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Otto Brichacek/Robert Bondy: Exil in Großbritannien: Für ein freies
Österreich
Unter den möglichen Exilländern war auch Großbritannien, da dessen liberale
und demokratische Traditionen bekannt waren. Eine Einreise war nicht leicht zu erreichen,
da die ”Chamberlainpolitik”, die eine de facto Anerkennung der Annexion
Österreichs bedeutete, keine automatische Hilfestellung für die Betroffenen
ermöglichte. Frauen mit Haushaltsposten, Kindertransporte, materiell
garantierte persönliche Einladungen und einzelne Aktionen entschieden oft über
Leben und Tod. Es war eine Jagd nach einem Visum, nach Dokumenten, es gab
abenteuerliche Wege, wie Menschen, besonders ohne oder mit falschen Papieren,
Grenzen überwinden mußten, stets in Gefahr, der Gestapo in die Hände zu fallen.
Es gab aber auch Initiativen, die Geld sammelten und so Visa für
politische Flüchtlinge in der Tschechoslowakei ermöglichten. Der sogenannte
„Czech Trust Fonds” brachte nach einem Schlüssel Visa an Ländergruppen
und Organisationen zur Verteilung.
Die Frage des Wohnens und der unmittelbaren Existenzsicherung stand nach der
Ankunft im Vordergrund. Obzwar es hin und wieder Ablehnung in der englischen
Bevölkerung gegenüber den Ausländern (Emigranten) gab, entwickelten sich die
Kontakte zur Arbeiterschaft gut. In ihr gab es eine breite Ablehnung des
Faschismus.
Es bestanden die verschiedensten Hilfskomitees, die den Flüchtlingen unter
anderem durch Zahlung von Unterstützungsgeldern behilflich waren. Die
Österreicher wurden meistens als Deutsche angesehen, was auch eine Konsequenz
der Anerkennung der Annexion war.
Eigene Organisationen
Daher bemühten sich die Österreicher, eigene Organisationen zu schaffen, die
als Interessenvertretungen aller Österreicher tätig sein konnten und entsprechende
Kontakt- und Organisationszentren zu errichten.
Neben einigen kleineren Initiativen waren es vor allem die durch Kommunistinnen
und Kommunisten geschaffenen überparteilichen Organisationen, welche in den
kommenden Jahren große Bedeutung erlangten. Ganz im Sinne des Aufrufs der KPÖ
an das österreichische Volk, in dem es unter anderem hieß: „Der Kampf geht
weiter. Durch seine eigene Kraft und durch die Hilfe der Weltfront des Friedens
wird ein freies, unabhängiges Österreich wiedererstehen.”
Young Austria
Ende 1938 trafen sich sechs Jugendliche in London; sie bildeten den
Grundstock von „Young Austria”. Am 15. März 1939 entstand die erste
Jugendgruppe, weitere zwanzig, verteilt über ganz Großbritannien, folgten. 1300
Jugendliche wurden in der Folge Mitglieder. Die meisten waren ohne Familie
gekommen und fanden in diesen Gruppen eine Gemeinschaft und Kontakte zu
Gleichaltrigen. An den Heimabenden wurde diskutiert, wobei der Aspekt der
eigenständigen österreichischen Nation, ganz im Sinne der von Alfred Klahr
entwickelten Gedanken und der daran anknüpfenden Konsequenz der Forderung nach
der Wiedererrichtung Österreichs, im Zentrum standen. Es wurden zahlreiche
Kontakte zu britischen Jugendorganisationen hergestellt und gemeinsame
Veranstaltungen organisiert. Besonders waren wir um Kontakte zu den
Gewerkschaftern bemüht, die dann oft Resolutionen verabschiedeten, die von der
britischen Regierung verlangten, die Wiederherstellung eines unabhängigen
Österreich zu unterstützen. Dies entwickelte sich zu einer breiten Aktivität,
je mehr unsere Mitglieder in Betrieben arbeiteten und damit auch
gewerkschaftlich tätig sein konnten.
Fast alle Deutschen und Österreicher (vorwiegend die männlichen), wurden Anfang
Juni 1940 (als Folge des Desasters der britischen Armee in Dünkirchen)
interniert. Mitglieder des „Young Austria” waren auch dort aktiv und warben
zahlreiche Mitglieder.
Internierung
Wenig später veranlaßten die britischen Behörden Internierte per
Schiffstransport nach Kanada und Australien zu verschicken. Dies auch mit der
Begründung, daß angesichts der täglichen schweren Luftbombardements und der
prinzipiellen Gefahr einer deutschen Invasion die Flüchtlinge dort sicherer
wären. Bekannt ist, daß das Schiff „Arandora Star” am Weg nach Kanada am
2. Juli 1940 von einem deutschen U-Boot torpediert und versenkt wurde, wodurch
174 deutsche und österreichische und 486 italienische Internierte ums Leben
kamen.
Austrian Center
Das „Austrian Centre” betrieb vier Häuser in London, welche zentrale
Treffpunkte für sehr viele Österreicher wurden, und wesentlich zur Freundschaft
mit der englischen Bevölkerung beitrugen. Die vielfältigen Aktivitäten umfaßten
Klubtätigkeit, einen Gasthausbetrieb, das Theater „Laterndl”,
Kulturveranstaltungen, Publikationen und die Wochenzeitung „Zeitspiegel”. Der
Chor von ”Young Austria”, unter Leitung von Erwin Weiss, trug auch zum
kulturellen Kontakt und zur Freundschaft mit britischen Organisationen bei.
Wobei nicht nur die Verbreitung des ”österreichischen Gedankens” ein Anliegen
war, sondern auch die Solidarität mit dem Kampf der Sowjetunion gegen den
Hitlerfaschismus, indem bei Auftritten Geldsammlungen durchgeführt wurden.
Die Moskauer Erklärung 1943, in der als ein Kriegsziel der Alliierten auch die
Wiederherstellung eines freien Österreich festgeschrieben wurde, betrachteten
wir als eine Bestätigung für unsere Tätigkeit. 300 Mitglieder von „Young
Austria” meldeten sich mit der Forderung nach einer österreichischen
Kampfeinheit freiwillig für die britischen Armee. Viele wurden dann auch zu
britischen Einheiten einberufen.
Großdeutschtum
Unter den Emigranten gab es auch eine Gruppierung, die gegen die
Wiederherstellung eines unabhängigen Österreich auftrat. An ihrer Spitze die
bekannten Funktionäre der ehemaligen sozialdemokratischen Partei Oskar Pollak
und Karl Czernetz, die im „London Büro der österreichischen Sozialisten” die
Annexion Österreichs als „historischen Fortschritt” und die Österreicher als
Deutsche ansahen.
Diese zwei Personen beherrschten auch die „Landesgruppe österreichischer
Gewerkschafter in Großbritannien”, die offiziell von Johann Svitanics geführt
wurde. Den Statuten und bestehenden Vorschriften entsprechend sollte sie die
Organisation aller österreichischen Gewerkschafter und derjenigen Österreicher
sein, die auf Grund ihrer Tätigkeit Mitglieder einer britischen Gewerkschaft
waren.
Doch undemokratisches Verhalten führte zu Ausgrenzungen und Ausschlüssen. In
all den Jahren des Bestehens der ”Landesgruppe” wurde kein Antrag zur
Abstimmung zugelassen, der eine Diskussion über die österreichische
Freiheitsfront und die Notwendigkeit des Kampfes für die Unabhängigkeit
Österreichs ermöglicht hätte. Selbst als Franz Novy, der vorher als
Beauftragter der „Auslandsvertretung österreichischer Gewerkschafter” in Paris
tätig gewesen war, im Sommer 1942 von Schweden nach London kam, um die Haltung
Bruno Kreiskys, der nicht mit der großdeutschen Politik Pollaks und Czernetz´
einverstanden war, zum Ausdruck zu bringen, änderte sich nichts.
Andererseits gab es auch zwei Organisationen österreichischer Sozialisten, die
nichts mit der Pollak-Czernetz-Politik zu tun haben wollten. Es waren dies die
„Vereinigung österreichischer Sozialdemokraten in Großbritannien” unter Führung
des ehemaligen Nationalratsabgeordneten Heinrich Allina, und der „Verband der
österreichischen Sozialisten in Großbritannien” unter der Führung der
ehemaligen Nationalratsabgeordneten Marie Köstler. Sie gehörten auch der FAM
an.
Free Austrian Movement (FAM)
Die Dachorganisation von zunächst elf österreichischen Vereinigungen in
Großbritannien legte am 24.1.1942 in der Londoner Porchester Hall 1500
Österreichern ihr Programm und ihre Ziele zur Bestätigung vor. Die gemeinsame
Deklaration stellte folgende Aufgaben in den Vordergrund:
– Unterstützung für die Forderung des Selbstbestimmungsrechtes des
österreichischen Volkes
– Aktivierung der Österreicher in Großbritannien für den ,militärischen
Einsatz, womöglich in einer österreichischen Kampfeinheit, bei der
Kriegsproduktion und bei der Zivilverteidigung
– Alle Möglichkeiten der Unterstützung der Widerstandsbewegung im Lande.
Ende 1943 hatte die FAM die Unterstützung von 7 000 Österreichern und
Österreicherinnen, die in 27 Organisationen zusammengeschlossen waren. Wichtig
war auch, den Status der Österreicher als „feindliche Ausländer” zu beseitigen,
und die vollständige Registrierung als „Österreicher” durchzusetzen, die ja als
„Deutsche” geführt wurden. Aber auch Bemühungen zur Durchsetzung der
Anerkennung beruflicher Diplome (z.B. bei Ärzten und Krankenschwestern) wurden
angestellt. Große Bedeutung für die „Österreichpropaganda” hatten die
kulturellen Aktivitäten, die vom „Austrian Center” und dem „Young Austria”
betrieben wurden. In allen Klubhäusern des „Austrian Center” gab es das
„Österreichische Forum” mit seinen öffentlichen Diskussionen; im Verlag „Free
Austrian Books” kamen zahlreiche Publikationen in deutscher und englischer
Sprache heraus. Die „Kulturelle Schriftenreihe des FAM” stellte sich die
Aufgabe, die österreichische Kulturtradition, aber auch die Leistungen der
Exilierten zu propagieren.
Ein wichtiger Schritt war die durch die FAM erfolgte Gründung der
„Österreichischen Weltbewegung”, durch die 25 000 Österreicher in 28 Länder
erfaßt wurden. Daraus entwickelten sich rege Kontakte mit Organisationen und einzelnen
Österreichern in Nord- und Südamerika, Australien, Indien, Neuseeland und
Afrika.
Am 17. September 1944 wurde - im Angesicht der nahenden Befreiung - eine
FAM-Konferenz mit 120 Delegierten abgehalten, um über die Zukunftsprobleme der
österreichischen Flüchtlinge und über Hilfsaktionen für die Österreicher in den
befreiten Gebieten zu beraten. Die weitestgehende einheitliche Zusammenfassung
der österreichischen Flüchtlinge bot die Voraussetzung zur optimalen
Wahrnehmung ihrer Interessen.
Die Aktivitäten in Großbritannien waren ein kleiner, aber nicht unwichtiger
Beitrag zur Unterstützung der Ziele der Österreichischen Freiheitsfront.
Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 1/1995
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