Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung Drechslergasse 42, A–1140 Wien Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at
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Peter Gstettner: Der Kärntner Ortstafelsturm vor 30 Jahren. Eine sozialpsychologische Analyse der Mikropolitik und um das Jahr 1972 in Kärnten„Ortstafelpogrom“Wer vom „Ortstafelprogrom“ spricht, /1/ hat Assoziationen zur Reichspogromnacht vom 9. November 1938 als SA-Sturmtruppen jüdische Einrichtungen gewaltsam zerstörten und jüdische Menschen misshandelten, willkürlich verhafteten und in Gestapo-Gefängnisse und Konzentrationslager verschleppten. Der gängige Ausdruck „Kristallnacht“, eine Anspielung auf die Glasscherben, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 überall in Deutschland und Österreich auf den Gehsteigen lagen, ist nach einhelliger Meinung der Historiker eine verharmlosende Irreführung des öffentlichen Bewusstseins. Es war nicht das zerbrochene Glas, das später betrauert werden musste, es war der Zivilisationsbruch, der Bruch mit den elementarsten Menschenrechten, der die NS-Gesellschaft endgültig der menschenverachtenden Barbarei überführte. Auch ich hatte beim Studium der Vorgänge rund um den Ortstafelsturm ähnliche Assoziationen, hervorgerufen durch die nachträgliche Beschwörung der „Spontaneität“ des Ortstafelsturmes und des angeblichen deutschkärntner „Volkszornes“. Es waren die mediale Schönrederei und die politische Schönfärberei, die mir als Reaktionen der Täter-Gesellschaft bekannt vorkamen. Wer heute den Ortstafelsturm als spontanen Volksaufstand und als „Scherbengericht für die sozialistische Politik der 70er Jahre“ verharmlost, tut im Grunde nichts anderes, als ein Legitimationsmuster zu bemühen, mit dem schon die Nazis ihren aggressiven Antisemitismus zu begründen versuchten. Der Kärntner Ortstafelsturm aus heutiger SichtIm Jahre 1988 erschien mein Buch „Zwanghaft Deutsch?“, das in Kärnten große Erregung hervorrief. /2/ Der Zeitpunkt des Erscheinens fiel in die Endphase der 4 Jahre dauernden Diskussion um das Minderheitenschul-Trennungsmodell, mit dem die drei Kärntner Parteien die Minderheitenschule „reformieren“ wollten. Die Hauptintention dieser „Reform“, die auf gemeinsame Aktionen von FPÖ und KHD („Kärntner Heimatdienst“) fußte, war, den gemeinsamen Unterricht von deutsch- und slowenischsprachigen Kindern in der Volksschule aufzulösen. Es sollte ein nach ethnopolitischen und sprachlichen Kriterien getrennter Unterricht stattfinden: „Deutsche Lehrer für deutsche Kinder und slowenische Lehrer für slowenische Kinder“, hieß einer der KHD-Slogans. In meinem Buch sind die pädagogischen Argumente und öffentlichen Aktionen (wie Interviews, Flugblatttexte, Reden bei Demonstrationen usw.) versammelt, die ich im Laufe von 4 Jahren, also von 1984 bis 1988 gegen das Trennungsmodell vorbrachte - immerhin mit dem Erfolg, dass die Trennung vier Jahre lang aufgehalten wurde und dass sich die Kärntner Regierung mit einer öffentlichen Diskussion konfrontiert sah, die sie in dieser Form noch nie erlebt hatte. /3/ Im Sommer 1988 konnte dann das Gesetz im Parlament verabschiedet werden, weil die drei Parteien den Grün-alternativen Minderheitensprecher, den Kärntner Slowenen und damaligen Nationalrat Karel Smolle, so lange bearbeitet und mit Versprechungen gefügig gemacht hatten, bis er schließlich dem Gesetzesantrag zustimmte. Der „Neue Dialog“, auf den die Führung der Kärntner Slowenen jetzt so stolz war, eröffnete die weiche Flanke der Volksgruppe für neue und immer unverblümtere Erpressungsversuche durch FPÖ und KHD. Ab jetzt hatten die Deutschnationalen ein leichtes Spiel. Die Kärntner Slowenen waren nun für FPÖ und KHD keine Ernst zu nehmenden Gegner mehr; aber auch keine echten „Partner“; Landeshauptmann Jörg Haider sagte es ihnen gerade erst kürzlich wieder: Was er jetzt erwarte, sei zunächst einmal „Dankbarkeit“; ja, bevor es weitere „Geschenke“ an die slowenische Volksgruppe gäbe, z.B. neue zweisprachige Ortstafeln, sollte es ein „Danke“ geben (so Landeshauptmann Jörg Haider bei den 10. Oktober-Feiern des Jahres 2002). Als Begründung für seine Erwartungshaltung meinte Haider: Die Regierung in Kärnten hätte zu jeder Zeit die Verpflichtung, die kulturelle und sprachliche Identität der Kärntner Slowenen zu wahren, eingelöst - und das seit 1920; dafür sei nicht die Zahl der zweisprachigen Ortstafeln relevant, sondern die allgemeine Situation der Volksgruppe, die heute so gut sei wie noch nie. /4/ In meinem Buch stellt sich die Situation der slowenischen Volksgruppe in Kärnten anders dar. Während sich der dramatische zahlenmäßige Rückgang der Kärntner Slowenen in der 2. Republik von Volkszählung zu Volkszählung durch eine abfallende Verlaufskurve darstellen lässt, gab es immer wieder Ereignisse, die als einschneidende Zäsuren schockartig wirkten. Der Ortstafelsturm von 1972 war zweifelsfrei so ein traumatisches Ereignis, das auf die slowenische Volksgruppe eine nachhaltige Schockwirkung ausübte. Während das Buch insgesamt von den drei Parteien sofort nach dem Erscheinen zum politischen Skandal hoch stilisiert wurde, nutzte der KHD die aufgeheizte Stimmung um gerichtliche Schritte gegen mich einzuleiten. Der Obmann des KHD, Dr. Josef Feldner, brachte im März 1988 einen Strafantrag gegen den Autor und gegen den Verlag wegen des Vergehens der üblen Nachrede ein. Im Kern ging es dem KHD um zwei Aussagen: Auf Seite 47 steht: Dass in Kärnten der „schleichende Faschismus wieder hoffähig geworden ist, ist das zweifelhafte Verdienst jener deutschnationalen und neonazistischen Kräfte, die im KHD organisiert sind“ ... Und auf Seite 55: „1972: Der 'Ortstafelsturm wird organisiert (mit maßgeblicher Unterstützung des KHD)...“ /5/ Die erste Passage enthielt also die Einschätzung, dass „neonazistische Kräfte“ beim KHD mit im Spiele sind. Die zweite Passage wurde geklagt, weil - offenbar auch nach Ansicht des KHD-Obmannes - beim Ortstafelsturm ein ungesetzliches Handeln vorlag bzw. durch den Ortstafelsturm strafrechtlich relevante Tatbestände gesetzt wurden. Im Verlauf der Recherchen zum Prozess wurde mir bald folgendes klar: Erstens: Es gibt in der Bevölkerung ein breites und z.T. detailliertes Wissen über den Ortstafelsturm. Es ist ein „Untergrundwissen“. Man redet über dieses Wissen jedoch nicht in der Öffentlichkeit. Es stellte sich auch heraus, dass selbst diejenigen Personen, die bereit waren, mir „Geschichten von damals“ zu erzählten, ihr Wissen niemals öffentlich Preis geben würden. Noch viele Jahre nach dem Ortstafelsturm war der soziale Druck, dem die gesprächsbereiten Zeitgenossen ausgesetzt waren (und immer noch sind), ganz deutlich spürbar. Ein Gesprächspartner, der am Ortstafelsturm aktiv teilgenommen hatte, gab nach 20 Jahren (also 1992) der Zeitschrift „profil“ ein Interview; in diesem Interview hatte er sich als „Bekehrter“ geoutet, als „reuiger Sünder“, der sich seiner damaligen Schandtaten schämte. Später versicherte er, er werde nie mehr ein Interview geben, weil er nach der Veröffentlichung des „profil“-Interviews im Dorf als „Verräter“ bezeichnet wurde; es wurde gesagt, seine Interviewaussagen seien die reinste „Frechheit“ und zudem ein völliger „Schwachsinn“; er musste den Vorwurf hören: „Wie konn ma denn seine eignen Freind so verrotn“!? /6/ Zweitens: Was in dem Buch „Zwanghaft Deutsch?“ über den KHD und den Ortstafelsturm geschrieben steht, deckte sich also weitgehend mit dem Wissen, das in der Bevölkerung kursiert, das jedoch nicht öffentlich wird. Ich bekam viele bestätigende Hinweise, unter vier Augen; Leute gratulierten mir und sagten, „machen sie bitte bloß weiter so“, und ließen gleichzeitig erkennen, dass diese inhaltliche Übereinstimmung eine Geste der persönlichen „moralischen Unterstützung“ sei; sie schätzten mein öffentliches Auftreten gegen den KHD, sie selbst hätten aber gerade andere Sorgen oder müssten gewisse Rücksichten nehmen und könnten deshalb ihr Wissen nicht öffentlich machen - und schon gar nicht vor Gericht. Sie müssten ja weiter Tür an Tür mit ehemaligen Ortstafelstürmern leben - und oft genug auch mit „Stürmern“ in der eigenen Verwandtschaft. Drittens: Seit 1972 ist der KHD schon x-mal wegen der Anschuldigung, den Ortstafelsturm organisiert zu haben, vor Gericht gegangen; das wusste ich allerdings 1988 noch nicht. Alle Verfahren verliefen im Sand oder endeten mit einem Vergleich. In keinem Fall, von dem ich Kenntnis bekam, wurde der Wahrheitsbeweis auf der materiellen Ebene geführt. Mit anderen Worten: Noch niemand hatte vor mir die Vorgänge rund um den Ortstafelsturm empirisch erforscht. Ein Beispiel: Thomas Pluch, dem wir das Buch, und dem Regisseur Fritz Lehner, dem wir den Film „Das Dorf an der Grenze“ verdanken, haben in einschlägigen Passagen und Szenen (im 3. Teil des Films, Ausstrahlung im Sommer 1983) den KHD eindeutig mit dem Ortstafelsturm in Zusammenhang gebracht. Pluch legte in einem Artikel in dem SPÖ-Organ Zukunft (1983) noch an Deutlichkeit nach, als er schrieb, dass der „rechtsradikale Heimatdienst (...) alleiniger Verantwortlicher für die chauvinistischen Ausschreitungen im Jahre 1972 gegen zweisprachige Ortstafeln und gegen Bundeskanzler Kreisky“ sei. /7/ Der KHD klagte bei der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes. Im Verfahren wurden vom Beklagten ORF bzw. Pluch/Lehner keine materiellen Wahrheitsbeweise für diese Behauptung erbracht; es wurde aber folgender „Kompromiss“ ausgehandelt: Da das Werk („Das Dorf an der Grenze“) keine historische Dokumentation sei sondern ein „Dokumentarspiel“, komme, ähnlich wie für die Gattung „Roman“, in der Darstellung die „künstlerische Freiheit“ zur Geltung, die ihrerseits den Szenen erlaubt, dass sie nicht exakt den historischen Abläufen entsprechen müsse. Der KHD zog darauf hin seine Klage zurück bzw. stimmte dem Angebot zu, dass vom ORF noch im selben Herbst eine Club 2 Diskussion zum Film veranstaltet würde, bei der der „Kärntner Standpunkt zum Slowenenproblem“, vertreten durch den KHD-Obmann Feldner, breiten Raum einnehmen sollte. /8/ Bis heute hat sich an dem Zustand der defizitären wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Ortstafelsturm bzw. der Rolle des KHD nicht viel geändert, d. h. auch nach 30 Jahren verfügen wir über keine zeitgeschichtlichen Forschungen, die den Ortstafelsturm zum Thema gemacht hätten. Immerhin gibt es wenigstens eine wissenschaftliche Arbeit zur Geschichte, Struktur und Arbeitsweise des KHD, nämlich das Buch von Martin Fritzl, „Der Kärntner Heimatdienst“ (Klagenfurt/Celovec 1990), in dem es auch ein Kapitel über den Ortstafelsturm gibt. Was dort geschrieben steht, einschließlich der Namen und Organisationen, die mit dem Ortstafelsturm in Zusammenhang gebracht werden, deckt sich mit unserem Beweismaterial (bzw. stammt aus diesem); die Aussagen in dem Fritzl-Buch wurden vom KHD nicht geklagt. Das Forschungsdefizit steht in einem krassen Widerspruch zu dem Ereignis, das
in seiner Bedeutung für die 2. Republik einmalig war und ist: Ein Bundesgesetz
konnte nicht vollzogen werden, weil ein aufgehetzter Pöbel, eine kleine
Minderheit militanter und intoleranter Chauvinisten, strafbare Handlungen gegen
die Exekutive setzte, und weil schließlich durch den politischen Druck der Straße
die Regierung ein Gesetz zurück nehmen musste und damit genötigt war, die
Rechte der Minderheit zu minimieren. Dass dadurch die Autorität der
legitimierten Staatsorgane beschädigt und die Minderheit selbst zutiefst gedemütigt
wurde, ist bis heute nicht wirklich bearbeitet; es handelt sich - der NS-Zeit ähnlich
- um eine „unbewältigte Vergangenheit“. Das Trauma „Ortstafelsturm“
wurde nicht aufgearbeitet. Insofern nimmt es nicht Wunder, wenn diese
Vergangenheit Kärnten heute wieder eingeholt hat: Die jüngsten Weigerungen des
Kärntner Landeshauptmannes, das VGH-Urteil über die topographischen
Aufschriften zu vollziehen (d. h. weitere zweisprachige Ortstafeln
aufzustellen), seine Schmähungen des obersten Gerichts und seine Drohungen in
Richtung slowenische Volksgruppe, sind nichts anderes als die Wiederkehr eines
Habitus, der für absolutistische Machthaber typisch ist, die über „ihr“
Volk so regieren, dass sie die willfährigen Untertanen belohnen, die Freunde
begünstigen und die Widerspenstigen bestrafen. Der Mythos vom Ortstafelsturm als spontane VolkserhebungDer beliebteste und eingängigste Mythos ist der von der spontanen Volkserhebung. Wenn sich der aufgestaute Unmut, der angestachelte Zorn des Volkes, seine Bahn bricht, dann sind die formalen Regeln der Demokratie ebenso außer Kraft gesetzt wie die bürgerliche Vernunft; das lehrte uns die Massenpsychologie schon vor 100 Jahren. Als „spontane Volkserhebung“ sollte auch der Ortstafelsturm eingeordnet und der Nachwelt überliefert werden. Die „Volkserhebung“ war, so der ehemalige Chefredakteur der Kleinen Zeitung/Kärnten, Heinz Stritzl, angeblich eine logische Folge der verfehlten sozialistischen Politik; das heißt: Bekämpft wurde im Grunde eine „sozialistische Politik“, die in Wien ein „schlechtes Gesetz gegen Kärnten“ gemacht hat, ein Alleingang der sozialistischen Parlamentsmehrheit, der die warnenden Stimmen von ÖVP und FPÖ ignoriert hatte. Das Kärntner Mehrheitsvolk sei nicht informiert worden, meint Heinz Stritzl; eine „sozialistische Politik“ bekam „vom Volk“ die Rechnung serviert, weil sie ausgerechnet um den 10. Oktober in Kärnten zweisprachige Ortstafeln aufstellen ließ, was an sich schon ein Ausdruck „krasser Fehleinschätzung der Stimmung in Kärnten“ durch die führende SPÖ gewesen sei - so die Deutungen von Heinz Stritzl 20 Jahre nach dem Ortstafelsturm in „seiner“ Kleinen Zeitung (6.10.1992). Die Kärntner Nachrichten (FPÖ-Organ) empörten sich 20 Jahre nach dem Ortstafelsturm immer noch über „sattsam bekannte linke Journalisten“, die bei diesem Ereignis vom „deutschnationalen Mob“ geschrieben haben, der die Straßen beherrscht hätte; dabei waren es doch „die heimattreuen Kärntner, die sich einem verfassungswidrigen Diktat Wiens widersetzt“ hätten - so die Kärntner FPÖ-Zeitung (Kärntner Nachrichten, Nr. 43a, Oktober 1992). Landeshauptmann Leopold Wagner, Profiteur des Umstandes, dass sein Vorgänger, Landeshauptmann Hans Sima, über das Ortstafelgesetz gestolpert ist (Sima wurde 1973 als Landesparteiobmann durch Wagner abgelöst und 1974 als Landeshauptmann durch Wagner ersetzt), interpretierte 1989 den Ortstafelsturm wie folgt (in einem Interview im Falter, Nr.30/1989, S. 6): „WAGNER: Ich glaube, daß es zum Teil eine spontane Publikumserhebung war.
(...) Es ist durchaus das legale Recht der Bevölkerung, gegen irgend etwas, das
sie als Zwangsmaßnahme ansieht zu demonstrieren. (...) Es ist dem Volk
gestattet, sich gegen etwas aufzulehnen. Und das hat das Volk gemacht. Auch der KHD-Obmann, Josef Feldner, will 20 Jahre nach dem Ortstafelsturm seine Organisation als Friedens- und Demokratiebewegung eingestuft haben. In einer KHD-Aussendung, die in der Kleinen Zeitung abgedruckt wurde, betont Feldner, dass der KHD (bzw. konkret: die KHD-Großkundgebung am 15. Oktober 1972 am Alten Platz in Klagenfurt) vor allem eines erreicht habe: Es sei dem KHD gelungen, „den breiten Protest gegen die verfassungswidrige und auf völlig unzulänglichen Grundlagen beruhende Ortstafelregelung in demokratische Bahnen zu lenken“ (zit. nach Kleine Zeitung, 9.10.1992). 1992 bekam der KHD-Obmann das „Große Ehrenzeichen des Landes Kärnten“ durch ÖVP-Landeshauptmann Christof Zernatto verliehen, der tatsächlich meinte, der Geehrte hätte „den guten Ruf Kärntens mitgeprägt“. Zernatto weiter: „Ich kann mich nicht erinnern, dass unter den Geehrten Rechtsradikale oder Deutschnationale gewesen wären.“ (Zit. nach der Zeitschrift Tango, 11.2.1992) Interessant ist, dass auch die Kleine Zeitung in diesem Jubiläumsjahr irgend etwas zu diesem „guten Ruf“ beitragen wollte: 20 Jahre danach veröffentlichte sie die Fotos vom Ortstafelsturm bei St. Kanzian, Fotos, die damals in vielen Medien publiziert wurden, mit „schwarzen Balken“ vor den Augen der Täter, um offenbar ihre „Anonymität“ Täter zu wahren. (Kleine Zeitung, 6.10.1992) Der Ortstafelsturm als „demokratische Protestbewegung“ ist ein weiterer Mythos, an dem die Kärntner Politik bis zum heutigen Tage höchst interessiert ist. Ein mit parlamentarischer Mehrheit verabschiedetes Gesetz wurde zum „Diktat aus Wien“ uminterpretiert. /9/ Die Auflehnung gegen das „Diktat aus Wien“ erschien dem Fußvolk besonders dann plausibel und legitim, wenn beim Protest die heimischen Politiker mit von der Partie waren und vorzeigten, wie's gemacht wird, das „Erheben des Volkes“ bzw. das Ausheben der Ortstafeln. Ein ehemaliger Ortstafelstürmer (O) im Interview (mit einer Studentin meines
Seminars; I): „O: Eines stimmt sicher, durch das Mittun des Bürgermeisters
war die Aktion bzw. die Aktionen schon nicht mehr so illegal für uns. Es kann
auch sein, daß viele aus Solidarität mitgetan haben; aber ich glaube eher, daß
alle, die dabei waren, sehr für die Sache waren... Ein anderer ehemaliger Ortstafelstürmer, der inzwischen in der Heimatgemeinde ein politisches Spitzenamt bekleidet, im Rückblick nach 30 Jahren: „Ich war damals ein begeisterter Anhänger des Kärntner Heimatdienstes. Der KHD hat den Hass geschürt. Uns wurde eingetrichtert, daß Jugoslawien Ansprüche an unser Land stellt, die Grenze nicht anerkennt. Uns Junge haben sie dann vorgeschickt.“ (Zit. nach Kärntner Monat, Oktober 2002, S. 33) Zum Mythos von der spontanen, friedlichen Protestbewegung, zu der der Ortstafelsturm umgedeutet wurde (natürlich nur von Vertretern der deutschnationalen Täter-Gesellschaft, sei es aus schlechtem Gewissen oder aus vordergründigen politischen Motiven), gehört auch das Image der Gewaltlosigkeit. Nochmals Heinz Stritzl von der damaligen Kärntner Chefredaktion der Kleinen Zeitung, jetzt schon fast beschwörend im Kampf um die „richtige“ Erinnerung nach 20 Jahren: „Es muß aber mit dem gebotenen Nachdruck gesagt werden, daß Opfer der Gewalt ausschließlich Ortstafeln waren“. (Kleine Zeitung, 6.10.1992) Die Polizeiprotokolle der damaligen Zeit widerlegen den Herrn Chefredakteur eindeutig. Die Gewalt richtete sich nicht nur gegen Ortstafeln, auch andere Sachbeschädigungen kamen vor: die Autoreifen des Wagens von Landeshauptmann Sima wurden aufgestochen, das Partisanendenkmal in Ferlach wurde geschändet, Wegweiser und Fahrbahnen wurden mit Parolen wie „Tod dem Sima“ beschmiert, dem Gendarmerieposten Kühnsdorf wurde von einem anonymen Anrufer gedroht, es würde ein Elektromasten gesprengt, „wenn noch einmal ein Abwehrkämpfer wegen Übermalung von Ortstafeln zur Anzeige gebracht werde“ (Kärntner Tageszeitung, 1.10.1972). Nach Zeitungsmeldungen gab es allein bei der Zusammenrottung von deutschnationalen Demonstranten am 25.19.1972 vor der Klagenfurter Arbeiterkammer als Bundeskanzler Bruno Kreisky versuchte, vom Ausgang aus sein Auto zu erreichen, sechs verletzte Polizisten. Die antisemitischen Attacken gegen Kreisky - er wurde mit Ausdrücken wie „Judensau“ und „Saujud, ich schneid dir die Gurgel durch“ beschimpft bzw. bedroht - wurden später von der Kärntner Presse schamhaft verschwiegen. /11/ Auch Kreiskys Einschätzung dieser Erlebnisse in Klagenfurt als „größte nazistische Demonstration nach dem Krieg“, wurde in Kärnten weder geteilt noch mitgeteilt. In der Erinnerung von ehemaligen Aktivisten des Ortstafelsturmes sind Szenen präsent, wo ein „Blutvergießen“ gerade noch vermieden werden konnte. Der oben zitierte vormalige Ortstafelstürmer: O: „Sie (die Exekutive) zeigte Verständnis und es kam zu keinen blutigen Auseinandersetzungen. (...) Ich muß hier den Sicherheitsdirektor Y sehr lobend erwähnen, der immer versucht hat, die Menge zu beruhigen; er hat es wirklich geschafft, das Schlimmste zu verhindern - den gewaltvollen Zusammenstoß zwischen Menge und der Exekutive. Natürlich gab es auch Handgreiflichkeiten, auch ich erinnere mich, einen Beamten mit den Fäusten attackiert zu haben, aber das war nicht mehr als eine Rangelei. Das Faß zum Überlaufen gebracht hätte aber beinahe der damalige Gendarmerieoberst Z, der androhte, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen, woraufhin sich die Stimmung verschärft hat und sogar Kommentare zu hören waren wie 'das nächste Mal nimm i a Pistoln mit'. Im großen und ganzen verhielt sich aber die Exekutive tolerant. Was meines Erachtens damit zusammenhängt, daß die auswärtigen Beamten sich auf nichts einlassen wollten. Die waren jung und eine blutige Konfrontation hätte sicher ihrer Laufbahn geschadet. Außerdem hatten die überhaupt keine Ahnung, worum es hier ging.“ /12/ Die „auswärtigen Beamten“, von denen hier die Rede ist, mindestens 150 an der Zahl, wurden aus anderen Bundesländern abgezogen und zur Bewachung der Ortstafeln in Kärnten eingesetzt - nicht nur zur Verstärkung der Kollegen von der Kärntner Gendarmerie, sondern um „objektive Amtshandlungen“ zu garantieren, weil zu befürchten war, dass die einheimischen Kollegen vielleicht doch eine zu große „Toleranz“ gegenüber den Ortstafelstürmern aufbringen würden. Diese Befürchtung war nicht unbegründet, sind doch Szenen überliefert, in denen die Ortstafelstürmer die bewachenden Gendarmen ablenkten und austricksten oder sich ihnen mit der vertraulich-provozierenden Ansprache näherten: „Herr Inspektor, dürf' ma Sie vielleicht ablösen?“ (berichtet von Eugen Freund im Standard, 28.9.1992) Interessant ist auch, dass zu Beginn der Aktionen die Gendarmen in Zivil waren und sich in der Näher der Ortstafeln versteckt hielten, d. h. den Auftrag hatten, die Ortstafeln zu bewachen ohne sich selbst zu zeigen. Außerdem hatten sie den Auftrag (vom damaligen Innenminister Rösch), um Zusammenstöße zu vermeiden, keine Personaldaten aufzunehmen sondern nur die Nummern der Fahrzeuge der Ortstafelstürmer zu notieren. Das hatte sich in der Szene rasch herumgesprochen, was dazu führte, dass später an manchen Fahrzeugen der Ortstafelstürmer die Beleuchtungen der Kennzeichen abgeklemmt oder die Nummernschilder überhaupt unkenntlich gemacht oder verhängt wurden. Eugen Freund, der damals vor Ort recherchierte und die Ereignisse in seinem Tagebuch festhielt, berichtet 20 Jahre später folgende Szene: „Nach und nach kommen Autos, werden am Straßenrand abgestellt. Zwei Gendarmen in Zivil: ´Was wollen S´ da?´ - ´Wir holen die Tafeln!´ - Die verblüfften zwei Gendarmen, die die Tafeln bewachen, kamen erst gar nicht dazu, irgend etwas zu unternehmen. Aus den Autos stiegen ca. 150 - 200 Leute, denen es in wenigen Minuten gelang, fünf der sechs Hinweisschilder zu demontieren, wobei man sich anfänglich sogar darüber stritt, ob man sie samt den Ständern entfernen und was mit der einen einsprachigen Tafel geschehen sollte. Man einigte sich schließlich darauf, die zweisprachigen abzumontieren (´A hot wer an Zehner-Schlissel do?´) und die deutschsprachige stehen zu lassen.“ (Der Standard, 28.9.1992) Der Ortstafelsturm-Mythos beruht demnach weitgehend auf mediale und
politische Schönfärberei, denn: In der Kärntner Öffentlichkeit sind diese Fakten so gut wie unbekannt geblieben. Landesarchiv, Geschichtsverein, Landesmuseum und die Partei-HistorikerInnen zogen es vor zu schwiegen oder zu verharmlosen. Es durfte auch nicht bekannt werden, dass die Kärntner Landesregierung noch unter Landeshauptmann Sima eine „Ortstafelsturm Dokumentation“ (abgekürzt: OT-Doku.) angefertigt hat, zu deren Veröffentlichung es jedoch nie kam. Aus verständlichen Gründen war die Landesregierung unter Landeshauptmann Wagner nicht mehr daran interessiert, dass diese Dokumentation an die Öffentlichkeit gelangt. Die wenigen kopierten Exemplare dieses „Geheimberichts“, der dem Ortstafelsturm-Mythos ein Stück weit den Boden hätte entziehen können, können ihre aufklärende Wirkung nicht entfalten. Der Kampf um die zweisprachige TopographieDie Frage der zweisprachigen topographischen Aufschriften wurde auf politischer Ebene schon in den 60er Jahren heftig und ausführlich diskutiert. Die FPÖ, angeführt durch den Abgeordneten Dr. Otto Scrinzi (dessen Naheverhältnis zu Alt- und Neonazigruppen kein Geheimnis ist) und der KHD (unter dem damaligen Obmann Heribert Jordan - ebenfalls ein Mann mit NS-Vergangenheit) waren von Anfang an für eine „Minderheitenfeststellung“. Die ÖVP schwenkte ziemlich genau zu dem Zeitpunkt auf diese Forderung ein, als die ersten Schmieraktionen gegen zweisprachige Aufschriften (damals noch nicht Ortstafeln) stattfanden, nämlich 1968. /14/ Die Gegenseite war auch nicht träge: Vor allem ab dem Jahre 1970 gingen junge Leute von der slowenischen Volksgruppe verstärkt daran, einsprachige Ortstafeln mit slowenischen Bezeichnungen zu ergänzen. /15/ 1970 war überhaupt ein Jahr der verschärften Polarisierung, da die 50-Jahr-Feiern des Abstimmungsereignisses von 1920 ins Haus standen, Feiern, die seit jeher von den Deutschnationalen für ihren Kultur- und Volkstumskampf funktionalisiert wurden. So auch 1970, wo auf Transparenten die „Minderheitenfeststellung“ gefordert wurde, die „Gleichberechtigung für die Mehrheit“ und „Toleranz ja - weitere Geschenke nein“. Der dem deutschnationalen Spektakel wohl gesonnene SPÖ-Landeshauptmann Sima fand es passend, einen ehemaligen SS-Oberscharführer und Kreishauptamtsleiter und Gaureferenten der NSDAP, einen Mann, der in der Nazizeit schon für Eindeutungsaufgaben im slowenischen Oberkrain herangezogen worden war, mit der Organisationsaufgabe der Landesfeiern des Jahres 1970 zu betrauen, nämlich Dr. Franz Koschier. /16/ Provoziert durch dieses Zurschaustellen und Abfeiern des großdeutschen Sieges (Eichenlaub und NS-Abzeichen wurden bei der 10. Oktober-Feier offen getragen), verschärften die Kärntner Slowenen 1971 ihre Angriffe auf die SPÖ-Landespolitik und auf die Symbole des Heimatdienstes und des Abwehrkampfes. Abwehrkampf- und Kriegerdenkmäler wurden beschmiert. Im Gegenzug dazu wurden Partisanengrabstätten geschändet. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass schon zu diesem frühen Zeitpunkt, also ein Jahr vor dem Ortstafelsturm, die Exekutive eine Verstärkung von der Wiener Staatspolizei anforderte (OT-Doku. S. 27). Die Regierung Kreisky war bereits 1971 fest entschlossen, durch das Aufstellen zweisprachiger Ortstafeln etwas zur Erfüllung des Art. 7 des Österreichischen Staatsvertrags von 1955 beizutragen. Landeshauptmann Sima, bei dem sich Kreisky mehrfach rückversicherte, unterstützte den Bundeskanzler bei diesem Vorhaben vorbehaltlos und kündigte seinerseits in der Kärntner Landtagssitzung Ende November 1971 an, dass das Land jetzt Aktivitäten wird setzen müssen - und zwar ohne Minderheitenfeststellung. Die Aufstellung sollte auf der Basis der Volkszählung von 1961 und nach der 20 % Klausel erfolgen. Diese Kriterien erfüllten 205 Ortschaften in 36 Gemeinden. Zweisprachige Ortstafeln in 205 Ortschaften war 1972 das Plansoll der Regierung; 205 Ortschaften, die dann vom Ortstafelsturm betroffen waren. Im Frühjahr 1972 eskalierte die Stimmung, es wurden permanent Delegationen zu Verhandlungen ausgeschickt, es wurde ununterbrochen diskutiert, gestritten, Tafeln beschmiert und Flugblätter gestreut. Von einer „überfallsartigen Nacht- und Nebelaktion“ - gemeint ist dabei immer, die politische Entscheidung, mit dem Aufstellen der zweisprachigen Ortstafeln zu beginnen - kann deshalb wirklich nicht gesprochen werden kann. Aber es gehört zum Ortstafelsturm-Mythos, dass dieser Eindruck des überfallsartigen, von Wien aus befohlenen Aufstellens der Ortstafeln bis heute überlebt hat und immer noch genährt wird. Die Bevölkerung war also durchaus „vorbereitet“, allerdings im negativen Sinn; KHD und Abwehrkämpferbund hatten am fleißigsten mobilisiert und am deutlichsten angekündigt, was geschehen würde, sollten die Ortstafeln - ohne vorherige Minderheitenfeststellung - aufgestellt werden. Auch Landeshauptmann Sima wurde von einer Abwehrkämpferbund-Delegation darüber informiert, dass man nicht gewillt sei, „eine Vergewaltigung Südkärntens durch einseitige Maßnahmen zu Gunsten der slowenischen Minderheit“ hinzunehmen (OT-Doku. S. 47). Der Landesobmann dieses Verbandes rief (am 22. April 1972) zu einem „neuen Abwehrkampf“ auf; und ein Zwischenrufer aus dem Fußvolk meinte dazu: „Versuchen wir es noch einmal mit einer Unterschriftensammlung, und wenn auch das nicht hilft, dann: Volk steh' auf - Sturm brich los.“ (OT-Doku. S. 47) Die Kärntner Nachrichten (FPÖ-Organ) gehen über die Phantasie einer slawischen Vergewaltigung Südkärntens noch hinaus, wenn sie am 10. Juni 1972 schreiben: „Eine planmäßige Aussiedlung aller Deutschen aus dem gemischtsprachigen Gebiet wird vorbereitet.“ Woher diese Nonsens-Phantasie stammt, wird wahrscheinlich nie mehr zu erkunden sein. Dafür haben sich die Kärntner Nachrichten auf einem anderen Gebiet als wahre Propheten erwiesen. Sie schrieben bereits am 18. März 1972: „Wenn in Hermagor, Klagenfurt und Völkermarkt slowenische Ortstafeln aufgestellt werden sollten, wird dies von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung als Herausforderung empfunden werden. (...) Es ist darum zu erwarten, daß diese Tafeln von der empörten Bevölkerung heruntergeschlagen würden (...) und es wird nicht möglich sein, zu jeder slowenischen Ortstafel Tag und Nacht einen Gendarmen dazuzustellen.“ Am 2. Juli 1972 wusste die Volkszeitung (ÖVP-Organ) zu berichten, dass der damalige stellvertretende KHD-Obmann Josef Feldner in Ferlach für seine Organisation unterstrichen habe, „daß der KHD nicht die Absicht habe, zur geplanten Ortstafelregelung zu schweigen und tatenlos zuzusehen, wie sie auf einer völlig unzulänglichen Grundlage zur Durchführung gelangen soll“. Chronologie der EreignisseIn der Nacht zwischen dem 20. und 21. September 1972 werden die ersten zweisprachigen Ortstafeln aufgestellt. 24 Stunden später setzen die ersten Schmier- und Demontageaktionen ein. Gleichzeitig gibt es die ersten anonymen Bombendrohungen (gegen das Gebäude der Landesregierung und das der Schulschwestern in Völkermarkt). Die ersten Ortstafelschmierer werden festgenommen. Die beschmierten Ortstafeln werden von der Straßenverwaltung innerhalb von 24 Stunden wieder gereinigt, demontierte Ortstafeln neu befestigt. Am 24. und 25. September gehen die Aktionen weiter. Polizei- und Gendarmerie bekommen Verstärkung aus anderen Bundesländern. Je drei Beamte werden - zunächst noch in Zivil - auf Streife und in Hinterhalte geschickt. Dies erwies sich als nicht sehr effektiv. In jeder Nacht werden Ortstafeln beschmiert oder abmontiert. Bei mehreren Gendarmerieposten (Kühnsdorf, Eisenkappel, Völkermarkt) gehen anonyme Drohungen ein, es würden Hochspannungsmasten gesprengt, sollte die Gendarmerie weiterhin die Aktionen der Ortstafelstürmer behindern. Die Beteiligung am Ortstafelsturm weitet sich rasch aus. (Später war zu erfahren, dass manche Ortstafelstürmer jede Nacht bzw. mehrmals pro Woche ausrückten.) Am 5. Oktober sind es ca. 100 Leute in St. Kanzian; in St. Primus ca. 90 Leute in 35 Autos; am 6. und 7. Oktober 120 Leute und 42 Autos. Man hört, dass bis zum 10. Oktober keine einzige zweisprachige Ortstafel mehr stehen soll. Insgesamt hatten bereits vor diesem 10. Oktober ca. 120 Aktionen gegen zweisprachige Ortstafeln stattgefunden (wie die Volkszeitung zu berichten wusste). In der Nacht vom 9. auf 10. Oktober brachen die Kolonnen direkt von den Feiern „52 Jahre Abwehrkampf und Volksabstimmung“ zum Ortstafelsturm auf. 200 Autos fuhren von Ferlach ins Rosental. Zwischen Köttmannsdorf und Ludmannsdorf formierte sich ein Zug von ungefähr 100 PKWs. Gegen 22h30 vereinigten sich beide Kolonnen mit lautem Gehupe zu einem mächtigen Demonstrationszug. Ein Teil davon fährt nach Klagenfurt, wo vor dem Gebäude der Landesregierung die zweisprachigen Ortstafeln und Hinweisschilder abgeladen werden. Einer der Anführer, Major der Reserve und langjähriger KHD-Funktionär, macht dort vor seinen Mannen eine gefechtsmäßige Meldung: „Meine Herrn, unsere Aufgabe ist damit erfüllt; ich danke ihnen, die daran teilgenommen haben, nochmals.“ (OT-Doku. S.66) Anschließend fuhren rund hundert sangesfreudige Randalierer zur Wohnung von Landeshauptmann Sima, um dort den Terror bis 2 Uhr früh fortzusetzen. Anzeige wurde erstattet. In St. Margarthen im Rosental versammelten sich am gleichen Abend nach den Feiern ca. 120 Menschen mit Fackeln in den Händen und machten sich auf den Weg nach Zell - Freibach. Auch in Völkermarkt bildete sich eine Kolonne von 100 PKWs und fuhr über Kühnsdorf und Miklautzhof weiter nach Bleiburg. Insgesamt waren in dieser Nacht weit über 1.000 Menschen in rund 600 Autos zum Ortstafelstürmen unterwegs, aufgehetzt, gewaltbereit und zur radikalen „Säuberung“ entschlossen. Die Folge: Am 10. Oktober 1972 gab es praktisch keine zweisprachige Ortstafel mehr im Kärntner Unterland. Am 14. Oktober begann die Straßenverwaltung neuerlich mit der Aufstellung von Ortstafeln. Es tauchte die Idee auf, sie mit dem Emblem der österreichischen Fahne zu schmücken, um offenbar den psychologischen Effekt zu erzeugen, dass man sich scheuen würde, sich an einem so „ausgezeichneten“ Staatseigentum zu vergreifen. Ortstafelstürmer, so wurde später erzählt, hätten gleich darauf Erkundigungen eingezogen, wie hoch denn jetzt die Verwaltungsstrafe sei, wenn man erwischt würde. Es wurde auch davon gesprochen, dass die „Belohnung“ für das Ausreißen von Ortstafeln diesem neuen Strafsatz angeblichen würde. Wer so eine „Belohnung“ ausgelobt hatte, wollte niemand sagen. Zur „Beflaggung“ von neuen Ortstafeln kam es nicht. Der Ortstafelsturm ging indes weiter und in der Nacht vom 25. zum 26. Oktober kam es in St. Kanzian neuerlich zu gewaltsamen Aktionen. Rund 300 Leute in ca. 150 Autos waren unterwegs, um zweisprachige Ortstafeln zu stürmen. Ein Bürgermeister wurde von der Gendarmerie als Anführer einer Kolonne Ortstafelstürmer identifiziert. Die illegalen Aktionen wurden bis Jahresende 1972 fortgesetzt, bis keine neuen Ortstafeln mehr aufgestellt wurden. Der Ortstafelsturm versandete durch das Bemühen der Politiker, Kommissionen zu installieren und auf Verhandlungsebene den Konflikt zu befrieden. /17/ Schon zuvor war offensichtlich die Situation den meisten Politikern zu heiß geworden; dem KHD waren die Aktionen schon Anfang Oktober '72 aus dem Ruder gelaufen. Außenpolitische Konsequenzen zeichneten sich ab, da die jugoslawische Regierung, die 1955 auch den Österreichischen Staatsvertrag unterzeichnet hatte, immer deutlichere Depeschen nach Wien schickte und in Ljubljana schon Zehntausende gegen die Kärntner Minderheitenpolitik demonstriert hatten. Das terroristische Kalkül der OrtstafelstürmerNach diesem Überblick über Umfang und Ausmaß des Ortstafelsturmes stellen
sich einige Fragen: 2. Wie wurde der Ortstafelsturm organisiert? Die Ergebnisse meiner eigenen Recherchen vor Ort müssen als Hypothesen formuliert werden, weil sich die konkreten Vorgänge mangels Zeugen, die das auch vor Gericht unter Eid aussagen würden, nicht beweisen lassen: Sicher ist, dass es vereinbarte Treffpunkte gab, zumeist waren es Gaststätten, in denen man sich auch sonst oft traf. Die Information, wann es los geht, wurde vermutlich auf verschiedenen Wegen weiter transportiert, z. B. nach dem Schneeballsystem über Telefonketten, an Vereinsabenden bzw. bei Chorproben, nach Sportveranstaltungen. Der „harte Kern“ sprach sich vermutlich gleich nach jeder Aktion für die nächste Nacht ab. Manche Autos mögen wie Sammeltaxis fungiert haben; man hat sich das Codewort von Fenster zu Fenster zugerufen, „morgen obend pack mas wieda“; oder man gab vor dem Fenster Hupsignale. Vermutlich hatte jede Aktion bzw. jede Kolonne einen Anführer; das war auch notwendig, da sich auch Nicht-Ortskundige an den Aktionen beteiligten (PKW-Kennzeichen aus Oberkärnten und aus anderen Bundesländern wurden gesehen). In einem Fall wurde bekannt, dass Lautsprecher und Funkgeräte im Einsatz waren; in zumindest zwei Fällen haben die Anführer am Treffpunkt „Reden“ gehalten (ein Fall kam zur Anzeige, weil die Versammlung nicht angemeldet war). Planungen und Absprachen waren auch über die „Arbeitsteilung“ notwendig. Es gab zumindest folgende Funktionen: Anführer (mit Ortskenntnis, die wussten, wo welche Tafeln standen, sie konnten auch Sicherungs- und Ablenkungsaufgaben wahrnehmen), Fahrzeuglenker (sie werden später zu Protokoll geben, sie seien nur aus Neugierde mitgefahren; die Leute, die ihnen die Ortstafeln in den Wagen geladen haben, hatten sie noch nie vorher gesehen), Ortstafelträger (Männer, die die abmontierten Ortstafeln in die bereit stehenden Autos luden oder die sie im Klopeinersee oder in der Drau „entsorgten“; manche von ihnen bewahrten die Tafeln als Trophären auf; einige Leute wissen, auf welchen Dachböden heute noch diese Trophäen gelagert werden) und schließlich die Ortstafeldemontierer (da gab es solche, die in Rambo-Manier die Ortstafeln samt Verankerung ausrissen, und solche, die die richtigen Werkzeuge mit führten, damit die Tafeln, ohne beschädigt zu werden, abmontiert werden konnten). Wahrscheinlich gab es auch Organisatoren, die völlig im Hintergrund blieben und die an den Aktionen nicht direkt teilnahmen: sie hatten den Überblick, wo Ortstafeln wieder aufgestellt wurden, welche Strategien und welche Sicherheitsvorkehrungen die Gendarmerie plante; sie gaben die Instruktionen, worauf zu achten ist bzw. mit welchen Strafen zu rechnen ist, bei Sachbeschädigung, bei boshafter Sachbeschädigung, bei einer einzelnen Ortstafel mit oder ohne Rahmen, bei nächtlicher Ruhestörung und Übertretung der Straßenverkehrsordnung usw.; ich vermute, dass den Ortstafelstürmern auch ein „Rechtsschutz“ zugesagt wurde, falls es zu Anklagen käme; und damit war zu rechnen. Der Ortstafelsturm war keine Geheimaktion; jeden Tag stand in der Kleinen Zeitung, wo schon wieder Ortstafeln aufgestellt wurden - und in der SPÖ-Zeitung, Kärntner Tageszeitung, stand dann am nächsten Tag, wo sie gestürmt worden sind. Man darf auch nicht vergessen, dass zwar die meisten Aktionen in der Nacht stattfanden, dass aber meistens JournalistInnen dabei waren, die Blitzlichtaufnahmen machten, zum Teil auch Filmaufnahmen. Das wurde von den Aktivisten natürlich nicht gerne gesehen, auch nicht von den Gendarmen, die sich dann in der Zeitung abgebildet sahen, wie sie untätig den Ortstafelstürmern zusahen oder wie sie lachten, als Bundeskanzler Kreisky und das Ehepaar Sima mit Eiern und Tomaten bzw. abgebrochenen Ortstafeln attackiert wurden. Es soll gegen Ortstafelstürmer angeblich ca. 300 Anzeigen bzw. Zeugeneinvernahmen durch die Gendarmerie gegeben haben. Ich konnte diese Zahl nicht überprüfen und kann sie deshalb nicht bestätigen. Vielleicht waren es 300 Anzeigen gegen „unbekannte Täter“. Die Information, dass bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt in dieser Causa 37 Zeugen-Einvernahmeakten liegen sollen, reduzierte sich schließlich auf die Zahl von 24, die ich durch konkrete Akteneinlagezahlen verifizieren konnte. Alle Verfahren (also auch die gegen die „Ortstafelverzierer“ aus der slowenischen Volksgruppe) wurden ein Jahr später, also 1973, eingestellt oder niedergeschlagen. Keiner der Ortstafelstürmer hatte irgendwelche Konsequenzen zu tragen. 3. Welche Organisationen waren direkt oder indirekt am Ortstafelsturm
beteiligt? 4. Wie haben sich die Kärntner Slowenen während des ca. zwei Monate
dauernden Ortstafelsturmes verhalten? Jemand anderer berichtete, man habe auch Schüsse gehört. (Das kann stimmen,
denn in einem Protokoll gibt ein Gendarm an, dass Ortstafelstürmer aus einem
Auto heraus mit einer Spielzeug-Maschinenpistole Schreckschüsse abgegeben hätten).
Generell war die Aussage so: „Wir blieben zu Hause, machten die Läden zu,
drehten das Licht ab - und hatten einfach schreckliche Angst: Jetzt sind sie
wieder da, die Nazis; hoffentlich kommen sie uns nicht holen.“ /22/ Zusammenfassung: Offene FragenWürde man die analytischen Kategorien von Peter Waldmann anwenden, /23/ so könnte der Ortstafelsturm von 1972 für jene historische Schnittstelle stehen, an der ein illegaler Protest (Schulstreiks von 1958) in eine Terroraktion überging Folgende Merkmale charakterisieren die Ortstafel-Terroraktionen, die - etwas
überspitzt - auch als "irregulärer Krieg der Deutschnationalen gegen eine
sozialdemokratische Regierungsmehrheit" interpretiert werden können: Der Terrorismusexperte Peter Waldmann schreibt: „Strukturell sind offenbar
jene Gesellschaften besonders anfällig für Terrorismus, in denen Probleme
sozialer Integration und kollektiver Identität auftreten und deren Machthaber Mühe
haben, ihre Herrschaft zu legitimieren“. /24/ Wenn der „Heimatdienst“ in dieser Auseinandersetzung schon relativ früh betonte, dass es ihm nicht um einen Angriff auf die slowenische Minderheit gehe, so kann man dazu abschließend nur sagen: Selbst wenn der Angriff auf die zentrale Symbolik der Kärntner Slowenen nicht in der Intention des KHD lag, so ist dennoch die Gesamtwirkung des Ortstafelsturmes von ungleich größerer Nachhaltigkeit gewesen: Es wurden die Grundmauern der demokratischen Verfassung, die Säulen des Staates, Legislative und Exekutive, erschüttert und zum Nachgeben gezwungen; davon war nicht nur die slowenische Minderheit in Kärnten betroffen sondern die demokratische Mehrheit in ganz Österreich; leider haben beide von dieser Beschädigung bis heute kein wirkliches Bewusstsein - sonst wären in der Folge alle Organisationen und Aktionen, die dazu angetan sind, „das Volk“ gegen den Staat und seine Organe aufzuwiegeln und zu mobilisieren, zu verbieten gewesen. Dass dies bis heute nicht geschehen ist, zeigt die Parteien übergreifende Verstrickung der Macht, wenn es um die Umsetzung des Art. 7 des Staatsvertrags geht, und verweist auf die Loyalität der Mächtigen zur „deutschen Volksgemeinschaft“, wenn es um die Minderheitenrechte der slowenischen Volksgruppe geht. Anmerkungen Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 4/2002 |
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