von der unbelebten Natur bis zur menschlichen Gesellschaft und wurde in mehr als zehn Sprachen übersetzt.
1911 in Wien geboren, schloss sich Hollitscher als Mittelschüler in Prag der kommunistischen Bewegung an und wurde 1929 Mitglied der KPÖ. 1933 promovierte er bei Moritz Schlick mit einer Arbeit über das Kausalprinzip in der Quantenphysik. Nach der Annexion Österreichs musste Hollitscher emigrieren, zuerst nach Zürich, dann nach London, wo er – unter anderem als Vizepräsident des Austrian Centre – bis 1945 lebte. Nach der Befreiung Österreichs war Hollitscher als Mitarbeiter in der Wiener Volksbildung und des Instituts für Wissenschaft und Kunst tätig. 1947 wurde er Konsulent für Wissenschaft im Amt für Kultur und Volksbildung der Gemeinde Wien. 1949 folgte er einem Ruf der Berliner Humboldt-Universität, wo er bis 1953 als Ordinarius für Logik und Erkenntnistheorie und erster Direktor des philosophischen Instituts wirkte. Nach seiner Rückkehr wurde Hollitscher Wissenschaftskonsulent des Zentralkomitees der KPÖ. Seit 1966 war er als Gastprofessor für philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaften an der Karl-Marx-Universität in Leipzig tätig, die ihm 1971 die Ehrendoktorwürde verlieh.
Neben seinen regen wissenschaftlichen und volksbildnerischen Publikationsaktivitäten (unter anderem als Leiter der Wissenschaftsrubrik der Volksstimme und Redaktionsmitglied von Weg und Ziel) trat Hollitscher als Lehrer an Parteischulen, Referent in Parteiorganisationen im In- und Ausland, Vortragender an Universitäten und auf internationalen philosophischen Kongressen in Erscheinung. In besonderer Weise engagierte er sich für den Dialog zwischen Christen und Marxisten. In Walter Hollitscher verkörperte sich das Vorbild eines Intellektuellen, der engstens mit der revolutionären Arbeiterbewegung verbunden ist.
Die Alfred Klahr Gesellschaft, die den Nachlass Walter Hollitschers und seine umfangreiche Bibliothek verwahrt, legt hiermit das Protokoll des Symposiums vom 20. Oktober 2001 vor, ergänzt mit Beiträgen der deutschen Wissenschafter Hubert Laitko, Robert Steigerwald und Dieter Wittich. Den Autorinnen und Autoren sowie den Verantwortlichen für die Durchführung der Gedächtnisveranstaltung und die Herausgabe des Bandes, Univ.-Prof. Dr. Gerhard Oberkofler und Manfred Mugrauer, spreche ich meinen herzlichen Dank aus.

Wien, im Februar 2003

ao. Univ.-Prof. Dr. Hans Hautmann
Präsident der Alfred Klahr Gesellschaft