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Claudia Kuretsidis-Haider: Der große Streik des September/Oktober 1950
Am 30. September 2000 veranstaltete die Alfred Klahr Gesellschaft im Saal
der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten in der Maria-Theresienstraße in Wien ein
Symposium zum Streik des September und Oktober 1950. Der Präsident der AKG,
Univ.-Prof. Dr. Hans Hautmann, sprach über den Platz des Oktoberstreiks in der
österreichischen Geschichte, der Vorsitzende des GLB, Manfred Groß, über die
Nachwirkungen des Streiks in Bezug auf die Entstehung der Sozialpartnerschaft
in Österreich. Mag. Elke Renner analysierte das Geschichtsbild, das über den
Oktoberstreik in Schulbüchern transportiert wird. Das Symposium war eine der
größten von der AKG durchgeführten Veranstaltungen und mit mehr als 100
Personen hervorragend besucht. In den sehr lebhaften Diskussionen im Anschluß
an die Referate ging es in den Wortmeldungen – neben der Kritik an der
Parteiführung der KPÖ, die zur Unterbrechung des Streiks aufrief – vor allem um
die ablehnende Haltung der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung, die in
der zweiten Phase in einen offenen Kampf gegen die Streikbewegung mündete,
obwohl sich zu Beginn des Streiks auch eine große Anzahl an SozialdemokratInnen
an den Protesten beteiligt hatten.
Der ORF entsandte ein Berichterstatterteam, dem der damalige Vorsitzende der
gesamtösterreichischen Betriebsrätekonferenz und Betriebsratsobmann der
Fiat-Werke, Ernst Schmidt, ein ca. halbstündiges Interview gab. Dieses
wurde am 2. Oktober in der Zeit im Bild um 13 Uhr sehr stark gekürzt gesendet.
Der als „Retter“ Österreichs gefeierte Vorsitzende der Gewerkschaft für die
Bau- und Holzarbeiter, Franz Olah, erhielt einen weitaus größeren Zeitraum zur
Darstellung der Ereignisse aus seiner Sicht.
Im Anschluß an die Referate fand unter dem Vorsitz von Oswald Broz eine rege
Podiumsdiskussion statt, an der Ernst Schmidt, Karl Flanner, der in Wr.
Neustadt am Streik beteiligt war, der seinerzeitige Betriebsrat der Firma Görz,
Walter Stern, sowie die ehemalige Sekretärin der Bezirksleitung der KPÖ in
Steyr, Auguste Zehetner, teilnahmen.
Das Referat von Manfred Groß ist in dieser Nummer der Mitteilungen der AKG
abgedruckt, die Ausführungen von Hans Hautmann sollen im folgenden kurz
dargestellt werden:
• Der Streik des September / Oktober 1950, der größte Streik der
österreichischen Nachkriegsgeschichte, war eine der bedeutendsten Kampfaktionen
in der Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung, die auf eine lange
Tradition der Streikkämpfe zurückblicken kann. Zum heftigen und radikalen
Ausbruch kamen diese Kämpfe vorwiegend dann, wenn ein Mangel an Lebensmitteln
herrschte und Grundnahrungsmittel verteuert wurden. Das war auch im September
1950 der Fall.
• Im herrschenden Geschichtsbild wurde (und wird teilweise noch immer) diese
große Kampfaktion breiter Teile der Arbeiterschaft über parteipolitische
Grenzen hinweg als Werk einer kleinen Minderheit von kommunistischen
Putschisten, die mit sowjetischer Hilfe agierten, verunglimpft. Eine
kommunistische Machtübernahme wäre demnach nur von besonnenen
sozialdemokratischen ArbeiterInnen verhindert worden.
• Das Zusammentreffen von drei Faktoren führte zum Streik im September /
Oktober 1950:
a) Das Zurückbleiben der Kaufkraft der arbeitenden Menschen gegenüber dem
angestiegenen Lebensmittel- und Warenangebot sowie die Kluft zwischen dem
niedrigen Lohnniveau und den sprunghaft angewachsenen Profiten.
b) Die Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen und Angestellten aufgrund der von
ihnen mit den vorhergegangenen drei Lohn- und Preispaketen gemachten
Erfahrungen.
c) Die aufklärende und organisierende Tätigkeit der KommunistInnen in den
Betrieben.
• Der Streik im Oktober / September 1950 war daher keine rein spontane oder
elementare, sondern eine in hohem Maße organisierte Kampfbewegung, bei der die
Zurücknahme des 4. Lohn- und Preisabkommens, die Zurückziehung der
Preiserhöhungen oder die Verdoppelung der vorgesehenen Lohnerhöhungen, ein
gesetzlicher Preisstopp und keine weitere Schillingabwertung gefordert wurden.
• Die erste massive Bewegung des Streiks begann in Großbetrieben in Linz und
Steyr, also in der amerikanischen Besatzungszone. An die 40% der
Industriearbeiterschaft, des Kerns der österreichischen Arbeiterklasse,
beteiligte sich an dem Ausstand, nur ein relativ kleiner Teil davon war in den
USIA-Betrieben beschäftigt.
• Der Streik verlief in zwei Wellen: von 26. – 29. September und von 4. – 6.
Oktober, unterbrochen aufgrund eines Aufrufes der KPÖ. Die Intention war, ein
zentrales Streikkomitee durch eine gesamtösterreichische Betriebsrätekonferenz
zur Weiterführung des Streiks, zu allfälligen Verhandlungen und zur
organisierten Beendigung des Ausstandes zu legalisieren.
• Die Streikunterbrechung wurde von der Regierung und der sozialdemokratisch
dominierten Gewerkschaftsspitze zum Anlaß genommen, die Legende vom
kommunistischen Putschversuch in Umlauf zu bringen.
• Der Streik im September/Oktober 1950 war nicht ausschließlich
wirtschaftlicher Natur, da jeder ökonomische Kampf größeren Ausmaßes eine
politische Bedeutung bekommt, und das Ziel der Bewegung der Fall des von der
Regierungskoalition, den Unternehmern und der Gewerkschaftsspitze
ausgehandelten 4. Lohn- und Preispaktes war. Die Gründe dieses Abkommens waren
ebenfalls politischer Natur, nämlich die Schaffung der Möglichkeit der
Wiederaufrichtung der wirtschaftlichen Macht der Kapitalistenklasse sowie die
Reinstallierung der nach 1945 eingeschränkten Mechanismen der sogenannten
„freien Marktwirtschaft“.
• Die – politische – Intention der KPÖ als Streikführerin lag in der Sprengung
des Bündnisses der Kapitalistenklasse mit der rechten SPÖ-Führung und den ihr
folgenden ArbeiterInnenmassen. Sie suchte aus der mit den Unternehmern
paktierenden Gewerkschaft wieder eine Gewerkschaft des Kampfes und der Interessenswahrnehmung
der ArbeiterInnenmassen im Sinne der Klasseneinheit der ArbeiterInnenschaft zu
machen sowie zu verhindern, daß die Lasten des Wiederaufbaues der Wirtschaft
einseitig auf den Schultern der arbeitenden Bevölkerung gelegt werden.
• Die politische Dimension des Streiks zeigte sich auch vor dem Hintergrund der
allgemeinen weltpolitischen Situation (Ausbruch des Koreakrieges im Juni 1950),
im Zuge derer die Spannungen des Kalten Krieges zwischen der UdSSR und den USA
einen Höhepunkt erreichten.
• Mit Hilfe der amerikanischen und britischen Besatzungsmächte in ihren
Besatzungszonen, deren Präsenz die Zuversicht der Regierung Figl/Schärf
stärkte, gelang es den Behörden und der Gewerkschaftsführung, massive Mittel
des Streikbruches wie die Aussperrung mit Waffengewalt, die Besetzung von
Betrieben mit bewaffneter Gendarmerie und Polizei einzusetzen. Der Streik wurde
am 6. Oktober abgebrochen. Insgesamt wurden mehr als 1000 ArbeiterInnen
entlassen oder gekündigt, 85 Mitglieder aus den Leitungsgremien des ÖGB
(kommunistische GewerschaftssekretärInnen und ÖGB-Angestellte) ausgeschlossen.
• Vordergründig betrachtet endete der Streik mit einer Niederlage, da keine der
Forderungen durchgesetzt werden konnte. Dennoch versetzte er den Herrschenden
einen Schock, sodaß das 5. und letzte Lohn- und Preisabkommen 1951 weitaus
gemäßigter ausfiel. Es wurde propagandistisch gut vorbereitet und rief keinen
Widerstand mehr hervor. In weiterer Folge hörte man mit der Methode der
Lohn-Preis-Pakte überhaupt auf und räumte den Einzelgewerkschaften einen
größeren Spielraum in der Tarifpolitik ein.
• Für die KPÖ hatte die Streikbewegung kurzfristig positive Auswirkungen: ihr
Ansehen in der Arbeiterschaft wurde gefestigt, sie konnte ihren Stimmenanteil
bei Betriebsratswahlen erheblich steigern, bei der Bundespräsidentenwahl 1951
erhielt der Kandidat der KPÖ die höchste Stimmenanzahl, die die Partei bei
Wahlen in der Geschichte jemals erreichte.
• Der Streik des September / Oktober 1950 bildete eine Wegscheide für die
österreichische ArbeiterInnenbewegung. Der in den Nachfolgejahren einsetzende
Wirtschaftsaufschwung förderte eine Politik, welche die ökonomischen
Gegensätze, die bis dahin von weiten Teilen der Arbeiterschaft nach wie vor als
solche erkannt und bekämpft wurde, von den Fabriken und von der Straße auf den
„grünen Tisch“ verlagerte. Das wiederum verstärkte die Entpolitisierung der
Bevölkerung und somit die Sozialpartnerschaft, die zum Symbol der auf Harmonie
fußenden österreichischen Gesellschaft als vielbewunderter und beneideter
„Insel der Seligen“ wurde.
Neben diesem großen Symposium in Wien war die Alfred Klahr Gesellschaft auch
an drei weiteren Veranstaltungen beteiligt, auf denen Präsident Hans Hautmann
Referate hielt.
Am 7. Oktober fand im Saal der Landesleitung OÖ der KPÖ in der Melicharstraße
in Linz eine gutbesuchte Veranstaltung mit dem Titel „Heiße Tage im Herbst“
statt. Neben dem Referat von Hans Hautmann las Alenka Maly aus dem Buch „Am
Taubenmarkt“ von Franz Kain über den Oktoberstreik in Linz. Im Anschluß gab es die
Möglichkeit des Gesprächs mit ZeitzeugInnen.
Am 20. Oktober organisierte die KPÖ Leoben eine Diskussion zum Thema „Fünfzig
Jahre Oktoberstreik: Kommunistenputsch?“, an der auch der KPÖ-Gemeinderat aus
Trofaiach, Karl Russheim, der den Streik als junger Arbeiter im Werk Donawitz
erlebte, teilnahm. Die anschließende Diskussion verlief sehr turbulent und
kontroversiell, da auch ehemalige sozialdemokratische Arbeiter des Werkes
Donawitz eingeladen waren, die der KPÖ den Vorwurf machten, den Streik mißbraucht
zu haben. Daß es sich dabei aber um keinen Putsch gehandelt hatte wurde auch
von ihnen bestätigt.
Am 7. November führte der Kommunistische Studenten Verband Salzburg auf der
Universität Salzburg eine Veranstaltung mit dem Titel „Der große Streik 1950 –
Die Lüge vom Putschversuch“ durch. Neben dem Vortrag von Hans Hautmann wurde
ein Video mit einem Interview des ehemaligen KPÖ-Betriebsrates der AMAG
Ranshofen, Fritz Gerhartinger, vorgeführt, der sehr anschaulich über den Ablauf
des Streiks im Werk und die darauffolgenden Maßregelungen, die besonders ihn
betrafen, berichtete.
Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 4/2000
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