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Hans Hautmann: Das Geschichtsbild über die Besatzungszeit
Die vielfachen Aktivitäten im heurigen Gedenkjahr von „staatsoffizieller“
Seite haben gezeigt, dass das Geschichtsbild über die zehn Jahre von 1945 bis
1955, als Österreich unter alliierter Besatzung stand, nach wie vor den von
früher her tradierten, im wesentlichen negativ gefärbten und von Selbstmitleid
dominierten Klischees verhaftet geblieben ist. Der Grund liegt auf der Hand:
Unter den vier Besatzungsmächten befand sich ein Land, noch dazu ein
kommunistisches, die durch den Sieg im Zweiten Weltkrieg zur Weltmacht
aufgestiegene Sowjetunion, die – mit vollem Recht – Schadenersatz für die
unermesslichen Zerstörungen und Verheerungen beanspruchte, die nicht zuletzt
auch durch die Teilnahme hunderttausender Österreicher am Krieg an der Seite
Hitlerdeutschlands entstanden waren. Der Zugriff auf die deutschen
Vermögenswerte in Ostösterreich zur wenigstens teilweisen Befriedigung der
sowjetischen Reparationsinteressen figuriert folglich als das, was das
Schreckensszenario der Kapitalistenklasse schlechthin war und ist, als
Enteignung, und wird als ökonomische Ausbeutung Österreichs hingestellt, um es
politisch zu destabilisieren und à la longue hier das kommunistische System zu
etablieren. Das, gepaart mit dem Stereotyp der massenhaften Ausschreitungen der
Sowjettruppen gegenüber der (doch ausschließlich „zu befreienden)
österreichischen Bevölkerung, ist die wahre Ursache dafür, dass das
geschichtsoffiziöse Bild von der Besatzungszeit nach wie vor schief hängt.
Meine These ist, dass die Besatzungszeit eine der wichtigsten Perioden in der
österreichischen Geschichte überhaupt war, und dass sie positiver eingeschätzt
werden muss, als man das normalerweise tut. Diese These möchte ich an Hand von
drei Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erläutern, in denen die
Transformationen zum Besseren hin, die durch die alliierte Besatzung bewirkt
wurden, deutlich zum Ausdruck kommen, nämlich auf justizieller, politischer und
ökonomischer Ebene.
Um die Veränderungen in diesen Bereichen angemessen bewerten zu können, ist es
notwendig, den Blick auszuweiten auf das gesamte Spektrum des historischen Weges
Österreichs im 20. Jahrhundert. Unser Land war zweimal auf der Seite des
deutschen Imperialismus an Kriegen mit katastrophalen Ergebnissen beteiligt,
1914 bis 1918 und 1939 bis 1945. Vergleicht man die Folgen der beiden Weltkriege
für Österreich, das eine Mal als unbesetztes, das andere Mal als besetztes Land,
werden die Unterschiede sehr augenscheinlich.
In besonders deutlicher Weise äußerte sich das auf justizieller Ebene,
mit der ich beginnen möchte. Von Österreichern als dem herrschenden Volk in der
Habsburgermonarchie wurden im Ersten Weltkrieg zahlreiche Kriegs- und
Humanitätsverbrechen begangen, die nach 1918 keine Sühne fanden. Den
Auslieferungsbegehren der Siegermächte, festgehalten in den Artikeln 173 bis 176
des Friedensvertrages von Saint-Germain, wurde nicht entsprochen. Der Versuch
der inneren Selbstreinigung in Form eines von der republikanischen
Nationalversammlung eingesetzten Gremiums, der „Kommission zur Erhebung
militärischer Pflichtverletzungen im Kriege“, erwies sich im Endeffekt als
vollkommener Fehlschlag. Die Verantwortlichen und Ausführenden der Kriegs- und
Humanitätsverbrechen blieben ungeschoren, was auf die politischen Zustände und
das allgemeine Klima der Monarchienostalgie und Verehrung der „unbefleckten
Kriegshelden“ in der 1. Republik verheerende Auswirkungen hatte.
Ganz anders 1945. Nicht nur die vier Besatzungsmächte haben nach Naziverbrechern
gefahndet, sie festgenommen, ihnen den Prozess gemacht und abgeurteilt, auch der
österreichische Staat schuf mit dem NS-Verbotsgesetz und dem
Kriegsverbrechergesetz von 1945, auf denen die Volksgerichte basierten, ein
Instrument der Ahndung, dem wesentliche Bedeutung bei der Reinigung des eigenen
Hauses zukam. Die Anwesenheit der Alliierten bewirkte, dass die Volksgerichte
nicht kurzfristig, sondern über zehn Jahre hinweg, bis 1955, agierten.
Verglichen mit der eher kläglichen Bilanz der Zeit danach, als dieser
Verbrechenskomplex von Geschworenengerichten mit oft skandalösen Urteilen
verhandelt wurde, nimmt sich die Tätigkeit der Volksgerichte mit 23.000
Urteilen, 13.000 Schuldsprüchen, 298 Kerkerstrafen zwischen zehn Jahren und
lebenslänglich sowie 43 Todesurteilen, von denen 30 vollstreckt wurden,
imponierend aus.1 Nicht dass es hier wie in der Frage der
Entnazifizierung insgesamt auch grobe Mängel, Opportunismus, Ahnden mit
zweierlei Maß und Freunderlwirtschaft beim Ausstellen von „Persilscheinen“
gegeben hätte. Stellt man aber die Relationen in Rechnung, den Vergleich mit der
Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Periode nach der Abschaffung
der Volksgerichte, so war diese Initiative strafrechtlicher
„Vergangenheitsbewältigung“ in den Jahren der alliierten Besatzung für
österreichische Verhältnisse höchst bemerkenswert, die unbedingt auf das Konto
der positiven Veränderungen in unserem Land verbucht werden muss.
Zweite Ebene, die politische. Man kann es nur als Glück bezeichnen, dass
von den alliierten Truppen die sowjetischen als erste österreichischen Boden
betraten und nach der Befreiung Wiens den Anstoß zur unverzüglichen Bildung
einer Regierung gaben. Denn das Besatzungskonzept der Amerikaner und Briten,
vorerst nur Beamten-Verwaltungen, aber keine Regierung mit politischen
Kompetenzen einzusetzen mit der Intention, Demokratie durch strikte Bevormundung
der österreichischen Bevölkerung beizubringen, musste schon nach kurzer Zeit
angesichts der demokratischen Vorbildwirkung der Renner-Regierung mit ihrem
ungeteilten Vertretungsanspruch auf ganz Österreich aufgegeben werden.2
Zweifellos ist dadurch unserem Land eine sehr schwierige Regierungsbildung oder
gar eine Teilung in eine Regierung für Ost- und eine für Westösterreich erspart
geblieben. Die sowjetische Besatzungspolitik zielte darauf ab, rasch eine
funktionierende österreichische Regional- und Lokalverwaltung in den Händen von
AntifaschistInnen aufzubauen. Sie nahm nur am Anfang Einfluss auf die Einsetzung
der Verwaltungsdienststellen und hat in der Folgezeit die Entscheidungen der von
ihr gestützten Organe, der Renner-Regierung und der Landesregierungen in Wien,
Niederösterreich, dem Burgenland und der Lokalverwaltung Mühlviertel, weitgehend
akzeptiert, d.h., sie nahm dann kaum mehr Einfluss auf die Wiedererrichtung der
politischen und verwaltungsmäßigen Infrastruktur und auf den Wiederaufbau der
Wirtschaft.3
Überhaupt muss man sich davor hüten zu glauben, dass die Politik der Alliierten
die einer kleinlichen Überwachung war. Solche Erscheinungen gab es nur in den
ersten Monaten, vornehmlich in den westlichen Zonen, und sie verschwanden nach
dem Abschluss des 2. Kontrollratsabkommens vom 28. Juni 1946 fast gänzlich. Die
Eingriffe der alliierten Kontrolle in den österreichischen Gesetzgebungs- und
Verwaltungsmechanismus waren fortan gering und betrafen nur Bereiche, die vitale
Interessen einer der vier Mächte tangierten, so z.B. das deutsche Eigentum, das
die Sowjetunion als Kriegsentschädigung aufgrund der Potsdamer Beschlüsse
beanspruchte.
In diesem 2. Kontrollabkommen sind übrigens die Zwecke, die der Notwendigkeit
der alliierten Besatzung zugrunde gelegt wurden, sehr anschaulich umrissen
worden. Es heißt da im Artikel 3, dass die vornehmlichsten Aufgaben der
alliierten Kommission für Österreich folgende seien:
„a) Die Einhaltung der Bedingungen der Erklärung über die Niederlage
Deutschlands, die am 5. Juni 1945 in Berlin unterzeichnet wurde, in Österreich
zu sichern.
b) Die Trennung Österreichs von Deutschland vollständig zu machen, die
unabhängige Existenz und Integrität des österreichischen Staates
aufrechtzuerhalten und, bis zur endgültigen Festlegung seiner Grenzen, die
Unantastbarkeit derselben nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 zu sichern.
c) Die österreichische Regierung zu unterstützen, ein gesundes und
demokratisches nationales Leben neu zu schaffen, gestützt auf eine wirksame
Verwaltung, stabile wirtschaftliche und finanzielle Zustände und auf die Achtung
vor Recht und Ordnung.
d) Die frei gewählte österreichische Regierung zu unterstützen, so bald wie
möglich die volle Kontrolle der Staatsgeschäfte in Österreich auszuüben.
e) Die Aufstellung eines fortschrittlichen Erziehungsprogramms auf lange Sicht,
das die Aufgabe hat, alle Spuren der Nazi-Ideologie auszumerzen und der
österreichischen Jugend demokratische Grundsätze einzuprägen, zu sichern.“4
Schätzt man als Historiker objektiv ein, ob diese grundsätzlichen Ziele im
Verlauf und als Ergebnis der Besatzungszeit erreicht wurden, so wird man das mit
einem uneingeschränkten „Ja“ beantworten müssen.
Auch das Bild von der Allgegenwart der „Vier im Jeep“, der drückenden
zahlenmäßigen Stärke der Besatzungstruppen und des Schärfegrades der Kontrollen
an den Übergängen zwischen den Besatzungszonen, wie es in den Ausstellungen im
Belvedere und auf der Schallaburg sowie in Populärmedien auch noch im heurigen
Gedenkjahr vermittelt wurde, bedarf der Revision. Spätestens ab 1953, als auch
die Sowjetunion die Personenkontrollen an den Demarkationslinien aufhob, war von
der Besatzung kaum mehr etwas zu bemerken. In Wien, wo schon immer das Passieren
der Zonenbezirksgrenzen ungehindert möglich war, waren gegen Ende der alliierten
Ära uniformierte Soldaten der vier Mächte im Straßenalltag kaum noch zu sehen,
und wenn, dann nur bei parademäßigen Anlässen. Im Oktober 1954 gab es in
Österreich 36.000 Mann der sowjetischen Besatzungsmacht, 15.000 Amerikaner, 2800
Briten und 542 Franzosen. Während die Präsenz der Alliierten in bestimmten
Regionen und Städten sehr wohl augenscheinlich war, so der Amerikaner in
Salzburg und der Russen im sowjetischen Hauptquartier in Baden bei Wien und rund
um den Truppenübungsplatz Döllersheim im Waldviertel, waren andere Gegenden
faktisch besatzungsfrei wie Vorarlberg und Tirol, und auch in Kärnten und in der
Steiermark gab es nur ganz geringfügige britische Kräfte mehr.5 In
der Endphase waren die Besatzer fast schon so etwas wie „austrifiziert“, was
sich in wohlwollenden Gesten äußerte wie der Umwandlung der militärischen in
zivile Hochkommissariate bei gleichzeitiger Akkreditierung von ihnen als
Botschafter, in der Aufhebung aller Beschränkungen im Personen- und Güterverkehr
und im Verzicht auf die Bezahlung der Besatzungskosten.
Das entscheidende und bedeutungsvollste politische Ergebnis der Besatzungszeit
bestand aber darin, dass sie die verhängnisvollen großdeutschen Träume eines
einst leider nur zu beträchtlichen Teils der Österreicher endlich zu Grabe trug,
es zu einer unverkrampften und optimistischen Identifikation mit einem
Kleinstaat kam und die Normen demokratischen Lebens ihre endgültige Verankerung
und Festigung erfuhren. Der Unterschied zur Situation des unbesetzten Österreich
nach 1918 liegt hier offen auf der Hand und ist wahrlich himmelweit.
Dritte Ebene, die ökonomische. Um sie richtig zu würdigen, muss man zur
vergleichenden Perspektive der Lage nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg
noch einen weiteren Blickwinkel dazugesellen, den von der heutigen Warte aus,
des Zustands der Offensive des Großkapitals auf die Errungenschaften des Sozial-
und Wohlfahrtsstaats. Es ist kein Zufall, dass man im heurigen Gedenkjahr solche
Tätigkeiten wie die der „Trümmerfrauen“ und die wirtschaftlichen Leistungen der
so genannten „Wiederaufbaugeneration“ überschwänglich gewürdigt hat, die große
Rolle aber, die den Verstaatlichungen im ökonomischen Kontext zukam, tunlichst
zu verschweigen suchte. Die Verstaatlichungen nach 1945 passen als Objekt der
Erinnerungskultur ganz einfach nicht in das gegenwärtige Schema, wonach alles
Heil für die Wirtschaft in Privatisierung besteht. Und es ist weiters kein
Zufall, dass man beim Gedenken an den ökonomischen Bereich fast ausschließlich
die schweren Lasten der Besatzungskosten, die Beschlagnahme des deutschen
Eigentums durch die Sowjetunion und die so großen Schaden anrichtende Rolle der
USIA-Betriebe in den Vordergrund gerückt hat, das alles kontrastiert zur hell
und strahlend gezeichneten selbstlosen Hilfe der USA in Form des Marshall-Plans.
Was die Machteliten heute negativ sehen, muss man aber, sofern man ihnen nicht
angehört, durchwegs positiv einschätzen. Die wirtschaftlichen Machtverhältnisse
in Österreich, die Tatsache, dass sich der wichtigste Teil der österreichischen
Großindustrie und des Bankwesens in deutschem Besitz befunden und zahlreiche
Betriebe aller Sparten aktiven Nationalsozialisten gehört hatten, erfuhren 1945
einen grundlegenden Wandel. Vor der heranrückenden Roten Armee setzte eine
massive Fluchtbewegung deutscher und faschistischer Eigentümer und Direktoren
ein. In vielen Betrieben wurden unmittelbar nach der Befreiung Betriebsräte
gewählt, die die Leitung der Unternehmen in die Hand nahmen und die Produktion
wieder in Gang brachten. Mitte Mai 1945 setzte die Renner-Regierung für fast
6000 nunmehr „herrenlose“ Betriebe öffentliche Verwalter ein, die mit den
Betriebsräten zu kooperieren hatten. Damit waren die kapitalistischen
Eigentumsverhältnisse in Österreich tief erschüttert, und vor allem das
Großkapital hatte seine wirtschaftlichen Machtpositionen eingebüßt.
Die Verstaatlichung der Schwerindustrie, des Grundstoffsektors, der
Energieerzeugung und der Großbanken, in Österreich – verglichen mit anderen
westeuropäischen Ländern, wo sie auch wie beispielsweise in Großbritannien
stattfand – in besonders starkem Ausmaß betrieben, war ein gewaltiger
Fortschritt, ungeachtet des Umstands, dass man sie in Österreich auch als Mittel
betrachtete, die sowjetischen Ansprüche auf das ehemals deutsche Eigentum zu
konterkarieren, und ungeachtet des Umstands, dass die Verstaatlichungen kein
wirkliches Durchbrechen kapitalistischer Strukturen in Österreich nach sich
zogen. Denn die verstaatlichten Betriebe waren es, die über Jahrzehnte hinweg,
bis in die 1980er Jahre, die Voraussetzungen für eine höhere soziale Sicherheit
und bessere Kampfbedingungen für die hier Beschäftigten schufen, als sie in der
Privatindustrie bestanden.
Letzteres gilt grundsätzlich auch für die USIA-Betriebe, die Sowjetische
Mineralölverwaltung und die DDSG, die mit dem bekannten Befehl Nr. 17 des
sowjetischen Hochkommissars Kurassow vom 27. Juni 1946 als ehemaliges deutsches
Eigentum beschlagnahmt wurden. Betroffen waren rund 280 Industriebetriebe mit
mehr als 50.000 Arbeitern und Arbeiterinnen, die
Donaudampfschifffahrtsgesellschaft, der Großteil der österreichischen
Erdölindustrie und 157.000 Hektar Grund und Boden, ferner Immobilien,
Konzessionen, Patente, Handelsmarken, Konten und Wertgegenstände.6
Für die österreichische Arbeiterbewegung spielten diese im sowjetischen Besitz
stehenden Betriebe eine insgesamt positive Rolle. Sie waren Vorreiter in vielen
sozialökonomischen Fragen und waren wesentlich früher geneigt, allgemeine
Forderungen nach sozialer Absicherung, Lohnanpassungen und Beihilfen zu erfüllen
als die privaten und selbst die verstaatlichten Betriebe.
Ich bin weit davon entfernt, die USIA-Betriebe zu verherrlichen. Es gab
schwerwiegende Probleme, denn sie wurden von der privaten und verstaatlichten
Industrie sowie von den westlichen Ländern boykottiert und blieben ab Anfang der
1950er Jahre – die Erdölindustrie ausgenommen – technologisch immer mehr hinter
der übrigen österreichischen Industrie zurück, die durch die Marshallplan-Gelder
gefördert wurde, womit sie an Ansehen in der Arbeiterschaft verloren. Generell
sind jedoch auch sie ein Faktor gewesen, der zur erheblichen Reduktion der
Machtpositionen des österreichischen Kapitals beitrug, und das sogar eine
erkleckliche Zeit über die Besatzungsära hinaus. Im Moskauer Memorandum vom 15.
April 1955 als Ergebnis der Verhandlungen, die den Durchbruch zum Staatsvertrag
und zur Neutralitätserklärung brachten, wurde nämlich im Punkt 6 festgehalten:
„Die Bundesregierung wird nach Übergabe der deutschen Vermögenswerte in der
sowjetischen Besatzungszone in Österreich Maßnahmen herbeiführen, die eine
Überführung dieser Vermögenswerte in das Eigentum ausländischer
Staatsangehöriger einschließlich juristischer Personen privaten und öffentlichen
Rechts ausschließt. Ferner wird sie dafür Sorge tragen, dass gegen die bei den
früheren USIA-Betrieben, bei den Betrieben der ehemaligen sowjetischen
Mineralölverwaltung, der Aktiengesellschaft OROP und bei der DDSG Beschäftigten
keine diskriminierenden Maßnahmen ergriffen werden.“7
Das bedeutete, dass die ehemaligen USIA-Betriebe nach 1955 zum allergrößten Teil
in den verstaatlichten Sektor überführt wurden, Betriebe wie die Hütte Krems,
die zur VÖEST Linz kam, oder die Korneuburger Schiffswerft, und damit dem
Zugriff des Privatkapitals noch längere Zeit entzogen blieben.
Versucht man am Ende ein Resümee zu ziehen, so muss meines Erachtens
festgestellt werden, dass die Besatzungszeit es war, die die entscheidende
Voraussetzung dafür schuf, dass die gewaltigen politischen Errungenschaften, die
durch den antifaschistischen Befreiungskampf der Völker im Zweiten Weltkrieg
erwirkt wurden, in der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945, im
Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 und im Neutralitätsgesetz vom 26. Oktober 1955
ihre österreichische Ausprägung fanden. Die Besatzungszeit – und im Besonderen
die Beteiligung eines mächtigen sozialistischen Landes an ihr – war es, in der
die Weichen für den Weg gestellt wurden, der aus den Verstrickungen Österreichs
in Kriege und Katastrophen hinausführte, wie sie unsere Geschichte in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt hatten, weg von den schlechten Traditionen
dieser Vergangenheit hin zur eigentlichen Bestimmung Österreichs unter den
Völkern der Welt: als friedliebender und neutraler Staat mit Einrichtungen
öffentlicher Wohlfahrt und sozialen Sicherungsmechanismen für die Masse der
arbeitenden Menschen.
In einer Zeit, in der das alles wieder gefährdet ist, ist das Festhalten an
diesen Erneuerungen Österreichs nach 1945 eine Aufgabe, der höchste
gesellschaftspolitische Priorität zukommt.
Anmerkungen:
1/ Claudia Kuretsidis-Haider, Verbrechen an ungarisch-jüdischen
Zwangsarbeitern vor Gericht. Die Engerau-Prozesse vor dem Hintergrund der
justiziellen „Vergangenheitsbewältigung“ in Österreich (1945–1955), phil. Diss.,
Wien 2003, S. 61f.
2/ Oliver Rathkolb, Wie homogen war Österreich 1945? Innenpolitische Optionen,
in: Wolfgang Kos/Georg Rigele (Hrsg.), Inventur 45/55. Österreich im ersten
Jahrzehnt der Zweiten Republik, Wien 1996, S. 163
3/ Klaus-Dieter Mulley, Befreiung und Besatzung. Aspekte sowjetischer Besatzung
in Niederösterreich 1945–1948, in: Alfred Ableitinger/Siegfried Beer/Eduard G.
Staudinger (Hrsg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945–1955,
Wien–Köln–Graz 1988, S. 398f.
4/ Abkommen zwischen den Regierungen des Vereinigten Königreiches, der
Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
und der Französischen Republik über den Kontrollapparat in Österreich, vom 28.
Juni 1946 (2. Kontrollabkommen), zitiert in: Manfried Rauchensteiner, Der
Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955, Graz–Wien–Köln 1979,
S. 345
5/ Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das
Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955, 4. Aufl., Wien–Köln–Graz
1998, S. 581f.
6/ Manfried Rauchensteiner, Stalinplatz 4. Österreich unter alliierter
Besatzung, Wien 2005, S. 100
7/ Zitiert nach G. Stourzh, a.a.O., S. 667
Referat am Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft
„Kontinuität und Wandel der österreichischen Geschichtsmythen – Eine kritische
Bilanz des Gedenkjahres 2005“ am 29. Oktober 2005.
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