Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Aus dem Archiv: Briefe der KPÖ-Führung

In »Weg und Ziel« 4/1991 ging ich auf die überlieferten Quellen der Führung der KPÖ in Moskau ein, wobei ich darauf hinwies, daß die Unterlagen nicht umfangreich sind, sich auf wenige Schriftstücke beschränken. Die überlieferten Materialien, die nach 1945 den Weg von Moskau nach Wien gefunden haben, bilden den Fundus, aus dem wir hier eine Auswahl bringen. Sie haben eines gemeinsam: sie spiegeln die unterschiedlichen Schicksale von Parteimitglieder wider, die sich in der Emigration in der Sowjetunion befunden haben. Sie zeigen aber auch das Bemühen der Partei, bedrückende, manchmal sogar lebensbedrohende Existenzbedingungen zu verbessern. Einige Briefe führen uns zu den Auswirkungen der Repressionen, von denen zahlreiche österreichische KommunistInnen betroffen waren.
Die Lektüre läßt ferner Rückschlüsse auf die äußerst schwierigen Arbeitsbedingungen der Parteiführung zu, die weder vor dem Kriegsausbruch, und schon gar nicht danach, auch nur im entferntesten in der Lage war, zu jedem Parteimitglied in der sowjetischen Emigration Kontakt zu haben, zu wissen, wer sich wo befindet, unter welchen Bedingungen er lebt (man denke hier nur an das belagerte Leningrad). Diese Feststellung bedarf, führt man sich die damaligen Umstände vor Augen, keiner Erklärung. War die österreichische Emigration (einschließlich der schon vor 1934 sich in der Sowjetunion aufhaltenden Parteimitglieder) disloziert, komplizierte sich das nach dem Überfall auf die Sowjetunion und der damit einhergehenden „Evakuation“.

Nicht unerwähnt kann hier bleiben, daß die Parteiführung natürlich über keinerlei Möglichkeiten verfügte, quasi in „Eigenregie“ Probleme, die an sie herangetragen wurden, zu lösen. Die MOPR (Meshdunarodnaja organisazija ponostschi borzam rewoljuzii (russ.); Organisation zur Unterstützung von Kämpfern der Revolution; das war die sowjetische „Rote Hilfe“) war für die politischen Emigranten zuständig, agierte aber in Übereinstimmung mit der Komintern. Die Schaltstelle bildete die Kaderabteilung der Komintern, an die die Parteiführung ihre Probleme richtete und ihre Lösungsvorschläge formulierte.
Was ihr Bemühen für jene betrifft, die verhaftet und verurteilt worden war, ist auch das unter diesem Licht zu sehen, d.h. war ganz offensichtlich abhängig vom Wissen darüber. Wirklichkeitsfremd wäre die Annahme, seitens der sowjetischen Behörden wären postwendend Informationen über Verhaftung und Verurteilung österreichischer Kommunisten an die KPÖ ergangen. Die bisher im ehemaligen Institut für Marxismus-Leninismus in Moskau (wo das Archiv der Komintern aufbewahrt wird) aufgefundenen Dokumente zeigen, daß seitens der österreichischen Parteiführung nachweislich Interventionen für Verhaftete Parteimitglieder stattgefunden haben und der Versuch, die Parteiführung als „Handlanger Stalins“ zu qualifizieren, durch keine wissenschaftlichen Quellen belegbar ist.

Brief an die Kaderabteilung der Komintern. Vertraulich; 14.8.1941

Zur Information schicken wir einen Brief der Genossin Waik Gabriele aus Leningrad, worin sie uns von der Verhaftung ihres Mannes Dorotic Josef Mitteilung macht.
Vertretung des ZK der KPÖ beim EKKI: Koplenig

Brief an die Kaderabteilung der Komintern. Vertraulich; 2.9.1941

Wir ersuchen beim Z.K. der MOPR zu intervenieren, damit es für die österreichische Politemigrantin Urban Ilke eine Unterstützung bewilligt. Die Genossin Urban befindet sich in folgender Lage: Ihr Mann, Urban R. [d.i. Richard Uccusic), wurde bei Kriegsausbruch als Ausländer interniert. Der älteste Sohn, Urban Milan (18 Jahre alt), der bisher studiert hat, bekam erst vor einer Woche eine Arbeit, aber vor einigen Tagen wurde er für Befestigungsarbeiten mobilisiert. Sowohl die Genossin Urban, Urban R., wie auch die Kinder haben nach Kriegsbeginn die Sowjetstaatsbürgerschaft bekommen. Die Genossin ist selbst krank und arbeitsunfähig und hat noch eine schulpflichtige Tochter zu erhalten. Sie ist ohne jede Mittel und muß buchstäblich hungern. Die Genossin Urban ist Mitglied der KPÖ.
Mit Rücksicht auf die besonders schwierige Lage ersuchen wir die Genossin durch die MOPR bis zur Rückkehr ihres Sohnes von den Befestigungsarbeiten zu unterstützen.
Vertretung des ZK der KPÖ beim EKKI: Koplenig

Brief an die Kaderabteilung der Komintern. Vertraulich; 2.4.1942

In bezug auf die Anfrage über den Genossen Czagram Julius teilen wir folgendes mit: Gen. Czagram war Mitglied der Partei seit 1918 und hat als aktiver Funktionär in der KPÖ gearbeitet. An der Liquidierung der Fraktionskämpfe hat Gen. Czagram aktiven Anteil genommen und er wurde zu dieser Zeit Mitglied der Bezirksleitung Graz und als Mitglied des erweiterten ZK der KPÖ gewählt. Gen. Czagran war auch gewählter Vertreter der revolutionären Arbeiterschaft in der Arbeiterkammer in [der] Steiermark. Er ist mit Zustimmung des ZK der KPÖ als Spezialarbeiter in die SU gereist und wurde im Jahr 1932 von der österreichischen Vertretung zur Überführung in die Wkp(b) empfohlen. Über die Tätigkeit und über den Aufenthalt des Gen. Czagram in der SU ist uns seit mehreren Jahren nichts bekannt. Aus seiner politischen Tätigkeit in Österreich kennen wir ihn als einen ehrlichen und ergebenen Genossen.
Vertretung des ZK der KPÖ beim EKKI: Koplenig
[Anm.: Wkp(b) ist die ruß. Abkürzung für KPR(B), Kommunistische Partei Russlands (Bolschewiki).]

Brief an die Kaderabteilung der Komintern; 23.4.1942

Genosse Griesmaier Max, [hier folgt seine Moskauer Adresse], der 1934 mit dem Schutzbundkindertransport der MOPR in die Sowjetunion kam und hier im Kinderheim erzogen wurde, stand bis Anfang Oktober unter der Fürsorge der MOPR. Er arbeitet als Lehrling in einem Moskauer Betrieb und lebt, da er keine Angehörigen in der Sowjetunion hat, sehr schlecht. Wir ersuchen beim ZK der MOPR zu beantragen, daß Griessmaier Max im früheren Ausmaß unterstützt wird.
Weiters befindet sich in Moskau der Jugendliche Dirnbacher Egon, welcher ebenfalls mit dem Schutzbundkindertransport des ZK der MOPR 1934 nach Moskau kam und im Kinderheim erzogen wurde. Er beendete die 10. Klasse und arbeitet seit der Evakuierung des Kinderheimes Spartak in einem Betrieb in Moskau. Da er wenig verdient, ersuchen wir die Beantragung einer finanziellen Unterstützung durch die MOPR. Da er die 10. Klasse erfolgreich beendete, ersuchen wir, wenn die Möglichkeit besteht, ihm behilflich zu sein beim Eintritt in ein Institut. Seine Adresse lautet: [hier folgt seine Moskauer Adresse].
Für die österreichische Sektion: Koplenig

Brief der Vertretung des ZK. der KPÖ beim EKKI an die Kaderabteilung der Komintern. Vertraulich; 16.9.1942

Wir ersuchen für den Genossen Fabri Ernst (langjähriges Mitglied der KPÖ) bei der MOPR eine monatliche Unterstützung in der Höhe von Rubel 200.- zu beantragen. Genosse Fabri wurde mit seiner Familie von Moskau nach Taschkent evakuiert. Er ist von Beruf Schriftsteller und hat in Moskau in einem Institut gearbeitet. Jetzt ist seine materielle Lage in Taschkent sehr schwer, da er als Schriftsteller keine Verdienstmöglichkeiten hat. Sobald es jedoch wieder verdienen wird können, wird eine Unterstützung durch die MOPR nicht mehr notwendig sein. Bis dorthin halten wir es jedoch für nötig, dem Genossen Fabri und seiner Familie materiell zu helfen.
Fürnberg

Brief der Parteivertretung der KPÖ in Moskau an die Kaderabteilung der Komintern. Vertraulich; 13.11.1942

Aus dem Kinderheim „Spartak“ sind zwei österreichische Schutzbundkinder (Spirik Erika und Griesmayer) hierher gekommen. Sie haben mit Hilfe der MOPR die Möglichkeit bekommen in Instituten zu lernen. Sie waren in der Schule Otlitschniki und lernen auch hier gut. Nun sind die Kinder, wie aus dem beiliegenden Brief zu ersehen ist, in großen Schwierigkeiten. Dazu kommt noch, daß die Erika Spirik malariakrank ist und in letzter Zeit sehr stark unter dieser Krankheit zu leiden hat.
Wir bitten daher, die Spirik und Griesmayer dem 17er Magzin anzuschließen. Ferner wohnen 4 Mädchen zusammen in einer kleinen unbeheizten Zimmerchen. Ihre Lage wäre erleichtert, wenn sie ein bißchen Holz hätten, um wenigstens ein heißes Wasser trinken zu können. Ferner bitten wir die MOPR zu veranlassen, daß sie den Kindern etwas Warmes zum. Anziehen verschafft und ihre Unterstützung von Rbl. 150.- auf  200.- Rubel im Monat erhöht.
Für die österreichische Parteivertretung: Schorr

Brief der Parteivertretung der KPÖ in Moskau an die Kaderabteilung der Komintern; 4.12.1942

Betrifft: Johann Raab, Namangan.
Wir bitten zu veranlassen, daß das Z.K. der MOPR nach Namangan Anweisung gibt, dem Genossen und seiner Frau eine laufende Unterstützung von Rbl. 200.- monatlich zu bewilligen.
Gen. Raab ist ein guter Genosse und hat bis jetzt die MOPR nicht in Anspruch genommen. Nun verdient er in Namangan 120.- Rubel im Monat. Seine Frau war 5 Monate krank und ist jetzt sehr geschwächt und arbeitsunfähig und soll ins Spital kommen. Der Arzt hat ihr dringend eine ausreichende Nahrung empfohlen, damit sie überhaupt noch gesund werden kann. Deshalb bitten wir von der MOPR eine außerordentliche Hilfe für seine Frau zu beantragen. Der Genosse hat bereits alle seine Kleider verkauft und hat nichts mehr zum Anziehen. Wir bitten daher auch die MOPR zu veranlassen, daß die nötigen Kleider gegeben werden. Wir betonen, daß Gen. Raab und seine Frau gute Parteigenossen sind und eine rasche Hilfe notwendig ist.
Für die österreichische Parteivertretung: Schorr

Brief der Parteivertretung der KPÖ in Moskau an die Kaderabteilung der Komintern; 16.12.1942

Der österreichische Politemigrant, ehemalige Schutzbündler und Mitglied der KPÖ, Gen. Hackl, liegt seit mehreren Wochen krank im Spital in Namangan. Nach Ansicht der Ärzte besteht eine Aussicht auf Besserung nur unter der Bedingung eines Klimawechsels und durch bessere und ausreichende Ernährung. Da wir bei den gegenwärtigen schweren Bedingungen in Namangan befürchten, daß Gen. Hackl nicht durchhalten kann, wir ihn andererseits für einen wertvollen, der Partei und der SU ergebenen Genossen halten, ersuchen wir beim ZK der MOPR zu intervenieren, damit alle seitens der MOPR möglichen Maßnahmen getroffen werden, um das Leben des Gen. Hackl zu retten. Wir schlagen vor, den Genossen eventuell nach Ufa zu bringen, wodurch auch die Möglichkeit bestände, daß sich auch die österreichische Sektion mehr um ihn kümmern kann.
Koplenig

Brief der Parteivertretung der KPÖ in Moskau an die Kaderabteilung der Komintern. Vertraulich; 11.11.1942

Wir bitten, dem Genossen Stückler Josef durch die MOPR Schuhe und warme Kleider zu verschaffen. Gen. Stückler arbeitet im Kolchos und macht Nachtarbeit im Freien. Er war krank und lag im Spital und ist auch, nachdem er das Spital verlassen hat, noch immer krank und arbeitet mit Temperatur weiter, wobei er keine Schuhe hat. Außerdem teilen uns die Genossen mit, daß die Verpflegung auch ziemlich schlecht ist. Vielleicht kann die MOPR auch in dieser Beziehung helfen. Wir bitten zu veranlassen, daß die für Alexandrowna zuständige MOPR-Organisation für den Gen. Stückler ärztliche Hilfe verschafft, falls es noch nötig sein wird.
Wir betonen, daß der Genosse Stückler ein sehr guter und verläßlicher Genosse ist.
Für die österreichische Parteivertretung: Schorr

Brief der Parteivertretung der KPÖ in Moskau an die Kaderabteilung der Komintern; 31.12.1942

Die Gen. Hirtl Anna, deren Mann sich an der Front befindet, teilt uns mit, daß sie für den Monat Dezember die Unterstützung nicht bekommen hat, und sich daher mit den beiden Kindern in einer schwierigen Lage befindet. Wir ersuchen, bei der in Betracht kommenden Stelle zu intervenieren, damit der Genossin die Unterstützung regelmäßig und rechtzeitig ausbezahlt wird.
Koplenig
[Anm.: Hirtl Anna war nicht Parteimitglied.]

Brief der Parteivertretung der KPÖ in Moskau an die Kaderabteilung der Komintern; 25.1.1943

Wir ersuchen, beim ZK der MOPR zu intervenieren, damit den sich in Ufa befindenden österreichischen Jugendgenossinnen Frieda Löw, Griesmaier und Erika Spirik die Unterstützung in der bisherigen Höhe weiter ausbezahlt wird. Löw und Griesmaier besuchen das Institut. Die Genossin Erika Spirik arbeitet in einem Betrieb, wo sie aber nur 150 Rubel im Monat verdient. Da wir sie für eine gute und wertvolle Genossin halten, ersuchen wir auch, ihr die Unterstützung so wie bisher weiter zu geben.
Joh. Koplenig

Brief der Parteivertretung der KPÖ in Moskau an die Kaderabteilung der Komintern; 13.3.1943

Bezugnehmend auf unsere bereits seinerzeit gemachten Vorschläge beantragen wir nochmals die Mitglieder der KPÖ Erna Jellinek und Erna Ketzlik, die sich beide in Poltawka befinden, als Politemigrantin anzuerkennen und auch sie wie die anderen Politemigranten seitens der MOPR zu unterstützen. Der Umstand, daß die Männer dieser beiden Genossinnen verhaftet sind, ist unseres Erachtens in diesen Fällen kein Grund, um die Frauen nicht als Politemigranten anzuerkennen.
Im Falle der Gen. Jellinek handelt es sich um eine Genossin, die in Österreich aktive Parteiarbeit geleistet hat und die sich auch hier gut gehalten hat. Sie gehört zu denjenigen Genossinnen in Poltawka, die sich bemüht, den schlechten Einflüssen entgegenzuwirken. Was ihren Mann betrifft, so haben die Mitglieder der Leitung der KPÖ sich für ihn eingesetzt und die Überprüfung seiner Angelegenheit beantragt. Der Akt darüber liegt in der Kaderabteilung.
Im Falle der Gen. Ketzlik weisen wir darauf hin, daß die Gen. bereits zwei Jahre vor der Verhaftung ihres Mannes sich von ihm getrennt und keinerlei Beziehungen zu ihm hatte. Die Gen. Ketzlik war in Österreich eine aktive Parteigenossin und hat sich auch hier bewährt.
In diesem Zusammenhang verweisen wir auch auf die Notwendigkeit der Unterstützung der Genossin Urban, deren Sohn sich in der Roten Armee befindet.
Koplenig

Willi Weinert

Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 4/1998

 

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