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Aus dem Archiv: Die KPÖ zum Verstaatlichungsgesetz 1946
Franz Honner im Nationalrat am 26. Juli 1946
Hohes Haus! Der Entwurf des Verstaatlichungsgesetzes, der heute zur
Verhandlung steht, berührt die Interessen breitester Schichten des
österreichischen Volkes und vor allem der Arbeiterschaft. Die Verstaatlichung
soll die Grundlage bieten für einen Aufbau der Wirtschaft nach neuen
Grundsätzen, sie soll dem Staat und damit dem Volke die Kontrolle über die
wichtigsten Reichtümer unseres Landes geben.
Kann der vorliegende Entwurf diese Forderungen erfüllen? Entspricht er dem, was
die österreichischen Arbeiter von der Verstaatlichung der Banken und der
Schlüsselindustrie erwarten? Wir können diese Fragen nicht einfach mit ja
beantworten. Im besten Fall ist dieser Gesetzentwurf ein erster Schritt und
selbst als solcher ist er mit schweren Mängeln behaftet.
Zu wiederholten Malen hat meine Partei die Dringlichkeit der Verstaatlichung
betont und versucht, in Verhandlungen mit den beiden anderen Parteien eine
rasche Verwirklichung dieser Forderung der breitesten Massen zu erreichen. Wohl
erwogene Gründe haben uns bestimmt, auf eine rasche Verstaatlichung der
Schlüsselstellungen der österreichischen Wirtschaft zu drängen. Wir haben die
Gefahr gesehen, die darin besteht, dass ausländisches Kapital durch
undurchsichtige Machinationen immer neue Positionen in der österreichischen
Wirtschaft in seine Hand bekommen könnte, und wir haben wie alle gewusst, dass
die Sowjetunion auf Grund der Potsdamer Beschlüsse Ansprüche auf gewisse
Industriebetriebe in Österreich erheben wird. Wir waren der Meinung, dass zwei
Voraussetzungen notwendig sind, um möglichst viel für Österreich zu sichern:
erstens gute Beziehungen zur Sowjetunion und zweitens eine rechtzeitige und
ernst zu nehmende Verstaatlichung, die zeigen sollte, in wessen Händen die
Betriebe kommen, die Österreich verbleiben.
Das alles ist nicht geschehen. Die Beziehungen zur Sowjetunion sind nicht besser
sondern schlechter geworden. Die Verstaatlichung wurde hinausgezogen, und als
die Sowjetunion erklärt hatte, welche Ansprüche sie auf Grund der Potsdamer
Beschlüsse auf Unternehmungen in Österreich erhebt, konnte der Gesetzentwurf
über die Verstaatlichung als ein feindseliger Akt verstanden werden, weil in der
Liste der zu verstaatlichenden Betriebe solche aufgenommen worden sind, auf die
die Sowjetunion Anspruch erhebt, während Betriebe, auf die ausländische
Kapitalisten Ansprüche geltend machen, in die Liste nicht aufgenommen wurden.
Darauf weist der Brief des Generalobersten Kurassow hin, den uns die
Bundesregierung heute zur Kenntnis gebracht hat.
Wenn man unter den nunmehr gegebenen Umständen etwas erreichen will, dann muss
man sich den Weg, den man gehen will, gut überlegen. Es gibt einen Weg der
reinen Deklamation, von dem man von vornherein überzeugt ist, dass er zu keinen
Ergebnissen führen kann. Soweit er bisher begangen wurde, hat er uns nur Schaden
zugefügt. Ein anderer Weg ist der Weg der Verhandlungen; diese sind heute
allerdings unvergleichlich schwieriger, als sie früher gewesen wären; trotzdem
ist es notwendig, nichts unversucht zu lassen, um in Verhandlungen zu einer
freundschaftlichen Regelung zu gelangen. Das würde allerdings erfordern, dass
man die Frage der Verstaatlichung der strittigen Betriebe offen lässt. Unserer
Meinung nach gibt es noch einen dritten Weg: ein wirklich ernstes und
umfassendes Verstaatlichungsprogramm mit klarer Umschreibung der zu
verstaatlichenden Wirtschaftszweige, ausgehend von einem einheitlichen
Standpunkt gegenüber allen ausländischen Interessen. Damit hätten wir eine feste
Basis, von der aus versucht werden könnte, im Wege von Verhandlungen nach allen
Seiten das Maximum des Möglichen für Österreich herauszuholen. Dieses Programm
müsste so gefasst ein, dass es nicht den Eindruck erwecken könnte, die
Verstaatlichung sei eine Maßnahme, die sich demonstrativ gegen die Interessen
einer Macht richtet. Wir würden hier keinen neuen Weg beschreiten, denn in
Polen, Jugoslawien und der Tschechoslowakei wurde gerade so vorgegangen: man
verstaatlichte die entscheidenden Wirtschaftszweige und setzte sich auf Grund
der Verstaatlichung mit den ausländischen Kapitalansprüchen auseinander. Auch
die Erklärungen der anderen Besatzungsmächte in Österreich zu dieser Frage sind
durchaus nicht so gehalten, dass man daraus schließen könnte, sie hätten auf
deutsches Eigentum in Österreich verzichtet. Er würde den Erklärungen über das
deutsche Eigentum in Österreich Rechung tragen, die von russischer,
amerikanischer und englischer Seite in verschiedener Form, aber mit wesentlich
dem gleichen Inhalt ergangen sind, nämlich, dass sich diese Länder die Verfügung
über das deutsche Eigentum in Österreich vorbehalten. Die Übergabe einzelner
Betriebe aus der amerikanischen an die zeitweilige österreichische Verwaltung
ändert ja nichts am amerikanischen Standpunkt in dieser Frage.
Wir machen uns keine Illusionen, wir wissen, dass wir nicht alles erreichen
werden, aber wenn wir klar zum Ausdruck bringen, dass die entscheidenden
Industriezweige Österreichs wirklich in die Hand des Staates genommen werden,
dann schaffen wir damit eine Grundlage, von der aus wir, ohne unsere Kräfte
überschätzen zu wollen, einen Kampf um das Maximum des Möglichen für Österreich
aufnehmen können.
Es ist heute nicht Brauch, in Österreich von der Rolle des Auslandskapitals in
unserer Wirtschaft zu sprechen, aber wir glauben, dass dies notwendig ist und
dass der Gesetzentwurf zur Verstaatlichung klar aufzeigen soll, dass es darum
geht, Österreichs Betriebe dem österreichischen Volk zu sichern.
Wir wollen den einzig konsequenten Weg gehen, den Weg der Sicherung der
wirtschaftlichen Unabhängigkeit Österreichs vor dem Einfluss des
Monopolkapitals. Dass aber nicht alle in diesem Haus bereit sind, auf den Wege
der Verstaatlichung konsequent vorwärtszuschreiten, das hat gestern die
neuerliche Ablehnung unseres Antrages auf Verstaatlichung der Nationalbank
gezeigt. Gerade bei der Notenbank, dieser wichtigsten Schlüsselstellung unserer
Wirtschaft, hätte die Verstaatlichung beginnen müssen.
Nun zum Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfes selbst, den wir heute
beschließen sollen. Das Zentralkomitee meiner Partei hat in einem Brief an den
Parteivorstand der Sozialistischen Partei und in einem Brief an den
Bundesvorstand der Österreichischen Volkspartei seinen Standpunkt in der
Verstaatlichungsfrage dargelegt. Wir wiesen damals darauf hin, dass die
Vereinbarung über die Verstaatlichungsfrage zwischen der Sozialistischen Partei
Österreichs und der Österreichischen Volkspartei ohne unsere Teilnahme zustande
gekommen ist und dass jeder unserer Verbesserungsvorschläge abgelehnt wurde. Der
vorliegende Gesetzentwurf ist das Produkt eines festen Abkommens zwischen der
Österreichischen Volkspartei und der Sozialistischen Partei Österreichs und
unsere Partei hatte weder in den Parteienverhandlungen noch im Ausschuss für
Vermögenssicherung, wo wir nicht vertreten sind, die Möglichkeit, Abänderungs-
und Verbesserungsvorschläge zu machen. Darum ist es notwendig, hier nochmals auf
unsere Mindestvorschläge hinzuweisen, die wir in unseren Briefen an die beiden
Parteien folgendermaßen zusammenfassten (liest):
„Eine wirksame Verstaatlichung setzt voraus, dass bestimmte, für Österreich
entscheidende Wirtschaftszweige zur Gänze vom Staat übernommen werden. Dazu
gehören insbesondere der gesamte Bergbau, einschließlich Magnesitförderung, die
Hüttenindustrie, die eisenerzeugende Industrie, die Metallwalzwerke, die
aluminiumerzeugende Industrie, die Energiewirtschaft, die Starkstromindustrie,
der Lokomotiv- und Waggonbau, die Erdölindustrie, die Zündholzindustrie und die
Flussschiffahrtgesellschaften.“
Eine wirksame Verstaatlichung – bereits früher hatten wir ein viel
umfangreicheres Verstaatlichtenprogramm entwickelt und für ein solches treten
wir auch heute ein – hat zur Voraussetzung, dass gerade diese ausschlaggebende
Industrie unter die Kontrolle des Staates kommen. Die Verstaatlichung der
Schlüsselindustrie und der Banken, die alte Forderung der organisierten
Arbeiterschaft, ist in vielen Staaten Europas bereits zur Tatsache geworden. In
Jugoslawien und in der Tschechoslowakei ist die gesamte Großindustrie
verstaatlicht. Die Banken sind Eigentum des Staates, ebenso die
Versicherungsgesellschaften. In Frankreich sind eine Reihe der Großbanken vom
Staate übernommen worden. England – das uns so oft als Beispiel angeführt wird –
hat den gesamten Bergbau und die Bank von England verstaatlicht, es geht also in
diesem Punkt weiter als der uns vorliegende Gesetzesvorschlag. In Polen hat ein
Volksabstimmung eine großzügige Verstaatlichung gutgeheißen.
Verstaatlichung ist keine Modesache. Verstaatlichung fordern heute die Arbeiter
aller Länder Europas nach den schweren Erfahrungen blutiger Kriegsjahre. Es geht
darum, zu verhindern, dass einige wenige Großunternehmer im Interesse ihres
Profits Leben, Hab und Gut des Volkes opfern. Es geht für uns in Österreich
darum, dass es kein Königreich Rintelen wieder geben darf, in dem die Herren der
Alpine Montan nach ihrem Gutdünken schalten und walten. Es geht darum, dass die
Macht einer kleinen Clique in der österreichischen Wirtschaft gebrochen werden
muss, um unser Volk gegen die Reaktion und unserem Land den Frieden zu sichern.
Dazu brauchen wir auch in Österreich die Verstaatlichung.
Vergessen wir nicht, dass vor der Besetzung durch Deutschland Österreichs
Wirtschaft beherrscht war von den fünf großen Kapitalisten-Gruppen:
Creditanstalt, Nationalbank, Alpine Montan, Böhler und Schoeller. 200 der
größten Betriebe Österreichs und damit die Schlüsselpositionen der gesamten
österreichischen Wirtschaft waren in ihrem Besitz.
Einige Beispiele: Vier – sage und schreibe vier – Vorstands- und
Direktionsmitglieder der Österreichischen Creditanstalt bekleideten im Jahre
1938 104 Präsidenten-, Direktions- und Aufsichtsratsposten in den
Konzernbetrieben dieser Bank. Sechs Mitglieder der Firma Schoeller hatten 84
Präsidenten- und Verwaltungsratstellen in den großen Konzerngesellschaften des
Hauses Schoeller inne. Eine ähnliche Anzahl führender Posten fiel einigen
wenigen Repräsentanten der Nationalbank, der Alpine und des Böhler-Konzern[s]
zu.
In den Kreisen dieser Herren spuken Gedanken, wie man heute auch in Österreich
noch dem großen Kapital den entscheidenden Einfluss in der Wirtschaft sichern
kann. So hielt Dr. Ing. Ernst Kraus am 5. Juli einen Vortrag unter dem Vorsitz
des Ministers Ludwig in einem der Volkspartei angehörigen Verein „Freie Union“
über die österreichische Elektroindustrie. Er erklärte, dass die Verstaatlichung
der Elektroindustrie fehl am Platze wäre, weil sie „die Privatinitiative und die
Beweglichkeit“ der Elektrounternehmungen zunichte machen könnte. Daher schlug er
vor, an Stelle der Verstaatlichung „unsere Elektroindustrie in zwei große Firmen
zusammenzuschließen und ihren Anschluss an die großen Unternehmungen Englands
und Amerikas zu suchen.“ Dr. Ing. Kraus, dessen Ausführungen von den anwesenden
Volksparteileuten mit großem Beifall aufgenommen wurden, war vor und während der
Hitler-Herrschaft Aufsichtsratsmitglied der Creditanstalt, gleichzeitig auch
stellvertretendes Vorstandsmitglied der Siemens-Halske-A.G. Berlin und ihrer
Filialen in mehreren Staaten der Donauländer.
Die Verstaatlichung muss gerade dort einsetzen, wo die vorherrschenden
Positionen des Großkapitals besonders bedrohlich sind. Daher kann uns ein
Verstaatlichungsplan nicht zufriedenstellen, in dem der Schoellersche Einfluss
auf die Papierindustrie, diese wichtige Exportindustrie, unberührt bleibt, in
dem die Steyr-Daimler-Puch-Werke in privater Hand bleiben und die gesamte
Magnesitindustrie, ein wahre Goldgrube für ihre in- und ausländischen Besitzer,
von der Verstaatlichung ausgenommen sind.
Aber es geht nicht darum, diesen oder jenen Großkapitalisten zu enteignen, an
die Stelle des einen oder anderen zu setzen, die Verstaatlichung soll in unsere
Wirtschaft – wenn sie überhaupt einen Sinn haben soll – etwas grundsätzlich
Neues hineintragen: die Demokratisierung der Wirtschaft.
Die Verstaatlichung soll dem Arbeiter und Angestellten eine gesicherte Existenz
bieten, frei vom Einfluss der Schwankungen, die die kapitalistische Spekulation
hervorruft; die Verstaatlichung soll die Grundlagen des Wohlstandes der Bauern
und Gewerbetreibenden dadurch sichern, dass eine planvolle, gelenkte, vom Staat
geleitete Industrie die großen Erschütterungen vermeidet, die die vielgerühmte
Privatindustrie des Monopolkapitals in der österreichischen so oft hervorgerufen
hat.
Wir sehen also in der Verstaatlichung keine zeitweilige, vorübergehende
Maßnahme, sondern einen wichtigen Schritt zur grundlegenden Änderung der
Struktur unserer Wirtschaft, zur gründlichen Beschränkung des verderblichen
Einflusses großkapitalistischer Monopole auf die Wirtschaft unseres Staates. Die
Erfüllung dieser sozialen Aufgabe der Verstaatlichung ist aber undenkbar, wenn
nicht ganze Wirtschaftszweige mit den ausschlaggebenden Unternehmungen dieser
Wirtschaftszweige verstaatlicht werden und wenn wichtige Hebel der Kontrolle des
Monopolkapitals über Industrie und Wirtschaft von der Verstaatlichung
ausgenommen werden.
Die Verstaatlichung hat nur einen Sinn, wenn sie der Ausschaltung des Einflusses
des Monopolkapitals auf unser Land dient. Dann kann sie den Frieden für uns
sichern, denn in der Hand des demokratischen Staates unter wachsamer Kontrolle
der Arbeiter werden unsere Betriebe nicht wieder zu Waffenschmieden
kriegslüsterner Abenteurer werden.
Die Verflechtung der österreichischen Großbanken und der Großindustrie mit dem
ausländischen Kapital war stets so eng, dass man oft nicht wusste, wo das eine
aufhörte und das andere anfing. Es steht außer Zweifel, dass die Nichtaufnahme
der Magnesitindustrie in die Liste der zu verstaatlichenden Unternehmungen
offenbar mit dem Umstand zusammenhängt, dass hier ausländische Kapitalinteressen
einer Verstaatlichung dieses wichtigen Wirtschaftszweiges entgegenstehen.
Erinnern wir uns: Verstaatlicht ist in Österreich schon oft und manches worden.
Es gibt sogar Betriebe und Unternehmungen, die schon mehrere Male vom Staat
übernommen wurden. Denken wir nur an die Creditanstalt und an die Steyr-Werke,
die bereits wiederholt in Zeiten von Krisen vom Staat saniert und nach einer
Abschöpfung von Steuergeldern der österreichischen Bevölkerung wieder in private
Hände gespielt wurden. Das ist nicht Verstaatlichung, sondern Rettung einzelner
Großunternehmer vor dem Bankrott. Gegen eine solche so genannte Verstaatlichung
müssen wir scharf Stellung nehmen.
Aber der Gesetzentwurf enthält einen Punkt, der uns in bedenklicher Weise an
jene Zeiten erinnert. Es ist der § 3, der dem Bundesministerium für
Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung das Veräußerungsrecht verstaatlichter
Unternehmungen und Betriebe zuspricht, sofern dies mit dem Staatsinteresse
vereinbar ist. Wir halten diesen Paragraphen für viel zu dehnbar und unpräzise,
als dass er eine Sicherung gewähren würde gegen jene Sanierungsmanöver für
Privatbetriebe, die in der Vergangenheit den Gedanken der Verstaatlichung in
Österreich so diskreditiert haben.
Wir wollen keine zeitweilige, sondern eine endgültige Verstaatlichung der Banken
und der Schlüsselindustrie. Dafür kämpft die österreichische Arbeiterschaft,
dafür hat sich der Österreichische Gewerkschaftsbund ausgesprochen, und so wurde
auch das Passus der Verstaatlichungserklärung des Herrn Bundeskanzlers Ing. Figl
verstanden. Wir vermissen in dem vorliegenden Gesetzentwurf eine genaue
Umschreibung der Wirtschaftsgebiete, die der Verstaatlichung unterliegen, und
noch mehr eine Bestimmung, nach welchen Gesichtspunkten zu verstaatlichen ist.
Die Liste zu verstaatlichender Betriebe enthält nur Unternehmungen der Berg- und
Hüttenindustrie, einige Betriebe der Starkstrom- und Maschinenindustrie, sie
umgeht aber dabei große Unternehmen von ausschlaggebender Bedeutung für
Österreich. Besonders auffallend ist es, dass außer der Magnesitindustrie die
Fahrzeugindustrie vollkommen fehlt, die für unseren Export und Handel nach dem
Osten von entscheidender Bedeutung ist. Von der chemischen Industrie sehen wir
nur die Stickstoffwerke in Linz, hingegen fehlen die Donau-Chemie, die
Schicht-Werke, die Semperit-Werke und andere. Für den Wiederaufbau Österreichs
wäre von größter Bedeutung die Übernahme der größten Baumaterialbetriebe durch
den Staat, die bisher unter privatkapitalistischer Leitung so gut wie nicht in
Gang gekommen sind. Hier wäre die Möglichkeit, derartige Betriebe in die
Verwaltung der Länder und Gemeinden als Hauptverbraucher zu übertragen und
dadurch ihre weitestgehende Ausnützung zu ermöglichen.
Wir vermissen in der Liste der zu verstaatlichenden Betriebe die in privater
Hand befindlichen großen Kraftwerke. Dabei ist die Energiewirtschaft sicherlich
das größte unausgebaute Aktivum unserer Wirtschaft, und alle Parteien haben sich
für ihre Verstaatlichung ausgesprochen. Organisationsfragen, die noch zu klären
sind, dürfen nicht daran hindern, ihre Verstaatlichung auszusprechen.
Ich möchte weiter darauf verweisen, dass sich die Vertreter aller drei Parteien
in einer Versammlung des Verlegerverbandes für die Verstaatlichung der
Papiergroßindustrie ausgesprochen haben, die in privater Hand ein entscheidendes
Hemmnis für eine wahre Pressefreiheit in Österreich ist. Ähnliches gilt für die
größten Textilbetriebe in Österreich, wie für die Lenzinger Zellwollwerke oder
die Vöslauer Kammgarnspinnerei, einen Konzernbetrieb der zu verstaatlichenden
Creditanstalt, die erst vor kurzem aus staatlicher Verwaltung auf einem nicht
sehr klaren Weg in private Hand übergeben wurde.
In einer Reihe von Anträgen, die ich am Schluss meiner Ausführungen zu der
Anlage zum Verstaatlichungsgesetz einbringen werde, sind die Firmen angeführt,
deren Verstaatlichung ebenso notwendig ist, wie die der aufgezählten
Unternehmungen.
Vor kurzem hat im Namen unserer Partei Nationalrat Fischer erklärt (liest):
„Wir Kommunisten sind konsequent im Kampf für die Verstaatlichung aller
Industrien ohne Rücksicht auf ausländische Interessen und fordern dieselbe
Konsequenz von den anderen.“
Diese Konsequenzen vermissen wir aber im vorliegenden Gesetzentwurf. Sonst wäre
es nicht zu verstehen, warum gerade Betriebe mit notorischer Beteiligung des
Kapitals westeuropäischer Länder nicht in die Verstaatlichungsliste aufgenommen
worden sind. In der Tschechoslowakei und Jugoslawien ist man anders vorgegangen.
Dort hat man große Industriezweige verstaatlicht, und nach der Verstaatlichung
ist der Staat in Verhandlungen mit den ausländischen Aktionären der
verstaatlichten Unternehmen getreten, um mit ihnen die Frage einer Ablösung
ihrer Anteile zu klären. Der Weg, der bei uns beschritten wurde, ist der
umgekehrte: wo ausländisches Kapital Ansprüche erhebt, wird von der
Verstaatlichung abgesehen.
Ein weiterer Einwand, den wir gegen das vorliegende Gesetz zu machen haben,
bezieht sich auf die Verwaltung der verstaatlichten Betriebe. Der Schritt, den
wir heute zu machen haben, ist von einer derartigen Bedeutung, dass es nicht
angeht, dass das Gesetz als Rahmengesetz die wichtige Frage der künftigen
Verwaltung der verstaatlichte[n] Betriebe einfach einem Ministerium überlässt.
Wenn Verstaatlichung Demokratisierung der Wirtschaft bedeuten soll, dann müssen
an der Verwaltung der verstaatlichten Betriebe die Arbeiter und Angestellten
dieser Betriebe und die Arbeiter- und Angestelltenschaft überhaupt einen
maßgebenden Anteil erhalten. Wir haben oft in der Presse der Österreichischen
Volkspartei den Einwand gegen die Verstaatlichung gelesen, dass Verstaatlichung
die Übergabe der Leitung der Wirtschaft an Staatsbeamte wäre. Aber so stellen
wir uns die Verstaatlichung nicht vor. Darum schlagen wir vor, dass erstens die
verstaatlichten Betriebe in einem neu zu schaffenden Bundesministerium
zusammengefasst werden, dem Bundesministerium für staatliche Unternehmungen, an
dessen Spitze unserer Meinung nach unbedingt ein Gewerkschafter, also ein
Vertreter der Arbeiter und nicht ein Vertreter des Kapitals zu stehen hätte.
Dies ist übrigens auch eine Forderung, die einvernehmlich vom Vorstand des
Österreichischen Gewerkschaftsbundes aufgestellt wurde. Weiters schlagen wir
vor, dass in diesem Ministerium ein Wirtschaftsrat aus Vertretern der
Betriebsleitungen der verstaatlichten Unternehmungen, der Arbeiter- und
Angestelltenschaft und der Konsumentenschaft zur Führung der Geschäfte der
verstaatlichten Betriebe zu schaffen ist. Die Verwaltung jedes einzelnen
verstaatlichten Unternehmens muss durch die Teilnahme der Arbeiter und
Angestellten des Betriebes an seiner Verwaltung demokratisch gestaltet werden.
Gerade darin wird das Neue und Fortschrittliche der Verstaatlichung liegen, und
nur wenn das im Gesetz, das heute angenommen werden soll, enthalten ist, kann
die Arbeiterschaft überzeugt sein, dass es dem Nationalrat mit der
Verstaatlichung ernst ist.
Das Fehlen jeder wie immer gearteten Bestimmung über die Verwaltung der
verstaatlichten Betriebe löst unter der Arbeiterschaft die Befürchtung aus, es
könnte sich bei diesem Gesetzentwurf um eine optische Maßnahme oder um ein
politisches Manöver handeln.
Schließlich bedarf noch eine Frage der Klärung: was geschieht mit dem Reingewinn
der verstaatlichten Unternehmungen? Dafür finden wir keine Vorsorge im
Gesetzentwurf. Unser grundsätzlicher Standpunkt, den wir in einem Zusatzantrag
darlegen, ist folgender:
Der gesamte Reingewinn der verstaatlichten Unternehmungen und Betriebe hat
grundsätzlich und ausschließlich der Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter
und Angestellten zu dienen, und zwar sind wir der Auffassung, dass ein Teil des
Reingewinnes der Schaffung sozialer Einrichtungen für Arbeiter und Angestellte
des Betriebes zu widmen ist, der Gewinn abwirft. Das wird ein Ansporn zur
zweckmäßigen Bewirtschaftung der verstaatlichten Unternehmungen sein. Der Rest
des Reingewinnes soll unserer Meinung nach sozialpolitischen Maßnahmen,
insbesondere dem Ausbau der vorbeugenden Heilfürsorge bei der Bekämpfung von
Volks- und Berufskrankheiten zugeführt werden. Es ist keine unbillige Forderung,
dass die verstaatlichten Betriebe ihren Reingewinn der Besserung der Lage der
Arbeiter und Angestellten widmen sollen. Hier liegt die große soziale Aufgabe
der staatlichen Industrie und hier liegt ein großer Unterschied zwischen ihr und
kapitalistischen Betrieben. Der Gewerbetreibende und der Bauer werden aus
aktiven staatlichen Betrieben nur Vorteile schöpfen, denn sie sind sicher, dass
sie ihren Bedarf bei verstaatlichten Betrieben nicht zu spekulativen Preisen,
sondern zu einem angemessenen Preis decken können, und sie haben ein Interesse
daran, dass ein gutgestellter Arbeiter auch ein guter Abnehmer ihrer Erzeugnisse
ist.
Die Verstaatlichung ist ja nicht eine Maßnahme der Übergangszeit, sondern eine
Maßnahme für lange Sicht. Sie soll die Grundlage der österreichischen
Wirtschaft, an deren Aufbau wir alle interessiert sind, jetzt vollkommen neu
gestalten. Eben darum glaube ich, dass dieser unser Antrag nur eine Sache der
Gerechtigkeit ist und dem Interesse aller Bevölkerungsschichten an der
Verstaatlichung entspricht.
Es ist in der letzten Zeit oft der Versuch unternommen worden, den Gedanken der
Verstaatlichung der Industrien anzuschwärzen und zu erklären, dass der wahre Weg
zur Besserung der Lage der Arbeiter und Angestellten der Weg der
Vergenossenschaftung ist.
Der Antrag Altenburger und Genossen über Verstaatlichung und Sozialisierung von
Unternehmungen, der aufs engste mit dem in Verhandlung stehenden zusammenhängt,
sieht in der Bildung von Werksgenossenschaften den Weg zur Überwindung der
Abhängigkeit des Arbeiters vom Kapital. Der Gedanke einer genossenschaftlichen
Zusammenfassung der Arbeiter mit den Unternehmern ist mehr als hundert Jahre
alt, und die Erfahrungen auf diesem Gebiet sind durchaus eindeutig. Es würde zu
weit führen, wenn ich hier darlegen wollte, wie oft seit dem ersten Versuch der
Gewinnbeteiligung der Arbeiter, der im Jahre 1829 in England gemacht wurde, der
Gedanke einer Gewinnbeteiligung in die Arbeiter hineingeworfen wurde und wie
gering das Echo war, das diese Vorschläge in der Arbeiterschaft gefunden haben.
Die bekanntesten Werksgenossenschaften, die man gewöhnlich als Beispiel anführt,
waren die Zeiss-Werke in Jena, ein einzigartiger Monopolbetrieb, der es sich
gestatten konnte, seinen Arbeitern einen gewissen Gewinnanteil auszuzahlen.
Beispiele solcher Werksgenossenschaften findet man auch in anderen Ländern. Eine
solche Werksgenossenschaft waren die Bata-Werke in der Tschechoslowakei bis zu
ihrer Verstaatlichung, mit dem einzigen Ergebnis, dass ihr Gründer, Herr Bata,
zum Multimillionär wurde, während tausende Werksgenossen als bescheidene
Schuhfabriksarbeiter gelebt haben und gestorben sind.
Es darf auch nicht vergessen werden, dass der Gedanke einer Beteiligung der
Arbeiter am Gewinn privater Unternehmungen gewöhnlich als ein Kampfmittel gegen
die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter verwendet wurde. Es kann kein
Zufall sein, dass eine autoritäre Stimme, die sich vor kurzem in Italien für die
korporative Wirtschaftsform ausgesprochen hat, gleichzeitig für den Gedanken
einer Lostrennung christlicher Arbeiter von den übrigen organisierten Arbeitern
eingetreten ist. Wir wollen es klar sagen: jeder Versuch, die Arbeiter zu
spalten, ihren einheitlichen Gewerkschaftsbund, der eine der wichtigsten
Errungenschaften der österreichischen Arbeiter seit der Befreiung ist, zu
spalten, wäre verderblich nicht nur für die österreichische Arbeiterklasse,
sondern auch für die österreichische Demokratie.
Wenn also der Gedanke der Sozialisierung, wie ihn manche Kreise der
Österreichischen Volkspartei vertreten, diesem Zweck dienen soll, dann muss er
auf das schärfste abgelehnt werden. Man darf das Bewusstsein der
österreichischen Arbeiterklasse nicht unterschätzen: was sie in schwersten
Kämpfen errungen hat, hält sie fest in ihren Händen, und man darf nicht glauben,
dass sie so dumm ist, die einmal erkämpfte Einheit ihrer Gewerkschaften für
irgendwelche Anteilscheine zu opfern. Das bedeutet nicht, dass man die Schaffung
von Werksgenossenschaften ablehnen muss. Sie können ihren kleinen und
bescheidenen Wirkungskreis haben, sie sind aber unserer Überzeugung nach zur
Führung großer Betriebe nicht geeignet. Das Rahmengesetz, das zu dieser Frage
vorgeschlagen wird, ist überdies sehr unbestimmt gehalten.
Wir wollen eine wirkliche Verstaatlichung mit demokratischer Verwaltung der
Betriebe und keine Ersatz-Verstaatlichung durch Werksgenossenschaften. Das soll
mit voller Klarheit gesagt werden.
Hohes Haus! Am Beginn meiner Ausführungen habe ich aufgezeigt, dass unter den
gegenwärtigen Umständen nur ein Weg für uns gangbar ist, der Weg der
konsequenten Verstaatlichung der Schlüsselstellungen unserer österreichischen
Volkswirtschaft. Wir glauben nicht, dass dieser Weg zur vollen Ausschaltung des
ausländischen Kapitals führen kann und führen wird. Aber eines ist sicher: er
würde zur Stärkung unserer Positionen führen und auch zur Klärung der Frage des
deutschen Eigentums in Österreich beitragen. Aber wenn wir diesen Weg nicht
gehen und man sich auf optische Maßnahmen beschränkt, dann werden die
entscheidenden Betriebe in der Hand des inländischen und ausländischen Kapitals
bleiben, und Österreich würde wieder Gefahr laufen, zum Tummelplatz fremder
Interessen zu werden, Krisen würden unser Land erschüttern und Österreichs
Betriebe könnten leicht wieder Rüstkammern für fremde Länder werden.
Halbe Maßnahmen führen zu nichts. Wir wollen die Verstaatlichung für ein
Österreich des Friedens und des Aufbaus. Der von uns vorgeschlagene Weg einer
umfassenden wirklichen Verstaatlichung entspricht den Wünschen der
Arbeiterschaft. Er ist kein Allheilmittel, aber er kann uns zu einem ernst zu
nehmenden Partner bei den Verhandlungen über Österreichs Zukunft machen, bei
denen wir heute kaum Zuschauer sind.
[...] (Honner verliest die beiden Abänderungsanträge der KPÖ)
Quelle: Stenographische Protokolle. 30. Sitzung des Nationalrates der
Republik Österreich, V. Gesetzgebungsperiode, 26. Juli 1946, S. 699–711.
Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 2/2006
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