Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

Drechslergasse 42, A–1140 Wien

Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at


 

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Otto Brichacek/Robert Bondy: Exil in Großbritannien: Für ein freies Österreich

Unter den möglichen Exilländern war auch Großbritannien, da dessen liberale und demokratische Traditionen bekannt waren. Eine Einreise war nicht leicht zu erreichen, da die ”Chamberlainpolitik”, die eine de facto Anerkennung der Annexion Österreichs bedeutete, keine automatische Hilfestellung für die Betroffenen ermöglichte. Frauen mit Haushaltsposten, Kindertransporte, materiell garantierte persönliche Einladungen und einzelne Aktionen entschieden oft über Leben und Tod. Es war eine Jagd nach einem Visum, nach Dokumenten, es gab abenteuerliche Wege, wie Menschen, besonders ohne oder mit falschen Papieren, Grenzen überwinden mußten, stets in Gefahr, der Gestapo in die Hände zu fallen.
Es gab aber auch Initiativen, die Geld  sammelten und so Visa für politische Flüchtlinge in der Tschechoslowakei ermöglichten. Der sogenannte „Czech Trust Fonds” brachte nach einem  Schlüssel Visa an Ländergruppen und Organisationen zur Verteilung.
Die Frage des Wohnens und der unmittelbaren Existenzsicherung stand nach der Ankunft im Vordergrund. Obzwar es hin und wieder Ablehnung in der englischen Bevölkerung gegenüber den Ausländern (Emigranten) gab, entwickelten sich die Kontakte zur Arbeiterschaft gut. In ihr gab es eine  breite Ablehnung des Faschismus.
Es bestanden die verschiedensten Hilfskomitees, die den Flüchtlingen unter anderem durch Zahlung von Unterstützungsgeldern behilflich waren. Die Österreicher wurden meistens als Deutsche angesehen, was auch eine Konsequenz der Anerkennung der Annexion war.

Eigene Organisationen

Daher bemühten sich die Österreicher, eigene Organisationen zu schaffen, die als Interessenvertretungen aller Österreicher tätig sein konnten und entsprechende Kontakt- und Organisationszentren zu errichten.
Neben einigen kleineren Initiativen waren es vor allem die durch Kommunistinnen und Kommunisten geschaffenen überparteilichen Organisationen, welche in den kommenden Jahren große Bedeutung erlangten. Ganz im Sinne des Aufrufs der KPÖ an das österreichische Volk, in dem es unter anderem hieß: „Der Kampf geht weiter. Durch seine eigene Kraft und durch die Hilfe der Weltfront des Friedens wird ein freies, unabhängiges Österreich wiedererstehen.”

Young Austria

Ende 1938 trafen sich sechs Jugendliche in London; sie bildeten den Grundstock von „Young Austria”. Am 15. März 1939 entstand die erste Jugendgruppe, weitere zwanzig, verteilt über ganz Großbritannien, folgten. 1300 Jugendliche wurden in der Folge Mitglieder. Die meisten waren ohne Familie gekommen und fanden in diesen Gruppen eine Gemeinschaft und Kontakte zu Gleichaltrigen. An den Heimabenden wurde diskutiert, wobei der Aspekt der eigenständigen österreichischen Nation, ganz im Sinne der von Alfred Klahr entwickelten Gedanken und der daran anknüpfenden Konsequenz der Forderung nach der Wiedererrichtung Österreichs, im Zentrum standen. Es wurden zahlreiche Kontakte zu britischen Jugendorganisationen hergestellt und gemeinsame Veranstaltungen organisiert. Besonders waren wir um Kontakte zu den Gewerkschaftern bemüht, die dann oft Resolutionen verabschiedeten, die von der britischen Regierung verlangten, die Wiederherstellung eines unabhängigen Österreich zu unterstützen. Dies entwickelte sich zu einer breiten Aktivität, je mehr unsere Mitglieder in Betrieben arbeiteten und damit auch gewerkschaftlich tätig sein konnten.
Fast alle Deutschen und Österreicher (vorwiegend die männlichen), wurden Anfang Juni 1940 (als Folge des Desasters der britischen Armee in Dünkirchen) interniert. Mitglieder des „Young Austria” waren auch dort aktiv und warben zahlreiche Mitglieder.

Internierung

Wenig später veranlaßten die britischen Behörden Internierte per Schiffstransport nach Kanada und Australien zu verschicken. Dies auch mit der Begründung, daß angesichts der täglichen schweren Luftbombardements und der prinzipiellen Gefahr einer deutschen Invasion die Flüchtlinge dort sicherer wären. Bekannt ist, daß das Schiff  „Arandora Star” am Weg nach Kanada am 2. Juli 1940 von einem deutschen U-Boot torpediert und versenkt wurde, wodurch 174 deutsche und österreichische und 486 italienische Internierte ums Leben kamen.

Austrian Center

Das „Austrian Centre” betrieb vier Häuser in London, welche zentrale Treffpunkte für sehr viele Österreicher wurden, und wesentlich zur Freundschaft mit der englischen Bevölkerung beitrugen. Die vielfältigen Aktivitäten umfaßten Klubtätigkeit, einen Gasthausbetrieb, das Theater „Laterndl”, Kulturveranstaltungen, Publikationen und die Wochenzeitung „Zeitspiegel”. Der Chor von ”Young Austria”, unter Leitung von Erwin Weiss, trug auch zum kulturellen Kontakt und zur Freundschaft mit britischen Organisationen bei. Wobei nicht nur die Verbreitung des ”österreichischen Gedankens” ein Anliegen war, sondern auch die Solidarität mit dem Kampf der Sowjetunion gegen den Hitlerfaschismus, indem bei Auftritten Geldsammlungen durchgeführt wurden.
Die Moskauer Erklärung 1943, in der als ein Kriegsziel der Alliierten auch die Wiederherstellung eines freien Österreich festgeschrieben wurde, betrachteten wir als eine Bestätigung für unsere Tätigkeit. 300 Mitglieder von „Young Austria” meldeten sich mit der Forderung nach einer österreichischen Kampfeinheit freiwillig für die britischen Armee. Viele wurden dann auch zu britischen Einheiten einberufen.

Großdeutschtum

Unter den Emigranten gab es auch eine Gruppierung, die gegen die Wiederherstellung eines unabhängigen Österreich auftrat. An ihrer Spitze die bekannten Funktionäre der ehemaligen sozialdemokratischen Partei Oskar Pollak und Karl Czernetz, die im „London Büro der österreichischen Sozialisten” die Annexion Österreichs als „historischen Fortschritt” und die Österreicher als Deutsche ansahen.
Diese zwei Personen beherrschten auch die „Landesgruppe österreichischer Gewerkschafter in Großbritannien”, die offiziell von Johann Svitanics geführt wurde. Den Statuten und bestehenden Vorschriften entsprechend sollte sie die Organisation aller österreichischen Gewerkschafter und derjenigen Österreicher sein, die auf Grund ihrer Tätigkeit Mitglieder einer britischen Gewerkschaft waren.
Doch undemokratisches Verhalten führte zu Ausgrenzungen und Ausschlüssen. In all den Jahren des Bestehens der ”Landesgruppe” wurde kein Antrag zur Abstimmung zugelassen, der eine Diskussion über die österreichische Freiheitsfront und die Notwendigkeit des Kampfes für die Unabhängigkeit Österreichs ermöglicht hätte. Selbst als Franz Novy, der vorher als Beauftragter der „Auslandsvertretung österreichischer Gewerkschafter” in Paris tätig gewesen war, im Sommer 1942 von Schweden nach London kam, um die Haltung Bruno Kreiskys, der nicht mit der großdeutschen Politik Pollaks und Czernetz´ einverstanden war, zum Ausdruck zu bringen, änderte sich nichts.
Andererseits gab es auch zwei Organisationen österreichischer Sozialisten, die nichts mit der Pollak-Czernetz-Politik zu tun haben wollten. Es waren dies die „Vereinigung österreichischer Sozialdemokraten in Großbritannien” unter Führung des ehemaligen Nationalratsabgeordneten Heinrich Allina, und der „Verband der österreichischen Sozialisten in Großbritannien” unter der Führung der ehemaligen Nationalratsabgeordneten Marie Köstler. Sie gehörten auch der FAM an.

Free Austrian Movement (FAM)

Die Dachorganisation von zunächst elf österreichischen Vereinigungen in Großbritannien legte am 24.1.1942 in der Londoner Porchester Hall 1500 Österreichern ihr Programm und ihre Ziele zur Bestätigung vor. Die gemeinsame Deklaration stellte folgende Aufgaben in den Vordergrund:
– Unterstützung für die Forderung des Selbstbestimmungsrechtes des österreichischen Volkes
– Aktivierung der Österreicher in Großbritannien für den ,militärischen Einsatz, womöglich in einer österreichischen Kampfeinheit, bei der Kriegsproduktion und bei der Zivilverteidigung
– Alle Möglichkeiten der Unterstützung der Widerstandsbewegung im Lande.
Ende 1943 hatte die FAM die Unterstützung von 7 000 Österreichern und Österreicherinnen, die in 27 Organisationen zusammengeschlossen waren. Wichtig war auch, den Status der Österreicher als „feindliche Ausländer” zu beseitigen, und die vollständige Registrierung als „Österreicher” durchzusetzen, die ja als „Deutsche” geführt wurden. Aber auch Bemühungen zur Durchsetzung der Anerkennung beruflicher Diplome (z.B. bei Ärzten und Krankenschwestern) wurden angestellt. Große Bedeutung für die „Österreichpropaganda” hatten die kulturellen Aktivitäten, die vom „Austrian Center” und dem „Young Austria” betrieben wurden. In allen Klubhäusern des „Austrian Center” gab es das „Österreichische Forum” mit seinen öffentlichen Diskussionen; im Verlag „Free Austrian Books” kamen zahlreiche Publikationen in deutscher und englischer Sprache heraus. Die „Kulturelle Schriftenreihe des FAM” stellte sich die Aufgabe, die österreichische Kulturtradition, aber auch die Leistungen der Exilierten zu propagieren.
Ein wichtiger Schritt war die durch die FAM erfolgte Gründung der „Österreichischen Weltbewegung”, durch die 25 000 Österreicher in 28 Länder erfaßt wurden. Daraus entwickelten sich rege Kontakte mit Organisationen und einzelnen Österreichern in Nord- und Südamerika, Australien, Indien, Neuseeland und Afrika.
Am 17. September 1944 wurde - im Angesicht der nahenden Befreiung - eine FAM-Konferenz mit 120 Delegierten abgehalten, um über die Zukunftsprobleme der österreichischen Flüchtlinge und über Hilfsaktionen für die Österreicher in den befreiten Gebieten zu beraten. Die weitestgehende einheitliche Zusammenfassung der österreichischen Flüchtlinge bot die Voraussetzung zur optimalen Wahrnehmung ihrer Interessen.
Die Aktivitäten in Großbritannien waren ein kleiner, aber nicht unwichtiger Beitrag zur Unterstützung der Ziele der Österreichischen Freiheitsfront.

Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 1/1995

 

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