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Hans Hautmann: Der Polizeibericht über die Gründung der KPÖ
Vor achtzig Jahren, am 3. November 1918, wurde die Kommunistische Partei
Österreichs gegründet. Verlässliche Informationen über die Gründungsversammlung
in den Eichensälen in Wien-Favoriten gibt es nur sehr wenige. Der Bericht in
der parteieigenen Zeitung „Weckruf“ vom 9. November 1918 ist verschollen, weil
diese Nummer konfisziert wurde und in keiner Bibliothek mehr vorhanden ist. Man
weiß daher nicht, zu welcher Tageszeit die Versammlung stattfand, wieviele
Personen an ihr teilnahmen, ob es eine Diskussion gab und - wenn ja - was sie
beinhaltete.
Die einzige schriftliche Quelle verbirgt sich in einem Aktendossier unter
dem Titel „Bericht vom 21. November 1918 an den Staatssekretär des Innern
betreffend den Putschversuch vor dem Parlament; gewaltsame Besetzung der Neuen
Freien Presse im Nachhang zum hieramtlichen Bericht vom 14. November 1918“. Er
wurde vom Wiener Polizeipräsidenten Johannes Schober der Staatsanwaltschaft des
Landesgerichts für Strafsachen übermittelt und von mir im Zuge meiner
Recherchen für die Dissertation im Allgemeinen Verwaltungsarchiv eingesehen, wo
er unter der Nummer „856/18 St.a.“ lagerte. (Heute befindet sich der Akt im
„Archiv der Republik“.)
Schober hatte die beiden Parteigründer Karl Steinhardt und Elfriede
Eisler-Friedländer am 14. November 1918 festnehmen lassen, um sie wegen der
Vorfälle am 12. November nach dem § 76 (öffentliche Gewalttätigkeit) und dem §
83 St.G. (Hausfriedensbruch) in den Anklagezustand zu versetzen. Zu diesem
Zweck fügte er dem Bericht acht Schriftstücke bei (Anlagen A bis H), um den
behaupteten Vorwurf zu untermauern, dass die KPÖ am Tag der Gründung der
Republik gewaltsam und putschartig an die Macht zu kommen versucht habe. (Aus
der Anklage gegen Steinhardt und Eisler-Friedländer wurde übrigens nichts, und
beide gingen schon nach wenigen Tagen wieder frei. Dessen ungeachtet fand die
Putschbehauptung analog zu den „Interpretationen“ der Ereignisse des 17. April
1919, des 15. Juni 1919 und des September/Oktober 1950 Eingang in den eisernen
Bestand jeglicher nichtkommunistischen österreichischen Geschichtsschreibung.)
Die Anlagen A bis H sind teils Einvernahmeprotokolle - so mit dem Rechtsanwalt
Dr. Armand Eisler, dem Onkel von Elfriede Eisler-Friedländer (A), und mit dem
Leutnant Erich Osternig, der als Angehöriger der „Roten Garde“ an der Besetzung
der Redaktionsräume der „Neuen Freien Presse“ beteiligt gewesen war (B) - ,
teils Sachverhaltsdarstellungen der Polizeibeamten Dr. Pamer (D) und Strobel
(E) sowie Abschriften der ersten drei Flugblätter, die die KPÖ am 7. November
1918 in Wien verbreitet hatte (F,G,H).
Als Anlage C scheint jedoch ein Schriftstück auf, das bei der Durchsuchung der
Wohnung Karl Steinhardts gefunden wurde und das, wie es im Polizeibericht
heißt, „offenbar einen Teil eines Sitzungsprotokolls der kommunistischen Partei
darstellt“. Es ist undatiert und enthält auch sonst keine näheren Angaben.
Dennoch war mir als jungem Studenten aus dem Passus „Gründung der
kommunistischen Organisation“ sofort klar, damit die - wenngleich
fragmentarische, so doch einzige und wichtigste - schriftliche Unterlage von
der Gründungskonferenz der KPÖ am 3. November 1918 vor mir zu haben.
Das Dokument, das den handschriftlichen Eintrag „Vorsitzender: Riss (richtig:
Riehs, H.H.), Schriftführer: Hacker“ enthält, ist offenbar von dem besagten
Hacker angefertigt und Steinhardt übergeben worden. (Ein „Hacker“ scheint als
Mitglied der Partei bzw. deren Führung weder damals noch später irgendwo auf;
möglicherweise haben wir es mit einem Decknamen zu tun.)
Auszugsweise in der Dissertation und ihren beiden Druckfassungen bereits
zitiert /1/, soll die Anlage C nun erstmals in vollem Wortlaut wiedergegeben
werden.
Gen. Steinhardt erklärt den schwachen Besuch unserer Versammlung daraus, daß
nur Vertrauensleute teilnehmen und die Soldatenvertreter durch Teilnahme an den
Wahlen in die Soldatenräte verhindert waren zu erscheinen. /2/
Tagesordnung: 1) Gründung der kommunistischen Organisation. 2) Eventuelles
Steinhardt: Wir müssen rechtfertigen, warum wir beisammen sind. Wir alle waren
und sind Sozialdemokraten, das heißt, wir alle sind mit dem Programm der alten
Sozialdemokratie, deren Basis im kommunistischen Manifest gelegt wurde, Leib
und Seele. Zu Beginn des Krieges ergriff die führenden Parteigenossen eine
Krankheit, in der sie sich bemühten, die bisher anerkannte Taktik zu
verleugnen. Am weitesten ist die deutsche Sozialdemokratie damit gekommen. Der
österreichischen Sozialdemokratie war es nicht möglich, sich so zu
prostituieren, weil das österreichische Parlament geschlossen war. Jener Teil
der Sozialdemokraten, welcher mit den Ausbrüchen der Führenden der Mehrheit
nicht einverstanden war, war in eine qualvolle Lage geraten. Soll er Disziplin
üben und sich beugen, alles mitmachen, was ihm durch Mehrheitsbeschlüsse
aufgezwungen wurde? Ein Teil beugte sich, blieb innerhalb des Parteirahmens,
murrte und tobte so seinen Widerspruch gegen die Partei aus. Ein anderer Teil
zog sich zurück und wartete auf bessere Zeiten. Und eine kleine Gruppe von
aufrechten Menschen blieb bei ihrer Fahne und beschloß, das durchzuführen, was
das Programm war. Die kleine Gruppe hat im Verlauf des Krieges schwere, harte
Arbeit geleistet und große Opfer gebracht. Der Jännerstreik wurde von dieser
kleinen Gruppe der Linksradikalen geleistet. Die geistigen und wirklichen
Urheber der großen und ehrenvollen Bewegung der österreichischen Arbeiterschaft
waren die Linksradikalen. Wir haben Opfer dieser Bewegung, die erst dieser Tage
die Gefängnismauern verlassen haben. Sie wissen, wie diese Opfer im Jänner und
Juni/3/ sowohl in der Presse wie in Vertrauensmännersitzungen der Partei
gebrandmarkt wurden. Man hat sie sogar bei der Behörde denunziert. Es genügt
uns, aufzuzeigen, was jetzt geschieht, um daraus zu erkennen, daß wir uns nicht
mit der Partei/4/ einverstanden erklären dürfen, sondern gegen dieselbe offen
auftreten müssen, auf breitester Basis und vor dem breitesten Forum der
Öffentlichkeit.
Und so haben wir uns entschlossen, uns eine Presse und eine Organisation zu
geben. Wir haben die Verpflichtung, die Volksmassen auf die Gefahr aufmerksam
zu machen, die sie bedroht. An Stelle der bürgerlichen Umwälzung müssen wir die
soziale fordern.
Man ruft uns zu/5/ : Ihr macht die Arbeit der Gegner, denn ihr zwingt uns,
gegen euch vorzugehen und den Bürgerlichen zu helfen, und ihr verzögert dadurch
das, was auch wir wollen, den Sozialismus. Sie sagen, sie wollen noch immer den
Sozialismus, aber sie halten das jetzt nicht für geeignet, und wir fragen: ja
wann sind wir denn reif dazu?
Um den Kampf mit der organisierten Macht aufnehmen zu können, müssen wir uns
selbst organisieren und eine Partei bilden, die kommunistische Partei, die
nichts anderes will, als was die Sozialdemokratie in ihrer Jugend wollte. Wir
müssen alle kleinen, bisher nicht öffentlichen arbeitenden Gruppen
zusammenfassen und ein Organ, den „Weckruf“, herausgeben. In der neuen
Organisation muß die Autokratie, wie sie in der alten Partei herrscht, beseitigt
werden; das politische Primadonnenwesen darf nicht auch in unserer zu
gründenden Organisation zersetzend wirken. Alle Arbeitenden, welcher Form
immer, müssen bei uns sein; ob sie nun in den Werkstätten oder in den Fabriken,
oder als Intellektuelle tätig sind. Die dritte Gruppe sind die Jugendlichen.
Besonders wichtig ist in dem schweren Kampfe, der uns bevorsteht, unser Schutz
- die „Rote Garde“. Zwar sind wir noch wenig, aber unsere russischen Genossen
waren auch eine kleine Gruppe, bis sie im historischen Moment, nachdem ihnen
das Proletariat zugeströmt war, die Macht an sich rissen.
Redner stellt nun folgende Anträge: 1. Wahl eines Organisationskomitees und 2.
Wahl von Vertrauenspersonen für die Pressekommission.
Anmerkungen:
1/ Hans Hautmann, Die Anfänge der linksradikalen Bewegung und der
Kommunistischen Partei Deutschösterreichs 1916 - 1919 = Veröffentlichungen der
Arbeitsgemeinschaft für Geschichte der Arbeiterbewegung in Österreich 7, Wien
1970, S. 44f.; Hans Hautmann, Die verlorene Räterepublik. Am Beispiel der
Kommunistischen Partei Deutschösterreichs = Europäische Perspektiven,
Wien-Frankfurt-Zürich 1971, S. 80f.
2/ Laut Aussagen von Leopold Hornik und Friedrich Hexmann, die dazu von mir
1968 befragt wurden, nahmen an der Gründungsversammlung vierzig bis fünfzig
Personen teil. Namentlich verbürgt ist aber nur die Anwesenheit von Karl
Steinhardt, Elfriede Eisler-Friedländer, Paul Friedländer, Otto Maschl, Jakob
Riehs, Eichinger, Mönch, Sacher, des „Hacker“ und von zwei Mitgliedern der
Partei der Bolschewiki, des Russen Leo Suniza und des Serben Filip Filipovic.
Suniza hielt angeblich ein „Schlussreferat“, dessen Inhalt nicht überliefert
ist, jedoch im Namen der Kommunistischen Partei Russlands eine „herzliche
Zustimmungserklärung“ enthielt. Siehe: Lucien Laurat (d.i. Otto Maschl), Le
parti communiste autrichien, in: Contributions à l’ histoire du Comintern,
hrsg. von Jacques Freymond, Genf 1965, S. 74; Der Abend, 9. November 1918.
3/ Die Bemerkung bezieht sich auf die beiden großen Streikaktionen der
österreichischen Arbeiterinnen und Arbeiter im Jänner und Juni 1918, in deren
Verlauf Anhänger der Richtung der Linksradikalen festgenommen wurden. Sie
blieben bis zum Novemberumsturz im Wiener Landesgericht in Untersuchungshaft.
4/ Wenn Steinhardt vorher, hier und danach von „Partei“ spricht, meint er damit
die österreichische Sozialdemokratie.
5/ Steinhardt gibt hier die Argumente wieder, die damals von
sozialdemokratischer Seite gegen die Gründung einer Kommunistischen Partei ins
Treffen geführt wurden.
Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 3/1998
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