Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung Drechslergasse 42, A–1140 Wien Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at
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Gerhard Oberkofler: Über das musikwissenschaftliche Studium von Georg Knepler an der Wiener UniversitätEine archivalische Notiz zu seinem hundertsten GeburtstagIn vielen privilegierten Wiener Intellektuellenfamilien, unter ihnen ein
erheblicher Anteil von assimilierten jüdischen Familien, war am Beginn des 20.
Jahrhunderts die Musik Teil ihres Lebens. Die ästhetischen Ansprüche an die
Musik richteten sich, was trivial klingen mag, auf formvollendete Schönheit und
hohe künstlerische Qualität. Schon deshalb war die klassische Musik das
Fundament dieses kulturellen Verständnisses. Wolfgang Pauli (1900–1958) hatte
prägende Erinnerungen an seine Großmutter Bertha Schütz-Dillner, die Sopranistin
an der Wiener Hofoper gewesen war und dem kleinen Wolfgang im Musikzimmer der
elterlichen Wohnung oft vorgesungen und vorgespielt hat. In seinen späteren
Träumen und Phantasien, die Pauli in seinen Briefen beschreibt, ist „Die
Klavierstunde“ (November 1953) von Bedeutung.1 Karl Popper
(1902–1994) wuchs mit Musik auf, vor allem seine Mutter Jenny geb. Schiff war
musikalisch, die Großeltern mütterlicherseits waren Gründungsmitglieder der
Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Die klassische Musik war, wie er selbst
sagt, eines der dominierenden Themen seines Lebens.2 Victor Weisskopf
(1908–2002) erzählt in seinen Memoiren, wie er von seinen Eltern als Kind nicht
zu seiner Unterhaltung, sondern zu seiner Erziehung regelmäßig in die Oper und
in Konzerte mitgenommen wurde und mit zwölf Jahren abends schon allein dorthin
gehen durfte: „Die Aufführungen von Bachs Matthäuspassion, Haydns Schöpfung,
Beethovens Missa solemnis und den Requiems von Mozart und Brahms übten auf mich
eine weitere nachhaltige Wirkung aus“.3 Musikwissenschaftliches Studium an der Wiener UniversitätGeorg Knepler hat nach dem Besuch des akademische Gymnasiums in Wien – seine
Hausarbeit zur Reifeprüfung (1925) betraf das Thema „Die Beziehungen zwischen
Dichtung und Musik in der Romantik zur Zeit ihrer Blüte in Deutschland“ – mit
dem Wintersemester 1925/26 an der Wiener Universität Musikwissenschaft
inskribiert. Als Gymnasiast hatte Knepler eine private Musikausbildung bei
verschiedenen Lehrern, zuletzt im Klavierspiel bei Eduard (Edward) Steuermann
(1892–1964), der mit Theodor W. Adorno (1903–1969) befreundet war, und eine
musiktheoretische Einführung bei Hans Gál (1890–1987), der ein Verehrer von
Johannes Brahms (1833–1897) war. Über seinen Schüler Georg Knepler konnte Gál
dann im Londoner Exil Verbindung zum Austrian Centre, dessen Sekretär Knepler
war, herstellen.6 An der Universität begegnete Knepler noch dem
weltoffenen Guido Adler (1855–1941), der als Begründer der exakten historischen
Musikwissenschaft in Österreich gilt, aber schon am Ende seiner akademischen
Berufslaufbahn stand und mit dem Studienjahr 1926/27 emeritiert wurde. Adler hat
sich während der Studienzeit von Knepler mit der Moderne seit 1880 befasst.
Musikwissenschaftliche Vorlesungen und Übungen besuchte Knepler bei Robert Lach
(1874–1958), Wilhelm Fischer (1886–1962), Rudolf Ficker (1886–1954) und bei dem
mit Arnold Schönberg (1874–1951) in Kontakt stehenden Egon Wellesz (1885–1974).
Philosophie hörte er bei Moritz Schlick (1882–1936) und Oscar Ewald (d. i. Oskar
Friedländer) (1881–1940), Psychologie bei Karl Bühler (1879–1963). Begleiter von Karl KrausUnter den wenigen kommunistischen Studenten, die in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts an der Wiener Universität studierten, war es selbstverständlich, vor wissenschaftlicher Kleinarbeit, aus der Großes entstehen kann, nicht zurückzuweichen. Im ernsthaften Studium die eigene Denkweise zu verbessern und zu vervollkommnen und in der Aufhebung des Vergangenen zu Neuem vorzustoßen, das war der Leitgedanke dieser Generation kommunistischen Studenten. Das ist ja das A und O der Wissenschaft überhaupt. Auf eine so inhaltsleere Phrase, sich selbst neu zu erfinden, wie das heute unter sich selbst als linke Neuerer kommunistischen Denkens einschätzenden, aber doch nur auf Geld und Applaus schielenden Seniorstudenten als modern angeboten wird, konnten sie deshalb gar nicht kommen. Georg Knepler, der am 4. Februar 1931 promovierte9, hat seinem Antrag um Begutachtung der Dissertation ein Curriculum vitae, datiert am 6. Dezember 1930, beigegeben, in welchem er nicht erwähnt, dass er Karl Kraus (1874–1936) bei dessen Vorlesungen in Wien, Prag und anderenorts über Jacques Offenbach (1819–1880) in den Jahren 1929 und 1930, gelegentlich noch 1931 begleitet hat,10 was viel Intuition voraussetzt. Persönlich kennen gelernt hat Knepler Kraus im Herbst 1928, wenngleich er schon als Gymnasiast in seine Vorlesungen geeilt war und die Fackel regelmäßig gelesen hat. Obschon Kraus von der bürgerlichen Presse nach Möglichkeit totgeschwiegen wurde, waren die Wiener Vortragssäle (Architektenvereinssaal, Großer Konzertsaal, Mittlerer Konzerthaussaal, Kleiner Konzerthaussaal, Kleiner Musikvereinssaal, der wohl auf Vorschlag von Kraus seit 1932 Offenbachsaal benannte Festsaal im Gewerkschaftshaus Treitlstraße, Gewerbevereinssaal, Ehrbarsaal/Mühlgasse), in denen seine Vorlesungen stattfanden,11 meist ziemlich voll, in der Hauptsache waren es junge Leute, aber in den ersten Reihen auch ältere bekannte Leute wie Alban Berg (1885–1935) und seine Frau.12 So wie auf Knepler hatte Kraus auf die geistige Haltung von Erwin Chargaff (1905–2002) und Albert Fuchs (1905–1946) nachhaltig eingewirkt. Bei Chargaff, der eine Sammlung von mehr als hundert Programmblättern der Kraus-Abende oder -Nachmittage in der mütterlichen Wohnung angelegt hatte, die dann von den Wienern nach der Machtübernahme der Nazis geplündert wurde, wird das besonders deutlich wird.13 Es wird nicht bloß Bescheidenheit gewesen sein, dieses doch mitteilungswerte Engagement an der Universität nicht aktenkundig werden zu lassen. Wahrscheinlich hat Knepler Rücksicht auf den fanatischen Judenhasser und deutschnationalen Musikordinarius Lach, bei dem er eben seine Doktorarbeit einreichen musste, genommen. Dessen Vorlesungen müssen im Übrigen recht anstrengend gewesen sein. Ernst Krenek (1900–1991) erinnert sich so: „Dr. Lachs Kurs erschien mir höchst lächerlich, weil dieser Mann sehr ausgeprägte und widerwertige Sprechgewohnheiten hatte und sich zum Narren machte, indem er verschiedene Melodien heulte und jodelte, die er angeblich im Kaukasus oder in Tripolitanien oder in ähnlichen Gegenden aufgeschnappt hatte. Besonders verblüfft war ich, als ich entdeckt zu haben meinte, daß er seine zweistündigen Vorlesungen alle mehr oder minder mit demselben wirren Geschwätz füllte. Bald hörte ich auf, diesen Zirkus mitzumachen, und als ich einige Wochen später wieder hineinschaute, gab Lach immer noch genau die gleiche alberne Vorstellung“.14 Knepler erlebt an der Universität den Übergang vom weltoffenen Guido Adler zum Nazi Robert LachGuido Adler hatte in seinem Besetzungsvorschlag vom 2. März 1927 für seine eigene Nachfolge als Vorstand des Musikhistorischen Instituts an erster Stelle den Vorstand des Berliner musikhistorischen Instituts Hermann Abert (1871–1927), der Mitglied der Preußischen Akademie war und gegenüber Adler erklärt hatte, einer Berufung nach Wien zustimmen wollte (er verstarb im Alter von 56 Jahren am 13. August), an zweiter Stelle Rudolf Ficker und Wilhelm Fischer und an dritter Stelle Robert Haas (1886–1960) und Alfred Orel (1889–1967) genannt. Darüber hinaus hat Adler in einem zweiten Gutachten ausdrücklich gemeint, Lach, der außerordentlicher Professor der vergleichenden Musikwissenschaft, Psychologie und Ästhetik der Tonkunst war, sei eben kein Musikhistoriker, aber auch sonst als Ordinarius wenig geeignet. Der einflussreiche deutschnationale Historikerfürst Heinrich Srbik (1878–1951) und der Kunsthistoriker Julius Schlosser (1866–1938), der mit Zustimmung der Wiener Akademie in den spanischen Faschisten einen „Bundesgenossen gegen den moskowitischen Semitismus“ erblickte,15 hatten aber schon längst in ihrer Fakultät für ihren Kameraden Robert Lach Stimmung gemacht und für diesen einen Antrag primo et unico loco vorbereitet, der von der Fakultät mit 15 ja und zwei nein Stimmen angenommen wurde (2. März 1927). Der Besetzungsvorschlag von Adler war mit allen gegen eine Stimme, die wahrscheinlich jene von Emil Reich (1864–1940) war, abgelehnt worden. Zum 1. Oktober 1927 erfolgte die Ernennung von Lach zum Ordinarius der Musikwissenschaft.16 Besonders aus überlieferten Briefen von Lach, Mitglied der NSDAP seit 27. März 1933, an seinen jüngeren Berliner Freund Erich H. Müller (1892–1962) wird deutlich, wie extrem antisemitisch Lach eingestellt war und wie er sich als nationalsozialistischer Parteigänger betätigt hat.17 Nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland schreibt Lach (24. August 1933): „Jedenfalls ist es ein Glück und eine Freude, zu sehen, wie sich die Verhältnisse jetzt plötzlich geändert haben. Wer hätte vor drei Jahren zu hoffen gewagt, daß die Macht des Judentums so plötzlich und schnell gebrochen werden würde, wie dies Gottlob jetzt wenigstens in Deutschland (leider nur in Deutschland allein! Von dem armen Österreich ganz zu schweigen, das noch in jeder Hinsicht verraten und verkauft ist!) der Fall ist. Aber Gott gebe, daß Deutschland auch hier wie in allem Andern der Kulturwelt als leuchtendes Beispiel vorangeht und der Welt ein neues Morgenrot, einen neuen leuchtenden Tag bringen wird“. Am 4. Oktober 1933 schreibt der Doktorvater von Knepler: „Gebe Gott, daß auch für uns arme Österreicher dieser Kehrbesen und diese Säuberung käme! Vorläufig blüht hier die jüdische Korruption stärker als je! Jetzt kriegen wir auch noch die ausgewanderten Juden Deutschlands herein! Gebe Gott, daß Ihre Prophezeiung Recht behalte!“ Vertreibung aus Österreich, patriotische Rückkehr und wieder EmigrationUnter den Flüchtlingen aus Nazideutschland in Wien war auch Georg Knepler,
der nach seinem Studium mit der Absicht, eventuell eine Kapellmeisterlaufbahn
einzuschlagen, nach Deutschland gegangen war. In Berlin war Knepler in Kontakt
mit Bertolt Brecht (1898–1956) und Hans Eisler (1898–1962) gekommen. Am 25.
Jänner 1934 wurde Knepler, der damals in Wien in der Gonzagagasse Nr. 9 wohnte,
von österreichischen Polizisten in der Salvatorgasse angehalten. In seiner
Aktentasche befanden sich 40 Exemplare der Zeitung „Die Rote Fahne“ 17.
Jahrgang, Nummer 1, Drucksorten des Vereines „Österreichischer
Intellektuellenklub“ und ein Block „Österreichisches Hilfskomitee für deutsche
Flüchtlinge“ mit Sitz in Wien I, Elisabethstraße. Das bedeutete für Knepler
Verhaftung mit anschließender Polizeistrafe in der Dauer von vier Wochen „wegen
Betätigung für die verbotene kommunistische Partei“.18 Knepler
emigrierte nach dem 12. Februar 1934 nach London, kehrte nach 1945 in das
befreite Österreich zurück, war hier in Wien einige Zeit Kulturreferent der KPÖ,
ehe er 1949 in die Deutsche Demokratische Republik mit dem Auftrag, in Berlin
die Deutsche Hochschule für Musik zu gründen, berufen wurde. Eine angemessene
Stellung war ihm in Österreich versagt geblieben. Nach Berlin war auch Kneplers
Freund aus Basel Harry Goldschmidt (1910–1986) übersiedelt. Dieser Schritt
dürfte Knepler durch die Perspektiven und den Stellenwert des Musikschaffens im
Einflussbereich der Sowjetunion, wie sie von Andrej A. Shdanow (1896–1948)
eingefordert wurden, nicht sehr schwer gefallen sein.19 Knepler
selbst hatte in seiner von der Zentralstelle für Volksbildung (KPÖ) in Wien
verlegten Broschüre „Die geistigen Arbeiter und die Kommunisten“ (Wien o. J., 40
S.) im Grunde ähnliche Gedanken wie Shdanow über ein neues Musikleben in
Österreich gehabt. Die Staatsbürgerschaft der unabhängigen neutralen Republik
Österreich hat der patriotische Österreicher Knepler beibehalten. Anmerkungen: Dokument1930 12 10. Wien. Robert Lach beurteilt die Dissertation „Die Form in den Instrumentalwerken Johannes Brahms’“ von Georg Knepler. Rudolf Ficker erklärt sich am 12. Dezember 1930 mit dieser Beurteilung einverstanden. Original. Maschineschrift. Eigenhändige Unterschrift von Robert Lach. Eigenhändiger Zusatz von Rudolf Ficker. Rigorosenakt Georg Knepler. Universitätsarchiv Wien. Man muß der vorliegenden Studie zugestehen, daß sie überaus sorgfältig und
gewissenhaft gearbeitet ist. Mit einem geradezu grenzenlosen Fleiß und
unsäglicher, unermüdlicher Geduld hat der Autor das gesamte Gebiet des
Brahmsschen Instrumentalschaffens durchgeackert, jedes in Betracht kommende Werk
sorgfältig analysiert und die für seine Argumentation wichtigen Details
verzeichnet, registriert, rubriziert u. dgl. Allein schon die Tabelle pg.
120–132 zeigt, mit welch zähem, unermüdlichem Fleiße der Autor bemüht war, eine
ausreichende Grundlage für den Aufbau seiner Beweisführung zu gewinnen. Daß
durch diese fast ausschließlich analytische Untersuchungsmethode die Darstellung
eine lebendig fesselnde und die Lektüre eine angenehme und leichte geworden
wäre, läßt sich allerdings nicht behaupten: viele Partien, so vor allem das
erste Kapitel: „Die Formen bei Brahms’ Vorgängern“ leiden an ermüdender
Weitschweifigkeit und allzugroßer Breite, manches hätte sich mit bedeutend
geringerem Aufwand an Detailnachweis sagen lassen u. dgl. Auch sind einzelne
Behauptungen und Feststellungen des Autors hinsichtlich ihrer Richtigkeit
durchaus nicht über jeden Einwand erhaben. Was aber trotz aller dieser im
Vorstehenden flüchtig angedeuteten Mängel doch immerhin an der Arbeit
sympathisch berührt, das ist – neben dem bereits eingangs erwähnten unsäglichen
Fleiße – auch die Tatsache, daß man von dem Autor trotz seines enormen Aufwandes
an analytisch – deskriptivem Detail doch nicht mit gutem Gewissen sagen kann,
daß er im Wuste des Detailkrames ersticke und versinke. Vielmehr ist er
jederzeit bemüht, das entwicklungsgeschichtliche und persönlich –
charakteristische Moment im Schaffen seines Helden klar und deutlich
herauszuarbeiten, und in der Tat ist ihm dies in einzelnen Partien auch recht
gut gelungen. So ist in dieser Hinsicht u. a. vor allem das dritte Kapitel:
„Zusammenfassung“ hervorzuheben, in dem er seine Schlussfolgerungen aus den
analytisch – deskriptiven Untersuchungen der beiden ersten Kapitel zieht. Auch
daß er der von ihm benutzten Quellenliteratur kritisch gegenübersteht und
gelegentlich dort aufgestellte Behauptungen und Meinungen widerlegt und richtig
stellt, söhnt mit der bisweilen trostlos – eintönigen Länge und ermüdenden
Ausführlichkeit der analytischen Partien aus, ebenso wie auch verschiedene
selbständige, ganz richtige Beobachtungen und Bemerkungen, die zeigen, daß der
Autor über seiner monotonen Analysiertätigkeit doch nicht das Nachdenken über
die von ihm beobachteten Details vergessen und verabsäumt hat. Alles in allem
für die Zulassung zu den strengen mündlichen Prüfungen vollkommen ausreichend. Einverstanden Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 3/2006 |
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