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Mirko Messner: Zur Geschichte der AVNOJ-Beschlüsse
Eng verwoben mit den Tendenzen zur
"Osterweiterung" der EU bildet die Polemik gegen die AVNOJ-Beschlüsse
neben jener gegen die sogenannten Beneš-Dekrete eine Konstante rechter und
deutsch-völkisch motivierter Politik. Wenn Slowenien sich von den "AVNOJ-Beschlüssen"
nicht lossagt, meint z.B. der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, müsste
Slowenien auf einen EU-Beitritt verzichten. In der Substanz Ähnliches war vom
österreichischen Verteidigungsminister und anderen Repräsentanten der österreichischen
Regierung zu hören, wobei die österreichische Außenpolitik stärker auf
diplomatischen Druck denn auf plakative Junktimierung der setzt:
"Bilaterale Verhandlungen" mit Slowenien über "AVNOJ" seien
angesagt.
Der AVNOJ-Erlass und die Vertreibung der
"Volksdeutschen"
Am 29. und 30. November 1943 fand mitten im
okkupierten Jugoslawien, im bosnischen Jajce, die zweite Tagung des
"Antifaschistischen Rats der Volksbefreiung Jugoslawiens" (AVNOJ)
statt. 142 Delegierte nahezu aller in dieser Region lebenden Nationalitäten
(mit Ausnahme der makedonischen, denen es nicht gelang, sich nach Bosnien
durchzuschlagen) konstituierten sich als oberstes staatliches Machtorgan,
schufen Legislative (Präsidialrat) und Exekutive (Nationalkomitees). Sie
entbanden die Exilregierung jeglicher realen oder eingebildeten Verantwortung,
untersagten dem König Peter II. die Rückkehr und legten fest, dass Jugoslawien
in Zukunft föderalistisch aufzubauen sei, bei Wahrung der vollen
Gleichberechtigung aller Nationen. Der Präsidialrat verabschiedete im Jahr
darauf eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen, darunter jene vom 21. November
1944. Wenn von den AVNOJ-Beschlüssen in aktuellen Zusammenhängen die Rede ist,
dann ist damit vor allem einer davon gemeint, nämlich der "Erlass über
den Übergang feindlichen Vermögens in Staatseigentum, über die
Staatsverwaltung des Vermögens abwesender Personen und Beschlagnahme des von
den Besatzungsmächten gewaltsam entfremdeten Vermögens". Dieser Erlass
war Bestandteil der jugoslawischen Gesetzgebung, veröffentlicht am 6. Februar
1945 im Amtsblatt der Demokratischen föderativen Republik Jugoslawien, und hat
auch im heutigen Staat Slowenien seine Kontinuität. Er enthält 12 Artikel; der
erste lautet:
"Mit dem Tag, an dem dieser Erlass in Kraft tritt, geht folgendes Vermögen
ins Staatseigentum über: / 1. das gesamte in Jugoslawien befindliche Vermögen
des Deutschen Reiches und dessen Bürger; / 2. das gesamte Vermögen von
Personen deutscher Volkszugehörigkeit, mit Ausnahme jener Deutschen, die in der
Nationalen Befreiungsarmee und den jugoslawischen Partisaneneinheiten gekämpft
haben, oder die Staatsbürger neutraler Staaten sind und sich während der
Besatzungszeit nicht feindlich verhalten haben; / 3. das gesamte Vermögen der
Kriegsverbrecher und deren Helfershelfer, ohne Rücksicht auf ihre Staatsbürgerschaft,
sowie das Vermögen jeder Person, die durch das Urteil eines zivilen oder eines
Kriegsgerichts zum Verlust ihres Vermögens zugunsten des Staates verurteilt
worden sind. / In solchen Fällen gelten die Bestimmungen dieses Erlasses für
das Vermögen jugoslawischer Staatsbürger ohne Rücksicht darauf, ob sie sich
im In- oder im Ausland befinden."
Um diesen Erlass geht es, wenn Rückgabeforderungen, -ansprüche und -wünsche
des Vermögens von "Deutschen" in Slowenien zur Debatte stehen. /1/
Die zitierte Verordnung wurde zunächst in der Vojvodina, dann in den anderen
befreiten Territorien und schließlich mit dem Konfiszierungsgesetz vom 9. Juni
1945 sowie mit dem Gesetz über die Agrarreform vom 23. August 1945 umgesetzt.
Nachdem sich nach jugoslawischen Quellen lediglich einige Hundert sogenannte
"Volksdeutsche" den Partisanen angeschlossen hatten, betrafen diese Maßnahmen
nahezu alle Angehörigen der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe in
Jugoslawien; d. h. unter anderem, dass z. B. in der Vojvodina knapp 40% der
gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche enteignet wurden. In Slowenien
wurden an die 6.000 landwirtschaftliche Güter im Gesamtausmaß von rund 115.000
Hektar konfisziert; aufgrund der deutschen Eigentümerschaft in Staatseigentum
übergeführt wurde weiters ein großer Teil des Gewerbes und des
Industriekapitals.
Es liegt zwar bis dato keine verlässliche statistische Gesamtschau des
enteigneten ehemaligen deutschen Vermögens in Slowenien vor, doch kann z. B.
aus Angaben zur Sozialstruktur geschlossen werden, dass es eine für die
gesamtgesellschaftliche Entwicklung relevante Größe war. Während laut Volkszählung
im Jahre 1931 79 Prozent der jugoslawischen Bevölkerung von der Landwirtschaft
lebten und nur 10 Prozent von Industrie und Gewerbe, ernährten sich (nach
Angaben des deutschen Nachrichtendienstes) zu Beginn der vierziger Jahre nur
rund 14 Prozent der Deutschen in der Untersteiermark von der Landwirtschaft,
rund 50 Prozent dagegen vom Handel und Gewerbe; knappe 20 Prozent waren in
freien Berufen tätig. Mehr als die Hälfte der 275 Industriebetriebe in der
Untersteiermark befanden sich im Eigentum von Deutschen (vgl. Necak, op. cit.).
Von der ökonomisch starken bzw. dominanten Position der untersteirischen
Deutschen hob sich deutlich die Situation der "Gottscheer" Deutschen
ab, die zu Großteil in der Landwirtschaft tätig waren oder vom Handwerk und
vom Handel lebten.
Wie viele Jugoslawien-Deutsche aus Slowenien geflohen, vertrieben, durch
Bombenangriffe, Kampfhandlungen, Massaker oder Racheaktionen umgekommen sind,
ist nach den zur Verfügung stehenden Quellen nicht genau festzustellen. Einige
deutsche und österreichische Quellen sprechen von bis zu 6.000 Verstorbenen.
Die slowenische Geschichtsschreibung geht von 1.000 bis 1.500 Personen aus, die
gezielter "Justifikation" oder grausamer Behandlung zum Opfer fielen,
und stützt sich dabei auf Angaben des deutschen Kulturbundes. Was die Zahl der
Vertriebenen oder Ausgesiedelten angeht, sprechen slowenische Quellen von 9.474
Personen. Kein Zweifel besteht darüber, dass die große Mehrheit der
slowenischen Deutschen (nach slowenischen Quellen 15.000 bis 16.000) schon vor
Kriegsende aus dem Land geflohen war.
Wie es dazu kam
Nach der Okkupation Jugoslawiens durch
Hitlerdeutschland wurde Slowenien unter die drei Aggressor-Staaten aufgeteilt.
Den nördlichen Teil, eingeschlossen unter anderem die slowenische Steiermark
(Untersteiermark), das slowenische Kärnten und Oberkrain, nahmen sich die
Deutschen. Ungarn erhielt den Großteil des Prekmurje-Gebietes im Osten, Italien
den Rest inklusive Ljubljana. Während Italien und Ungarn die besetzten Gebiete
ohne Umschweife bereits im Jahre 1941 auch formalrechtlich an ihre Staaten
anschlossen, wollten die Nazis den von ihnen besetzten Teil zunächst
entsprechend herrichten: er wurde in zwei als temporär verstandene
Verwaltungseinheiten geteilt, d. h. in die Untersteiermark einerseits sowie Kärnten
und Krain anderseits. Das Kommando wurde sogenannten Chefs der Zivilverwaltung
übergeben (S. Uiberreither mit Sitz in Maribor, F. Kutschera bzw. in seiner
Nachfolge F. Rainer mit Sitz in Bled). Temporär deswegen, weil dieses Gebiet
zunächst von "unerwünschter Bevölkerung" gesäubert und erst danach
an das Reich angeschlossen werden sollte. Die Generallinie gab Adolf Hitler persönlich
vor ("Machen Sie mir dieses Land wieder deutsch!"); die daraus
abgeleiteten Vorgaben Heinrich Himmlers und seiner Beamten lassen sich kurz
zusammenfassen: massive Vertreibung von SlowenInnen, "Umvolkung" des
verbleibenden Rests, und massive Ansiedlung deutscher Kolonisten. Es gab
unterschiedliche Meinungen unter den Nazis zu unterschiedlichen Zeiten darüber,
wie die Germanisierung ablaufen sollte – sie pendelten zwischen der Überlegung,
die "Frage der slowenischen Intelligenz" mittels "vollständige(r)
Vernichtung durch Erschießung oder sonstige(r) Beseitigung" zu lösen, und
der "Gewinnung der Jugend" durch "allmähliche Eindeutschung des
Gebietes" /2/, auch lassen sich fallweise graduelle Unterschiede in der
Brutalität der Germanisierungspolitik in der einen und anderen Region
feststellen, doch kam das Ergebnis dem ursprünglichen Auftrag nahe: an die
70.000 SlowenInnen fielen der NS-Besatzungspolitik nach Angaben der
jugoslawischen Kommission zur Feststellung von Verbrechen der Wehrmacht zum
Opfer; rund 155.000 wurden in Konzentrationslager verschleppt, mussten
Zwangsarbeit leisten /3/ oder wurden für den Militärdienst rekrutiert. 80.000
SlowenInnen wurden nach Serbien, Kroatien oder ins Deutsche Reich deportiert.
Mit glühendem Eifer wurde die Bevölkerung mit Ausnahme der Deutschen in
"rassische" Kategorien eingeteilt, wurden hunderte Kindergärtnerinnen
und LehrerInnen aus Österreich für deutsche Kindergärten und Schulen
rekrutiert, wurden slowenische Organisationen aufgelöst, sogar
Feuerwehrvereine, rund zwei Millionen slowenischer Bücher durch Feuer oder in
Papiermühlen vernichtet, slowenische Aufschriften entfernt, der Gebrauch der
slowenischen Sprache geächtet, slowenisches kirchliches, privates und
staatliches Eigentum geplündert oder angeeignet. Bis März 1943 wurden allein
im Norden der Untersteiermark 1.862 Grundstücke im Umfang von 23.012 Hektar, über
100 Industrieunternehmen, mehr als 100 Kaufhäuser und Gewerbebetriebe sowie das
gesamte Eigentum von Kredit-, Einkaufs- und Konsumgenossenschaften beschlagnahmt
– und mehrheitlich an Deutsche aus der Untersteiermark übergeben.
Nicht nur für die Slowenen und Sloweninnen, auch für die deutsche Bevölkerung
in Slowenien änderte sich die Situation nach der Okkupation durch
Nazideutschland; ihre gesellschaftliche und politische Elite, sich unlängst
noch als sendungsbewusste "Deutsche" in den slawischen Teilen der
Monarchie begreifend, fand sich in Slowenien als Minderheit wieder; diese hatte
zwar nach wie vor ihre ökonomische Bedeutung, war jedoch als ehemaliges
"Herrenvolk" politisch und kulturell starkem Anpassungsdruck
ausgesetzt. Der Einmarsch der Nazitruppen wurde von ihren Vertretern als
Befreiung vom "serbischen Joch" gefeiert. Diesem Augenblick war eine
starke Nazifizierung der deutschsprachigen Bevölkerung in Slowenien
vorausgegangen, die mit zunehmender Aggressivität Nazideutschlands immer
offener zur Schau getragen wurde und sich mit irredentischer Propaganda verband.
Wie stark die Nazifizierung der deutschen Minderheit in Slowenien war, darüber
gibt es in der Geschichtsschreibung keine Einigkeit. Sprecher der betroffenen
Deutschen neigen dazu, den Grad zu minimieren, slowenische HistorikerInnen
dagegen schließen aus verschiedenen Angaben, dass die große Mehrheit der
"Volksdeutschen" in Slowenien zu Beginn der Okkupation bereits
nationalsozialistisch orientiert war.
Die Lebensumstände änderten sich jedenfalls für die deutsche Minderheit nach
der Okkupation Sloweniens in beträchtlichem Maße, aber in unterschiedlicher
Weise: die Gottscheer Deutschen, in diesem Land seit vielen hundert Jahren
vorwiegend als Bauern lebend, nach eigenen Angaben 12.498 an der Zahl, waren
Italien zugeschlagen worden. Hitler, Himmler und die italienische Regierung
kamen überein, sie umzusiedeln ("Heim ins Reich"). Mehr als 95
Prozent von ihnen erklärten sich bereit dazu. Nach eingehender rassischer Prüfung
wurden sie zwischen November 1941 und Jänner 1942 mit 135 Zügen in das Gebiet
der Save und Sotla gebracht, aus dem zuvor mehrere tausend Slowenen und
Sloweninnen vertrieben worden waren.
Ähnlich wie die Gottscheer Umzügler als germanische "Wehrbauern" mit
"Pflug und Schwert" in die nationalsozialistische
Germanisierungspolitik einbezogen wurden und zum Feind der slowenischen
Befreiungsbewegung wurden, trugen auch große Teile der untersteirischen
Deutschen zur Umsetzung der nationalsozialistischen Ziele bei, d. h., sie waren
an der Verwaltung konfiszierter slowenischer Industrie- und Gewerbebetriebe
beteiligt, arbeiteten als Mitglieder des Schwäbisch-deutschen Kulturbundes im
"Steirischen Heimatbund" an der Germanisierung der sogenannten
"Windischen" bzw. "heimattreuen Steirer", bildeten ein
NS-Nachrichtennetz erster Güte, wurden zu den Massenaussiedlungen der
slowenischen Bevölkerung herangezogen usw. Nach jugoslawischen Angaben waren
mehr die untersteirischen Deutschen zu mehr als 80 Prozent an den Funktionen des
Besatzungsapparates beteiligt.
Auch wenn keineswegs davon gesprochen werden kann, dass "die", d. h.
"alle" Deutschen in Slowenien die Naziokkupanten unterstützt hatten,
war der Grad ihrer Einbeziehung in die Besatzungs- und Germanisierungspolitik
der Nazis so groß, dass er das historisch geerbte Bild vom
"Herrenvolk" in dramatischer Weise aktualisierte und in allen – auch
im bürgerlichen und antikommunistischen – slowenischen politischen Zusammenhängen
sehr früh die Vorstellung einer kollektiven Verantwortung weckte sowie konkrete
Vergeltungspläne heranreifen ließ, die alle auf eine mehr oder weniger
radikale Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Slowenien hinausliefen.
Die AVNOJ-Erlässe im Nachkriegseuropa
Die Einstellung Jugoslawiens zur deutschsprachigen
Bevölkerung im eigenen Land war nach dem Sieg über das Naziregime kein
isoliertes Phänomen. Rund 12 Millionen Deutsche wurden insgesamt außer aus
Jugoslawien aus den baltischen Staaten, aus Bulgarien, der Sowjetunion, der
Tschechoslowakei, aus Ungarn und Polen vertrieben. Ihre Vertreibung aus den drei
letztgenannten Staaten wurde durch die Bestimmungen des Artikels XIII des
Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 festgelegt. Diese waren allerdings
genauso wenig ein ausschließliches Nachkriegs-Ergebnis wie die AVNOJ-Erlässe,
auch unterschieden sie sich in keiner Weise von ihren Absichten oder von jenen
der Beneš-Dekrete. Im Gegenteil: spätestens seit April 1943 waren sich die USA
und Großbritannien einig, dass alle deutschen Bevölkerungsteile in Osteuropa
nach Deutschland umzusiedeln wären. Mehrere diesbezügliche Studien, darunter
eine des Historikers A. J. Toynbee, präzisierten die Ziele:
"Homogenisierung" der Bevölkerung, dadurch größere innere Stabilität
und höhere multilaterale Sicherheit. Deutschland sollte nie wieder die
deutschen Minderheiten als Expansionspotential bzw. als "fünfte
Kolonne" nutzen können.
Darum anerkannten auch die Alliierten die Beschlüsse der 2. Tagung des AVNOJ
vom November 1943, einige zwar mit Vorbehalten bezüglich der zukünftigen
staatlichen Ordnung, mit kleiner zeitlicher Verzögerung auch die Sowjetunion,
die ihrerseits der Meinung war, dass die Machtübernahme verfrüht sei. Aus den
Organen und der Armee des AVNOJ entstand das sozialistische Jugoslawien, das von
den Alliierten in die Reihe der Sieger im Zweiten Weltkrieg aufgenommen wurde,
das Gründungsmitglied der Vereinten Nationen wurde und an der Entstehung der
europäischen Nachkriegsordnung beteiligt war (Verträge mit Italien 1947 und
mit Österreich 1955).
Am 15. Mai 1955 wurde der "Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung
eines unabhängigen und demokratischen Österreich" beschlossen, dessen
Artikel 27 der "Föderativen Volksrepublik Jugoslawien das Recht" einräumt,
"österreichische Vermögenschaften" (die zum damaligen Zeitpunkt
nicht von den deutschen unterschieden wurden) "... zu beschlagnahmen, zurückzubehalten
oder zu liquidieren." Die österreichische Regierung verpflichtet sich
darin, "österreichische Staatsangehörige, deren Vermögen auf Grund
dieses Paragraphen herangezogen wird, zu entschädigen". Das war schon
einige Jahre zuvor von den Außenministern der Alliierten anstelle der von
Jugoslawien geforderten Reparationszahlungen beschlossen worden.
1991 beschloss die Republik Slowenien des Gesetz über die Denationalisierung,
mit dem die Rückgabe des zwischen 1945 und 1963 verstaatlichten Eigentums an
jugoslawische Staatsbürger geregelt wird. Personen, die ein Recht auf Entschädigung
durch andere Staaten hatten, sind davon ausgeschlossen. Am 25. April 1997 wurde
dieses Gesetz vom slowenischen Verfassungsgerichtshof bestätigt, darüber
hinaus auch die jugoslawische Nachkriegsregelung bezüglich der Staatsbürgerschaft
von Personen deutscher Nationalität, die sich zur Zeit der Okkupation dem
deutschen Reich gegenüber loyal verhalten hatten. Werden dennoch Ansprüche
gestellt, so liegt die Beweislast laut slowenischen Verfassungsgerichtshof in
diesem wie in jedem anderen Fall bei den Antragstellern, die ihre Ansprüche
geltend machen wollen.
Die Schnittstelle: deutsche
"Volksgruppe" in Slowenien
Eine sensible Schnittstelle für die Polemik um
die AVNOJ-Erlässe ist die neuformierte "deutsche Minderheit" in
Slowenien. Kaum war nämlich Slowenien als selbständiger Staat konstituiert,
wurde 1991 in der zweitgrößten slowenischen Stadt Maribor der Verein
"Freiheitsbrücke" registriert. Sein Obmann, Rechtsanwalt Dušan
Ludvik Kolnik, forderte vom neuen Staat, was im alten – Jugoslawien –
undenkbar gewesen war: die verfassungsmäßige Anerkennung einer "deutschen
Minderheit" nach dem Beispiel der italienischen, ungarischen und
Roma-Minderheit. Die Begründung dafür: Jugoslawien hätte an der
deutschsprachigen Bevölkerung in Slowenien einen Völkermord begangen, und auch
das neue slowenische Gesetz über die Denationalisierung (Privatisierung) stelle
einen Bruch der Menschenrechte dar, denn es beruhe auf dem "genoziden"
AVNOJ-Beschluss aus dem Jahre 1944.
Kaum aus der Taufe gehoben, fand die "Freiheitsbrücke" ihre Patin:
bereits am 12. Juni 1992 unterstützte die (nicht schwarz-blaue) österreichische
Regierung Kolniks Forderungen in einem Memorandum an die slowenische Regierung;
sie berechtigt sich darin selbst, die Interessen der "deutschsprachigen
Volksgruppe" (laut Volkszählung 1991 1.586 Personen) gegenüber der
slowenischen Regierung zu vertreten. Ihr Engagement führte zum Entwurf eines
unterzeichnungsreifen, aber von slowenischer Seite erst unlängst
unterzeichneten "Kulturabkommens".
Mit dem Antritt der schwarz-blauen Koalition und nach der Entdeckung der
AVNOJ-Beschlüsse durch Landeshauptmann Jörg Haider war der Ton selbst für die
Ohren jener slowenischen Politiker & Politikerinnen schwer erträglich
geworden, die durchaus bereit sind, dem österreichischen Druck nachzugeben –
wenn nicht aus anderen, so aus Gründen der Dankbarkeit, dass sie seinerzeit von
Alois Mock unterstützt wurden, als sich dieser um die internationale Isolierung
Jugoslawiens bemühte. FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler hat seine Partei
bereits zur "einzig legitimen Verbündeten der Vertriebenen" ernannt.
Ohne Aufhebung der Beneš-Dekrete und der AVNOJ-Beschlüsse sei der EU-Beitritt
Tschechiens und Slowenien "für die Freiheitlichen nicht machbar".
Dieses Thema sei eine "Nagelprobe" für die EU, und Österreich werde
alles daran setzen, die "Vertreibungs- und Enteignungbestimmungen auf dem
Verhandlungstisch wegzubekommen". Egal, ob er sich Illusionen macht oder
nicht: die EU-Osterweiterung in ihrer derzeitigen voraussehbaren Form als
transnationale Expansion vorwiegend deutschen Kapitals schafft derart viel
soziales Konfliktpotential, dass er und seinesgleichen sich die Höhe des
ideologischen Extramehrwerts ausrechnen können, den sie durch begleitende völkische
Propaganda für sich herausschlagen dürfen.
Einerseits wird heute auch in Ljubljana erkannt, dass die Forderung nach
Eliminierung der AVNOJ-Beschlüsse aus der europäischen Nachkriegs- und der
slowenischen Rechtsgeschichte nichts anderes ist als die Forderung nach
Eliminierung des alliierten Sieges über Nazideutschland und nach Revision der
europäischen Nachkriegsordnung (Dimitrij Rupel, heute Außenminister, in "Primorske
novice" vom 1. September 2000). Andererseits hat am 14. Februar 2002 das
slowenische Parlament nach jahrelangen Polemiken und Verhandlungen das österreich-slowenische
Kulturabkommen verabschiedet. Slowenien anerkennt darin erstmals offiziell die
Existenz einer "deutschsprachigen ethnischen Gruppe" im Land. Viele
Mandatare blieben der Abstimmung fern – angesichts der Weigerung der Kärntner
Landesregierung, das Ortstafel-Erkenntnis des österreichischen
Verfassungsgerichtshof Österreich umzusetzen.
Anmerkungen
1 Über einen zweiten (gleich datierten) Erlass sprechen einige –
vorwiegend deutsche – Quellen. Laut deutscher Übersetzung sollen durch ihn
"alle in Südslawien lebenden Personen deutscher Abstammung (...)
augenblicklich die südslawische Staatsbürgerschaft sowie alle bürgerlichen
und staatsbürgerlichen Rechte" sowie ihren gesamten Besitz verlieren. Ein
authentischer Text liegt nicht vor, auch wurde er in keinem jugoslawischen
Amtsblatt veröffentlicht, es gibt also keinen direkten Beweis für seine
Existenz. (vgl. Necak, Dušan: Nemci na Slovenskem 1941-1955. Ljubljana 1998).
2 Vermerk über eine Besprechung in Bled am 6. 10. 1941, zit. in Kladivo, 8/1988
3 "Nicht zufällig waren fast 80 Prozent aller aus Jugoslawien stammenden
Zwangsarbeiter damals auf Kärnten und die Steiermark konzentriert. Ihrer
Ausbeutung verdankt Kärnten u. a. eine Verdoppelung der Energiegewinnung aus
Wasserkraft"; vgl. Jacob, Günther: Das Geheimnis des Bärentals. In:
Konkret-Texte 26, Hamburg 2000
Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 1/2002
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