Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung Drechslergasse 42, A–1140 Wien Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at
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Wilhelm Frank über historische und aktuelle Wissenschaftspolitik in ÖsterreichAus den nachgelassenen Schriften herausgegeben von Gerhard OberkoflerWilhelm Frank (1916-1999), über dessen Leben für sozialen und technischen Fortschritt diese Mitteilungen (7. Jahrgang, 2000, Nr. 1 und 2) /1/ berichtet haben, schreibt zu Pfingsten 1996 über die zu seinem Achtzigsten abgehaltenen Geburtstagsfeiern: „Die von verschiedenen Organisationen veranstaltete Feier – vor der ich wegen der unvermeidlichen Lobrednereien etwas Angst hatte – ist ohne Überschreitung der Peinlichkeitsgrenze verlaufen (natürlich war viel Dichtung in die Wahrheit gemischt) und die Vorträge waren außerordentlich inhaltsreich. Ich durfte mich also ohne Vorbehalt freuen. Nun steht mir kommende Woche noch eine interne Institutsfeier in Salzburg bevor, und dann kann ich mich der Arbeit für die nächste Dekade zuwenden, in der ich auf manche Berührungspunkte mit Ihnen hoffe!“ Tatsächlich hat Wilhelm Frank auch in höherem Alter sein seit früher Jugend ebenso umfangreiches wie intensives Arbeitsprogramm fortgeführt, vor allem hat er weiterhin seine Vorlesungen über angewandte technische Mathematik mit besonderer Berücksichtigung der Optimierung an der Salzburger Universität abgehalten. Gelegentlich stellte er sich als „Tatzeuge“ für wissenschaftshistorische Veranstaltungen zur Verfügung. Am 21. Juni 1995 gab Wilhelm Frank im Rahmen einer von der Hochschülerschaft der TU Wien veranstalteten Podiumsdiskussion im Festsaal der TU Wien (Karlsplatz 13) über „Die Verantwortung der Universitäten für die Verhinderung von Faschismus und Rassismus“ mit Herbert Mang (Prorektor der TU Wien), Bruno Aigner (Pressesekretär des Nationalratspräsidenten) und Wolfgang Reiter (MR) – Simon Wiesenthal (Israelitische Kulturgemeinde Wien) war entschuldigt nicht erschienen – ein Einleitungsstatement. Dabei ging es Frank nicht um eine Dokumentation der Sorgen und Befürchtungen der Opfer der faschistischen Verfolgung oder der gerade noch davon gekommenen wie eben Wilhelm Frank selbst, für weiter wichtiger und aktueller hielt er es, herauszufinden, was namhafte Wissenschaftler in Vergangenheit und Gegenwart veranlasst, politische Positionen einzunehmen, die keiner vernunftgemäßen Analyse standhalten. Im 1. Hof der TU Wien folgte am nächsten Tag mit einführenden Worten von Peter Skalicky (Rektor der TU Wien) die Enthüllung einer Gedenktafel, beide Veranstaltungen haben, so Frank, „einen würdigen Verlauf genommen“ (Brief vom 28. Juni 1995). /2/ In seinem am 26. Juni 1998 im Großen Hörsaal des Instituts für Experimentalphysik der Universität Wien (Strudlhofgasse 4/Boltzmanngasse 5) auf Einladung des Instituts für Wissenschafts- und Technikdokumentation abgehaltenen Vortrag über „Wissenschaftspolitik in Österreich“ stellt Frank die These auf, dass es deshalb in Österreich im Verhältnis zu vergleichbaren Ländern wie der Schweiz um das wissenschaftliche Leben besonders mies bestellt ist, weil aus historischen Gründen die große Bedeutung der Wissenschaften für den gesellschaftlichen Fortschritt stark unterschätzt wird. In dieser These sah er zugleich einen Ansatz zu einer künftigen Besserung, wenngleich ihm einleuchtend war, dass seit 1945 die Möglichkeiten für die Durchsetzung vernünftige Lösungen immer geringer wurden. Wilhelm Frank hat sich mit der Frage der Wissenschaftsplanung speziell in Österreich erstmals während seines Lageraufenthaltes in Bassecourt beschäftigt, als er zufällig aus der Tagespresse von einem Preisausschreiben des Weltstudentenwerkes über die Frage „Was erwartet der Student von 1944 von der Universität nach dem Kriege“ /3/ erfahren hatte: „Diese Hochschulen sind mitschuldig am Ausbruch und an den Grausamkeiten dieses Krieges. /.../ Und daraus folgt eindeutig, dass diese Schulen nach dem Kriege nicht reformiert oder readaptiert werden können, sondern völlig neu aufgebaut werden müssen“. So wie Wilhelm Frank dachte eine allerdings nicht recht große Gruppe von emigrierten Österreichern. In ihr haben Kommunisten eine führende Rolle eingenommen, sie war getragen von einer kämpferischen Position gegen den Faschismus und bereitete sich für den Aufbau eines unabhängigen und demokratischen Österreich vor. Ohne viel nach einem Lohn dafür zu fragen, bemühte sie sich für Österreichs Nachkriegsentwicklung etwas nützliches zu tun. Während in der Gegenwart doch eher die Hauptfrage ist, „Was bringt mir das?“, fragten wissenschaftlich denkende, aus dem Exil in das zerstörte Österreich zurückgekehrte Persönlichkeiten wie Wilhelm Frank, Engelbert Broda oder Walter Hollitscher doch eher „Was kann ich für Österreichs Zukunftsperspektiven leisten?“. Die beiden hier erstmals veröffentlichten Vortragsunterlagen hat Wilhelm Frank dem Herausgeber zur Kritik übermittelt. Der Herausgeber lernte Wilhelm Frank Ende der sechziger Jahre durch Vermittlung des damals in Berlin lehrenden Altösterreichers Eduard Winter, der mit Frank seit des gemeinsamen Wirkens am Institut für Wissenschaft und Kunst und durch das gemeinsame Interesse an dem von der katholischen Kirche verfolgten Religionsphilosophen, Logikers und Mathematikers Bernard Bolzano (1781-1848) befreundet war, in Wien kennen. Seine Freundschaft war eine sehr warmherzige, immer aber auch eine durch schonungslose Kritik stark herausfordernde. Herr Dr. Reinhard Schlögl hat in seiner Eigenschaft als Generalsekretär der Gesellschaft für Wissenschafts- und Technikdokumentation (GWT), für die Wilhelm Frank seinen Vortrag über „Wissenschaftspolitik in Österreich“ vorbereitet hat, seine Zustimmung für die Drucklegung durch die Alfred Klahr Gesellschaft dankenswerterweise ohne weiteres erteilt. Sehr herzlich danken wir Frau Dr. Erika Frank für ihre Zustimmung zur Veröffentlichung beider Typoskripte. I. Als „Zeitzeuge“Zu dieser Veranstaltung wurde ich als „Zeitzeuge“ geladen. Um den zeitlichen Rahmen der mir damit zugeteilten Rolle zu präzisieren, ist festzuhalten, dass ich durch 4 Semester – vom Wintersemester 1935/36 bis zum Sommersemester 1937 – Hörer an der TH Wien war. Im Wintersemester 1937/38 war ich relegiert und verbrachte meine Zeit teils im Polizeigefangenenhaus auf der Elisabethpromenade teils im Landesgericht am Hernalsergürtel. Im Februar 1938 wurde ich amnestiert und wieder zum Studium zugelassen. Nach dem Einfall Hitlers in Österreich im März 1938 konnte ich aber nicht mehr inskribieren. Mir wurde nur das Ablegen der beiden mir noch für die erste Staatsprüfung fehlenden Einzelprüfungen aus Physik und aus Festigkeitslehre gestattet. Im Juli 1938 konnte ich aus dem okkupierten Österreich flüchten. Der Zeitraum, über den ich über persönliche Eindrücke als Student an der TH Wien verfügte, umfasst daher bloß die Endzeit des Ständestaates und den Beginn des nationalsozialistischen Regimes. Zu den Zeiten der großen Studentenkrawalle an den Wiener Hochschulen zu Beginn der Dreißigerjahre war ich noch ein Mittelschüler. Während meiner Studienzeit war die äußere Ruhe an den Hochschulen hergestellt – zu Lasten einer Beschränkung nicht nur der freien Äußerung der politischen Meinungen. Im Ergebnis stand unter den Studenten eine sehr kleine Minderheit sozialistisch und demokratisch orientierter einer zunehmend größer werdenden Gruppe von nationalsozialistisch organisierten Kommilitonen und einer ständig abnehmenden Anzahl von an den politischen Geschehnissen nur in geringem Masse interessierten Kollegen gegenüber. In seiner unmittelbaren Umgebung wusste jeder über jeden anderen ziemlich gut Bescheid. Ich unterlasse es, diese Feststellungen zu analysieren. Auch will ich nur mit wenigen Worten das Umfeld, in das die Hochschule gestellt war, kennzeichnen. Die Hochschule war – und ist auch heute – eine Einrichtung des Staates. Dieser Staat wurde damals als der Restbestand eines 1918 endgültig untergegangenen, zwar großen aber sehr heterogenen Reiches empfunden und die Bevölkerung war, wie auch ihre politischen Führer, in ihrer überwiegenden Mehrheit der Ansicht, dass das den Namen Österreich tragende politische Restgebilde strukturell nicht die Fähigkeit zu einer dauerhaften selbständigen Existenz besitze. Diese Ansicht fand ihre augenscheinliche Stütze in den wirtschaftlichen Miseren, mit denen die junge Republik von Anbeginn an zu kämpfen hatte. Diese damals nicht kritisch überprüfte Ansicht diente den Regierungen der Ersten Republik zugleich stets als bequeme Ausrede dafür, weshalb ihre Maßnahmen zur Linderung der Not der Bevölkerung nur ein geringer Erfolg beschieden war. Insbesondere hat die im Jahr 1929 einsetzende, lang dauernde Weltwirtschaftskrise unser Land besonders schwer getroffen. Die politischen Freiheiten der neuen demokratischen Verfassung linderten in keiner Weise die materielle Not breiter Bevölkerungsschichten. Vielmehr vermittelten die unter Ausnützung dieser Freiheiten vor sich gehenden, immer schärfer werdenden Auseinandersetzungen der politischen Parteien in weiten Kreisen der Bevölkerung, die in den meisten Regionen jahrhundertelang in einem Obrigkeitsstaat gelebt hatte, den Eindruck, dass von einer „starken“, nicht der parlamentarischen Kontrolle unterworfenen Regierung befriedigendere Lösungen für ihre Lage zu erwarten seien, als von einer, die die Regeln der Verfassung zu befolgen hat. Die Bereitschaft zur Verteidigung der politischen Freiheit, die ja nicht von den Massen erkämpft, sondern vielmehr das Ergebnis des totalen Zusammenbruchs der alten Monarchie war, schwand zusehends. Die studierende Jugend sah sich in eine Situation gestellt, in der das mit ihrer Ausbildung verfolgte Ziel weitgehend seinen Sinn verloren hatte und jedenfalls für die meisten nur trübe Aussichten auf eine erfolgreiche berufliche Laufbahn eröffnete. Generell war an den Hochschulen in geistiger Hinsicht eine Abkehr von den Realitäten des Daseins die Folge. Die akademischen Lehrer haben sich dazu teils – und das lautlos – auf das enge Fachgebiet zurückgezogen, ohne sich mit der Anwendung bestehender oder neuer Erkenntnisse in der Lebenswirklichkeit auseinanderzusetzen. Dieser Rückzug aus der Totalität in eine Nische der Realität konnte wohl oft zu guten Resultaten in isolierten Bereichen der Wissenschaft führen – in seiner gesellschaftlichen Auswirkung hat er aber als Schutzschild für jene anderen gewirkt, die lautstark und immer offener und unverschämter als Wortführer eines Irrationalismus auftraten. Die Erklärung der Welt etwa als Substrat von Wille und Vorstellung hat, wie Ähnliches dieser Art, einen bequemen Weg dafür geboten, das Bild der als mühselig und hässlich empfundenen Wirklichkeit gegen auf Mythen beruhende subjektive Wünsche einzutauschen, deren Umsetzung in die Realität nur der persönlichen Entschlossenheit bedarf. Damit erfolgte auf breiter Front die Ersetzung einer auf vorhergehender, umfassender, objektiver Prüfung der wesentlichen Tatbestände ausgerichteten Handlungsweise durch einen voluntaristischen Aktionismus. Dessen Verstöße gegen Gesittung und Humanität fanden ihre pragmatische Rechtfertigung häufig durch die damit anfänglich erzielten Resultate. Diese wirkten verführerisch auf die perspektivlos gewordene Jugend und fanden mit der Umgestaltung der Weimarer Republik in das Dritte Reich ihre über die Grenzen Deutschlands weit hinaus wirkende Legitimität. Auf die schrecklichen Folgen des real 12 Jahre dauernden, dieser Ideologie dienenden Kampfes für das Hirngespinst eines „tausendjährigen Reiches“ brauche ich hier wohl nicht näher eingehen. Die Hochschulen haben deshalb eine Mitverantwortung an der in dieser Epoche erfolgten Zerstörung der geistigen und ethischen Grundlagen unserer Zivilisation, die wesentlich von der objektiven Naturerkenntnis und der darauf beruhenden kreativen und humanen Anwendung durch die Technik abhängt. Diese Feststellung verpflichtet zugleich dazu, an die leider sehr vereinzelt gebliebenen Stimmen zu erinnern, die zur Besinnung und zum Widerstand gegen das sich ankündigende Unheil mahnten. Ich möchte dafür hier den als deutschnational geltenden und gewiss streng konservativen Mechanikprofessor der TH Wien Franz Jung nennen, der in einer Vorlesung über Vektoranalysis im Sommersemester 1936 unvermittelt eine vernichtende Kritik an Philipp Lenard`s „Deutscher Physik“ übte und seiner mehrheitlich verdutzten Hörerschaft auseinandersetzte, dass das einzige Kriterium für den Wahrheitsgehalt einer Erkenntnis in ihrer objektiv nachprüfbaren Übereinstimmung mit den Tatbeständen bestehe und dass dies unabhängig davon sei, ob man die Person, die diese zutreffende Erkenntnis vertritt, sympathisch findet oder nicht. Die seit jeher an der TH Wien vorherrschende besonders konservative Grundhaltung hat sich in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts mit einem zunehmend radikaler werdenden Antisemitismus verbunden und ein Klima geschaffen, das nur verhältnismäßig wenigen Studenten mit betont liberaler oder gar sozialistischer Einstellung den Besuch dieser Hochschule verlockend erscheinen ließ. Jüdische Hörer mussten von vorneherein damit rechnen, dass ihr Interesse an einer qualifizierten technischen Ausbildung gelegentlich mit Prügeln quittiert wurde. So kam es, dass die Zahl jüdischer Hörer an der TH Wien gering blieb. Vor allem aber hatte dies zur Folge, dass nur vereinzelt Lehrkräfte aus diesem Personenkreis an der TH Wien einen Wirkungsbereich fanden, weshalb auch der Verlust an Lehrkräften, den die TH Wien im Jahre 1938 erlitten hat, zahlenmäßig nicht groß war. Die Einstellung, die in der Ersten Republik in der österreichischen Hochschulverwaltung geherrscht hat, hat Axel Corti in seinem auch im Fernsehen ausgestrahlten Film „Eine blass-blaue Frauenhandschrift“ wohl sehr treffend nachgezeichnet. Was das Verhalten der akademischen Gremien der TH Wien bei Ansuchen von nicht gerade erwünschten Bewerbern um eine Lehrtätigkeit betrifft, möchte ich auf die im Vorjahr /1994/ erschienene, von der Zentralbibliothek für Physik in Wien herausgegebene, von Prof. Oberkofler (Innsbruck) und Dr. Goller verfassten Dokumentation über den als Entdecker der Tüpfelreaktion zu Weltruf gelangten Doktoranden der technischen Wissenschaften der TH Wien, Fritz Feigl, verweisen. In dieser Schrift wird die Vorgangsweise, mit der Feigl die Erteilung der venia legendi verwehrt wurde, mit akribischer Sorgfalt dargestellt. Als Gegenstück dazu sei erwähnt, dass Karl Theodor Vahlen, der Ende der Zwanzigerjahre in Deutschland wegen gesetzwidrigen Verhaltens zugunsten der NSDAP sein Lehramt verloren hatte, 1930 als Ordinarius für Mathematik an die TH Wien berufen wurde. Dieses Amt hat er bis Anfang 1933 bekleidet, als er als Ministerialdirektor in das Reichserziehungsministerium nach Berlin geholt wurde und dort, mit bekanntem Ergebnis, die Gleichschaltung der deutschen Hochschulen mit den Auffassungen der NSDAP betrieben hat. Genug damit des Vergangenen. Die Frage, die man sich heute vorzulegen hat, ist die: Haben sich die Verhältnisse so geändert, dass sich das überwunden Geglaubte mit Sicherheit nicht wiederholt? Gewiss haben sich die Verhältnisse in vielerlei Hinsicht geändert. Dafür kann als augenscheinlicher Beweis auch diese heute von der TU Wien durchgeführte Veranstaltung dienen. Was aber immer noch viel zuwenig zu hören ist, ist die lautstarke Stimme der Wissenschaft, die sich selbständig über ihre Lehr- und Forschungsziele, über ihren Beitrag zum und ihre Verantwortung für das Gemeinwohl vernehmen lässt. Natürlich stellt in einem Land, in dem die Zivilcourage traditionell nicht zu den Überschussgütern gehört, eine derartige Forderung einen besonderen Anspruch dar. Aber wir leben in einer Zeit, in der die Wettbewerbsbedingungen auf allen Ebenen vom Mithalten mit dem wissenschaftlichen Fortschritt bedingt werden. Damit wird es unerlässlich, dass sich die Vertreter der Wissenschaft nicht nur individuell sondern gesamthaft zu Wort melden. Nur in einer Atmosphäre der ständigen Auseinandersetzung über die künftige gesellschaftliche Funktion der Wissenschaft wird das Defizit an sozialer Verantwortung, moralischer Standhaftigkeit und intellektueller Redlichkeit, das bei uns noch immer besteht, abgebaut werden und damit eine gefährliche, weil oberflächlich kaum erkennbare Schwachstelle für die humane Fundierung unseres politischen Systems endlich verschwinden. II. Wissenschaftspolitik in ÖsterreichIch spreche über das Thema in eigener Verantwortung. Das beinhaltet notwendiger Weise, dass dabei auch die subjektive Einstellung zum Gegenstand der Betrachtungen ihre Rolle spielt. Die Legitimation für meine Befassung mit dem Thema ist durch meine Biographie begründet. Das Thema betrifft die Beziehungen, die zwischen der Staatsmacht und den Trägern des Wissens in der Gesellschaft bestehen. Dieses Wissen ist durch die logische Konsistenz seines inneren Gefüges und durch die kritische empirische Überprüfbarkeit seiner Aussagen, soweit sich diese auf die Verhältnisse in der Wirklichkeit beziehen, ausgezeichnet und tritt als autonomer Faktor in der sozialen Entwicklung in Erscheinung. Nur skizzenhaft soll die Vergangenheit berührt werden und nur soweit, als sie für die heute bestehende Situation Nachwirkungen zeitigt. In der Neuzeit kann von einer selbständig gewordenen Wissenschaft erst geredet werden, nachdem sie sich aus der Vorherrschaft religiöser Glaubenssätze befreit hatte. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts bildeten sich – zuerst in Italien (Accademia dei Lincei (1603) in Rom) – freie Assoziationen von Wissenschaftstreibenden, die sich zu einem kritischen, mehr oder weniger regelmäßigen Austausch über die von ihnen gewonnenen neuen Einsichten und Beobachtungsergebnissen zusammenfanden. Auch in England ging die Royal Society aus derartigen, ursprünglich informellen Kollegien hervor, die 1645 von Karl II. durch Verleihung einer Charta privilegiert wurde, in der ihr die „Förderung der naturwissenschaftlichen Kenntnisse“ ausdrücklich zur Aufgabe gestellt wurde. Seit 1665 begann sie mit der Publikation ihrer „Philosophical Transaction“ als eine der ältesten wissenschaftlichen Zeitschriften. Fast gleichzeitig mit der Royal Society ging in Frankreich aus der 1625 von Richelieu für die Pflege der französischen Sprache und Literatur gegründeten Academie française die von Colbert – unter dem Einfluss merkantilistischer Ideen – geschaffene Akademie zur Pflege der Naturwissenschaften hervor. In besonderer Weise war Leibniz – u. a. selbst Mitglied der Royal Society – um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert auch um die Errichtung von Akademien an anderen wichtigen Zentren bemüht. So gelang es ihm auch die Gründung der „Kurfürstlich Brandenburgischen Societät der Wissenschaften“ zu Berlin bei Friedrich I. /4/ 1700 gegen die Widerstände pietistischer Kreise zu erwirken. Auf seinen Einfluss geht auch die Gründung der Russischen Akademie der Wissenschaften durch Peter I. (1724) zurück, was durch den Briefwechsel zwischen Peter I. und Leibniz belegt ist, obwohl die Gründung selbst erst nach dem Tode von Leibniz (1716) erfolgt ist. In Wien, wo sich Leibniz 1712 bis 1714 aufhielt und sich mit Unterstützung des Prinzen Eugen um die Errichtung einer Kaiserlichen Akademie bemühte, waren seine Bestrebungen jedoch vergebens. Der Widerstand der Jesuiten, die ihr seit der Gegenreformation bestehendes kulturelles Monopol dadurch bedroht sahen, war stärker. Leibniz verließ schließlich Wien – geehrt vom Kaiser mit dem huldvoll verliehenen Titel eines Reichsfreiherrn – ohne greifbares Ergebnis seiner Bemühungen. Erst unmittelbar vor dem Zusammenbruch des metternichschen Systems durfte die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien 1847 ihre Tätigkeit aufnehmen. Die zeitliche Verzögerung des Beginns eines relativ freien wissenschaftlichen Lebens und die dafür maßgebenden Gründe haben sich bis in die Gegenwart prägend auf das geistige Klima in diesem Lande ausgewirkt. Ich sagte: dieses Land – und meine damit das Gebiet des heutigen Österreich und nicht die Länder des Habsburgerreiches. Diese besaßen zwar das gleiche Staatsoberhaupt, wiesen aber in ihren inneren Strukturen wesentliche Verschiedenheiten auf. So gelang es 1774 in Prag eine „Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften“ zu gründen, die 1784 von Josef II. durch Verleihung des Titels „Königlich böhmische Gesellschaft“ ausgezeichnet wurde und die auch Abhandlungen publiziert hat. 1825 kam es zur Gründung der ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest. Keinen geringen Anstoß erhielt auch die Entwicklung des Unterrichts in den Naturwissenschaften an der Wiener Universität durch Kräfte, die zunächst an Universitäten in Ungarn und Böhmen tätig waren. Ich erwähne nur Petzval und Loschmidt. Ich habe vorhin vom Zusammenbruch des metternichschen Systems gesprochen. Die Revolution von 1848 war die einzige Volkerhebung, die in Österreich gegen in herrschendes politisches System mit einem wenigstens vorübergehenden Erfolg durchgeführt wurde. Alle übrigen seither vor sich gegangenen Veränderungen in den politischen Verhältnissen die Umwandlung einer neoabsolutistischen in eine konstitutionelle Monarchie mit der Gewährung von elementaren Grundrechten – darunter der Freiheit der Wissenschaft – 1867, die Einführung des allgemeinen gleichen und geheimen Wahlrechts 1907, die Erklärung Österreichs zur demokratischen Republik im November 1918, die Ausschaltung des Parlaments und die nachfolgende Errichtung eines „Ständestaates“ im Frühjahr 1934, der Einmarsch der deutschen Wehrmacht und der Anschluss an das Deutsche Reich im März 1938, die Errichtung einer provisorischen Staatsregierung im April 1945, traten stets als Ereignisse, die entweder als „im letzten Augenblick“ erfolgte Zugeständnisse der führenden politischen Schicht, die ihren bisherigen Weg nicht mehr fortsetzen, aber ihren Einfluss im wesentlichen weiter behalten wollte, oder aber als erfolgreiche Versuche dieser Schicht, die gewährten Zugeständnisse wieder rückgängig zu machen oder als Ergebnis der Intervention ausländischer Mächte in Erscheinung. Kein einziges dieser Ereignisse war das Ergebnis eines Sieges bisher benachteiligter Bevölkerungsschichten und wurde so empfunden. Wie sehr – zum Unterschied von Österreich – in anderen Ländern die Erringung und Bewahrung der Freiheit der Wissenschaft zu einem Bestandteil der nationalen Identität geworden ist, sei kurz an zwei Beispielen illustriert. Das erste bildet die vorhin erwähnte Gründung der Royal Society, die sich im politischen Bewusstsein der englischen Bevölkerung nicht getrennt von ihrem erfolgreichen Kampf um Bewahrung und Ausbau der Rechte ihres Parlaments gegen die Krone darstellte und mit der Ergänzung ihrer bereits im 13. Jahrhundert und im „großen Freiheitsbrief“ – der „Magna Charta libertatum“ – verbrieften Rechte durch die „Habeas Corpus Acta“ nunmehr wirkungsvoll ausgebaut wurden. Das zweite Beispiel bildet der Kampf von Kreisen des französischen Bürgertums um die Herausgabe und Vollendung der Encyclopädie. Denn, nur wenn es den Anschluss an die Wissenschaft der Nachbarn hatte, konnte es erfolgreich dem Wettbewerb mit der englischen und niederländischen Konkurrenz bestehen. Der französische Absolutismus – der zeitweilig die Verfasser der Encyclopädie verfolgte und zur Emigration gezwungen hat – war letzten Endes doch veranlasst, die Vollendung des 35 Bände umfassenden Standardwerkes, das sich über 30 Jahre hingezogen hatte, 1784 zu akzeptieren, das danach, Jahrzehnte lang, die Dominanz der französischen Kultur im kontinentalen Europa gefestigt hat. Im heutigen Österreich hingegen wurden erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts nennenswerte – über die bloße Vermittlung „nützlicher Kenntnisse“ – d.h. für das praktische Leben unmittelbar verwendbaren Kenntnisse und Fähigkeiten – hinausgehende Einsichten an den Universitäten vermittelt. Immerhin waren aber bereits in dieser Zeit Gelehrte wie Loschmidt, Stefan, Mach und Boltzmann an der Wiener Universität tätig, die den Ruhm der österreichischen Naturwissenschaften mitbegründeten. Dies gelang unter Umständen, über die es in einer Denkschrift aus dem Jahre 1902 der philosophischen Fakultät der Wiener Universität u.a. heißt: „Dass jemand aus dem Ausland neu in Wien an eine experimentelle Lehrkanzel kommt, ist so gut wie ausgeschlossen; denn selbst wenn man ihm den Entgang der hohen Laboratoriums- und Kollegiengelder ersetzen wollte, würde er sich kaum dazu entschließen, seine Tätigkeit durch die beschränkten experimentellen Hilfsmittel reduzieren zu lassen.“ Und weiter heißt es u. a.: „Wer, als Vertreter eines Wiener Instituts die Naturforscherversammlung zu Wien im Jahre 1894 mitgemacht hat, wird nicht so bald das Gefühl tiefer Beschämung vergessen, das ihn bei der Besichtigung der Institute durch die fremden Gäste überfiel; man kann nicht daran zweifeln, dass die Eindrücke, welche die Ausländer damals nach Hause nahmen, auf spätere Berufungen höchst ungünstig zurückgewirkt haben“. Diese Zitate und den Quellenhinweis verdanke ich Engelbert Broda. Sie sind seinem Aufsatz: „Warum war es in Österreich um die Naturwissenschaft so schlecht bestellt?“ entnommen. /5/ Immerhin: Zehn Jahre nach der Verfassung dieser Denkschrift wurde dieses Institutsgebäude eröffnet. Aber bereits etwa ein Jahr später begann der erste Weltkrieg. Dem Zeitabschnitt zwischen dem Beginn des ersten und dem Ende des zweiten Weltkrieges widme ich hier nur die summarische Bemerkung, dass er erfüllt war von Not, von zunehmenden ideologischen und politischen Auseinandersetzungen, von Vertreibungen und Verfolgungen und Tötungen. In den relativ unkriegerischen Perioden der Zwischenkriegszeit hat aber – ungeachtet dieser wichtigen Umstände – die österreichische Wissenschaft, besser gesagt: haben österreichische Wissenschaftler und Techniker Ergebnisse erzielt, die Anerkennung in der gesamten Welt gefunden haben. Darüber gibt es viel Literatur und ich darf sie in diesem Kreis als bekannt voraussetzen. Ich wende mich dem Zustand zu, der zu Ende des zweiten Weltkrieges geherrscht hat. Die materiellen Zerstörungen, die auch Einrichtungen der Wissenschaft betroffen haben, waren groß, die Zahl der Opfer, die der Krieg und die politischen und ethnischen Verfolgungen auch an Wissensträgern gefordert hatten, sehr hoch und das Bedürfnis, nach einem neuen Anfang durch Kooperation und Zusammenwirken aller Kräfte in einer illusionsfreien, realitätsbezogenen Welt, in der die neuerliche Einwirkung irrationaler, romantischer Vorstellungen keinen Platz haben sollten, war übergroß. Das galt für die ganze Gesellschaft – und auch im besonderen für das wissenschaftliche Leben. Aber der Schwung, mit dem die an der Wiederingangsetzung der akademischen Einrichtungen Beteiligten dabei tätig waren, wurde sehr bald in den Fangnetzen einer Rechtsordnung eingebremst, die sich auf die aus dem Jahre 1929 stammende Bundesverfassung stützte. Ich gebe dafür hier nur ein Beispiel: es ist das Schicksal, das die Initiative zur Schaffung eines „Österreichischen Forschungsrates“ erlitten hat. Dieser sollte etwa nach dem Vorbild der in der Weimarer Republik seinerzeit tätig gewesenen „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ oder der seit den Dreißiger Jahren in Großbritannien zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung tätig gewordenen nationalen Einrichtungen funktionieren. Den Anstoß dazu gab zunächst ein Memorandum, das Engelbert Broda Bundespräsident Renner Mitte Mai 1848 unterbreitete. Renner hatte knapp vorher in der Zeitschrift „Zeit“ einen Aufsatz veröffentlicht, der bloß Phrasen wie: „Darum erfüllt die Massen unseres Volkes nun der Geist der Wissenschaft und ihrer praktischen Durchsetzung ...“ oder „überall in der Welt arbeiten österreichische Gelehrte an den Forschungsstätten“ enthielt, ohne auf die aktuellen Schwierigkeiten, mit denen der Wissenschaftsbetrieb in Österreich tatsächlich und täglich zu kämpfen hatte, einzugehen. Brodas Memorandum hatte den Titel „Über die Lage des wissenschaftlichen Lebens in Österreich“ und schildert inhaltlich ein ungeschminktes Bild der tatsächlichen Situation. Der Bundespräsident ließ durch seinen Kabinettsdirektor antworten, dass er „im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Befugnisse den Herrn Unterrichtsminister von den vorgebrachten Argumenten, Kritiken und Beschwerden in Kenntnis setzen und ihn bitten werde, nach Möglichkeit für eine entsprechende Aufrechterhaltung jener Institutionen, die der Lehre und Forschung in unserem Lande dienen, zu sorgen.“ Mit dieser Antwort gab sich Broda nicht zufrieden. Vielmehr erreichte er es, das im Frühjahr 1946 gegründete „Institut für Wissenschaft und Kunst“ für die Abhaltung einer Enquete über das Thema seines Memorandums zu gewinnen, die dann auch am 4. November 1984 im Festsaal des Wiener Rathauses von Bürgermeister Körner eröffnet wurde. Dieser ging in seinen Ausführungen – zum Unterschied vom Bundespräsidenten – auf die bestehende Lage konkret ein und schloss mit den auch heute noch Geltung besitzenden Worten: „Wenn alles neu aufgebaut wird, so muss auch für die Wissenschaft ein Opfer gebracht werden. Sie soll voraus laufen in der Lösung jener Aufgaben, die mit dem Aufbau der Republik verbunden sind“. Die Enquete, an der sich die gesamte Prominenz der österreichischen Wissenschaft beteiligt hat, nahm einstimmig eine Resolution auf Erhöhung der Dotationen für die österreichischen Hochschulen und Universitäten und für die Schaffung eines „Österreichischen Forschungsrates“ an. Für dessen Errichtung wurde ein konstituierendes Komitee – die „Konstituante“ – gebildet. Zu deren Vorsitzenden wurde der Prorektor der TH Wien, Adalbert Duschek, einstimmig gewählt. Die Statuten wurden vom bekannten Staatsrechtler Karl Wolff entworfen. Durch sie verlor dann – unbeabsichtigt – der Initiator der Enquete seine Zugehörigkeit zu dieser Körperschaft. Denn er war nach seiner Habilitation als Dozent für physikalische Chemie an der Universität Wien aus dem Ministerialdienst freiwillig ausgeschieden, wurde aber von der Universität nicht als Mitglied nominiert. Aber das ist nur eine –wenn auch typische – Episode in der gesamten Geschichte. Während sich die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der Konstituante anfänglich darin einig waren, dass der Forschungsrat in seiner Gebarung möglichst unabhängig von der traditionellen Ministerialverwaltung agieren sollte, führte der Vertreter des Unterrichtsminister, Sektionschef Dr. Otto Skrbensky dagegen an, dass dies nicht mit der in der Bundesverfassung fest geschriebenen Ministerverantwortung zu vereinbaren sei und eine zur Zeit nur schwer durchsetzbare Verfassungsänderung erforderlich machen würde. In den weiteren Sitzungen der Konstituante ergaben sich dann Spaltungen. Der Rektor der Hochschule für Welthandel, Richard Kerschagl, verließ unter Protest über eine angebliche Majorisierung durch die technisch-naturwissenschaftlichen Fächer die Konstituante. In das gleiche Horn bliesen dann auch Vertreter der Geisteswissenschaften, wenn sie auch die Konstituante nicht verließen. Duschek als Vorsitzender stimmte mit der Mehrheit einem „Kompromissvorschlag des Unterrichtsministeriums“ zu, in dem nur der allgemein rechtliche Wirkungsrahmen des „Forschungsrates“ bestimmt war und die essentielle Finanzierungsfrage ausgeklammert blieb. Nur eine kleine Minderheit, zu welcher der damalige Präsident der Akademie der Wissenschaften Heinrich Ficker gehörte, versuchte vergeblich die materielle Seite der künftigen Forschungsbemühungen in den Gesetzesentwurf einzubringen. Dieser erreichte dann im Ergebnis der Wahlen Ende des Jahres 1949 nicht das Parlament und ging sang- und klanglos unter. Von diesem kläglichen Scheitern seiner von ihm getragenen Initiative hat sich das „Institut für Wissenschaft und Kunst“ nie mehr erholt. Es verlor die Anziehung auf viele der Institutionen, die an der Enquete teilgenommen hatten, und sank – auch aus Gründen der vom Institut verfolgten Personalpolitik – auf das Niveau ab, das es heute hat: einer besseren Volkshochschule. Aber auch auf die Institutionen, die viel Hoffnung in die Enquete gesetzt hatten und für sie zeitraubende Vorarbeit geleistet hatten, wirkte das Ergebnis lähmend. Das Prinzip der Gewährung von in den meisten Fällen unzureichenden sogenannten „ordentlichen“ und „außerordentlichen“ Dotationen durch das Ministerium blieb für lange Zeit weiterhin die wesentliche Quelle für die Bestreitung des Sachaufwandes für Lehre und Forschung. Erst im Jahre 1960 wurde von der Rektorenkonferenz gemeinsam mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften nach dem Vereinsrecht eine Institution namens „Österreichischer Forschungsrat“ gegründet, die aber erst nach den Ereignissen des Jahrs 1968 – die ja die ganze damalige akademische westliche Welt erfassten – einen nach außen hin merkbaren Tätigkeitsumfang entfaltete. Ich übergehe hier die vielen, praktisch meist vergeblich gemachten Vorschläge, die in den Fünfziger und Sechziger Jahren von sachkundiger Seite gemacht wurden, um den technischen Fortschritt durch eigne wissenschaftliche Beiträge in diesem Land zu fördern und dessen Wohlfahrt zu sichern. Darüber wurde schon manches publiziert. /6/ Im Ergebnis der Nationalratswahl von 1970 übernahm die SPÖ die Regierung und war damit gezwungen, die von ihr im Wahlkampf versprochenen Reformen auch anzugehen. Dazu gehörte auch, dass der vom Wissenschaftskomitee der OECD – der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – an der österreichischen Forschungs- und Wissenschaftspolitik geübten Kritik in einem höheren Maß als bisher Rechnung getragen wurde. Als erste Maßnahme wurde die Wissenschaft und Forschung vom Unterrichtsministerium abgetrennt und für sie ein eigenes Ressort gebildet, in dem für die Angelegenheiten der Forschung eine eigene Sektion errichtet wurde. In einer programmatischen Schrift: „Österreichische Forschungskonzeption“ (Wien, April 1972) legte Bundesminister Dr. Hertha Firnberg die Grundsätze dar, die ihre Politik leiten sollten. Sie bestanden im Kern in der Erarbeitung von Vorschlägen für konkrete Untersuchungen, die in einzelnen Fachbereichen unternommen werden sollten. Diese Vorschläge waren von Gruppen von Sachkundigen – den sogenannten Projektteams – zu erstellen und danach allen einschlägigen Institutionen zu unterbreiten. Die Veröffentlichung galt als Richtlinie für die Tätigkeit des Ressorts auf dem betreffenden Gebiet – bis zu einer neuerlichen Revision in der gleichen Form. Durch diese – weitgehend entbürokratisierte – Vorgangsweise sollte erreicht werden, dass die Forschungsausgaben in Österreich (bewertet nach dem Frascati-Handbuch der OECD) von 0,67% des BNP im Jahr 1971 bis 1980 auf 1,5 bis 2,00% des BNP anstiegen, wobei je die Hälfte der Ausgaben auf die öffentliche Hand und auf die von der Wirtschaft direkt getragenen Aufwendungen entfallen sollten. Viele Projektteams erstellten Konzepte – wenn dies auch nicht in allen wichtigen Bereichen der Fall war – und bis zum Jahr 1982 war das untere Ziel bei der Erhöhung des Forschungsaufwandes mit 1,46% des BNP fast erreicht und damit der Anschluss an die Aktivitäten, die die kleinen Industriestaaten entwickelt hatten, beinahe erfolgt. Seither ist allerdings keine weitere relative Steigerung eingetreten, vielmehr eine Stagnation auf dem erreichten Niveau. Unter anderem erlahmte auch der Schwung, mit dem fachbereichsumfassende Konzepte erstellt wurden. Viele wurden nicht mehr revidiert und auf den noch fehlenden Gebieten wurde darauf verzichtet, sie zu erstellen. Durch die erheblich gestiegenen Mittel, die den beiden Fonds zugeführt wurden, dem Fonds für die wissenschaftsbezogene Forschung, durch den Arbeiten auf nicht unmittelbar wirtschaftlich verwertbaren Gebieten gefördert wurden, und jenen für die wirtschaftsbezogene Forschung, der auf Ergebnisse ausgerichtet war, die erwarten ließen, dass sie zumindest in naher Zukunft einen bewertbaren wirtschaftlichen Nutzen stiften würden, konnte das für die Lösung der Forschungsaufgaben einsetzbare Personal in einem erheblich größeren Umfang als bisher beschäftigt werden. Der durch die nicht konsequente Weiterführung und Aktualisierung des Gesamtkonzepts entstehende Mangel wurde daher nicht auf der Ebene der individuellen Bestrebungen der einzelnen in der Forschung Tätigen fühlbar, sondern machte sich in einer zunehmenden Unsicherheit, namentlich in einem Mangel an eigenständig, gründlich durchdachten Richtungsvorgaben der politischen Spitze bemerkbar. Wissenschaftspolitik umfasst aber nicht bloß die Angelegenheit der Vermehrung und Vertiefung bestehenden Wissens durch die Ergebnisse der Forschung, sondern auch die Angelegenheiten der Vermittlung des Wissens – also der Lehre und Ausbildung, die eine wesentliche und permanente Aufgabe der hohen Schulen bildet. Dass diese Anstalten in hohem Masse reformbedürftig waren, war nach den vorhin bereits erwähnten Geschehnissen des Jahres 1968 offenkundig. Aber auch hier ergab sich im Grunde das gleiche Problem wie seinerzeit bei den Auseinandersetzungen über die Bildung eines „Österreichischen Forschungsrates“: soll die Reform von der formalen und juridischen Seite angegangen werden oder aber von der inhaltlich-materiellen? Nach den ursprünglichen Vorstellungen des damals neu ins Leben getretenen Ministeriums für Wissenschaft und Forschung sollte mit den Reformen von der inhaltlich-materiellen Seite begonnen werden. Es sollten zunächst die Kameralistik durch eine den modernen betriebswirtschaftlichen Erfordernissen entsprechende Vollkostenrechnung ersetzt und für diese ein einheitlicher Kostenrahmen geschaffen werden. Ein solcher wurde auch von einer Arbeitsgruppe unter Univ. Prof. Dr. Erich Loitlsberger, dessen Tätigkeit von einem Projektteam begleitet wurde, erstellt und nach eingehender Diskussion mit den maßgebenden Stellen vom Springer Verlag Wien im Jahre 1973 publiziert. /7/ Bei der Reform der Universitäten traten aber zunehmend politische Probleme wie die der paritätischen Vertretung der in verschiedenen Funktionen im Hochschulwesen Tätigen und entsprechend auch juridische Fragen in den Vordergrund. Die von Frau Bundesminister Dr. Firnberg im Vorwort zu der Publikation über die „Hochschulplanungsrechnung“ angekündigte „Experimentierphase“ zur Erprobung ihrer praktischen Durchführbarkeit fand nie statt. Im ganzen aber hat die Ära Firnberg trotz der in ihr zu Tage getretenen Inkonsequenzen und Schwächen dem wissenschaftlichen Leben in Österreich einen Impuls gegeben. In der ihr nachfolgenden Perioden – bis in die Gegenwart – waren diese vergleichsweise weniger wirksam. Immerhin aber hat die Weiterführung der internationalen Zusammenarbeit durch den Beitritt zur EU und die dadurch bestehenden Möglichkeiten des Zugangs zu den in der EU bestehenden Förderungen für wissenschaftliche Aus- und Fortbildung und der Forschung sowie die Weiterführung der baulichen Ausgestaltung der Universitäten ernstere Konflikte vermeiden lassen. Damit bin ich in der Gegenwart. Zu dieser möchte ich aber erst zum Abschluss
einige Worte sagen. Die Zukunft ist wichtiger. Mit dieser hat sich u. a. Prof.
Dr. Gunther Tichy, Nationalökonom an der Universität Graz, in einem
Gastkommentar am 20. Mai d. J. (1998) in der Tageszeitung „Die Presse“ mit
dem Titel: „Der Übergang zum Hochtechnologieland“ auseinandergesetzt, aus
dem ich auszugsweise zitiere: Der ebenfalls bekannte Nationalökonom Prof. Dr. Anton Kausel lässt sich in
einem in der „Die Presse“ abgedruckten Leserbrief vom 30. Mai d. J. /1998/
dazu wie folgt unter der Überschrift „Wirtschaftskraft widerlegt
Vorurteile“ vernehmen (ich zitiere auch hier auszugsweise): Der Unterschied zwischen Tichy und Kausel liegt einfach darin, dass der erste die Zukunft im Auge hat, der letzte nur über die Vergangenheit reflektiert und letzten Endes aber feststellt: „Das alles soll natürlich nicht heißen, dass wir ruhig die Hände in den Schoss legen können. Nichts hindert uns daran, noch besser zu werden als wir es jetzt schon sind.“ Die aktuelle Auseinandersetzung zwischen den Herren Tichy und Kausel ist
nicht neu. Schon die erwähnte „Österreichische Forschungskonzeption“ aus
dem Jahre 1972 geht auf sie mit folgender Bemerkung ein (Seite 16 der erwähnten
Publikation). Ich zitiere: Ich glaube, dass diese Feststellung einer langfristigen Gefährdung der sozialen Wohlfahrt durch zu geringe Forschungs- und Entwicklungsaktivität weiterhin gültig und ihr nichts mehr hinzuzufügen ist. Ich wende mich daher kurz zwei weiteren aktuellen Themen zu, die sicher auch in der künftigen Wissenschaftspolitik eine bedeutsame Rolle spielen werden. Das eine kreist um das Schlagwort von mehr „Praxisbezug“ in der Ausbildung. Gewiss: für viele Berufe ist – aktuell gesehen und bei der durchwegs klein- und mittelständischen Struktur der Wirtschaft – eine die Grundlagen betonende Ausbildung scheinbar luxuriös und zeitraubend. Das Angebot von in der Wirtschaft frei werdenden Stellen kann durchaus in vieler Hinsicht mit Absolventen der Fachhochschulen befriedigt werden. Aber ein Land, das seine Identität – die kulturelle Eigenart und politische Entscheidungsfreiheit – bewahren will, kann nicht darauf verzichten, über Personen zu verfügen, die imstande sind, sich ein selbständiges Urteil auch über den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft und die durch sie eröffneten Perspektiven für die weitere technische und gesellschaftliche Entwicklung zu bilden. Dies bei einem beschleunigt zunehmenden Umfang dieses Wissens. Das vor mehr als hundert Jahren geprägte Wort Ludwig Boltzmanns: „dass es nichts Praktischeres gibt als eine gute Theorie“ ist heute – und in der Zukunft – bedeutungsvoller und zutreffender als zur Zeit seiner Schöpfung. Das muss in diesem Kreis nicht näher erörtert werden. Leider aber spielt es in der Wissenschaftspolitik dieses Landes eine nicht seinem Gewicht entsprechende Rolle. Das zweite, davon nicht ganz unabhängiges Thema ist, die auch unter Wissenschaftlern weitverbreitete Ansicht, dass man zur wissenschaftlichen Entwicklung zwar ausreichende materielle Förderungen benötigt, das Ergebnis dessen, was dabei herauskommt, nicht mit Bestimmtheit voraussagen kann, weshalb es auch keiner sorgfältig vorbereitenden Anfangsplanung bedarf. Dass sich bei der Durchführung von Forschungsarbeiten durch deren Ergebnis das anfänglich dabei verfolgte Ziel oft und manchmal in überraschender Weise verschieben kann, ist nun ebenso zutreffend, wie der Umstand, dass nur eine gründlich durchgeführte anfängliche Planung der Vorgangsweise die Möglichkeit bietet, in rationeller Weise die im Lauf des Fortschreitens in das unbekannte – weil zu erforschende Terrain – sich als notwendig erweisenden Änderungen in der Wegrichtung vorzunehmen, um zu einem insgesamt positiven Resultat zu gelangen. Die eine Betrachtung geht – rückblickend – von diesem Ergebnis aus – die andere – vorausschauend – vom ins Auge gefassten Ziel und den zu dessen Erreichung verfügbaren geistigen und materiellen Ressourcen. Ein professionelles Management in diesem Bereich verlangt, dass beide Betrachtungsweisen in Vorbereitung, Durchführung und kritischer Bewertung des Erreichten präsent sind. Dass es daran – bei uns – vielfach noch mangelt und es eben nicht genügt, sich bloß die Fragebogen der international tätigen Organisationen zu halten, sondern darüber hinaus auch einiges Eigenes eingebracht werden muss, sei hier – ohne Zensuren anzustellen - als ein Mangel bloß vermerkt. Dass die künftige Entwicklung der Wissenschaft nicht bloß weiter
beschleunigt, sondern auch inhaltlich anders als bisher verlaufen wird, dafür
eröffnet Gerhard Bosch, u. a. Vizepräsident des Instituts für Arbeit und
Technik des Wissenschaftszentrums Nordrhein-Westfalen, im Maiheft d. J. (1998)
der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“ /8/ die folgende, begründete
Perspektive. Ich zitiere auszugsweise: Genug des Zitates. Vielleicht hat Bosch die Schwierigkeit nicht genügend berücksichtigt, die das heutige Schulsystem bei den meisten Schulabgängern dadurch schafft, dass sie in überwiegender Zahl vom Lernen wenig halten und im reiferen Alter nur schwer zu einer systematischen Aneignung von neuen Kenntnissen bewegt werden können. Auch ist Bosch nicht darauf eingegangen, dass Human- und Sachkapital in betriebswirtschaftlicher Sicht einen völlig anderen Stellenwert haben, der nicht ihrer gesamtgesellschaftlichen Funktion entspricht. Daraus werden sich Korrekturen ergeben, die aber meiner Meinung nach nichts Wesentliches an den künftigen Zielen der Forschung ändern werden. Kehren wir nach diesem Ausblick in die Zukunft zur Gegenwart zurück. Für die Lage der Forschung möchte ich ein einziges Gebiet nennen, das zwar zu meinen persönlichen Interessen gehört, bei dem ich mich aber gerade deshalb jeden Kommentars enthalte, weil die von mir im Folgenden angeführten Aussagen für sich sprechen. Im Heft Nr. 2/1998 der „Zeitschrift der Energieverwertungsagentur“ stellt
Sektionschef Dr. Norbert Roszenich, /9/ Bundesministerium für Wissenschaft und
Verkehr, unter anderem folgendes fest (ich zitiere auszugsweise): Ich glaube, das dokumentiert hinreichend die gegenwärtige Situation der Forschung in Österreich. Wie steht es nun allgemein mit der Wissenschaftspolitik? Es ist eine Binsenweisheit, dass diese nur im laufenden Zusammenwirken mit den Wissenschaftstreibenden erfolgreich geleistet werden kann. Aber die Fähigkeit der politisch verantwortlichen Spitze zur Führung eines permanenten fruchtbaren Dialogs hat während der letzten drei Amtinhaber in erschreckender Weise abgenommen. Dies kann kurz durch den Abstieg von einem nicht unintelligenten Intriganten zu einem bloßen Kunstschmusanten und weiters zu einem Vollblutignoranten beschrieben werden. /10/ Der bisherige Verlauf der Wissenschaftspolitik in Österreich, wie ich vorhin skizziert habe, lässt nicht erwarten, dass die für die gesamte kulturelle Entwicklung unerfreuliche Situation sich rasch ändert und die weitgehend resignierte Einstellung unserer Wissensträger spontan einem anderen Verhaltensmuster weicht. Zivilcourage ist auch kein Handelsartikel im Supermarkt. Aber ich kann mir vorstellen, dass die Stimmen der Spitzenfunktionäre der Wissenschaft, die ja von Zeit zu Zeit ihre Stimmen erheben, nicht mehr – wie dies in letzter Zeit zunehmend der Fall war – ein Solopart der Betreffenden bleibt, sondern – vor allem von den ihnen nahestehenden Fachorganisationen, soweit dort die Befürchtungen, dass sie durch ein „aufsässiges Verhalten“ dieser oder jener Unterstützung verlustig gehen könnten, zurückgedrängt werden können – von einem Chor begleitet werden wird. Der Chorgesang hat in diesem Land eine reiche Tradition und ist akustisch weit besser zu vernehmen als der Solopart. Ich führe dieses Bild – das, wie ich glaube einleuchtend ist – in diesem Kreis nicht weiter aus, erwarte mir aber persönlich von solchen – und ähnlichen – Initiativen doch eine realistisch herbeiführbare Wende in der tristen Lage unserer gegenwärtigen Wissenschaftspolitik. Anmerkungen Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 4/2002 und Nr. 1/2003 |
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