Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Aus dem Archiv: Viktor Matejka – Kulturstadtrat

Über die Schwierigkeit, einer öffentlichen Funktion ein politisches Profil zu geben

Matejka war, wie allgemein bekannt, ein Schwieriger, ein Querkopf; heute würde man Querdenker sagen. Das war nicht eine von ihm bis ins hohe Alter kultivierte Attitüde sondern durchaus ein wenig positiver Wesenszug, der zu massiven Konflikten in seinem Amt und in seiner Funktion als zeitweiliger Chefredakteur des Österreichischen Tagebuchs führte. Reihenweise „verbrauchte“ er Sekretärinnen und andere Mitarbeiter und vermischte sein Privatleben mit seinen Funktionen und eskalierte Auseinandersetzungen schrankenlos.
Karl Röder sieht ihn als Egozentriker, der halt alles sei, aber eben kaum ein Kommunist /1/. Trotz der schon massiven Probleme, die zwischen der Partei und Matejka bestanden, blieb dieser Konflikt „gedeckelt“. Die Partei verhielt sich ihm gegenüber korrekt, würdigte seine Person und seine Tätigkeit, auch blieb Matejka ZK-Mitglied (bis März 1957).
Matejkas Plaudereien (Röder verwendet den Begriff „Tratsch“, den er auch im KZ Dachau auslebte) an der Grenze zwischen Wahrheit und Dichtung machten ihn bis ins hohe Alter zu einem gern gesehenen Gast bei allen möglichen Veranstaltungen. Als Beispiel möge ebenfalls aus seinen Erinnerungen zitiert werden, in denen er beschreibt, wie er sich gegen die von der Kaderabteilung eingeforderte Abgabe eines „Lebenslaufes“ wacker zur Wehr gesetzt haben will. „In diesem lebenslauflosen Zustand, mit dem sich Kaderbüro und sonstige Instanzen abfinden mußten, verblieb ich auch weiterhin. Im Nachhinein müßte es mir zu denken geben, daß diese Tatsache keinem Mitglied des Zentralbüros (sic! – es muss natürlich Zentralkomitee heißen – W.W.) auffiel, dem ich immerhin bis Frühjahr 1957, also insgesamt durch zwölf Jahre hindurch, angehörte.“ (Erinnerungen, S. 145, vgl. Anm. 1) In Wahrheit hat Viktor Matejka einen Lebenslauf ausgefüllt, und das durchaus nicht zu knapp, und damit die im Vordruck vorgesehenen Zeilen sprengend.
Nachdem er über Antrag von Johann Koplenig vom Polbüro im Februar 1957 als Leiter vom Tagebuch durch Ernst Fischer ersetzt wird, war er weiter als Redakteur tätig. Erst im September 1965 wird im Einvernehmen mit ihm die Kündigung ausgesprochen.
Noch 1971 lobte Fritz Glaubauf /2/ in ihm den „Unbequemen“ und seine in nur dreijähriger Zeitspanne als Stadtrat erreichten Ergebnisse für die Kultur Wiens und Österreichs. Erst Ende der 1970er Jahre sollte sich die Öffentlichkeit im Zuge der Beschäftigung mit der „Vertriebenen Vernunft“ wieder an den „kommunistischen Stadtrat“ Matejka erinnern, als er und seine Leistungen eine späte Anerkennung und Würdigung fanden.
Doch wie anders war das damals, in der Nachkriegszeit. Über Matejka, der nach dem Ende seiner Tätigkeit als Stadtrat von 1948-54 Gemeinderat der KPÖ war, war zum Ausscheiden aus dieser Funktion in der Arbeiterzeitung zu lesen: „Die Kommunisten haben ... die früheren Gemeinderäte Dr. Karl Altmann (den ehemaligen Energieminister) und Dr. Viktor Matejka (den ehemaligen Stadtrat für Kultur und Volksbildung) ausgeschifft. An ihre Stelle treten zwei völlig Unbekannte, offenbar Paradestücke der anderen Gruppen der so wenig erfolgreichen Volksopposition. Die zwei Hinausgeworfenen sind bezeichnenderweise beide Intellektuelle und beide Renegaten: Doktor Altmann von den Sozialisten, Doktor Matejka von den Dollfuß-Christlichsozialen. Beide haben also nichts Besseres verdient, als was sie jetzt erfahren; beide müssen es seit langem befürchtet haben. Beide wären ja gerne abgesprungen, bevor sie abgestoßen wurden, wenn sie sich nur getraut hätten.“ (28.10.1954). Dass die Arbeiterzeitung eineinhalb Jahre zuvor noch über Matejkas „austrofaschistische Vergangenheit“ herzog und ihn einen „ehemaligen Günstling Dollfuß'“ nannten (2.2.1951), störte sichtbar nicht. Das war der Kalte-Krieg-Stil der Arbeiterzeitung unter dem Chefredakteur Oskar Pollak.
Matejkas Arbeitsschwerpunkt nach seiner Gemeinderatstätigkeit war die kulturpolitische Zeitung der KPÖ, das Tagebuch. Ohne Zweifel kann das, was er hier an kulturpolitischer Arbeit leistete, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Doch ging das unter in dem dumpfen Antikommunismus, im „Kultursumpertum“, gegen das Matejka nicht müde wurde im Tagebuch anzuschreiben.
Das hier wieder gegebene Dokument zeigt einerseits die Schwierigkeit, die die (kommunistischen) Mitarbeiter mit Matejkas „Arbeitsstil“ hatten, andererseits auch die, die sich aus dem Widerspruch zwischen politischen Ansprüchen, und deren Nichtrealisierung durch den „Genossen Matejka“ in dieser Funktion ergaben. Der Verfasser dieses Schreibens an den Sekretär der KPÖ Friedl Fürnberg war Dr. O. K., ein Kommunist, der in den USA in Emigration gelebt hatte und in der Uniform der US-Army nach Österreich zurückgekehrt war. Er war mit Dr. F. W., der sich dieser Einschätzung anschloss, enger Mitarbeiter von Matejka und danach als Lehrer tätig.

Willi Weinert

Lieber Genosse Fürnberg,

in der Anlage einige Bemerkungen, zu denen ich das letzte Mal in der Eile des Gesprächs nicht mehr gekommen bin. Es versteht sich von selbst, dass diese „Bemerkungen“ vertraulich bleiben müssen und nur als Information für Dich ihre Aufgabe erfüllen können. Diese Art Berichterstattung ist mir bestimmt nicht angenehm. Es ist nur so, dass ich im Augenblick keinen anderen Weg vor mir sehe, da es schon seit vielen Monaten zu keiner Aussprache zwischen uns und dem Genossen Matejka gekommen ist. Ich bitte Dich auch, den Genossen [Josef] Lauscher bei Gelegenheit und in einer Dir geeigneten Form von dem Inhalte der nachfolgenden Bemerkungen in Kenntnis zu setzen. /3/

Mit bestem Gruß
O. K. [eigenh. Unterschrift]

Vertraulich
Wien, den 26. November 1948
An den
Genossen Friedl Fürnberg
Wien IX., Wasagasse 10

Einige Bemerkungen zur Arbeit unseres Genossen Matejka

In der Zusammenarbeit unseres Genossen Matejka mit der Fraktion im Kulturamt sind Schwierigkeiten aufgetaucht, welche sich in den letzten Wochen erhöht haben. Es hat persönliche Reibungen und Zusammenstöße gegeben. Die folgenden Zeilen sind ein Versuch, die politischen Fragen herauszuarbeiten, die sich hinter diesen persönlichen Reibungen verbergen. Gleichzeitig soll der Weg angedeutet werden, auf dem die Schwierigkeiten überwunden werden könnten.

Es besteht kein Zweifel, daß die Arbeit des Genossen Matejka für unsere Partei im Augenblick ein Positivum darstellt. Der Genosse Matejka hat sich in Wien einen Namen gemacht. Er ist viel genannt und zumeist im anerkennenden Sinn. Er ist überall dabei, wo es sich um kulturelle Bestrebungen handelt und er hat Vereinigungen und Personen mit Rat und Tat geholfen. Er ist ein Volksbildner mit Leib und Seele. Er will Kunst und Wissen ins Volk tragen und den Besitz kultureller Güter möglichst vielen vermitteln. Er möchte überall dabei sein, bei den Freistilringern und den Symphonikern, bei den bildenden Künstlern und den Philatelisten, bei den Werbegraphikern und bei der Augarten-Porzellan, bei Heimatpflegern und beim Olympischen Komitee, in allen Premieren der Wiener Kinos und Theaters usw. usw. Und seine Anregungen sind immer praktisch und wertvoll.

Das ist für den Genossen Matejka das „Leben“, das er liebt und dessen Meisterung ihm wertvoller erscheint als alle unsere marxistische Theorie. Er ist bereit, zu helfen, wobei er dem kleinen Kunstschüler ebenso hilft wie Kokoschka und Charoux. Er verfügt über sehr viele und wertvolle Kontakte.

Der Genosse Matejka ist der Anreger der Plakatausstellung gewesen und der Vater des Gedankens, Plakatplanken um Ruinen  zu legen. Er ist ein Werbefachmann von Format. Er hat einmal erklärt, daß der Praterausrufer, der mit den Worten: „Hereinspaziert meine Herrschaften“ die Kunden anlockt, schon immer sein Vorbild gewesen ist. Er ist auch ein umsichtiger Regisseur. Bei Empfängen, Ehrungen, Feiern, die er veranstaltet, klappt die Regie fast immer. Der Genosse Matejka leistet auf diesem Gebiet Erstaunliches. Er übersieht nur, daß diese Aktionen bei all ihrem Wert wenig wirklich Politisches darstellen. Es kann kein Zufall sein, daß die sonst zu Angriffen so bereite „Arbeiterzeitung“ den Genossen Matejka noch niemals politisch angegriffen hat. Es dürfte uns auch nicht gleichgültig sein, wenn Vizebürgermeister Weinberger unseren Genossen Matejka im „Kleinen Volksblatt“ den unkommunistischen Kommunisten nennt.

Der Genosse Matejka sieht nicht, daß 99% der Dinge, die er mit so viel Enthusiasmus und so viel Hingabe betreibt, mit dem Kampf der Arbeiterklasse nichts zu tun habe, und daß er als Kommunist die Rolle eines zwar aktiven und dynamischen, aber im Grunde doch bürgerlichen Funktionärs der Stadtverwaltung spielt – fern vom Kampf der Arbeiterklasse, fern der Kommunistischen Partei. Bei uns herrscht Burgfriede. Es ist klar, daß wir als Amt verschiedene Dinge betreiben müssen, die uns rein ressortmäßig unterstehen: Die Singschule, die Modeschule etc. Wir müßten versuchen, auch in diese „Verwaltungsarbeit“ etwas Politisches hineinzubringen, darüber hinaus aber alles tun, um die Menschen dieser Stadt auf dem kultur-politischen Gebiete zu mobilisieren, ihnen eine Fahne zu sein, im Kampf gegen kulturelle Reaktion und für eine fortschrittliche Auffassung auf den tausend und abertausend Abschnitten des kulturellen Lebens.
Genosse Matejka will diesen Weg nicht beschreiten. Selbst bei Gelegenheiten, die sich von selbst ergaben, hat er immer wieder das Bestreben gezeigt, politische Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Dazu einige Beispiele aus dem vergangenen Jahr:
„Wien 1848“: Unsere Fraktion hatte keine geringe Mühe, aus der Ausstellung etwas politisch Wertvolles zu machen. Genosse Matejka kehrte im Laufe der Vorbereitungsarbeiten immer wieder zu seinem Konzept: Machen wir eine Milieuausstellung zurück. Die begonnene, gewonnen, verlorene Revolution erschien ihm „Ideologie“, wofür sich doch niemand interessiert. Als die Ausstellung schließlich fertig war, wurde er nicht müde, den ausstellungstechnischen Fortschritt zu preisen – seit „Niemals vergessen“ und „Wien baut auf“ – ohne auch nur eine einzige der zahlreichen Gelegenheiten dazu zu benützen, um auf die wirkliche Bedeutung von 1848 für 1948 hinzuweisen (Vorwort bei Katalog, Pressekonferenz etc.)
b) Pollet /4/: Trotz Drängens unserer Fraktion weigerte sich Genosse Majetka bis zu diesem Tage, an dem er einen Auftrag vom Bürgermeister erhielt, die von Dollfuß entfernte Tafel des Feuerwerkers Pollet wieder an die alte Stelle zu hängen, obschon er ressortmäßig dazu berechtigt gewesen wäre. Die Angst, die ÖVP zu verstimmen, spielte bei dieser Weigerung eine Rolle, obwohl er es später anders darstellte.
c) Haenel /5/: Als Haenel nach Ablauf seiner Konzessionsperiode am Volkstheater um Erneuerung seiner Konzession ansuchte und das Barnay-Gewerkschaftsprojekt auftauchte, zögerte Genosse Matejka, von dem ihm ressortmäßig zustehenden Recht Gebrauch zu machen und Haenel die Konzession zu verleihen, ganz gleich ob der Bürgermeister die Konzession nun bestätigen würde oder nicht. Es bedurfte zahlreicher Interventionen und Aussprachen, um Genossen Matejka zu diesem Schritt zu veranlassen. Als der Bürgermeister dann die Volkstheaterkonzession Barnay/6/ gab, schrieb Genosse Matejka von einem „Verwaltungsskandal“, anstatt klar zu sagen: Gegen Haenel lag nichts vor, als daß er Kommunist ist und die „Russische Frage“ am Volkstheater herausbringen wollte.
d) Scala: Genosse Matejka hat von Anfang an gegen das Scala-Projekt Stellung genommen:
„Man kann Sovexport nicht das Premierentheater nehmen.“
„Die Scala ist als Gebäude ungeeignet.“
„Wir haben keine Stücke.“
„Wir haben keine geeigneten Leute“ etc.
Es war das Verdienst des Genossen W., daß Matejka die Konzession für Heinz /7/ unterschrieb, als es gerade noch Zeit war, die Unterschrift Körners zu bekommen. Als W. kurz darauf voller Genugtuung die noch recht unsichere Konzession mit der Unterschrift Körners zurückbrachte, nannte Genosse Matejka das eine „Überrumpelung“.
Es ist uns bis heute nicht klar, was den Genossen Matejka zu dieser Einstellung veranlasste. Wollte er kein Kommunistentheater? Oder war es der Ärger darüber, daß er von dem Sekretariat der Partei zu den Verhandlungen mit den Russen nicht zugezogen wurde?
e) Subventionen: Die von Genossen Matejka geleitete Geschäftsgruppe befürwortet die Gewährung von Subventionen an kulturelle Organisationen. Unsere Partei ist an einer im Vergleich zu den Kulturorganisationen der Mehrheitsparteien ganz kleinen Anzahl von Organisationen interessiert. Es ist weder dem Genossen W. noch mir gelungen, etwa das Kindertheater auf die Liste der Subventionen zu bringen. Der Genosse Matejka kämpfte bei Resch /8/ wahre Schlachten für die Kantorei (katholische Sängerknaben) und den SP-Arbeiter Sängerbund aus, wies aber W. und mich jedes Mal zurück, wenn wir mit unseren Vereinen kamen. Sie wurden erst auf einer zweiten Liste eingereicht, die bis heute nicht behandelt wurde.
Genosse Matejka hat, als diese Sache in der Gemeinderatsfraktion in etwas erregter Form zur Sprache kam, erklärt, die Gesuche seien nicht in Ordnung gewesen und W. und ich hätten die Antragsteller nicht entsprechend aufgeklärt. Ich bin überzeugt, daß Genosse Matejkas Interesse an der Subventionierung uns nahe stehender Organisationen gering ist.
f) Filmbeirat: Als im Juni 1948 der Filmbeirat aktiviert wurde und zwar auf Grund des Kinogesetzes aus dem Jahr 1935, geschah nichts, um wenigstens einen einzigen Genossen in diese Körperschaft zu bringen, welche das kulturpolitisch immerhin nicht ganz unwichtige Recht besitzt, über alle in Wien zur Aufführung gelangenden Filme zu diskutieren und der dem Genossen Matejka unterstehenden Magistratsabteilung 7 vorzuschlagen, einen Film für jugendfrei zu erklären oder nicht. Bei einem einigermaßen festen Auftreten wäre meinem Ermessen nach möglich gewesen, einen Kommunisten entweder als Vertreter der Magistratsabteilung 8 oder der „3 weiteren Mitglieder“ ein Mandat zu verschaffen. Ohne Diskussion wurde kein Vertreter der MA 8 kooptiert und auch die „3 weiteren“ Mandate den SPÖ-ÖVP Gemeinderäten des Gemeinderatsausschusses III gegeben, während unser Genosse Steinhardt /9/ nur als Ersatzmann aufscheint.

Unsere Versuche, auf den Genossen Matejka einzuwirken, scheiterten daran, daß er immer ablehnte. Er wurde bei solchen Gelegenheiten oft ausfallend. Es drängte sich uns dabei der Eindruck auf, daß Genosse Matejka nicht verstehen wollte: Er ist gerne amtsführender Stadtrat für Kultur und Volksbildung.

Dazu kam noch die Affaire Trubl /10/, ein bedauernswerter Zwischenfall, an dessen Beilegung zu lange laboriert wurde. Die Erbitterung des Genossen Matejka über die Partei, die ihm zuerst diesen „Verbrecher“ antat, und für ihn nach seiner Entlassung aus dem Gemeindedienst noch intervenierte, ist sehr groß. Ich sehe in dieser Wut auch eine Reaktion darauf, daß sich der Genosse Matejka in der Partei überhaupt nicht so anerkannt sieht, wie dies seiner Selbsteinschätzung nach sein sollte. Diese Enttäuschung erklärt auch seine gelegentlichen Ausbrüche gegen „die in der Wasagasse“ sowie peinliche Bemerkungen /11/ gegen „Weg und Ziel“, „die Intellektuellen“, „die Ideologen“, „die Emigranten“ usw.

Der Genosse Matejka fühlt, daß er in der Partei beobachtet und kritisiert wird. Ich denke dabei nicht nur an die in der Form verunglückte, aber der Sache nach berechtigte Kritik des 14. Parteitages, sondern auch an andere Anlässe schon vorher. (2. Wiener Landesparteitag, Stadtleitung, Gemeinderatsfraktion.) Der Genosse Matejka ist über diese Kritik empört, er hält sie für ungerechtfertigt und erklärt, daß er durch Trubl verhindert war, engeren Kontakt mit der Partei zu bekommen. Er geht zum Gegenangriff über, indem er nun seinerseits Maßnahmen und Funktionäre unserer Partei einer „Kritik“ unterzieht. Ich habe dem Genossen Matejka oft ersucht, seine Einwände gegen die Politik unserer Partei den führenden Genossen mitzuteilen und sich mit ihnen auseinander zu setzen, was fruchtbarer wäre, als alle Polemik innerhalb der vier Wände eines Stadtratsbüro. Er hat jedesmal abgelehnt, entweder mit einem achselzuckenden „Hopfen und Malz verloren“, oder mit einem Hinweis auf die Aktenbündel auf seinem Schreibtisch.

Als ich ihn bat, doch auf dem Parteitag zu spreche, lehnte er wieder ab: „Ich kenne mich, ich lasse mich nicht in der Maschine fangen.“ Die „Einwände“, welche der Genosse Matejka gegen die Führung unserer Partei haben mag, sind nicht sehr stichhältig, mit Ausnahme einiger beherzigenswerter Vorschläge auf dem Gebiet unserer Agitation und Propaganda. Diese „Einwände“ (Hörigkeit gegenüber Russen, Nationalismus bei uns, bei den Tschechen, Russenverhaftungen etc.) sind bei ihm dadurch bedingt, daß er niemals einen Kontakt mit der Arbeiterklasse gehabt hat und nur über eine oberflächliche marxistische Bildung verfügt.

Wie kann die Partei ihr Teil dazu beitragen, daß der Genosse Matejka seine Schwächen überwindet?
Ich glaube, daß die Klarstellung mit einer politischen Aussprache über seine eigene Arbeit einsetzen muß: So positiv der Aktivismus des Genossen Matejka sich derzeit noch für uns auswirken mag, indem er mit vielen Menschen zusammenkommt, die ihn respektieren, obwohl er Kommunist ist, so wenig ist das doch im Vergleich zu dem, was diese Funktion wirklich bedeuten könnte. Und dazu einige Worte:

Die Geschäftsgruppe II hat 4 Abteilungen: die Abteilung 7 (Rechtliches und Wirtschaftliches) die Abteilungen 9 und 10 (Städtische Sammlungen, Stadtbibliothek) und die Abteilung 8, welcher der inhaltliche Teil der Kultur und Volksbildung obliegt. Diese Magistratsabteilung 8 müßte das Herz der Geschäftsgruppe sein. Im Augenblick ist sie nichts anderes als ein Reklamegeschäft mit Aussendungen, Ehrungen und kleinen Aktionen zu Gunsten von Veranstaltungen aller möglichen Vereinigungen. In ihr herrscht nicht die Spur einer Planung. Man erledigt das, was anfällt, wobei der Genosse Matejka ausfallend wird, wenn der eine oder der andere Beamte reklamemäßig nicht genug leistet. Der Genosse Matejka kann aufbrausen, wenn wir vergessen, einen Kurs über giftige Schwammerln der in Ottakring Erfolg hatte auch Hernals anzubieten, oder wenn wir in unserer „grenzenlosen Unfähigkeit“ übersehen, daß wiederum eine würdige Malerin 80 Jahre geworden ist und wir den Gratulationsbrief  nicht zeitgerecht aufgesetzt haben.

Damit soll nicht gesagt sein, daß diese Dinge nicht gemacht werden sollen. (Sie gehören ressortmäßig zu uns.) Es sei auch zugegeben, daß wir als Beamte noch immer Fehler machen.
Ich glaube nur, daß wir Kommunisten mit Hilfe dieser Magistratsabteilung 8 mehr anfangen müßten. Wir müßten bestrebt sein, Bewegungen und Kampagnen zu initiieren, welche einen Widerhall in der Öffentlichkeit finden und der Arbeiterklasse, sowie der fortschrittlichen Intelligenz vor Augen führen, daß im Kulturamt Kommunisten am Werke sind. Der Genosse Matejka müßte verstehen, daß sein Mandat nur dann für Arbeiterklasse und Partei Bedeutung hat, wenn sich seine Arbeit im Gegensatz zur Situation von heute in unseren Gesamtkampf eingliedert.

Im Folgenden einige Ideen zu dieser Linie:
1.) Eine Enquete über die materielle Misere der Wiener Künstler. Diese Enquete müßte eine einzige Anklage gegen die Kunstfeindlichkeit der Regierung sein.
2.) Eine wirkliche Kampagne gegen den amerikanischen Mörder- und Gangsterfilm mit Erziehern, Fürsorgeleuten, Jugendorganisationen etc. unter Einsatz der (leider bis jetzt noch immer ganz unpolitischen) Gesellschaft der Filmfreunde.
3.) Eine Kampagne zur Einschränkung der Kriegshysterie zusammen mit Thirring /12/, Frauenorganisationen, eventuell religiösen Verbänden. (Statt papierenen 3 Parteienaufrufen gegen Zinnsoldaten.)
4.) Kampf gegen das Unterrichtsministerium in der Angelegenheit unserer Kunstschätze. (Österreichs Kunstschätze als Unterpfand für die Marshall-Hilfe?)
5.) Diskussionskonferenz in den Volksbildungsheimen mit dem Thema: „Wird 1949 uns den wirklichen Frieden bringen?“ mit Volksheim-Komitees als Veranstalter und Rednern der politischen Parteien, sowie der Massenorganisationen.
6.) Arbeit an der Schaffung einer Kulturallianz Wien-Budapest-Prag, die alles versucht, um aus den benachbarten Hauptstädten ein Maximum für Wien herauszuholen.
7.) Öffentliche Diskussion der so genannten Theaterkrise. Scharfe Angriffe auf die Preispolitik der Theater. Vorträge des kommunistischen Stadtrates auch bei Veranstaltungen seiner eigenen Partei.
8.) Abwehr aller kulturnazistischen Bestrebungen á la Nadler /13/, Waggerl /14/, Brehm /15/ etc. in aktiver Zusammenarbeit mit dem Bund demokratischer Schriftsteller und der Journalistengewerkschaft. Vorträge: „Wer ist Bertolt Molden? /16/“ etc.
9.) Großempfänge für Gäste aus den Volksdemokratien unter Anwesenheit von Delegationen aus Betrieben. Mehr Wochenschau, mehr Ravag bei diesen Anlässen.
10.) Vorträge, Veranstaltungen gegen die hohen Möbel- und Buchpreise.
Diese Vorschläge ließen sich beliebig ergänzen, variieren etc. Aber dazu müßte man über sie sprechen, was bisher nicht möglich war.

Unser Genossen Matejka hat sich privat und öffentlich zu unserer Partei bekannt. Er müßte verstehen, daß das Bekenntnis zur Partei nicht genügt, wenn nicht die tägliche Praxis vom kämpferischen Geist der Partei erfüllt ist. Er sollte erfahren, daß die Partei, die ihn auf diesen Posten gesetzt hat, diese Praxis von ihm erwartet und sich von einer unpolitischen Betriebsamkeit auch dann nicht beeindrucken läßt, wenn ihr wertvolle Kontakte entspringen.

Wie die Dinge heute stehen, wird Genossen Matejka Vorschläge der erwähnten Art ablehnen. Deshalb erscheint die Diskussion mit ihm notwendig und auch in seinem eigenen Interesse gelegen. Es kann einmal eine Situation kommen, in der er kein Stadtratsbüro mit Matejka-Porträts besitzt, in der er ohne Personal dasteht und nur Genosse ist, genauso wie alle anderen Genossen. Je länger die Partei zögert, ihm mit ihrer Kritik zu helfen, desto schwerer wird es ihm dann fallen, sich in unserer Parteiorganisation zurechtzufinden.
Hand in Hand mit der politischen Kritik müßte auch eine Kritik seines persönlichen Verhaltens erfolgen.
Je mehr der Genosse Matejka fühlt, daß wir innerlich nicht mitgehen, desto gereizter wird er. Da er kein Heim hat und keine eigentliche Parteiarbeit neben der Stadtratsarbeit leistet, verbringt er den Tag bis zum Beginn einer Veranstaltung oder zu einer Aufführung irgendeines Theaterstückes oder Films im Büro, zumeist redend. Unter Druck müssen W. und ich täglich bis in die Abendstunden mit ihm sein, obgleich wir Parteiarbeit leisten und ein Heim haben.

Der Genossen Matejka ist sehr überheblich. Er spricht ununterbrochen, weil er davon überzeugt ist, daß nur er etwas zu sagen hat, eine Eigenart, welche Genossen und Nicht-Genossen in gleicher Weise abstößt.
Begeht eine Genossin einen kleinen Irrtum im Büro, so wirft er ihr gleich Sabotage vor. Eine andere Genossin ließ er versetzen, nachdem er sie monatelang erniedrigte, weil er in seinem Trubl-Komplex in ihr ein „Geschöpf“ dieses Mannes sah. Ein anderer Genosse hat vor kurzer Zeit gekündigt, weil er zu wenig bei der Gemeinde verdiente, aber auch deshalb, weil er die von dem Genossen Matejka geschaffene Atmosphäre nicht länger ertrug. Genossen Matejka spielt den einen gegen den anderen aus und beschimpft uns.

In seiner Gereiztheit und Ermüdung wird er gerade zu unsozial (kein Entgegenkommen in der Frage „Wirtschaftstag“, Interesselosigkeit an Höherreihungen, Pragmatisierungen.) und er tötet damit jede Arbeitslust und jede Möglichkeit kollektiver Zusammenarbeit. Er hat sich auf Grund dieses Verhaltens unbeliebt gemacht, ganz abgesehen davon, daß auch schon manche unserer Beamten die Hohlheit vieler seiner Aktionen erkannt haben.

Auch diese Dinge müßten mit Genossen Matejka besprochen werden. Eines ist sicher: Diese Diskussion wird nicht leicht sein. Sie wird viel Zeit und viel  Energie führender Genossen kosten. Aber der Genosse Honner /17/ hat in seinem Schlußwort am Parteitag versprochen, daß die Partei helfen wird.
Gelingt es, den Genossen Matejka davon zu überzeugen, daß er eine kämpferische und mobilisierende Note in seine Arbeit bringen muß, und daß er in dem einzelnen Genossen auch den Menschen achten muß, so wäre damit viel gewonnen: Er würde beginnen, in die Partei hineinzuwachsen, der er vor 3 Jahren beigetreten ist.
Ich schlage vor, die Diskussion mit dem Genossen Matejka bald zu beginnen.

O. K.

Zusatz: „Einverstanden, Dr. F. W.“

Anmerkungen:
1/ Matejka holte den deutschen Kommunisten (der zehn Jahre im KZ Dachau verbrachte) in sein Amt, als dieser 1945 nach Wien kam. Als dann in einer steirischen Zeitung zu lesen war, daß Röder angeblich der von der KPÖ beigestellte Politkommissar Matejkas wäre, beeilte sich dieser, ihn loszuwerden, was diesem, wegen der Arbeitsverhältnisse im Amt,  nicht ungelegen kam. Er war dann als Direktor von Universal-Film in Wien tätig.
In seines Erinnerungen (Viktor Matejka. Das Buch Nr. 3; Hg. Peter Huemer, Wien 1993, S. 141) sagte Matejka selbst: „Ich möchte richtig stellen: Ich war nie ein Kommunist, ich war ein Mitglied der Kommunistischen Partei...“
2/ Dr. Fritz Glaubauf (1901–1975) war in den 20er und 30er Jahren Mitarbeiter der Komintern. Sein Zwillingsbruder Hans wurde von den Nazis ermordet. Nach 1945 arbeitete F.G. als Redakteur der Volksstimme.
3/ Josef Lauscher (1912–1975); Vorsitzender der KPÖ Wien; war ebenfalls Häftling des KZ Dachau und kannte von dort Matejka. Lauscher kam Mitte 1944 ins KZ Mauthausen und arbeitete im Außenlager Saurerwerke Wien. Anfang 1945 gelang ihm die Flucht. Er gehörte zu jenen, die bereits in den ersten Nachkriegstagen in Wien die KommunistInnen sammelte und mit Parteirbeit begann. Die Tatsache, daß Matejka bereits im April 1945 Mitglied der KPÖ wurde, dürfte auf Lauscher zurück gehen. Auch Matejka, der 1944 aus dem KZ Dachau entlassen wurde, befand sich in diesen Tagen auch in Wien.
4/ Johann Pollet (1814–1872); er verweigerte während der Märzrevolution 1848 den Befehl mit Artillerie in die Demonstranten zu schießen.
5/ Günther Haenel (1898); deutscher Schauspieler und Regisseur. Er kam 1938 von Hamburg nach Wien wo er als Regisseur an der Josefstadt tätig war. Von 1945-48 leitete er das Volkstheater, doch wurde ihm dieses durch Druck der Amerikaner und des ÖGB entzogen (vgl. Evelyn Deutsch-Schreiner, Theater im ‚Wiederaufbau‘. Wien 2001). Er ging ans Theater in der Scala, arbeitete später auch am Burgtheater und erhielt 1974 den Titel Kammerschauspieler.
6/ Paul Barnay wurde 1948 einer der drei vom ÖGB eingesetzten Geschäftsführer und Direktor des Volkstheaters.
7/ Wolfgang Heinz (1900–1984); österr. Schauspieler, Regisseur. 1946-48 am Wiener Volkstheater. Gründete mit Karl Paryla das Theater in der Scala, dessen Direktor er dann war. 1956 ging er ans Deutsche Theater in Berlin (DDR).
8/ Johann Resch (SPÖ) war Finanzstadtrat von Wien.
9/ Karl Steinhardt (1875–1963); 1918 Gründungsmitglied der KPÖ und der Komintern. 1945 Vizebürgermeister von Wien.
10/ Wilhelm Trubl wurde Ende 1948 aus der KPÖ ausgeschlossen.
11/ Hier bezieht sich O.K. auf verschiedene antisemitische Äußerungen Matejkas. Darüber hielt die langjährige Redakteurin Hilde Röder, die einige Zeit auch im Tagebuch (später in der Volksstimme) arbeitete, 1954 fest: „Mit ganz wenigen Ausnahmen kritisiert er die führenden Genossen in unqualifizierter Weise. Dabei geht es – wie allgemein bekannt – ohne antisemitische Redensarten nicht ab. Er beherrscht den Jargon des Antisemitismus meisterhaft und versteigt sich dabei zu Sätzen wie ‚die Guten haben‘s vergast, die Miesen sind übrig geblieben‘ und dergleichen. Von jüdischen Genossen deshalb zur Rede gestellt, versicherte er jedes Mal, sie gerade habe er nicht gemeint. Da seine Tiraden aber nicht nur vor Genossen hält, sondern auch vor und ganz fern stehenden Menschen erklärt, in der Führung unserer Partei befänden sich die Slanskys, daß eine jüdische Emigrantenclique die Partei beherrsche, halte ich das Verhalten Matejkas für parteischädlich und gefährlich.“
Hilde Röder war die Frau von Karl Röder.
12/ Hans Thirring (1888–1976); theoretischer Physiker. Aktivist der Antiatombomben- u. Friedensbewegung.
13/ Josef Nadler (1884–1962); deutschnationaler Literaturhistoriker.
14/ Heinrich Waggerl (1897–1973); Schriftsteller mit NS-Vergangenheit.
15/ Bruno Brehm (1892–1974); Schriftsteller mit NS-Vergangenheit.
16/ Anspielung auf die von der Molden-“Presse“ geführten Kampagne gegen die Einbürgerung von Brecht.
17/ Franz Honner (1893–1964); KPÖ-Funktionär; war 1945 Staatssekretär für Inneres. Gehörte mit Johann Koplenig und Fürnberg zu den führenden Köpfen der KPÖ.

Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 1/2003

 

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