Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Aus dem Archiv: Hugo Hupperts Anklage gegen Ernst Fischer

Hugo Huppert, geboren 1902 im schlesischen Bielitz/Biala, trat 1921 in den KJV und die KPÖ ein, begann ein Studium der Rechtswissenschaft und Nationalökonomie in Wien und promovierte 1925 bei Hans Kelsen. 1928 emigrierte Huppert in die Sowjetunion, wo er von 1928-1932 an der Edition der Marx-Engels-Gesamtausgabe (u.a. an Marxens „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“) mitwirkte. Im Anschluss daran absolvierte er ein dreijähriges Studium am Institut der Roten Professor für Literatur und Publizistik. Zur gleichen Zeit war er als Redakteur der Deutschen Zentral-Zeitung (DZZ) und ab 1936 als stellvertretender Chefredakteur der von Johannes R. Becher geleiteten Internationalen Literatur/Deutsche Blätter tätig. Seit 1930 Mitglied der KPdSU.
1938/39 verbrachte Huppert 14 Monate in Untersuchungshaft. Nachfolgender Brief Hugo Hupperts an das ZK der KPÖ aus dem Jahr 1962 gibt einen Einblick in die damalige Atmosphäre der Denunziation und Verdächtigungen und wirft einen Blick auf die Rolle Ernst Fischers als KPÖ-Vertreter bei der Komintern.
Nach seiner Entlassung begann Huppert mit seinen Majakowski-Nachdichtungen, nach Kriegsbeginn Arbeit als Propagandist (u.a. als Lehrer in Antifa-Schulen) unter deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen. Als Major der Roten Armee war er 1945 an der Befreiung Wiens beteiligt, wo er in der Folge als Kulturredakteur der Österreichischen Zeitung tätig war. 1949 wurde Huppert - immer noch Mitglied der KPdSU - in die Sowjetunion „rückkommandiert“. In seinem „zweiten Exil“ übersetzt er das georgische Nationalepos „Der Recke im Tigerfell“ von Schota Rusthaweli. 1956 Rückkehr nach Wien, wo er als Schriftsteller und Mitarbeiter an kommunistischen Zeitungen als Theater- und Literaturkritiker wirkte. Während Hupperts Werk in Österreich kaum rezipiert wurde, fanden seine Lyrik und Prosa in der DDR große Beachtung. Vor allem der Mitteldeutsche Verlag (Halle/S.) hat sich um Hupperts literarisches Schaffen bemüht gemacht. Huppert starb am 25. März 1982 in Wien.

Wien, 7. März 1962

An das
ZK der KPÖ
Zu Handen des Gen. F. Fürnberg.

Lieber Genosse Fürnberg!

Noch während der in unserer Partei durchgeführten Diskussion über den XXII. Parteitag der KPdSU und die vom Personenkult herrührenden Schäden habe ich Gen. Tschofenig [Sekretär der Schiedskommission der KPÖ, Anm.] aufgesucht und ihm eine Reihe von Mitteilungen gemacht.
Hier wiederhole ich sie in schriftlich gedrängter Form und verbinde sie mit der Bitte, sie zum Gegenstand einer eingehenden Untersuchung zu machen, da ich sie hiermit als Anklage gegen ein Mitglied des ZK der KPÖ vorbringe.
Bisher konnte ich diese Anklage nicht gehörig stützen, weil ich den Namen des Hauptzeugen vergessen hatte. Nach mehreren Ermittlungsversuchen ist es mir gelungen, ihn zu eruieren. Es handelt sich um das Mitglied der KPdSU, Gen. Rajwid, der 1939 als Funktionär der Zentralen Kontrollkommission beim ZK der KPdSU mein Rehabilitierungs-Anliegen (nach meiner Haftentlassung) bearbeitete.
Hier die Tatsachen.
Am 12. März 1938 wurde ich in Moskau völlig schuldlos verhaftet. Ich war damals nicht nur als Schriftsteller und Publizist sehr aktiv, sondern auch als Johannes R. Bechers Stellvertreter in der Leitung der literarischen Zeitschrift „Internationale Literatur / Deutsche Blätter“ und als Leiter des Kulturteils der „Deutschen Zentralzeitung“ (DZZ). Ich war Mitglied der KPdSU.
Die Kerkerhaft dauerte fast 14 Monate und war außergewöhnlich schwer, wie bei fast allen Untersuchungshäftlingen jener Zeit. Da keinerlei konkrete Anschuldigung vorlag, versuchte man, mir die Unterschrift unter diverse Selbstbezichtigungen abzupressen. Diese waren politischer Natur, absolut fiktiv und veränderten sich von Monat zu Monat. Als ich mich konsequent weigerte, wurde ich von Gefängnis zu Gefängnis hin- und hergeschoben (Taganka, Butyrka, Lubjanka) und in nächtlichen Verhören physisch bearbeitet. Während der Folterungen stützte mich nur der Gedanke an die Partei und mein absolut reines Gewissen. Ich verweigerte die Unterschrift. Wer sie sich abpressen ließ, wurde in der Regel sofort aus Moskau nach dem Osten abtransportiert. Ich blieb fest und landete im Februar 1939 in einer Dunkelhaft-Einzelzelle des Kellerbunkers der Taganka. Die Kälte und verschärfte Einvernahmen bewirkten, daß ich nach 8 Tagen Bunker in einem Inquisitenspital erwachte.
Bald nach meiner Rücktransportierung und Wiedereinlieferung in eine Kollektivzelle der Tanganka, geschwächt, aber nicht zermürbt, wurde ich am 29. April 1939 bei Nacht auf freien Fuß gesetzt, nachdem mir der Untersuchungsrichter erklärt hatte: meine Festnahme sei „irrtümlich“ erfolgt und man habe „das Verfahren eingestellt“.
Auf Grund meines absolut reinen Gewissens und des Haftentlassungsscheines begab ich mich unverzüglich zum ZK der KPdSU und beantragte das Wiederinkrafttreten meiner suspendierten Mitgliedschaft in der KPdSU, d.h. meine parteimäßige Rehabilitierung. Die ZKK leitete darauf das Rehabilitationsverfahren ein.
Gleich nach meiner zweiten oder dritten Vorladung zu dem mit meiner Sache betrauten ZKK-Funktionär (partsledowatel) Gen. Rajwid ergab sich eine ungeheuerliche Überraschung. Der Sachbearbeiter Rajwid hatte selbstverständlich den damaligen Vertreter meiner Mutterpartei, der KPÖ, im EKKI aufgesucht, um dessen Gutachten über mich einzuholen, nachdem das Gutachten meiner KPdSU-Organisation (im Moskauer Schriftstellerverband) sehr positiv ausgefallen war. EKKI-Verteter der KPÖ war damals leider nicht mehr Gen. Oskar Großmann und nicht mehr Gen. Dr. Alfred Klahr, von denen jeder gewiß das politische Verantwortungsbewußtsein und menschliche Verständnis für meine Lage aufgebracht hätte, sondern Gen. Ernst Fischer. Und Gen. Rajwid eröffnete mir ganz unverhohlen sein äußerstes Befremden über Fischers Auskunft. Ich habe mir diesen Dialog ziemlich genau notiert und seinen Inhalt später zur Information an die Genossen W. Florin, Smeral und Scheinman in der internationalen Kontrollkommission beim EKKI mitgeteilt, leider ohne sofort ein Verfahren gegen Fischer zu beantragen.
RAJWID: „Genosse Huppert, wenn Gen. Fischers Gutachten stichhaltig wäre, so hieße das: Sie sind nicht irrtümlich verhaftet, sondern irrtümlich freigelassen worden.“
ICH: „Haben sie das Recht, mir den Inhalt von Fischers Gutachten mitzuteilen?“
RAJWID: „Nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht. Er nannte Sie wörtlich einen zweifelhaften Menschen und unsicheren Kantonisten (njeopredjeliwschejeßja lizo).“
ICH: „Was hatte er mir konkret vorzuwerfen?“
RAJWID: „Das konnte ich trotz aller Bemühungen nicht herausbringen. Er beschränkte sich darauf, Sie ein ehemaliges Parteimitglied zu nennen, welches sich weder durch genügende politische Aktivität als vertrauenswürdig noch durch Stellungnahme in Diskussionen als parteitreu erwiesen hätte.“
ICH: „Also verstößt die Mutterpartei ihren Sohn zurück ins Gefängnis?“
RAJWID: „Das hat Gen. Fischer nicht gesagt. Aber die Empfehlung für ihre Rehabilitierung als Kommunist hat er verweigert. Er muß aber die Situation kennen und wissen, was ein solcher negativer Bescheid für unsere staatlichen Sicherheitsbehörden bedeutet...“
ICH: „Sie haben es ja ausgesprochen: irrtümlich aus dem Kerker entlassen...Was soll jetzt geschehen, wenn ich fragen darf?“
RAJWID: „Das überlassen sie ruhig uns. Es ist der erste und bisher einzige Fall, daß der Vertreter einer ausländischen Bruderpartei einem freigekommenen Kommunisten aus seinem Land, gegen den nichts vorliegt, nicht hilfreich, kameradschaftlich und verantwortungsbewußt unter die Arme greift, sondern ihn womöglich hinabstößt in ein ungewisses Schicksal.“
ICH: „Solch ein Schicksal ist ziemlich gewiß: das Ende.“
RAJWID: „Nun, so weit sind wir noch nicht. Wir halten uns an konkrete Fakten und Beweise. Sie können sicher sein, Gen. Huppert, daß für uns ein Gerede (boltownja) nur ein Gerede bleibt, auch wenn es aus dem Munde eines Funktionärs kommt. Was mich anlangt, so glaube ich meine Verantwortung in ihrem Fall besser zu kennen als Ihr österreichischer Parteienvertreter die seine. Das muß Ihnen genügen.“
Dieses Gespräch hat im Juni oder Juli 1939 im Gebäude der ZKK in der Moskauer Iljinkastraße stattgefunden. Ich verbürge mich mit meinem Parteinamen für die vollinhaltliche Wahrheit dieser Wiedergabe. Noch zwei- oder dreimal bin ich zu Gen. Rajwid gerufen worden. Wie ich seinen Äußerungen entnahm, hat auch die Parteiorganisation des Marx-Engels-Lenin-Instituts und das Büro des Rayonskomitees (Chamowniki), das die Parteiarchivmaterialien des ehemaligen Instituts der Roten Professur verwahrt, übereinstimmend positive Gutachten über mich abgegeben. Der Schriftstellerverband sorgte für meine körperliche Wiederherstellung. Als ich aus dem Sanatorium heimkehrte, war auch meine Parteimitgliedschaft wiederhergestellt. Ich kehrte tadelfrei in die Reihen der KPdSU zurück; die 14-monatige Unterbrechung wurde liquidiert und mein ununterbrochenes Parteialter seit 1921 auch Jahre später durch das KPK-Protokoll Nr. 548 vom 21.1.1955 und Protokoll Nr. 5, Pkt. 35 vom 2.3.1956 neuerdings bestätigt. Ich durfte am 40. Jahrestag der KPÖ (1958) die silberne Ehrennadel und das Diplom entgegennehmen, worin anerkannt wird, daß ich seit mehr als 35 Jahren unserer Partei angehöre und an ihrem Kampf meinen Anteil habe.
Gegenwärtig stehe ich unbescholten mehr als 40 Jahre in den Reihen der Partei. Ich bin mit meinem gegenwärtigen Anteil am Kampf der Partei nicht zufrieden. Daß dieser Anteil hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben ist, die ich, zumindest als Publizist und literarisch Schaffender, im unmittelbaren Dienst an unserer Partei realisieren könnte, ist gewiß zum Teil meine Schuld. Doch, wie ich mündlich schon Gen. Tschofenig darlegte, hat sich der auf kulturpolitischen Gebiet bis in die letzten Jahre hinein dominierende destruktive Einfluß des Gen. Ernst Fischer auch auf mein Schicksal verhängnisvoll ausgewirkt.
Da Gen. E. Fischer es seit Jahr und Tag verstanden hat, um seine Autorität einen Weihrauch zu breiten, der die Augen vieler Genossen vernebelte, konnten weder seine theoretischen Irrtümer noch seine schweren politischen Fehler (1956/57) den ins Rollen gekommenen Personenkult aufhalten. Seine prinzipienlose Gegnerschaft hat für mich seit meiner zweiten Heimkehr 1956 bis heute eine wahre Kettenreaktion von Diskrimination und Boykott ausgelöst.
Das betrifft vor allem meine diskriminative Fernhaltung von jeder verantwortlichen, willensbildenden Mitarbeit in Körperschaften und Organen wie Friedensrat, Arbeitsausschuß der ÖSG, Redaktionskollegium des „Tagebuchs“ usw., wie auch (beispielsweise) die Tilgung meines Namens aus der Schriftstellerliste, die Genossin Bohl für eine Gemeinderatsrede des Gen. Josef Lauscher bereitstellte. Ich rede von keiner groben, offenen Einmischung des Gen. Fischer, sondern von einer fein getarnten, durch Mittelsmänner und „atmosphärische“ Einwirkung operierenden Einflußnahme, welche nichts anderes vorstellt als die Fortsetzung jenes im Jahr 1939 mißglückten Anschlags. Doch diese Ränke sind relativ - Kleinigkeiten.
Darum will ich den Gegenstand der vorliegenden Eingabe an das ZK meiner Partei nicht durch unnützes Beiwerk verzetteln, sondern meine Anklage auf den vorgebrachten Grundtatbestand konzentrieren:
Ich klage den Gen. Ernst Fischer vor dem ZK der KPÖ an, im Jahre 1939 in seiner vorübergehenden Funktion als EKKI-Vertreter der KPÖ durch eine wissentlich falsche, tendenziöse, böswillige Auskunft an den Sachbearbeiter der ZKK der KPdSU, Gen. Rajwid, mich als österreichischen Kommunisten tödlich verleumdet zu haben. Ich nenne diese Verleumdung „tödlich“, weil Gen. E.F. (auch nach Ansicht des Gen. Rajwid) genau wissen mußte, daß sein, Fischers Anschlag gegen meine physische Existenz bedeutete. Rufmord ist Mord. Es war die Zeit Berias. Es ging um Leben und Tod.
Selbstredend bitte ich das ZK, Mittel und Weg zu finden, um in dieser Angelegenheit die Zeugenschaft des Gen. Rajwid heranzuziehen. Es bestehen keine unübersteigbaren Schranken, seine gegenwärtige Adresse ausfindig zu machen.
Ich vertraue auf das Rechtsempfinden und die Urteilskraft der Partei. Ich vertraue darauf, daß das ZK ohne Ansehen der Person auch in diesem komplizierten Fall die Wahrheitsfindung bis zu Ende führen wird.
Der Spruch der Partei wird für mich Gesetz sein.
Mit kommunistischem Gruß
Hugo Huppert

Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 2/2002

 

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