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Hans Hautmann: Die Weltjugendfestspiele 1959 in Wien
Im Sommer 1999 jährt sich zum vierzigsten Mal ein Ereignis, das allen
Beteiligten bis heute unvergessen ist: die „VII. Weltfestspiele der Jugend und Studenten
für Frieden und Freundschaft“, die vom 26. Juli bis 4. August 1959 in Wien
stattfanden. Mit der erstmaligen Abhaltung in einem kapitalistischen Land
startete die Festivalbewegung einen Versuch, dessen organisatorische wie
politische Risken beträchtlich waren. Dank des Engagements tausender
Helferinnen und Helfer aus den Reihen der FÖJ, von Mitgliedern und
SympathisantInnen der KPÖ und anderer befreundeter Organisationen konnte aber
das Wiener Festival ohne größere Störungen und mit Erfolg abgewickelt werden.
Die Vorgeschichte
Die Idee, Weltjugendfestspiele abzuhalten, entstand kurz nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges. Sie war die Frucht der Erfahrungen des antifaschistischen
Kampfes, des Zusammenwirkens über parteipolitische Gräben hinweg für gemeinsame,
alle Menschen verbindende Ziele: in Zukunft einen solche Katastrophe wie den
Zweiten Weltkrieg zu verhindern; die Jugend für Frieden, Freundschaft,
Verständigung, gegen Wettrüsten und atomare Bedrohung zu einen; sich zum
friedlichen Nebeneinanderleben der Völker verschiedener Gesellschaftssysteme zu
bekennen; und Solidarität mit der Jugend der kolonialen und halbkolonialen
Länder der Dritten Welt zu üben.
Initiatoren der Bewegung waren der „Weltbund der demokratischen Jugend“ (WBDJ),
der sich im November 1945 in London unter Teilnahme von Delegierten aus 63
Ländern gründete, und der ebenfalls 1945 ins Leben gerufene „Internationale
Studentenbund“ (ISB). In beiden Organisationen übten Kommunistinnen und
Kommunisten die Dominanz aus, nicht infolge usurpatorischer Machenschaften,
sondern als Konsequenz ihrer international führenden Rolle im
antifaschistischen Kampf.
Der Grundgedanke der Weltjugendfestspiele war, daß junge Menschen aus allen
Kontinenten zusammenkommen, sich kennenlernen, einen Meinungs- und
Erfahrungsaustausch in den Fragen des Berufs, des Studiums und der
Freizeitgestaltung pflegen, religiöse und weltanschauliche Probleme
diskutieren, Mittel und Wege suchen, wie sie am besten gegen Kriegsgefahr,
Faschismus, Kolonialismus und Rassismus kämpfen. Auf künstlerischem und
sportlichem Gebiet sollten sie Veranstaltungen auf höchstem Niveau sein,
Treffen der Delegationen aller Länder mit ihren besten Künstlern und
Kulturgruppen, mit ihren besten Sportlern./1/
Die ersten Weltjugendfestspiele fanden im Sommer 1947 in Prag statt. Ihnen
folgten in einem Zweijahresabstand die Festivals in Budapest (1949), Berlin
(1951), Bukarest (1953), Warschau (1955) und Moskau (1957).
Die Vorbereitung
Das Moskauer Festival, mit 35.000 Teilnehmern das bis dahin größte,
prächtigste und bestorganisierte, hatte die volle Unterstützung der
Sowjetregierung genossen. Es setzte Maßstäbe, die späterhin unerreichbar waren.
Dennoch faßte man schon in Moskau den Entschluß, die nächsten
Weltjugendfestspiele in der Metropole eines nichtsozialistischen Staates
durchzuführen. Angeblich waren es die Delegierten aus den Entwicklungsländern,
die darauf drängten./2/ Ihr Wunsch stieß auf nur wenig Widerstand, weil auch
die Führung des WBDJ und des ISB ein Signal setzen wollte und einen solchen
Plan als praktisches Beispiel der weltweit an Einfluß gewinnenden Idee der
friedlichen Koexistenz verfolgte.
Schon am 18. Dezember 1957 wurde in Wien auf einer vorbereitenden Sitzung des
WBDJ ein Initiativkomitee gegründet. Seine wichtigsten Aufgaben waren ein
offizieller Antrag an die österreichische Bundesregierung um Durchführung der
VII. Weltfestspiele in Wien und die Einberufung einer Konferenz zur
Konstituierung des „Internationalen Vorbereitungskomitees“ (IVK). Diese fand im
März 1958 in Stockholm statt; auf ihr waren 130 Delegierte und Beobachter aus
54 Ländern vertreten. Die eigentliche organisatorische Vorbereitung oblag der
„Ständigen Kommission“ des IVK. Sie setzte sich aus acht Personen zusammen:
Valentin Vdovin, Sekretär des Komsomol der UdSSR; Bruno Bernini, Präsident des
WBDJ; Jean Garcias, Sekretär der „Ständigen Kommission“; Werner Lamberz,
Sekretär des Zentralrats der FDJ; Jiri Pelikan, Vorsitzender des ISB; sowie
drei Vertreter aus China, Bulgarien und Chile.
Da in Österreich zum ersten Mal in der Geschichte der Weltjugendfestspiele
nicht der gastgebende Staat und staatliche Jugendverbände für die Organisation
verantwortlich zeichneten, mußten KPÖ und FÖJ einen beträchtlichen Teil der
Vorbereitungsarbeiten übernehmen. Zu diesem Zweck bildete sich ein
„Österreichisches Organisationskomitee“, bestehend aus Universitätsprofessor
Dr. Walter Hollitscher (Vorsitz), Karl Reiter (Bundessekretär der FÖJ), Oskar
Reichenberger (Funktionär von Kinderland-Junge Garde) und Margarete
Schütte-Lihotzky (Vorsitzende des Bundes Demokratischer Frauen)./3/ Drei
österreichische Parteifirmen teilten sich die verwaltungstechnischen Agenden:
die Estate GmbH, das Reisebüro Josefstadt und die Metros GmbH. Rechtsberater
des Komitees war Dr. Heinrich Dürmayer, von 1945 bis 1947 Leiter der Wiener
Staatspolizei.
Daß es damit nicht sein Bewenden haben konnte, lag auf der Hand. Man benötigte
Betreuer, Dolmetscher, Ordner, Organisatoren für Quartiere und Ausspeisungen,
Ärzte, Krankenschwestern, Führerscheinbesitzer mit und ohne Auto, überhaupt
alle, die bereit waren, ihre Kraft und Zeit zur Verfügung zu stellen. Die Zahl
der männlichen und weiblichen Helfer aus den Reihen der KPÖ, FÖJ und
befreundeter Organisationen, nicht nur aus Wien, sondern aus allen
Bundesländern, ging in die Tausende. Auch der Autor dieses Artikels, damals
sechzehnjährig, machte mit und betätigte sich als einer von vielen
Fahnenträgern bei der Eröffnungsfeier im Stadion und bei den Matches des
Volleyballturniers in der verantwortungsvollen Funktion eines „Outwachlers“.
Die Haltung Österreichs
Der Antrag auf Durchführung der VII. Weltjugendfestspiele in Wien wurde von
der österreichischen Bundesregierung im März 1958 durch einstimmigen
Ministerratsbeschluß genehmigt. In der Antwort hieß es u.a., daß die Regierung
keinen Anlaß habe, die Abhaltung des Festivals abzulehnen, sofern die
Veranstaltung und ihr Programm nicht gegen österreichische Gesetze
verstoßen./4/ Dieses Versprechen wurde vom „Internationalen
Vorbereitungskomitee“ gegeben. Bundeskanzler Raab erklärte am 14. Mai 1958 in
Reaktion auf die schon zu dem Zeitpunkt vehement einsetzende Gegenkampagne und
Kritik an der Entscheidung der Regierung, daß Österreich „als freier
demokratischer Staat garnicht anders handeln kann, ...denn sonst müßten alle Kongresse,
von welchen auch nur im entferntesten angenommen werden könnte, daß sie nach
einer politischen Richtung tendieren, verboten werden“./5/ In einer Radiorede
gab Raab seiner Überzeugung Ausdruck, daß die Zusage „sowohl unserer
außenpolitischen Konzeption entspricht, wie auch, daß der überwiegende Teil der
Bevölkerung dafür Verständnis haben wird“./6/ Vizekanzler Pittermann erklärte:
„Je mehr die Jugend der verschiedenen Länder in einer friedlichen Situation
zusammenkommt, umso früher wird das Mißtrauen schwinden. Eben deshalb hat die
österreichische Regierung die Erlaubnis gegeben, die VII. Weltfestspiele der
Jugend und Studenten in Wien durchzuführen“./7/ Außenminister Figl meinte, daß
„sich der Westen nicht durch künstliche Barrieren abschließen und die Idee, für
die er kämpft, anderen vorenthalten darf. Österreichs Stellung zwischen Ost und
West verpflichtet uns, nach unseren bescheidenen Möglichkeiten an dem Ausgleich
der Gegensätze mitzuwirken“./8/
Die Haltung der österreichischen Bundesregierung war ambivalent. Einerseits
ließ sie unverhohlen durchblicken, daß sie über die Wahl Wiens als
Austragungsort alles andere denn entzückt war und sie als Aufdrängung empfand.
Andererseits war ihr bewußt, daß verfassungsrechtlich, als Demokratie mit
gleichen Grund- und Freiheitsrechten für alle, und politisch als immerwährend
neutraler Staat eine Ablehnung für Österreich nicht in Frage kommen konnte.
Zudem wollte sie mit ihrer positiven Antwort die Beziehungen zur Sowjetunion,
die während der Ungarn-Ereignisse 1956 durch das Gewähren von Waffenschmuggel
und sonstigen antikommunistischen Aktivitäten an Spannungen gelitten hatten,
wieder verbessern. Vor allem ging es ihr aber darum, dem vielbeschworenen,
taxfrei sich selbst verliehenen Bild Österreichs in der Welt als eines Landes
traditioneller Gastfreundschaft und eines Volkes, das Andersdenkenden stets
aufgeschlossen und Fremden grundsätzlich ressentimentlos gegenübertritt, keinen
Schaden zuzufügen.
Man verhielt sich somit in der Festival-Frage „neutral“ und unterstützte weder
das Vorbereitungskomitee - ausgenommen bei der Schaffung der allgemeinen
Rahmenbedingungen wie Visaerteilung für die Teilnehmer und der normalen
Abwicklung des Programms - noch regierungsoffiziell die Anti-Festivalbewegung.
Beide wurden als „Privatangelegenheiten“ deklariert. Kein Interesse hatte man
aber daran, es zu Zusammenstößen oder gar tätlichen Auseinandersetzungen kommen
zu lassen, wobei die Besorgnis darüber sich weit mehr auf die Träger der
geplanten Gegenaktionen als auf die Festspielverantwortlichen selbst
konzentrierte. Die Wiener Polizei wurde deshalb instruiert, ostentative
Provokationen möglichst hintanzuhalten, den Festivalteilnehmern taktvoll
entgegenzukommen und dafür zu sorgen, daß die Veranstaltung ohne Skandale,
ruhig und geordnet über die Bühne ging.
Die Gegenkampagne
Der Protesthagel gegen die Bundesregierung setzte sofort nach dem
Bekanntwerden ihrer Entscheidung ein. Zur Illustration des Tons, dessen man
sich befleißigte, sei Hans Dichand zitiert, der unter seinem schon damals
obligaten Lieblingspseudonym „Cato“ schrieb: „Wien steht ein kommunistischer
Propagandarummel größten Ausmaßes bevor, wenn die ‘Weltfestspiele 1959’
tatsächlich hier stattfinden sollten... Hat Wien es notwendig, zum Tummelplatz
kommunistischer Agitatoren zu werden, muß die österreichische Bundeshauptstadt
die erste Metropole der freien Welt sein, in der kommunistische
Massenpropaganda der ärgsten Sorte betrieben werden kann? Gewiß, Österreich ist
ein neutrales, demokratisches Land, in dem Versammlungsfreiheit herrscht, in
dem die auf Zerstörung der Demokratie abzielende KP noch immer als legale
Partei gilt (!) und wo man sich bemüht, internationalen Komplikationen aus dem
Wege zu gehen. Das darf aber nicht Anlaß werden für eine wenn auch indirekte
Unterstützung kommunistischer Propagandabestrebungen. Das ist jedoch bereits
geschehen. Wie man hört, bestehen schon ‘sehr positive’ Kontakte zwischen dem
vorbereitenden Komitee der Festspiele und den österreichischen
Regierungsstellen sowie der Wiener Stadtverwaltung. Aber so geht das nicht!
...Man spricht so viel vom notwendigen Schutz unserer Neutralität, unserer
Demokratie, unserer Freiheit. Sorgen wir diesmal selbst für diesen Schutz!“/9/
Mit den Worten: „Wien: Geschäft mit dem Henker blüht (!) / Das alles erwartet
uns bei den kommunistischen ‘Jugendfestspielen’ / Wink von oben und gute Kassa
wirken“ schlagzeilte der „Expreß“ Gerd Bachers einen Brandartikel und schrieb:
„Mit der Wiener Stadthalle wird wegen sieben Abenden verhandelt. Fünf Tage soll
die große Haupthalle an die Kommunisten vermietet werden... Das Konzerthaus,
der Musikverein und der Messepalast sollen bereits mit den Sowjet-Burschis (!)
abgeschlossen haben. Von den einzelnen Direktoren wird erklärt, daß sie einen
‘leichten Wink’ von oben bekommen hätten. Überall wundert man sich, daß die
Bundesregierung so schnell den kommunistischen Jugendfestspielen zustimmte...
‘Wir haben noch nie so günstige Abschlüsse gemacht’, versichern die Manager der
vermieteten Säle und Hallen. Ob die Wiener auch der Ansicht sein werden, daß es
ein gutes Geschäft ist, gegen Rubel die Gesinnung zu verkaufen, ist eine andere
Sache“./10/
In der Tour ging es wochenlang dahin. Die Aufregung ist ein Indiz dafür, daß
damals im „Westen“ noch keineswegs das Gefühl herrschte, in der weltweiten
Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus - firmierend als Kampf
von „Freiheit und Demokratie“ gegen die „totalitäre Diktatur“ - die Oberhand zu
behalten. In der Zwischenzeit war der Sputnik in den Himmel aufgestiegen, die
Sowjetunion hatte mit ihren Interkontinentalraketen das atomare Patt und
strategische Gleichgewicht hergestellt, der Befreiungskampf der kolonialen
Völker Afrikas, an der Spitze Algeriens, näherte sich unaufhaltsam dem Sieg.
Der Imperialismus mußte Positionen aufgeben und befand sich in der Defensive.
In verkleinertem Maßstab widerspiegelte sich das in Österreich als hysterische
Berührungsangst gegenüber den Weltjugendfestspielen und in der strikten
Ablehnung der Einladung des Vorbereitungskomitees an den Bundesjugendring und
die Hochschülerschaft, an ihnen teilzunehmen.
Die Drahtzieher
Welche Mittel gegen das Festival angewandt werden sollten, war Gegenstand
der Beratung von sieben Herren im Frühjahr 1958 in einem Hotel in Meran. Einer
von ihnen, Fritz Molden, dazumal Herausgeber der „Presse“, hat darüber
detailliert berichtet./11/ Die anderen waren Christian Broda, Ex-Kommunist und
späterer langjähriger SPÖ-Justizminister; Klaus Dohrn, ein „großer, rundlicher
Herr, der für Henry Luces Time-Life-Konzern internationale Verbindungen
knüpfte“/12/; der Wiener Bankier Georg Fürstenberg; C.D. Jackson, Vizepräsident
des Time-Life-Konzerns aus New York; Bruno Kreisky, Staatssekretär im
Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten; und Peter Strasser, SPÖ-Nationalratsabgeordneter
und Vorsitzender der Sozialistischen Jugend Österreichs. Was sie einte, war der
Antikommunismus - Moldens Worten zufolge das Ziel, daß „der Gedanke der
Freiheit hochgehalten, gestützt und womöglich weiterverbreitet werden
müsse“./13/ Das Gremium faßte nach längerer Diskussion folgende Beschlüsse:
1) Den etwa 18.000 Teilnehmern am Festival „nicht negativ, sondern positiv“ zu
begegnen, durch „konstruktive“ Veranstaltungen, die, parallel zum Festival
abgehalten, den Teilnehmern zeigen sollten, „wie die freie Welt wirklich
aussieht und war sich in ihr abspielt“.
2) Eine Zeitung mit dem Titel „Wiener Nachrichten“ herauszugeben, die in sieben
Sprachen während der gesamten Dauer des Festivals jeden Morgen erscheinen und
an die Festivalteilnehmer verteilt werden sollte. Als Mitarbeiter fungierten
„mit viel Begeisterung“ Leute wie Gerd Bacher, Hellmut Andics, Claus Gatterer,
Wolf In der Maur, Hans Janitschek u.a./14/, also die Creme der
antikommunistischen Boulevardjournalistik und die späteren Beherrscher des
Mediums ORF.
3) An möglichst vielen öffentlichen Plätzen Wiens (Stephansplatz, Praterstern,
Karlsplatz usw.) Informationsstellen zu errichten.
4) In Konkurrenz zum Festival künstlerische Veranstaltungen durchzuführen sowie
„regelmäßig Gottesdienste der verschiedenen Konfessionen“ abzuhalten.
5) Durchzusetzen, daß die österreichische Presse über die Weltjugendfestspiele
während deren Dauer mit keinem Wort berichtet und eine „freiwillige Solidarität
des Schweigens“ eingeht./15/
Die hierfür nötigen finanziellen Mittel stellten zahlreiche Institutionen zur
Verfügung, „egal ob sie nun den internationalen oder den österreichischen
Gewerkschaftsorganisationen nahe standen, ob es sich um Verbände der
Handelskammern und der Industrie handelte oder um Vereine, die den Kirchen oder
den politischen Parteien zugehörig waren“. Molden setzt fort: „Wir konnten auch
durch unsere amerikanischen und westeuropäischen Freunde im Ausland größere
Spenden auftreiben, so daß wir schließlich über ein ausreichendes Budget
verfügten, um zusammen mit unseren eigenen Mitteln die geplanten
Veranstaltungen durchführen zu können“./16/
Die Anti-Aktionen
Im Frühjahr 1959 kam die Kampagne ins Rollen. Die Österreichische
Hochschülerschaft, zu der Zeit noch ein stockkonservatives bis rechtsradikales
Gremium mit einer Zweidrittelmehrheit von ÖVP- und FPÖ-Vertretern, führte am 6.
März einen „Hörerstreik“ durch. Die Rektorenkonferenz erklärte ihre Solidarität
und rief die Professoren auf, im Zeichen des Protestes gegen das „kommunistische
Festival“ an dem Tag keine Vorlesungen abzuhalten./17/ Sie wurde dabei von
Unterrichtsminister Drimmel wohlwollend unterstützt, der eigentlich dagegen
wegen Verstoßes gegen das Beamtendienstrecht einzuschreiten verpflichtet
gewesen wäre.
Am 7. März 1959 veranstaltete eine „Aktionsgemeinschaft junges Leben“,
bestehend aus katholischen und sozialdemokratischen Jugend- und
Studentenorganisationen, eine Kundgebung auf dem Heldenplatz und daran
anschließend einen „Schweigemarsch“ über die Ringstraße zum Schwarzenbergplatz.
Die Parolen auf den Transparenten lauteten: „Für Glaubensfreiheit in allen
Satellitenstaaten“, „Wir beten für die schweigende Kirche“, „Gestern Ungarn,
heute wir?“, „Geistige Neutralität bedeutet Selbstmord“, „Wir denken an Pal
Maleter und Boris Pasternak“, „Erst Freiheit - dann Festspiele“ und „Hab acht
du Jugend aus Afrika, Amerika und Asien vor dem Wolf im Schafspelz“./18/
Das „Aufklärungsprogramm“ während des Festivals beinhaltete die Vorführung von
Filmen „ohne Zensur“, z.b. von „Ninotschka“ mit Greta Garbo sowie
Dokumentarfilmen wie „Ungarn in Flammen“ und vom Prozeß gegen den Kardinal
Mindszenthy; eine große Ausstellung im Künstlerhaus unter dem Motto „Freiheit -
Toleranz - Demokratie“ mit Leseecken; Informationskioske an den Hauptverkehrspunkten
(auf der Ringstraße, bei den Bahnhöfen etc.), die ganze Bibliotheken mit
„verpönter Literatur“ an die Teilnehmer aus den Volksdemokratien verschenkten
(von der Bibel bis zu Pasternaks „Doktor Schiwago“ und Djilas’ „Die neue
Klasse“); das Kreisen von Flugzeugen mit Spruchbändern über Wien;
Rock-and-Roll- und Jazzkonzerte, von denen man sich eine besondere
Anziehungskraft versprach; Messen zur „Anbetung an die verfolgte Kirche hinter
dem Eisernen Vorhang“, Hochämter und Beichtdienste in den Kirchen; eine
Gedenkfeier im Konzentrationslager Mauthausen, die im Zeichen der
Totalitarismus-Doktrin und der Gleichstellung mit „Lagern in den kommunistisch
beherrschten Ländern“ stand; sowie tägliche Busfahrten zur
österreichisch-ungarischen Grenze, um den Festivalteilnehmern die Wachtürme und
Stacheldrahtverhaue zu zeigen./19/
Die Antwort
Die Festivalveranstalter ebenso wie die KPÖ und FÖJ rechneten
selbstverständlich mit solchen Aktionen und waren auf sie vorbereitet. In einem
etwas kleinlauten Artikel von Hans Zerbs in der „Presse“, in dem er eine Bilanz
zog, hieß es, daß „österreichische Kommunisten für einen hilfspolizeilichen
Ordnerdienst“ gesorgt hätten, um die Zeltlager am Stadtrand und die Wohnschiffe
im Freudenauer Hafen abzuschirmen; daß sie sich den hitzigen Diskussionen auf
den Straßen und Plätzen stellten und „ernstzunehmende Widersacher“ gewesen
seien; daß man die Festivalteilnehmer offenbar instruiert habe, den Empfang von
Propagandamaterialien der Gegner „höflich, aber bestimmt abzulehnen“; und daß
„Hunderte Deutsch, Tschechisch oder Ungarisch sprechende Helfer“ zehn Tage lang
um Altersgenossen gerungen hätten, „deren Weltbild kaum mehr erschüttert zu
werden vermag“. Nur bei den Delegierten aus den Entwicklungsländern, die noch
nicht allesamt „hoffnungslos kommunistische Mitläufer“ seien, hätte man eine
gewisse Resonanz gefunden, „obwohl sie sich zweifellos besonders anfällig“ für
die sozialistischen Ideen zeigten. Zerbs schloß: „Am Abend nach dem Abreisetag
hatten sechs junge Leute in Wien um Asyl angesucht, und das ist doch nur ein
Promille derer, die hier waren. Vielleicht hatte sich der Westen, die Situation
nicht richtig einschätzend, in dieser Hinsicht mehr erwartet“./20/
Und Günther Nenning schrieb im September 1959 in Friedrich Torbergs „Forum“,
daß den Kommunisten der Nachweis gelungen sei, auch auf nichtkommunistischem
Territorium eine Propagandaveranstaltung abhalten zu können, „bei der die von
ihnen Geführten ihrer Führung nicht entgleiten“. Als Lehre zog der das Fazit:
„In der Tat ist es höchste Zeit, daß der mit den Mitteln der Defensive, des
Boykotts und der Abstinenz operierende Antikommunismus begraben wird. Genau das
obliegt der Jugend. Sie wird ihn durch einen Antikommunismus der Offensive, der
Infiltration und der geistigen Aggression zu ersetzen wissen“./21/
Die offene Auseinandersetzung zwischen zwei Ideologien, die den äußeren Formen
nach in Wien im großen und ganzen friedlich und ohne gewaltsame Zwischenfälle
verlief, machte die Tage des Festivals für alle Beteiligten zu einem ungewöhnlichen,
aufregenden Erlebnis. Daß das so war, beruhte nicht zuletzt auch auf der
Bereitschaft der KPÖ- und FÖJ-Mitglieder, sich der Konfrontation zu stellen.
Der Sekretär der KPÖ, Friedl Fürnberg, hatte sie in seinem Referat auf der 11.
Plenartagung des Zentralkomitees am 27. und 28. September 1958 gefordert, als
er sagte: „Wir haben natürlich nichts gegen solche Diskussionen, im Gegenteil.
Wir suchen sie. Und im Programm sind sie auch vorgesehen. Je mehr Diskussionen
mit Gegnern sein werden, umso größer wird der Erfolg sein, weil wir fest
überzeugt sind, daß unsere Argumente stärker sind“./22/
Die Leistung ist umso bemerkenswerter, als drei Monate vor dem Festival die KPÖ
eine herbe Niederlage einstecken mußte: sie verfehlte bei den
Nationalratswahlen am 10. Mai 1959 das Grundmandat und war zum ersten Mal seit
1945 nicht mehr im Parlament vertreten.
Trotz des großen Aufwands und üppiger finanzieller Unterstützung erreichten die
Gegner ihre unmittelbaren Ziele nicht, vor allem nicht, möglichst viele Delegierte
aus den sozialistischen Ländern zum „Abspringen“ zu bewegen. Mittelbar und
langfristig hatte hingegen die Strategie, auf die Vorzüge der „westlichen
Lebensweise“, die „vollen Geschäfte“, den „Wohlstand“ mit Auto, Fernsehapparat,
Urlaubsreisen ins Ausland usw. zu setzen, aber sehr wohl Erfolg. Das Wiener
Festival von 1959 war hier nichts weniger als der weltweit erste, von den
Vordenkern der „elastischen“ Fraktion des antikommunistischen Lagers getestete
Probegalopp.
Das Programm
Das Festprogramm war eine stattliche, nicht weniger als 62 Seiten umfassende
Broschüre. Nimmt man sie heute zur Hand, nötigt einem die dahinter steckende
organisatorische Leistung restlose Bewunderung ab. In den zehn Tagen des
Festivals fanden an die 800 Veranstaltungen statt: künstlerische Darbietungen
mit den Kulturprogrammen der Delegationen aus insgesamt 112 Ländern aller
Kontinente, Filmvorführungen, Freundschaftstreffen zwischen den Delegationen,
Berufstreffen junger Bauarbeiter, Metallarbeiter, Lehrer usw., Interessentreffen
junger Philatelisten, Fotoamateure, Esperantisten und Flugmodellbauer,
sportliche Wettkämpfe in Fußball, Leichtathletik, Basketball, Schwimmen,
Volleyball, Radfahren, Handball, Schach und Tischtennis, Ausstellungen
bildender Kunst, Volkskunst und Fotografie, internationale Musikwettbewerbe in
Komposition, Gesang, Laienchören, Klavier, Ballett, Streich- und
Blasinstrumenten sowie wissenschaftliche Seminare zu den verschiedensten Themen
unter Teilnahme sowjetischer Akademiemitglieder wie des weltbekannten Biologen
Alexander Oparin und des britischen Physikers und führenden Repräsentanten der
Friedensbewegung John Desmond Bernal.
Orte der Veranstaltungen waren die Stadthalle, der Messepalast, die
Räumlichkeiten des Musikvereinsgebäudes, Konzerthauses und der Sofiensäle, das
Ronacher, Raimundtheater und der Kursalon, der Volksgarten und der Volksprater,
neunzehn Freilichtbühnen auf Plätzen der Wiener Arbeiterbezirke (z.B. vor dem
Karl-Marx-Hof), mehrere Kinos (Burg-, Forum-, Flotten-, Künstlerhaus- und Kolosseum-Kino),
Sportplätze wie die Radrennbahn, der Trai-ningsplatz des Wiener Stadions, der
Sokolplatz in Favoriten und das Stadionbad, Säle in Gastwirtschaften wie im
Bayrischen Hof und eine große Bühne auf dem Inundationsgebiet bei der
Floridsdorfer Brücke. Auch in Städten außerhalb Wiens, in Linz, Wiener Neustadt
und St.Pölten, traten ausländische Delegationen mit ihrem Festprogramm auf.
Die künstlerischen Darbietungen waren hochkarätig: das Leningrader Ballett mit
„Schwanensee“ und „Giselle“, die Pekinger Oper, das Moskauer Sinfonieorchester
mit dem Pianisten Emil Gilels, Rezitationsabende Klaus Kinskis mit Gedichten
Brechts, Villons, Majakowskis und Rimbauds, der chinesische Staatszirkus, das
griechische Nationaltheater-Piräus mit Dramen von Sophokles und Schiller, das
Pariser Ballett von Roland Petit mit „Cyrano de Bergerac“, das beliebte
Marionettentheater „Hurvinek und Spejbl“ aus der Tschechoslowakei und die
staatlichen Tanz- und Gesangensembles aus der Sowjetunion, Polen, Ungarn,
Rumänien und Bulgarien./23/
Das Problem der Unterbringung und Verköstigung der rund 18.000
Festivalteilnehmer, für den klaglosen Ablauf die nicht weniger wichtige
„materielle Basis“, wurde zufriedenstellend gelöst. Die Delegierten
übernachteten in den Jugendgästehäusern der Stadt Wien, in Hotels, in den
Pavillons auf dem Messegelände, in drei großen Zeltlagern auf Campingplätzen
der Gemeinde Wien am Stadtrand (z.B. beim Rohrerbad in Neuwaldegg), auf zehn
Donauschiffen aus Rumänien, der CSR und Ungarn im Freudenauer Hafen sowie bei
privaten Quartiergebern./24/ Letztere hatten neben Schlaf- und
Waschmöglichkeiten auch Bettwäsche und Frühstück für den Gast zur Verfügung zu
stellen und bekamen dafür als Unkostenbeitrag 15 Schilling pro Tag und Person
vom österreichischen Organisationskomitee ausbezahlt./25/ Die Verköstigung
erfolgte teils in den Unterkünften, wobei man auf nationale Essensgewohnheiten
Rücksicht nahm, teils mit Bons in Restaurants und Gaststätten in der Nähe der
Veranstaltungsplätze. Jeder Festspielteilnehmer war obligatorisch
krankenversichert.
Der Ablauf
Den ersten Höhepunkt des Festivals brachte die Eröffnungsfeier im Wiener
Stadion am Sonntag, dem 26. Juli 1959, die von 17.30 bis 21 Uhr dauerte. Nach
dem Einzug der Delegationen aller Länder folgten die Programmpunkte „Fünf
Kontinente begrüßen Wien“, „Tagesfeuerwerk und Fahnenschießen“, „Vorführungen
von 1200 Turnern aus der CSR“, „Tänze der Völker - Afrika, Österreich,
Sowjetunion, Brasilien, Irak, Polen, Argentinien und China“, „Donauwalzer -
dargeboten von Tänzern aus fünf Kontinenten“ und „Riesenfeuerwerk“./26/
Um diese Eröffnungsfeier entbrannte nach dem Ende des Festivals, als die
Zeitungen der Molden, Dichand, Bacher und Oscar Pollak ihre Sprache
wiederfanden und den „Mißerfolg“ des „kommunistischen Propagandarummels“
ausposaunten, ein heftiger Streit. Man hatte kurz zuvor das Wiener Stadion von
60.000 auf einen Fassungsraum von 90.000 Zuschauern ausgebaut (tatsächlich
benützbar waren zu diesem Zeitpunkt allerdings erst 72.000 Plätze). Hellmut
Andics schrieb in einem langen Artikel mit dem reißerischen Titel „Die große
Lüge: In Wien entlarvt“, daß die Kommunisten „in der Anderthalb-Millionen-Stadt
nicht einmal genug Neugierige“ für diese Plätze aufbieten konnten und die
Polizei die Besucherzahl auf den Rängen einschließlich aller Delegationen auf
höchstens 40.000 bis 45.000 schätzte./27/ Die „Volksstimme“ hingegen
behauptete, daß das Stadion „bummvoll“ gewesen sei und veröffentlichte ein
entsprechendes Foto./28/ Etwas realistischer und wahrscheinlich zutreffend bezifferte
der kommunistische Journalist Bruno Frei die Zuschauer mit 60.000./29/
Für Aufregung sorgte das Verbot der Polizei, die Fahne der algerischen
Befreiungsfront offen zu zeigen, weil die österreichische Regierung fürchtete,
damit den Staatsvertragspartner Frankreich zu vergrämen. Als Protest und
Zeichen der Solidarität mit Algerien blieben deshalb beim Einmarsch auch die
anderen Nationalflaggen eingerollt./30/
Die österreichische Bundesregierung gab sich äußerst zurückhaltend und glänzte
bei der Eröffnungsfeier durch Abwesenheit. Alle Minister waren an dem Tag
gerade „verhindert“ oder „auf Urlaub“. Als offizielle Vertreter waren für die
Regierung lediglich Sektionschef Chaloupka und für die Stadt Wien
Vizebürgermeister Felix Slavik im Stadion anwesend. Während Chaloupka die
Festivalteilnehmer kurz begrüßte, hielt Slavik eine Ansprache, in der er die
individuellen Freiheitsrechte des österreichischen Volkes herausstrich („Mit
unseren Reisepässen können wir in alle Himmelsrichtungen fahren“) und „Gesinnungszwang“
anprangerte./31/ Weil er damit beim Publikum „Unruhe erregte“ und „Pfiffe
erntete“, wurde die „glückliche Nachtigall“ von der antikommunistischen Presse
wegen dieses Heldenmuts enthusiastisch gelobt. Dieselbe Journalistenclique hat
dann Slavik einige Jahre später, in der Ära seiner Bürgermeisterschaft, derart
attackiert und der Lächerlichkeit preisgegeben, daß er vorzeitig das Handtuch
warf.
Um das Bild der regierungsamtlichen Reserviertheit bei der Eröffnungsfeier im
Stadion ein wenig zu korrigieren und bei der Sowjetunion wieder „gut Wetter“ zu
machen, wohnten Bundeskanzler Raab und ÖVP-Staatssekretär Grubhofer dem
Festabend der sowjetischen Delegation im großen Konzerthaussaal bei./32/
Der zweite Höhepunkt des Festivals war die „Feier für den Frieden und die
Freundschaft zwischen den Völkern, gegen Atomwaffen, für Abrüstung und
friedliche Koexistenz" am Samstag, dem 1. August 1959. Um 18.30 Uhr begann
auf der Ringstraße zwischen dem Schwarzenbergplatz und dem Burgtheater ein
Umzug aller Delegationen, dessen Abwechslungsreichtum, Lebhaftigkeit und
Buntheit beeindruckte und dem Zuschauer in dichtem Spalier beiwohnten. Für die
anschließende nächtliche Kundgebung auf dem Heldenplatz hatte Pablo Picasso
eigenhändig eine 14 mal 14 Meter große Zeichnung geschaffen, die hinter der
Bühne angebracht war. Nach Darbietungen von Tanz- und Gesangsgruppen aus Asien,
Afrika, Amerika und Europa hielten die Französin Helene Luc und die in
Hiroshima gebürtige Japanerin Kazuko Karashima Reden, in denen sie an den Weltfrieden
appellierten. Klaus Kinski rezitierte vor der größten Zuschauerschar seines
Lebens und Paul Robeson, US-Afroamerikaner, weltberühmter Bassist und als
Freund der Sowjetunion in der McCarthy-Ära perfiden Verfolgungen ausgesetzt,
sang „Old man river“, „Das Haus, in dem ich wohne“, „Joe Hill“ und „Freude,
schöner Götterfunken“./33/ An der Kundgebung nahmen an die 40.000 bis 50.000
Menschen teil, die Totschweige-Methode griff nicht mehr, der Boykott war von
den Wienerinnen und Wienern (einem „leider notorisch neugierigen
Menschenschlag“, wie die Festivalgegner schon vorher befürchteten) selbst
durchbrochen worden.
Noch stärker war der Zuspruch der Wiener Bevölkerung bei der
Abschlußfeier am Abend des 4. August 1959 auf dem Rathausplatz, dem dritten
Höhepunkt der Weltjugendfestspiele. Auch ohne die Anlockung der heute dort
placierten „Freß- und Saufallee“ stauten sich die Massen bis zum Burgtheater
derart, daß der Verkehr auf der Ringstraße ab 20 Uhr zum Stillstand kam und
umgeleitet werden mußte. Ein großes Kulturprogramm mit den besten Musik-,
Gesangs- und Tanzgruppen, das Rathaus in Festbeleuchtung, die dicht gedrängte,
wogende Menge und das Singen des „Weltjugendliedes“ aus zehntausenden Kehlen
schufen eine Stimmung echter Begeisterung, der sich niemand, der diesen Abend
erlebte, entziehen konnte. Nach Reden Bruno Berninis, eines Vertreters der
venezolanischen Delegation und Walter Hollitschers stiegen unzählige
Luftballons mit den Festivalemblemen hoch. Mit den Klängen des Donauwalzers
endeten die Wiener Weltjugendfestspiele des Jahres 1959./34/
Die Bilanz
Als die Zeitungen nach dem 4. August ihre Nachrichtensperre beendeten,
zielten ihre Angriffe in vier Richtungen: 1) mit aller Gewalt die
Besucherzahlen der Festivalveranstaltungen zu minimieren, um zu beweisen, daß
die Wiener Bevölkerung den „ungebetenen Gästen die kalte Schulter gezeigt“
habe; 2) die österreichischen Kommunisten zu beschuldigen, daß sie mit ihren
„Aufpassern“, „Spitzeln“ und „Rollkommandos“ versucht hätten, „freie
Diskussionen“ und die „Verbreitung von Informationsmaterial zu verhindern“; 3)
daß die „kommunistischen Apparatschiki“ Flugzettelverteiler oftmals tätlich
angegriffen und „so arg zugerichtet“ hätten, daß sie „zum Teil noch im Spital
liegen“; 4) daß den Festivalverantwortlichen mehrmals die Kontrolle entglitt,
es zu einer „Revolte innerhalb der amerikanischen Delegation“ und zu Raufereien
zwischen israelischen Kommunisten und Arabern gekommen sei./35/
Als Sieger, weil mit den „besseren Argumenten“ ausgestattet, wurden die mutigen
jungen Menschen angepriesen, die sich selbstlos der „Aufklärung“ der
Festivalteilnehmer hingaben. Dabei verschwieg man, daß solche
Flugblattverteiler und Diskutanten für ihren aufreibenden Dienst an der Front
des Kalten Krieges ein Taggeld von bis zu 300 Schilling bekamen (eine
erhebliche Summe, die nach heutigem Geldwert mindestens mit zehn zu
multiplizieren ist)./36/ Daß sich unter ihnen auch Agenten westlicher
Geheimdienste befanden, die gezielt auf das Schüren von „Zwischenfällen“ aus
waren, hat sogar die Münchner „Süddeutsche Zeitung“ zugegeben./37/
So wie sie schätzten auch andere deutsche bürgerliche Zeitungen die Dinge weit
ehrlicher und realistischer ein. Die Hamburger „Welt“ des Axel Springer schrieb
am 1. August 1959, daß „bisher von einem sichtbaren antikommunistischen
Propagandaerfolg wohl kaum die Rede sein“ könne; die „Frankfurter Allgemeine
Zeitung“ meinte am 5. August: „Eine Überraschung für die antikommunistischen
Jugendlichen aus Österreich, Westeuropa und Amerika war es, feststellen zu müssen,
daß der größere Teil der Festivalteilnehmer keine Kommunisten sind“; die
„Frankfurter Rundschau“ schrieb - bezugnehmend auf die Behauptung von der
ghettoartigen „Kasernierung“ der Jugendlichen aus den volksdemokratischen
Ländern und der Sowjetunion - daß „auch diese jungen Gäste aus den
kommunistischen Ländern sich bis zu einem gewissen Grad frei bewegen und
Abstecher in die Stadt unternehmen konnten. Sie machten von dieser Möglichkeit
auch nach Kräften Gebrauch“; und der „Vorwärts“, das Zentralorgan der SPD, gab
unter dem Titel „Beschämend“ am 7. August zu: „Ob der Westen auf seine Aktionen
bei den Wiener Weltjugendfestspielen sehr stolz sein kann, ist zumindest
fraglich“./38/
Daß die Wiener Presse, im besonderen ihr Boulevard, ein kaum zu übertreffender
Ausbund an Borniertheit, reaktionärem Populismus und Niedertracht ist, hat
schon Karl Kraus gewußt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Anstelle der
Kommunisten sind nun die „Gutmenschen“ das Objekt ihrer Tiraden. Über die
Fallstricke der eigenen Widersprüche zu stolpern, geniert diese Art von
Journalismus nicht. Zeterte man auf Seite 5 über die Brutalitäten der
„kommunistischen Rollkommandos“ und erzählte man von „Schlägereien“ zwischen
Festivaldelegationen, so stand auf Seite 3 zu lesen, daß Polizeipräsident
Holaubek in einem Bericht an Innenminister Afritsch konstatierte, daß „alle
Veranstaltungen ohne besondere Zwischenfälle verlaufen“ seien und es „auch bei
den zahlreichen Diskussionen mit den Teilnehmern an dem Festival keine größeren
Unzukömmlichkeiten“ gegeben habe./39/
Die Wahrheit ist, daß die Wiener Weltjugendfestspiele von 1959 einen
erfolgreichen Verlauf nahmen und die Festivalbewegung die Bewährungsprobe der
erstmaligen Abhaltung in einem kapitalistischen Land bestand. In der Geschichte
der Kommunistischen Partei Österreichs und der Freien Österreichischen Jugend
figuriert das Wiener Festival als eine der größten politischen und
organisatorischen Leistungen.
Anmerkungen:
1/ Walter Wachs, Die Weltjugendfestspiele, in: „Weg und Ziel“, Jg. 1959, Nr.
7/8, S. 471
2/ Erwin Breßlein, Drushba! Freundschaft? Von der kommunistischen
Jugendinternationale zu den Weltjugendfestspielen, Frankfurt am Main 1973, S.
107
3/ Günther Grabner, Geschichte der „Freien Österreichischen Jugend“ (FÖJ/ als
politische Jugendbewegung in Österreich 1945 - 1969, Dissertation, Salzburg
1978, S. 196
4/ Wir nahmen nicht teil. Ein Bericht des Österreichischen Bundesjugendringes
über die VII. Kommunistischen Weltjugendfestspiele in Wien 1959, Wiener
Neustadt 1962, S. 10
5/ „Die Presse“, 15. Mai 1958
6/ VII. Weltfestspiele der Jugend und Studenten für Frieden und Freundschaft.
Programm, Wien 1959, S. 5
7/ Ebenda
8/ Ebenda
9/ „Wiener Kurier“, 21. April 1958
10/ „Expreß“, 4. Juli 1958
11/ Fritz Molden, Besetzer, Toren, Biedermänner. Ein Bericht aus Österreich
1945 - 1962, Wien-München-Zürich-New York 1980. Dem Festival ist in diesem Buch
das gesamte 13. Kapitel, S. 275 - 303, gewidmet.
12/ Ebenda, S. 275
13/ Ebenda, S. 278
14/ Ebenda, S. 287
15/ Ebenda, S. 282ff.
16/ Ebenda, S. 284
17/ „Neues Österreich“; „Arbeiter-Zeitung“, 4. März 1959
18/ „Die Presse“; „Neues Österreich“; „Österreichische Neue Tageszeitung“; „Das
Kleine Volksblatt“; „Expreß“, 8. und 9. März 1959
19/ Wir nahmen nicht teil, a.a.O., S. 19–28
20/ Hans Zerbs, Hinter den Kulissen des Festivals. Begegnungen mit Menschen aus
dem Osten, in: „Die Presse“, 9. August 1959
21/ g.n. (=Günther Nenning/, Das Festival, in: „Forum“, September 1959, Heft 6,
S. 314
22/ Siehe: Protokoll der 11. Plenartagung des ZK der KPÖ vom 27./28. September
1958, Zentrales Parteiarchiv der KPÖ, Alfred Klahr Gesellschaft
23/ Siehe: VII. Weltfestspiele der Jugend und Studenten für Frieden und
Freundschaft, a.a.O., S. 10 – 57
24/ „Volksstimme“, 1. März 1959 und 19. Juli 1959
25/ Siehe den „Anmeldebogen für Quartiere“, Zentrales Parteiarchiv der KPÖ,
Alfred Klahr Gesellschaft
26/ VII. Weltfestspiele der Jugend und Studenten für Frieden und Freundschaft,
a.a.O., S. 9
27/ „Expreß“, 8. August 1959
28/ „Volksstimme“, 28. Juli 1959
29/ Bruno Frei, Bilanz von Wien, in: „Neue Zeit“, Moskau, Nr. 32, August 1959,
S. 6
30/ „Volksstimme“, 28. Juli 1959
31/ Siehe den vollen Wortlaut der Rede in: „Arbeiter-Zeitung“, 5. August 1959
32/ „Volksstimme“, 30. Juli 1959
33/ Ebenda, 4. August 1959
34/ Ebenda, 5. August 1959
35/ „Arbeiter-Zeitung“, 5. und 6. August 1959
36/ „Volksstimme“, 7. August 1959
37/ Bruno Frei, a.a.O., S. 7
38/ „Volksstimme“, 9. und 12. August 1959
39/ „Arbeiter-Zeitung“, 6. August 1959
Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 3/1999
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