Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung Drechslergasse 42, A–1140 Wien Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at
|
|
Gerhard Oberkofler: Das Regierungsprojekt einer Dokumentation über den Beitrag Österreichs zu seiner BefreiungDie vom KZ-Häftling und Bundeskanzler Leopold Figl (1902-1965) in seine Regierungserklärung vom 21. Dezember 1945 aufgenommene Forderung des österreichischen Widerstandes, das Österreich von morgen werde ein neues, revolutionäres, von Grund auf umgestaltetes Österreich sein, war ohne wesentliche Ergebnisse geblieben. Gegenüber der Verpflichtung, im Sinne der Moskauer Deklaration Mitverantwortung für die Beteiligung Österreichs am Krieg auf Seiten Hitlerdeutschlands zu übernehmen, zeigten die beiden in Koalition verbundenen Großparteien ÖVP und SPÖ demonstratives Desinteresse. Kritische Fragen an die Vergangenheit wurden im Kalten Krieg kaum gestellt. Die Niederlage der österreichischen Arbeiterbewegung im Oktober 1950 wirkte sich auch massiv auf die intellektuelle Atmosphäre aus. Der politische Opportunismus bedingte im Ergebnis, dass die Verbreitung eines umfassend dokumentierten Wissens vom eigenen signifikanten Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung nicht zustande kam. Nach der im Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei herausgegebenen Publikation „Gerechtigkeit für Österreich! Rot-Weiß-Rot-Buch. Darstellungen, Dokumente und Nachweise zur Vorgeschichte und Geschichte der Okkupation Österreichs (nach amtlichen Quellen). Erster Teil.“ (224 Seiten, Wien 1946) – ein zweiter Teil ist nicht erschienen – war es deshalb um die Erforschung und Dokumentation des eigenen Beitrages Österreichs zu seiner Befreiung still geworden. Die mit Bundesgesetz vom 12. April 1946 /1/ geschaffene, vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung zu verleihende „Österreichische Befreiungsmedaille“, mit der Verdienste von Angehörigen der auf österreichischem Gebiet eingesetzten Streitkräfte der Alliierten Mächte, von Österreichern und anderen Personen „um die Befreiung der Republik Österreich“ gewürdigt werden sollten, ist nie zur Verleihung gekommen. /2/ Die Leute von Organisationen wie der Kameradschaftsbund konnten dagegen bei ihren Aufmärschen, ja eigentlich überall, ihre Naziorden ohne geringste Scham zur Schau stellen. Der „österreichische Ungeist“, von Thomas Bernhard (1931-1983) so treffend beschrieben, war insgesamt der vorherrschende. /3/ Im Vorwort zum Buch von Herbert Steiner (1923-2001) „Zum Tode verurteilt“ (1964) klagt Friedrich Heer (1916-1983): „In diesen letzten Jahren sind aber auch viele Masken gefallen, die nach 1945 zunächst getragen wurden: Offen und ohne jede Scham kann man in Schrift und Wort über Österreichs Widerstand, über die Menschen, die ihn leisteten, die bösartigsten und gemeinsten Verleumdungen in der Öffentlichkeit verbreiten.“ /4/ Einsetzung des MinisterkomiteesIm Verlauf der Diskussion über die Gestaltung der 20-Jahrfeiern der Wiedererrichtung der Republik im Jahre 1965 setzte das Kabinett Alfons Gorbach (1898-1972) 1 auf Antrag von Außenminister Bruno Kreisky (1911-1990) am 27. Februar 1962 ein „Ministerkomitee für die Herausgabe einer geschichtlichen Darstellung über den Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung im Sinne der Moskauer Deklaration“ (künftig „Ministerkomitee“) ein. /5/ Dieses traf sich am 4. April 1962 in Anwesenheit von Unterrichtsminister Heinrich Drimmel (1912-1991) als Vorsitzenden, Innenminister Josef Afritsch (1901-1964), Justizminister Christian Broda (1916-1987) und Staatssekretär im Innenministerium Otto Kranzlmayer (1911-1972) sowie von je einem hohen Beamten aus dem Justiz- (MR Dr. Otto Modler), Unterrichts- (MR Dr. Franz Veits) und Innenministerium (SR Dr. Franz Weihskirchner). Drimmel erörterte eingangs die Zielsetzung des Ministerkomitees, ohne dass diese im Protokoll vermerkt wurde. Broda bedauerte, „dass mit Generalstaatsanwalt Tuppy, /6/ der im KZ zugrunde gegangen ist, eine wichtige Dokumentationsquelle verloren wurde. Es müsste ein Weg gefunden werden, dass Gerichtsakten der wiss. Forschung zugängig gemacht werden können. Es bestünde auch ein Skartierungsproblem. Derzeit könnte nur den Parteien Akteneinsicht gewährt werden. Wenn die bezüglichen Gerichtsakten den Archiven übermittelt werden dürften, dann wäre das Problem gelöst“. Drimmel und Broda vereinbarten, eine gesetzliche Regelung anzubahnen, um die Benutzung der Archive und der Gerichtsakten für die Wissenschaft sicherzustellen. Drimmel ging davon aus, dass die künftige Kodifikation von dem Tage X beginnen müsste, „wobei die Zeit vor dem 12. März 1938 auch einbezogen werden müsste“. Broda schränkte ein, er sei für die Kodifikation der Zeit vom 12. März 1938 bis 8. Mai 1945: „Es kommt schließlich zu folgender Einigung: Von den Abendstunden des 11. März 1938 bis 8. Mai 1945, wobei im Zuge der Arbeiten aber erforderlichenfalls weiter zurückgegriffen werden kann.“ Drimmel formulierte „Zeit der NS Herrschaft“, was Broda akzeptierte. Drimmel ging davon aus, dass eine Dokumentation erforderlich sei, „auf der alles weitere aufgebaut wird. Es soll nicht nur eine kalte Aktenpublikation sein, sondern eine gesichtete Aktenpublikation“, was Broda so ergänzte: „Diese könnte unter der Bezeichnung ‚Ausgewählte Aktenpublikation – dokumentarische Darstellung‘ erfolgen, die für einen weiteren Personenkreis bestimmt ist, sodass sie in jeder Lehrerpublikation stehen kann.“ Die gute Anfangsidee war also, das Wichtigste auszuwählen, aber wie sollte das verwirklicht werden? Drimmel wusste, dass die Heranziehung von Universitätshistorikern nicht einfach sei, es müsse deshalb „ein Mann bestellt werden, der das Konzept des Werkes bestimmt“. Von den Wiener Historikern wurden von Ministerialrat Veits genannt die Universitätshistoriker Ludwig Jedlicka (1916-1977), der für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte seit 1958 habilitiert war und das 1962 außerhalb der Universität gegründete „Österreichische Institut für Zeitgeschichte“ leitete, Alfons Lhotsky (1903-1968), Hugo Hantsch (1895-1972) und Friedrich Engel-Janosi (1893-1978). Drimmel meinte, es sei schwierig, das auf vereinsrechtlicher Grundlage errichtete „Österreichische Institut für Zeitgeschichte“ mit dieser Aufgabe von der Regierung zu betrauen, weil es dann interne Schwierigkeiten bei Übernahme als Universitätsinstitut – das geschah 1966 – gebe. Es sei daher besser, den Leiter Jedlicka mit dieser Aufgabe zu betrauen und einen Fachbeirat zu installieren: „Das Werk solle etwa heißen: ‚Die Österreichische Widerstandsbewegung 1938 bis 1945‘. Herausgeber: Die österreichische Bundesregierung. Mit der Herausgabe betraut Prof. Hantsch und Prof. Engel-Janosi und andere Prominente. Das österreichische Institut für Zeitgeschichte, Leiter Univ. Dozent Jedlicka, soll jedoch mit der praktischen Arbeit betraut werden.“ Broda knüpfte daran an und regte an, ein Arbeitsteam mit Jedlicka und Friedrich Heer zu bilden. Jedlicka hatte das volle Vertrauen von Drimmel, während Heer ein Freund von Broda seit ihrer gemeinsamen Schulzeit war. Broda dürfte mit dem Vorschlag, Heer in die Arbeitsgruppe aufzunehmen, Drimmel herausgefordert zu haben. Ihm war sicher bekannt, dass Drimmel die Etablierung von Heer an der Wiener Universität hintertrieb und Heer als Linkskatholiken scharf und in feindlicher Gesinnung ablehnte. /7/ Gewiss konnte auch der Benediktiner Hugo Hantsch, der das Historische Institut der Universität im strikt konservativen Geist und im Einvernehmen mit der, wie Engel-Janosi formulierte, „bis zum äußersten konservativen Universitätsverwaltung“ /8/ führte, mit Heer nichts anfangen. Im Ergebnis orientierte das Ministerkomitee auf: „1) Das Werk soll „Österreichische Widerstandsbewegung 1938 bis 1945“ heißen. 2) Es soll eine Dokumentation sein. Aus der Fülle der Aktenmaterialien soll in einer sorgfältigen Auswahl publiziert werden aus den Quellen des Justizarchivs, Staatsarchivs, Polizeiarchiven und Kirchenarchiven und aus ausländischen Archiven u. s. w. Privatarchiven. 3) Herausgabe im Auftrag der österreichischen Bundesregierung. Das Redaktionskomitee wird von 4 Mitgliedern des Ministerkomitees gebildet: Bundesminister Dr. Drimmel, Bundesminister Afritsch, Bundesminister Dr. Broda, Staatssekretär Dr. Kranzlmayer. 4) Mit den praktischen Arbeiten wird das Institut für Zeitgeschichte betraut. Leitung Jedlicka – Heer. 5.) Ein genügend großer wissenschaftlicher Beirat soll bestellt werden. 6) Über das Ergebnis der heutigen Besprechung soll ein Protokoll verfasst und an die Komiteemitglieder ausgeschickt werden. 7) Nach entsprechender Überlegungs- und Vorbereitungszeit soll eine weitere Ministerkomiteesitzung stattfinden. 8) Die nächste Sitzung soll unter Beiziehung der Fachwissenschaftler Dr. Jedlicka und Dr. Heer stattfinden. 9) Gesetzliche Maßnahmen werden unter Umständen notwendig sein, um die Benützung der Archive für diesen Zweck zu ermöglichen. Wenn solche Maßnahmen nicht erforderlich wären, könnte Zeit gewonnen werden. 10) Die wichtigsten Dokumentationsquellen werden im Bereich der Bundesministerien für Inneres und Justiz zu finden sein.“ Das Ministerkomitee beschloss ein Kommunique: „Im Bundesministerium für Unterricht fand am 4.4.1962 unter dem Vorsitz des Bundesministers für Unterricht die erste gemeinsame Beratung des von der Bundesregierung eingesetzten Ministerkomitees für die Dokumentation der Geschichte der österreichischen Widerstandsbewegung 1938-1945 statt. /…/ Es wurden die ersten Pläne für die Anlage des Werkes sowie für die Auswahl des Mitarbeiterstabes entworfen mit dem Ziel, dem Ministerrat ehestens einen Antrag über die Ausführung dieser Pläne zur Beschlussfassung vorzulegen.“ Reihe „Das einsame Gewissen“Parallel zu den Vorbereitungen des Ministerkomitees trieb Christian Broda das im Herold-Verlag als Eröffnung der Reihe „Das Einsame Gewissen“ in Planung befindliche und vom Dr. Theodor Körner-Stiftungsfonds großzügig geförderte Projekt von Maria (März-)Szecsi (1914-1984) über die NS-Justiz voran. Die verlegerische Initiative zu dieser Reihe ging von Willy Lorenz (1914-1995), Generaldirektor vom Wiener Herold Verlag, aus, der 1958 das Buch von Otto Molden (1918-2002) „Der Ruf des Gewissens. Der österreichische Freiheitskampf 1938-1945. Beiträge zur Geschichte der österreichischen Widerstandbewegung“ herausgegeben hatte. Lorenz hatte sich am 23. Februar 1961 zu einer halbstündigen Besprechung mit Kreisky und Broda in Kreiskys Büro getroffen und das Konzept erörtert. „Das einsame Gewissen“ sollte in einer Auflage von 1000 Stück erscheinen. Nach dem Buch von Szecsi – von der Partnerschaft mit Karl R. Stadler (1913-1987) war noch nicht die Rede – über die Prozesse gegen Widerstandskämpfer im Wiener Landesgericht sollte ein Band von Jedlicka über die Rolle österreichischer Offiziere im Kreis der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 erscheinen, dann ein Band über die Österreichische Emigration von Stadler und ein Band über den Widerstand im Ötztal des Tiroler Widerstandkämpfers Wolfgang Pfaundler, der allenfalls auch über Geistliche und Widerstand schreiben könnte. Broda bemerkte zur Arbeit von Szecsi, „dass in den Landesgerichtsprozessen zwar eine große Anzahl von Kommunisten verwickelt waren, Frau Szecsi jedoch eine Art der Darstellung gefunden habe, die diesen Umstand in ein historisch adäquates Licht rücke“. Es scheint, dass Broda bei diesem Gespräch in den Sinn gekommen ist, seinen Freund Stadler der Autorin Szecsi als Koautor zur Seite zu geben, vielleicht haben sich aber auch beide unabhängig davon gefunden, jedenfalls war es eine sozialistische Akkordierung. Kreisky unterstrich die Notwendigkeit, einen Band über den Widerstand in den Betrieben herauszugeben, für welche Aufgabe das Einvernehmen mit Fritz Klenner herzustellen sei. Broda erweiterte diesen Vorschlag in Hinsicht auf die Justiz, Hochschulen und Bauernschaft. Kreisky versprach Lorenz Förderung durch die Körner-Stiftung, Broda sagte noch, dass die meisten der Autoren bereits Förderungspreise der Stiftung erhalten hätten. Willy Lorenz war ein Repräsentant des konservativ-reaktionären Katholizismus, wie nicht nur seine Diffamierung der Arbeiten über reformkatholische Strömungen des Historikers Eduard Winter (1896-1982)
zeigt. /9/ Dass Kreisky und Broda dem Herold-Verlag mit Lorenz in einer so wichtigen Angelegenheit, wie es die Darstellung der Nazizeit in Österreich war, eine derart einflussreiche Position zugestanden, kann allerdings nur jene überraschen, die sich über die Rolle der Sozialisten im ideologischen Klassenkampf irgendwelche Illusionen machen. Kreisky plaudert in seinen Memoiren, dass es bei Gelegenheit des Aufenthaltes des holländischen Sozialdemokraten Koos Vorrink (1891-1955) aus Anlass des Parteitages der österreichischen Sozialisten in Wien 1950 zu einem Treffen „in der Wohnung der Tante von Willy Lorenz“ mit einigen Vertretern der Kirche gekommen sei, um zu einer Synthese zwischen Arbeiterbewegung und römisch-katholischer Kirche zu
kommen. /10/ Im Ergebnis wurden damit rationale Positionen der sozialistischen Arbeiterbewegung zur Kirche und zu deren Funktion in der Gesellschaft aufgegeben. Politische EinflussnahmeIn das Projekt Szecsi und Stadler, das der NS-Justiz in Österreich gewidmet war, griff Christian Broda mit politischen Direktiven ein. Nach Kenntnisnahme des Erstmanuskripts schreibt Broda am 13. Februar 1961 an Szecsi: „Jedenfalls müsste man die Namen der Richter, bzw. der einzelnen Senate eliminieren. Das ist aber, wie ich festgestellt habe, technisch ohne weiteres möglich und würde keine Schwierigkeiten machen“. Am 11. März 1961 nochmals eindeutig: „Die Namen der Richter im Text müssten jedenfalls eliminiert werden.“ Kreisky empfahl am 11. Juli 1961 gegenüber Broda von der Verwendung des Ausdruckes „Annexion“ abzusehen, „der im Widerspruch zu der von österreichischer Seite immer wieder vertretenen These steht, wonach Österreich von 1938 – 1945 nur besetzt war“, im übrigen seien kommunistische Publikationen der Gegenwart „nicht als Quellen zu verwenden“. An den internationalen Zusammenhang dachte Kreisky mit seiner Anregung, die Terrormaßnahmen der Nazis in Österreich, insbesondere im Hinblick auf die Zahl der Verhafteten und der Todesurteile, mit den Terrormaßnahmen in anderen Ländern Europas, insbesondere in kleineren Ländern wie Dänemark, Belgien oder Holland zu vergleichen. Zweite Sitzung des MinisterkomiteesAm 12. Juli 1963 traf sich das Ministerkomitee zu seiner zweiten Sitzung, diesmal in der Zusammensetzung Drimmel (Vorsitzender), Broda und Kranzlmayr, beigezogen waren Jedlicka und Dr. Herbert Grossmann vom Unterrichtsministerium. Heer hatte von Drimmel „versehentlich“ keine Einladung erhalten. Innenminister Franz Olah (anstelle von Afritsch) ließ sich entschuldigen, Kranzlmayr wollte ihm berichten. Broda meinte, der Titel „Österreichische Widerstandsbewegung 1938-1945“ sei ein reiner Arbeitsbehelf, gegebenenfalls müsse auf die Zeit vor 1938 zurückgegriffen bzw. über 1945 hinausgegangen werden. Drimmel und Broda wollten bei der notwendigen Archivalienschutzgebung kooperieren. Jedlicka erklärte, es scheine eine harmonische Zusammenarbeit mit Heer gegeben zu sein. Broda ließ protokollieren: „Ich bin vor allem daran interessiert, dass etwas geschieht und die Sache vorangetrieben wird. Mit der Federführung von Dozent Jedlicka bin ich einverstanden.“ Jedlicka, der 1957 und 1962 der Förderpreis der Theodor-Körner-Stiftung erhielt, schlug vor, ein Professorenkollegium der Wiener Universität zur Mitarbeit heranzuziehen, Drimmel erweiterte diesen Vorschlag auf die Grazer und Innsbrucker Historiker. Drimmel ersuchte Jedlicka, „bezüglich der personellen Zusammenarbeit den Grundsatz der Offenheit walten zu lassen. Es ergeht kein Proporzauftrag“. Das nützte Broda, um Stadler, der aber mit Jedlicka schon Kontakt hatte, offiziell in das Arbeitsteam zu reklamieren: „Er /Stadler/ ist Mitautor der Serie ‚Das einsame Gewissen‘ und beschäftigt sich auf Grund seiner Aktenforschung in Amerika mit der Geschichte der Widerstandsbewegung, und zwar vom Standpunkt der Emigration ausgesehen. Im Hinblick darauf, dass auch die Emigration berücksichtigt werden sollte, wäre seine Mitarbeit sehr wertvoll.“ Drimmel hielt nochmals fest, dass dem Österreichischen Institut für Zeitgeschichte bezüglich der Heranziehung von Fachkräften „eine gewisse Liberalität“ gewährt werden sollte, er verwies auch auf die mögliche Mitarbeit von Arthur Breycha-Vauthier (1903-1986), der damals in der Bibliothek der Vereinten Nationen in Genf – Drimmel sprach noch von der „Völkerbundbibliothek“ – tätig
war. /21/ Broda schlug Jedlicka einen Flug nach Amerika zum Studium von Akten, die auf Österreich Bezug haben, vor, worauf dieser antwortete, er sei mit der amerikanischen Archivverwaltung schon in Kontakt und das Institut würde Mikrofilme bei den diversen amerikanischen Archivstellen kaufen. Außerdem habe Stadler Amerika besucht und ihm einen Überblick über die Aktenlage gegeben. Einvernehmlich stellte das Ministerkomitee fest, „dass das Teamwork unter der Federführung von Dozent Jedlicka stehen soll. Prof. Heer soll denselben Status etwa wie Professor Stadler haben“. Jedlicka legte Arbeitsproben von bearbeiteten Dokumenten vor und resümierte: „Auf Grund der Tatsache, dass wir das Jahr 1965 zum Ziele haben, kann ich mich nur für eine Dokumentation mit einleitendem Text und Fußnoten aussprechen, so dass das Dokument selbst spricht. Etwas anderes wäre in der Kürze der Zeit unmöglich.“ Das Ministerkomitee war damit einverstanden. Broda stimmte zu, dass Jedlicka wegen der ihm bekannten Aktenlage mit 1943 beginnen wollte: „Es ist kein Unglück, wenn die Herausgabe nicht chronologisch erfolgt. – Es mag sein, dass der Ministerrat ursprünglich an eine Art Gedenkbuch gedacht hat. Jedenfalls ist es erfreulich, dass die Initiative des Ministerkomitees schon Frucht getragen hat. Jetzt ist es unsere Aufgabe, das qualitativ Hochwertigste zu produzieren.“ Erstmals nimmt das Ministerkomitee auf das „Österreichische Dokumentationsarchiv der Widerstandsbewegung“ Bezug. August Maria Knoll (1900-1963) als Präsident des DÖW, Ferdinand Käs (1914-1988) als Vizepräsident und Steiner hatten am 1. Juli 1963 einen Brief an Drimmel unterfertigt, in dem sie von der Gründung des Dokumentationsarchivs Mitteilung machen und berichten, dass die konstituierende Generalversammlung einstimmig beschlossen habe, das „Ministerkomitee zur Vorbereitung der Herausgabe einer geschichtlichen Darstellung über den Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung“ um eine Aussprache zu ersuchen: „Das Österreichische Dokumentationsarchiv der Widerstandsbewegung erlaubt sich abschließend der Hoffnung Ausdruck zu geben, dass ihm Gelegenheit gegeben werden wird bei der Verwirklichung des Beschlusses der Bundesregierung in geeigneter Form mitzuwirken.“ Drimmel wollte im Namen des Ministerkomitees diesen Brief „höflich“ in der Weise beantworten, dass er das Dokumentationsarchiv bitten werde, den angebotenen Beitrag mit dem mit der Redaktion der Geschichte der Widerstandsbewegung betrauten Österreichischen Institut für Zeitgeschichte zu liefern. Drimmel und Knoll kannten sich persönlich seit den dreißiger Jahren, beide haben sich für die Hochschulpolitik des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes engagiert, Drimmel als Sachwalter der Hochschülerschaft, Knoll für die „staatspolitische Schulung“: „/…/ Ein kosmisches Ahnen erfüllt wieder mit Wärme die Hochschülerschaft. Das Mysterium, als Mythos verkleidet, wird wieder ein Erleben für Lehrer und Hörer.
/…/“. /22/ Anfang der sechziger Jahre ist Knoll durch seine Kritik an der neothomistischen Naturrechtslehre und der daraus abgeleiteten katholischen Soziallehre mit der Amtskirche in Konflikt
geraten. /23/ Über die Sitzung des Ministerkomitees gab das Unterrichtsministerium am selben Tag eine Meldung an die Austria Presseagentur hinaus, dass auf Grund des ausführlichen Berichts von Jedlicka über die seit der letzten Sitzung geleistete Vorarbeit zur Publikation „Geschichte der Österreichischen Widerstandsbewegung 1938/45“ zu erwarten sei, „dass spätestens anlässlich des 20. Jahrestages der Wiedererrichtung der Republik Österreich der erste Band des mehrbändigen Dokumentationswerkes der Öffentlichkeit übergeben werden wird“. Im Herbst sollten alle Vorstände der Hochschullehrkanzeln für Neuere Geschichte und Österreichische Geschichte eingeladen werden, „die Bundesregierung bei der Erfüllung dieses wichtigen staatspolitischen Auftrages zu unterstützen“. Dritte Sitzung des MinisterkomiteesAm 6. Juli 1964 traf sich das Ministerkomitee unter dem Vorsitz des jetzigen Unterrichtsministers Theodor Piffl-Percevic (1911-1994), ein im Gegensatz zu Drimmel offen agierender konservativer Katholik, zu seiner dritten Sitzung. Das Kabinett Gorbach 2 war am 2. April 1964 vom Kabinett Josef Klaus (1910-2001) 1 abgelöst worden. Der Sitzung vorausgegangen war eine Intervention von Herbert Steiner als Sekretär des Österreichischen Dokumentationsarchivs am 29. Juni 1964, es möge doch das Ministerkomitee einberufen werden: „Wir glauben, dass es von großer Bedeutung wäre, dass der 1. Band im Jahre 1965 anlässlich der geplanten Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Befreiung Österreichs fertig gestellt wird.“ Zugleich lud Steiner Broda ein, das Dokumentationsarchiv zu besuchen. Beim Treffen des Ministerkomitees waren anwesend neben Piffl-Percevic wieder Broda und Jedlicka, dazu der Beamte Dr. Othmar Huber (Unterrichtsministerium), entschuldigt waren Innenminister Olah und Staatssekretär Franz Soronics (Innenministerium). Jedlicka konnte berichten, dass dank der Unterstützung von Broda die Archivbestände im Bereich des Justizministeriums durchgesehen werden konnten, das Innenministerium habe noch nicht die Archivsperre zur Auswertung der Akten aus diesem Bereich aufgehoben: „Große Erleichterung bildet die Überlassung von zwei schönen, lichten Arbeitsräumen, welche an der Universität in Wien vom Institut für österreichische Geschichtsforschung durch Professor Dr.
Fichtenau /24/ bereitgestellt wurden. Für diese Unterstützung wird besonders gedankt.“ Jedlicka berichtete, dass für den 28. Februar 1964 ein Professorenkomitee unter dem Vorsitz von Hugo Hantsch einberufen war, „um bei der Herausgabe der Dokumentation der österreichischen Widerstandsbewegung 1938 bis 1945 mitzuwirken“. Das sei leider auf Grund der am selben Tag erfolgten Regierungsumbildung nicht zustande gekommen. Jedlicka berichtete, dass einige Professoren sich bereit erklärt haben, an dem Projekt mitzuarbeiten, vor allem Erich Zöllner (1916-1996), Wiener Ordinarius für Österreichische Geschichte. Derzeit habe er, Jedlicka, vier Mitarbeiter, die die verschiedenen Akten durchsehen, um sie für die Veröffentlichung vorzubereiten. Die Manuskripte der ersten Publikation über die Jahre 1943 bis 1945 würden Ende September 1964 fertig sein, die Akten würden so veröffentlicht werden, wie sie vorhanden sind. Zu den einzelnen Kapiteln würden kurze Einführungen gegeben werden. Piffl-Percevic, der Jedlicka „für seinen ausgezeichneten Bericht und die hervorragende Arbeit des österreichischen Instituts für Zeitgeschichte dankt“, meldete Bedenken zur Aktenveröffentlichung an. In den Gestapo- und sonstigen Akten seien „vielfach Unwahrheiten über die beschuldigten Personen enthalten. Ja es können sogar Verleumdungen enthalten sein, die heute noch lebenden Personen zum Nachteil gereichen. /…/ Man hat in der Zeit des 3. Reiches ja auch damit operiert, dass man die Behauptung aufstellte, die Konzentrationslager seien nur voll mit kriminellen und abwegig veranlagten Menschen.“ Und weiter: „Man muss bedenken, dass nicht nur wissenschaftlich vorgebildete Personen diese Dokumentation lesen werden. Dadurch ist es möglich, dass Personen in ein schiefes Licht kommen.“ Jedlicka verwies darauf, „dass für die Publikation nur rein politische Akte vorgesehen sind. /…/ In jedem Falle können falsche Behauptungen z.B. durch Fußnoten eliminiert werden.“ Broda teilte grundsätzlich diese Bedenken, sprach sich aber dennoch „für die Aufnahme der Akten mit dem vollen Namen“ und für die Durchführung in der von Jedlicka vorgesehen Form aus. Broda verwies darauf, „dass es sich hierbei um eine sehr große Arbeit handelt, die aber jetzt unternommen werden muss, weil ansonsten die vorhandenen Aktenbestände unweigerlich verloren sind. Es muss bereits in der Einleitung festgestellt werden, dass es sich um keine vollständige Aktenpublikation handeln kann, weil eine solche unmöglich ist. Man muss den richtigen Stil für die Auswertung dieser Dokumente erst finden. Die Aktenpublikation kann verglichen werden mit den deutschen Akten zur Auswärtigen Politik. Allerdings sind diese Akten hier unvollständig. Man kann Einleitungen zu den einzelnen Gruppen bringen und dann die Originalakten veröffentlichen. Hier und da wird man auch Erlebnisberichte bringen müssen.“ Jedlicka weist darauf hin, dass es sich bei den Akten über die Auswärtige Politik um anderes Material handelt: „Die Akten des österreichischen Institutes für Zeitgeschichte tragen eher einen zufälligen Charakter. Nicht alle Akten sind greifbar.“ Dem stimmt Broda zu, es sei selbstverständlich, „dass hier nicht eine vollständige Aktenpublikation durchgeführt werden kann. Man darf jedoch nicht den Anschein der Vollständigkeit erwecken. Die Kommentierung des Aktenmateriales ist daher von großer Wichtigkeit. Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob noch lebende Personen der Veröffentlichung zustimmen müssen.“ Jedlicka betonte nochmals, dass „nicht alles publiziert wird, sondern dass vielfach Kurzauszüge gebracht werden können“. Im Übrigen wies Jedlicka noch darauf hin, die Arbeiten an der Edition sei von besonderer Bedeutung, „da die modernen Dokumente (in Maschineschrift) in 20 bis 30 Jahren voraussichtlich nicht mehr leserlich sein werden. Diese Dokumente verblassen. Man muss sie daher rechtzeitig ablichten.“ Das Justizministerium habe durch besondere Unterstützung an dem Projekt mitgearbeitet. Im Einvernehmen wurde beschlossen, dass Jedlicka Ende September 1964 das Manuskript mit Vorwort dem Ministerkomitee zur Überprüfung vorlegen werde. Von der Einberufung des Professorenkomitees sollte nach Ansicht von Broda, der Piffl-Percevic zustimmte, Abstand genommen werden, es sei jetzt zu spät. Piffl-Percevic verwies noch auf Dokumente aus der Zeit um 1938, „einer Zeit, wo es noch besondere Widerstände gegeben hat“. Jedlicka erklärte, der I. Band der Dokumentation werde die Jahre 1943 und 1944 umfassen, aus den Jahren 1941 bis 1942 seien praktisch keine Aktenbestände vorhanden, es wäre aber durchaus möglich, dass plötzlich Bestände aufgefunden werden. Über die Emigration werde Stadler arbeiten. Broda wunderte sich, dass der Zeitraum von 1943 und 1944 in einem Band zusammengefasst werden könne. Jedlicka bestätigte, dass das möglich sei, da erst Ende 1943 ein stärkerer Widerstand feststellbar wird. Um 1965 zeitgerecht herauszukommen, müsse die eingeschlagene Vorgangsweise gewählt werden. Er schlug noch vor, seine Mitarbeiterin Edda Pfeifer vorstellen zu dürfen, diese habe eine Hausarbeit über „Österreicher, die in alliierten Armeen gedient haben“
geschrieben. /25/ Jedlicka versicherte, dass die Arbeit des 1. Bandes zeitgerecht dem Ministerkomitee vorgelegt werden könne. Am 10. Juli 1964 besuchten Piffl-Percevic und Broda in Begleitung des Wiener Philosophendekans Nikolaus Hofreiter (1904-1990) und des Historikers Lhotsky das Österreichische Institut für Zeitgeschichte von Jedlicka, worauf die Presseaussendung hinaus gegeben wurde: „Das Institut ist von der Österreichischen Bundesregierung beauftragt, die Dokumentation über die Österreichische Widerstandsbewegung herauszugeben. Der erste Band wird aus Anlass des 20. Jahrestages der Wiedererrichtung der Republik Österreich im März 1965 erscheinen.“ Ministerkomitee 1965Am 12. März 1965 berief Piffl-Percevic das Ministerkomitee zu einer weiteren Sitzung ein. Broda hatte das am 28. Jänner 1965 „im Hinblick auf den herannahenden Zeitpunkt der Feierlichkeiten aus Anlass der 20-jährigen Wiederkehr der Gründung der Zweiten Republik“ mit dem Bemerken angeregt: „Ich habe bei anderer Gelegenheit mit Herrn Univ. Doz. Dr. Jedlicka gesprochen und dabei festgestellt, dass durch das Institut für Zeitgeschichte schon sehr interessante Arbeit geleistet worden ist. Es wäre m. E. nun abzustimmen, in welcher Form der Öffentlichkeit das Fortschreiten dieser Arbeit bekannt gemacht werden kann, da offenbar entgegen der ursprünglichen Absicht die Zeit zu kurz wird, um noch einen ersten Band der beabsichtigten Publikationsreihe zeitgerecht erscheinen zu lassen.“ Neben Piffl-Percevic (Vorsitzender) und Broda waren anwesend Dr. Karl Klee (Justizministerium), Oberlandesgerichtsrat Dr. Johann Stroh (Justizministerium), Ministerialoberkommissär Dr. Otto Drischel (Unterrichtsministerium) und Jedlicka, der seine beiden Mitarbeiter vom Österreichischen Institut für Zeitgeschichte Edda Pfeifer und Anton Staudinger mitgenommen hatte. Innenminister Czettel und Staatssekretär Soronics hatten sich wieder entschuldigt. Piffl-Percevic eröffnete die Sitzung mit der Feststellung, „dass im Jubiläumsjahr der Republik die Dokumentation über den Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung der Öffentlichkeit übergeben werden sollte“. Jedlicka resümierte, dass das zunächst zu bearbeitende Material der Jahre 1943/44 einen Umfang von mehr als 8.500 Seiten habe, sich aus den Akten des Besonderen Senates beim Oberlandesgericht Wien (Aktendepot des Justizministeriums), aus den Sondergerichtsakten der Landesgerichte, aus einer geringen Zahl der Volksgerichtsakten Berlin, aus Aktenbeständen des Archivs Potsdam, des Österreichischen Dokumentationsarchivs der Widerstandsbewegung sowie Akten aus Privatbesitz zusammensetze. Es habe eine Auswahl getroffen werden müssen, das nun vorliegende Manuskript mit Einleitung und Apparat habe eine Stärke von 950 Seiten. Als Gliederung sei vorgesehen: 1) Das konservative Lager; 2) Sonderfälle; 3) Das Lager der Linken; 4) Bewaffneter Widerstand: „Das vorliegende Manuskript wäre jetzt publikationsreif und könnte als erster Band in Druck gehen“. Bei der Endredaktion sei für das konservative Lager Kurt Skalnik (1925-1997), Chefredakteur der katholischen Wochenzeitung Die Furche, behilflich gewesen, Stadler habe speziell bei der Bearbeitung des Lagers der Linken beratend mitgearbeitet. Das Innenministerium habe wohl mitgeteilt, dass gegen die Akteneinsicht nichts einzuwenden sei, aber es habe bisher keine Möglichkeit bestanden, die Einsichtnahme durchzuführen. Die Staatspolizei habe lediglich mitgeteilt, „dass in den Akten nichts Verwertbares vorhanden sei“. Broda stimmte der bisherigen Vorgangsweise zu und vertrat die Auffassung, dass als Herausgeber die Bundesregierung zu nennen sei, da die Bundesminister dieses Komitees nur mit der Vorbereitung betraut worden seien. Die Bearbeiter seien separat zu nennen, als Verlag wäre der Österreichische Bundesverlag zu nennen, ein anderer Verlag könnte als Abwertung des Werkes angesehen werden. In Hinsicht auf die Fortsetzung der Arbeiten solle wie bisher weiter gearbeitet werden. Zu prüfen sei noch, „ob durch die Veröffentlichung des Namens der Zeugen, Angeklagten, Gerichtspersonen usw. Rechte berührt werden. Da die Bundesregierung als Herausgeber aufscheinen wird, müsse diesbezüglich Klarheit geschaffen werden.“ Piffl-Percevic meinte, es sei beschlossen, mit Chiffren zu arbeiten: „Bei der Darstellung handelt es sich um echtes Geschehen, wobei die Personen doch im Hintergrund stehen. In 20 bis 30 Jahren werden die Bedenken gegen die Nennung von Personen weggefallen sein.“ Jedlicka teilte dazu mit, „dass die Staatspolizei seinerzeit die Frage der Namensnennung geprüft habe und dass 60% der Betroffenen gegen die Nennung protestiert haben.“ Piffl trat für Kürzung des Namens ein, Broda wollte die Frage der Nennung von Personen noch untersuchen lassen, „da diese Personen aufgrund der dargestellten Merkmale erkennbar sein können“. Broda teilte weiter mit, dass aus dem Kreise der Österreichischen Widerstandbewegung Bedenken gegen die Einteilung des Werkes in das Konservative Lager und das Linke Lager an ihn herangetragen wurden, er also für eine chronologische Einteilung eintrete. Broda nahm mit dieser Mitteilung Bezug auf einen an ihn unterm 22. Februar 1965 adressierten Brief des Leitenden Sekretärs des Österreichischen Gewerkschaftsbundes Alfred Ströer, der auch Vorstandsmitglied des Dokumentationsarchivs war, in dem es heißt: „Unserer Meinung nach ist es nicht gut, wenn man von Haus aus die Widerstandskämpfer in ‚Rote‘ und ‚Schwarze‘ einteilt.“ Auf Nachfrage verdeutlichte Ströer am 11. März 1965: „Die vorgeschlagene Unterteilung in zwei Gruppen ‚Das konservative Lager‘ und ‚Die österreichische Linke‘ ist grundsätzlich abzulehnen. Wir meinen, man sollte nicht austarieren und nicht eine Einteilung treffen, die etwa gelesen werden könnte wie ‚meine Toten – deine Toten‘. Außerdem gibt es etliche Widerstandsgruppen, die weder der einen noch der anderen Gruppe angehören.“ Es ist das ein schöner Gedanke, den der österreichische Emigrant Stefan Zweig (1881-1942) in einem Vortrag 1939 in den USA vor Ausbruch des Weltkrieges verallgemeinert hat: „Die Geschichte von morgen muss also eine Geschichte der ganzen Menschheit sein, und die einzelnen Streitigkeiten müssen ihr belanglos erscheinen gegenüber dem Wohl der Gemeinschaft.“ /26/ Broda formulierte im Ministerkomitee die Auffassung, „dass im Vorwort die beiden Ordnungselemente Linkes Lager und Konservatives Lager kommentiert werden sollen, dass aber sonst in der Dokumentation der chronologischen Ordnung der Vorzug gegeben werden soll“. Piffl-Percevic vertrat die Auffassung, „dass aus dem Akt die Zugehörigkeit zu einem der beiden Lager herausgelesen werden könne. Interessant ist seiner Meinung nach der historische Ablauf, sodass die Einteilung aufgrund der zeitlichen Entwicklung besser erscheine“. Im Ergebnis der Diskussion sollte Jedlicka, der erklärte, Herbert Steiner sei Mitarbeiter, mit der Österreichischen Widerstandsbewegung Verbindung aufnehmen und die Möglichkeiten der chronologischen Gliederung unter Aufrechterhaltung einer Kommentierung der beiden Ordnungselemente Linkes und Konservatives Lager durch Stadler und Skalnik abklären. Nach Maßgabe des Auftauchens von ausländischem Material sollten Zusatzbände bearbeitet werden. Piffl-Percevic, der die Frage des Verlages abzuklären hatte, unterstützte die Auffassung von Broda. Jedlicka übergab Broda auch das Konzept des Vorwortes, nachdem Piffl-Percevic die Sitzung wegen einer dringenden anderweitigen Verpflichtung nach 40 Minuten vorzeitig hatte verlassen müssen. Broda war bei der Zusammenfassung des Sitzungsergebnisses optimistisch, er werde der Bundesregierung über den Stand der Arbeiten berichten: „Der Beginn der Drucklegung könne ev. im Rahmen eines kleinen Festaktes bekannt gegeben werden.“ Das Projekt der Bundesregierung „Herausgabe einer geschichtlichen Darstellung über den Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung im Sinne der Moskauer Deklaration“ schien tatsächlich der Finalisierung entgegen zu gehen. Schlussbesprechung des MinisterkomiteesAm Abend des 28. April 1965 veranstaltete die Bundesregierung Klaus 1 – als Vizekanzler (SPÖ) amtierte seit 1957 Bruno Pittermann (1905-1983) – am Heldenplatz eine Gedenkfeier für die Opfer der nationalsozialistischen
Verfolgung. /27/ Großes Staatszeremoniell wurde knapp drei Wochen später aus Anlass von „Staatsvertrag“
entwickelt. /28/ Am 3. Mai 1965 trafen sich im Jedlicka-Institut Stadler und die beiden Vorstandsmitglieder des Dokumentationsarchivs Ludwig Soswinski und Ströer mit Jedlicka und Mitarbeitern, um über die Reihung der Dokumente zu debattieren. Einvernehmlich wurde vereinbart, von der Chronologie der Dokumentation abzugehen und festzulegen, dass nach einer Einleitung in einem Abschnitt A „konservative“ und „linke“ Gruppen ohne Überschrift dokumentiert werden, in einem Abschnitt B der Widerstand in den Betrieben und von Sondergruppen, dann Sonderfälle und der Bewaffnete Widerstand. AusblickEs muss zu einer Vereinbarung zwischen Jedlicka und Stadler gekommen sein, mit ihren Darstellungen separat herauszukommen. Im Frühsommer 1965 war in der Reihe des Herold-Verlages „Das Einsame Gewissen“ als Band II das Buch von Ludwig Jedlicka „Der 20. Juli 1944 in Österreich“ (Wien-München 1965, 188 S.) erschienen, 1966 kam als Band III das Buch von Karl Stadler „Österreich 1938-1945 im Spiegel der NS-Akten“ (Wien-München 1966, 427 S.) heraus. Stadler dankt in seinem im Frühjahr 1966 datierten Vorwort insbesondere Christian Broda für seine Anregung vor nunmehr fast zehn Jahren, „eine systematische Suche nach den Akten zur Geschichte Österreichs in der NS-Zeit zu unternehmen“, dann der „vorbehaltlosen Unterstützung durch DDr. Willy Lorenz“ und Jedlicka für seinen „wertvollen Beistand“. Vom Regierungsprojekt und dem Ministerkomitee ist nicht die Rede. Auch das DÖW bleibt unerwähnt. Dessen wissenschaftlicher Leiter Herbert Steiner, der sich inzwischen durch mehrere gute Arbeiten über die österreichische Arbeiterbewegung als Historiker einen Namen gemacht hat, meint in seiner Besprechung des Buches, Stadler habe es „anscheinend aus Zeitnot“ unterlassen, die Quellen des DÖW heranzuziehen, was bei den Wienaufenthalten von Stadler natürlich nicht wirklich der Grund sein
konnte. /33/ Steiner anerkennt, dass Stadler auf den „nationalen Befreiungskampf“ hinweist und zeigt, „dass der Wunsch nach Wiedererrichtung eines demokratischen und unabhängigen Österreich das gemeinsame Bindeglied war“. Er kritisiert das Buch von Stadler aber vor allem wegen seiner vielen antikommunistischen Kommentare und erläutert seine Kritik historisch belegt. Wenn Stadler auf die Haltung der Kommunisten zu sprechen komme, weiche der Ton stark von der übrigen Darstellung ab, „und die wissenschaftliche Sachlichkeit leidet beträchtlich“. Steiner resümiert in Hinsicht auf den von Stadler kommentierten deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, dass dieser zu Diskussionen bei den österreichischen Kommunisten geführt habe: „Dabei bleibt die Tatsache, dass alle illegalen Publikationen eindeutig gegen den Faschismus und für ein unabhängiges Österreich ausgerichtet waren.“ Stadlers Buch enthalte, so Steiner, der ein diskreter Rezensent war, viele Bemerkungen, „die zu Widerspruch und Klarstellung herausfordern“. Broda konnte dagegen zufrieden über die Positionierung der an die Bedürfnisse der SPÖ angepassten Historiographie resümieren, zumal der Einfluss von Stadler auf die nachrückende, während der mehr als ein Dezennium andauernden sozialistischen Alleinregierung an ihrer Universitätskarriere bastelnden Generation von Zeithistorikern nicht gering einzuschätzen ist: „So wie Karl Stadler die besten Traditionen seiner Generation verkörpert, ist er auch ihr Geschichtsschreiber geworden. Ich glaube, dass darin ein großes Glück für Österreichs Geschichtsschreibung und für Österreich
liegt.“ /34/ „Das Glück is a Vogerl“ – ja, so sagt man, wenn es um simple personalpolitische Machtfragen geht, in Wiener SPÖ-Kreisen recht gerne. Anmerkungen: Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 3/2003 |
|