Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

Drechslergasse 42, A–1140 Wien

Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at


 

Home
AKG
Veranstaltungen
Mitteilungen
Publikationen
Geschichte
Links

 

Gerhard Oberkofler: Über das musikwissenschaftliche Studium von Georg Knepler an der Wiener Universität

Eine archivalische Notiz zu seinem hundertsten Geburtstag

In vielen privilegierten Wiener Intellektuellenfamilien, unter ihnen ein erheblicher Anteil von assimilierten jüdischen Familien, war am Beginn des 20. Jahrhunderts die Musik Teil ihres Lebens. Die ästhetischen Ansprüche an die Musik richteten sich, was trivial klingen mag, auf formvollendete Schönheit und hohe künstlerische Qualität. Schon deshalb war die klassische Musik das Fundament dieses kulturellen Verständnisses. Wolfgang Pauli (1900–1958) hatte prägende Erinnerungen an seine Großmutter Bertha Schütz-Dillner, die Sopranistin an der Wiener Hofoper gewesen war und dem kleinen Wolfgang im Musikzimmer der elterlichen Wohnung oft vorgesungen und vorgespielt hat. In seinen späteren Träumen und Phantasien, die Pauli in seinen Briefen beschreibt, ist „Die Klavierstunde“ (November 1953) von Bedeutung.1 Karl Popper (1902–1994) wuchs mit Musik auf, vor allem seine Mutter Jenny geb. Schiff war musikalisch, die Großeltern mütterlicherseits waren Gründungsmitglieder der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Die klassische Musik war, wie er selbst sagt, eines der dominierenden Themen seines Lebens.2 Victor Weisskopf (1908–2002) erzählt in seinen Memoiren, wie er von seinen Eltern als Kind nicht zu seiner Unterhaltung, sondern zu seiner Erziehung regelmäßig in die Oper und in Konzerte mitgenommen wurde und mit zwölf Jahren abends schon allein dorthin gehen durfte: „Die Aufführungen von Bachs Matthäuspassion, Haydns Schöpfung, Beethovens Missa solemnis und den Requiems von Mozart und Brahms übten auf mich eine weitere nachhaltige Wirkung aus“.3
In einer jüdisch assimilierten Familie war auch Georg Knepler (Wien, 21.12.1906–14.1.2003, Berlin)4 herangewachsen. Sein Vater Paul Knepler (1879–1967) war selbst als Komponist und Operettenlibrettist tätig. Der Onkel Hugo Knepler (1872–1944) war Musikalienhändler, der eine zeitlang den Verlag seines Bruders (vormals Wallishauser Buchhandlung) betreute. Wer über die Kinder- und ersten Jugendjahre von Georg Knepler reflektiert, mag sich an die fiktive Biographie von Thomas Mann (1875–1955) über den hochbegabten Tonsetzer Adrian Leverkühn – dessen Onkel besaß eine Geschäft für Instrumente – erinnern, der die „Gotteswissenschaft“ bei Seite gelegt hat und, zuerst unter Anleitung seines Lehrers Wendell Kretzschmar, zur Musikwissenschaft übergetreten war. Deutlich werden dabei die Passivität und das Versagen der Bürgerwelt im Angesicht des drohenden Faschismus.5

Musikwissenschaftliches Studium an der Wiener Universität

Georg Knepler hat nach dem Besuch des akademische Gymnasiums in Wien – seine Hausarbeit zur Reifeprüfung (1925) betraf das Thema „Die Beziehungen zwischen Dichtung und Musik in der Romantik zur Zeit ihrer Blüte in Deutschland“ – mit dem Wintersemester 1925/26 an der Wiener Universität Musikwissenschaft inskribiert. Als Gymnasiast hatte Knepler eine private Musikausbildung bei verschiedenen Lehrern, zuletzt im Klavierspiel bei Eduard (Edward) Steuermann (1892–1964), der mit Theodor W. Adorno (1903–1969) befreundet war, und eine musiktheoretische Einführung bei Hans Gál (1890–1987), der ein Verehrer von Johannes Brahms (1833–1897) war. Über seinen Schüler Georg Knepler konnte Gál dann im Londoner Exil Verbindung zum Austrian Centre, dessen Sekretär Knepler war, herstellen.6 An der Universität begegnete Knepler noch dem weltoffenen Guido Adler (1855–1941), der als Begründer der exakten historischen Musikwissenschaft in Österreich gilt, aber schon am Ende seiner akademischen Berufslaufbahn stand und mit dem Studienjahr 1926/27 emeritiert wurde. Adler hat sich während der Studienzeit von Knepler mit der Moderne seit 1880 befasst. Musikwissenschaftliche Vorlesungen und Übungen besuchte Knepler bei Robert Lach (1874–1958), Wilhelm Fischer (1886–1962), Rudolf Ficker (1886–1954) und bei dem mit Arnold Schönberg (1874–1951) in Kontakt stehenden Egon Wellesz (1885–1974). Philosophie hörte er bei Moritz Schlick (1882–1936) und Oscar Ewald (d. i. Oskar Friedländer) (1881–1940), Psychologie bei Karl Bühler (1879–1963).
Am 6. Dezember 1930 reichte Knepler seine musikwissenschaftliche Doktorarbeit über „Die Form in den Instrumentalwerken Johannes Brahms’“ (Typoskript 171 Seiten, UB Wien D 2.525) an der Wiener philosophischen Fakultät ein. Erstbegutachter war Robert Lach, Zweitbegutachter Rudolf Ficker.7 Die Arbeit beschäftigt sich mit der Form in den Instrumentalwerken von Johannes Brahms. Zielsetzung war zu untersuchen, welche von den überlieferten Formen Brahms verwendet und wie er sie verändert hat. Daraus folgten Kneplers Schlussfolgerungen in Hinsicht auf die künstlerische Persönlichkeit von Brahms. Er bezeichnet Brahms als „einen klassischen Meister“ und „auch sein inniges Verhältnis zum Problem der Form, dem er, an die Klassiker anschliessend sein Lebenswerk widmet, unterscheidet ihn grundlegend von den Meistern der Romantik“ (Seite 166). Knepler ruft in Erinnerung, dass Brahms seine Konzentration auf die klassische Form in einer Zeit anwendet, „die voll von neuen Ideen und Kunstrichtungen war“ und verweist auf Richard Wagner (1813–1883), Hugo Wolf (1860–1903) und Anton Bruckner (1824–1896), auf Modest Mussorgsky (1839–1881) und Claude Debussy (1862–1918). Ohne Friedrich Nietzsche (1844–1900) beim Namen zu nennen, der die „auf einen bestimmten Typus von Menschen“ einwirkende Musik von Brahms als „Melancholie des Unvermögens“ bezeichnet hat, schließt Knepler seine Dissertation so: „Diese bewusste Beschränkung [von Brahms] auf ein Gebiet hat man leider oft als Ausdruck einer mürrischen Resignation, ja als ,Melancholie des Unvermögens‘ gedeutet, statt in ihr den tiefen Ernst, die weise Erkenntnis eines Künstlers und Menschen zu sehen, der seine Fähigkeit und Möglichkeiten kennt und ausschöpft, dem nur die Kräfte in seinem Innern richtunggebend sind und nur das künstlerische Gewissen den Weg weist, den er unbeirrt zurücklegt“ (Seite 167). Georg Lukács (1885–1971) hat das Urteil von Nietzsche über Brahms in den Zusammenhang mit Vorläufern der faschistischen Ästhetik gebracht.8

Begleiter von Karl Kraus

Unter den wenigen kommunistischen Studenten, die in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts an der Wiener Universität studierten, war es selbstverständlich, vor wissenschaftlicher Kleinarbeit, aus der Großes entstehen kann, nicht zurückzuweichen. Im ernsthaften Studium die eigene Denkweise zu verbessern und zu vervollkommnen und in der Aufhebung des Vergangenen zu Neuem vorzustoßen, das war der Leitgedanke dieser Generation kommunistischen Studenten. Das ist ja das A und O der Wissenschaft überhaupt. Auf eine so inhaltsleere Phrase, sich selbst neu zu erfinden, wie das heute unter sich selbst als linke Neuerer kommunistischen Denkens einschätzenden, aber doch nur auf Geld und Applaus schielenden Seniorstudenten als modern angeboten wird, konnten sie deshalb gar nicht kommen. Georg Knepler, der am 4. Februar 1931 promovierte9, hat seinem Antrag um Begutachtung der Dissertation ein Curriculum vitae, datiert am 6. Dezember 1930, beigegeben, in welchem er nicht erwähnt, dass er Karl Kraus (1874–1936) bei dessen Vorlesungen in Wien, Prag und anderenorts über Jacques Offenbach (1819–1880) in den Jahren 1929 und 1930, gelegentlich noch 1931 begleitet hat,10 was viel Intuition voraussetzt. Persönlich kennen gelernt hat Knepler Kraus im Herbst 1928, wenngleich er schon als Gymnasiast in seine Vorlesungen geeilt war und die Fackel regelmäßig gelesen hat. Obschon Kraus von der bürgerlichen Presse nach Möglichkeit totgeschwiegen wurde, waren die Wiener Vortragssäle (Architektenvereinssaal, Großer Konzertsaal, Mittlerer Konzerthaussaal, Kleiner Konzerthaussaal, Kleiner Musikvereinssaal, der wohl auf Vorschlag von Kraus seit 1932 Offenbachsaal benannte Festsaal im Gewerkschaftshaus Treitlstraße, Gewerbevereinssaal, Ehrbarsaal/Mühlgasse), in denen seine Vorlesungen stattfanden,11 meist ziemlich voll, in der Hauptsache waren es junge Leute, aber in den ersten Reihen auch ältere bekannte Leute wie Alban Berg (1885–1935) und seine Frau.12 So wie auf Knepler hatte Kraus auf die geistige Haltung von Erwin Chargaff (1905–2002) und Albert Fuchs (1905–1946) nachhaltig eingewirkt. Bei Chargaff, der eine Sammlung von mehr als hundert Programmblättern der Kraus-Abende oder -Nachmittage in der mütterlichen Wohnung angelegt hatte, die dann von den Wienern nach der Machtübernahme der Nazis geplündert wurde, wird das besonders deutlich wird.13 Es wird nicht bloß Bescheidenheit gewesen sein, dieses doch mitteilungswerte Engagement an der Universität nicht aktenkundig werden zu lassen. Wahrscheinlich hat Knepler Rücksicht auf den fanatischen Judenhasser und deutschnationalen Musikordinarius Lach, bei dem er eben seine Doktorarbeit einreichen musste, genommen. Dessen Vorlesungen müssen im Übrigen recht anstrengend gewesen sein. Ernst Krenek (1900–1991) erinnert sich so: „Dr. Lachs Kurs erschien mir höchst lächerlich, weil dieser Mann sehr ausgeprägte und widerwertige Sprechgewohnheiten hatte und sich zum Narren machte, indem er verschiedene Melodien heulte und jodelte, die er angeblich im Kaukasus oder in Tripolitanien oder in ähnlichen Gegenden aufgeschnappt hatte. Besonders verblüfft war ich, als ich entdeckt zu haben meinte, daß er seine zweistündigen Vorlesungen alle mehr oder minder mit demselben wirren Geschwätz füllte. Bald hörte ich auf, diesen Zirkus mitzumachen, und als ich einige Wochen später wieder hineinschaute, gab Lach immer noch genau die gleiche alberne Vorstellung“.14

Knepler erlebt an der Universität den Übergang vom weltoffenen Guido Adler zum Nazi Robert Lach

Guido Adler hatte in seinem Besetzungsvorschlag vom 2. März 1927 für seine eigene Nachfolge als Vorstand des Musikhistorischen Instituts an erster Stelle den Vorstand des Berliner musikhistorischen Instituts Hermann Abert (1871–1927), der Mitglied der Preußischen Akademie war und gegenüber Adler erklärt hatte, einer Berufung nach Wien zustimmen wollte (er verstarb im Alter von 56 Jahren am 13. August), an zweiter Stelle Rudolf Ficker und Wilhelm Fischer und an dritter Stelle Robert Haas (1886–1960) und Alfred Orel (1889–1967) genannt. Darüber hinaus hat Adler in einem zweiten Gutachten ausdrücklich gemeint, Lach, der außerordentlicher Professor der vergleichenden Musikwissenschaft, Psychologie und Ästhetik der Tonkunst war, sei eben kein Musikhistoriker, aber auch sonst als Ordinarius wenig geeignet. Der einflussreiche deutschnationale Historikerfürst Heinrich Srbik (1878–1951) und der Kunsthistoriker Julius Schlosser (1866–1938), der mit Zustimmung der Wiener Akademie in den spanischen Faschisten einen „Bundesgenossen gegen den moskowitischen Semitismus“ erblickte,15 hatten aber schon längst in ihrer Fakultät für ihren Kameraden Robert Lach Stimmung gemacht und für diesen einen Antrag primo et unico loco vorbereitet, der von der Fakultät mit 15 ja und zwei nein Stimmen angenommen wurde (2. März 1927). Der Besetzungsvorschlag von Adler war mit allen gegen eine Stimme, die wahrscheinlich jene von Emil Reich (1864–1940) war, abgelehnt worden. Zum 1. Oktober 1927 erfolgte die Ernennung von Lach zum Ordinarius der Musikwissenschaft.16 Besonders aus überlieferten Briefen von Lach, Mitglied der NSDAP seit 27. März 1933, an seinen jüngeren Berliner Freund Erich H. Müller (1892–1962) wird deutlich, wie extrem antisemitisch Lach eingestellt war und wie er sich als nationalsozialistischer Parteigänger betätigt hat.17 Nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland schreibt Lach (24. August 1933): „Jedenfalls ist es ein Glück und eine Freude, zu sehen, wie sich die Verhältnisse jetzt plötzlich geändert haben. Wer hätte vor drei Jahren zu hoffen gewagt, daß die Macht des Judentums so plötzlich und schnell gebrochen werden würde, wie dies Gottlob jetzt wenigstens in Deutschland (leider nur in Deutschland allein! Von dem armen Österreich ganz zu schweigen, das noch in jeder Hinsicht verraten und verkauft ist!) der Fall ist. Aber Gott gebe, daß Deutschland auch hier wie in allem Andern der Kulturwelt als leuchtendes Beispiel vorangeht und der Welt ein neues Morgenrot, einen neuen leuchtenden Tag bringen wird“. Am 4. Oktober 1933 schreibt der Doktorvater von Knepler: „Gebe Gott, daß auch für uns arme Österreicher dieser Kehrbesen und diese Säuberung käme! Vorläufig blüht hier die jüdische Korruption stärker als je! Jetzt kriegen wir auch noch die ausgewanderten Juden Deutschlands herein! Gebe Gott, daß Ihre Prophezeiung Recht behalte!“

Vertreibung aus Österreich, patriotische Rückkehr und wieder Emigration

Unter den Flüchtlingen aus Nazideutschland in Wien war auch Georg Knepler, der nach seinem Studium mit der Absicht, eventuell eine Kapellmeisterlaufbahn einzuschlagen, nach Deutschland gegangen war. In Berlin war Knepler in Kontakt mit Bertolt Brecht (1898–1956) und Hans Eisler (1898–1962) gekommen. Am 25. Jänner 1934 wurde Knepler, der damals in Wien in der Gonzagagasse Nr. 9 wohnte, von österreichischen Polizisten in der Salvatorgasse angehalten. In seiner Aktentasche befanden sich 40 Exemplare der Zeitung „Die Rote Fahne“ 17. Jahrgang, Nummer 1, Drucksorten des Vereines „Österreichischer Intellektuellenklub“ und ein Block „Österreichisches Hilfskomitee für deutsche Flüchtlinge“ mit Sitz in Wien I, Elisabethstraße. Das bedeutete für Knepler Verhaftung mit anschließender Polizeistrafe in der Dauer von vier Wochen „wegen Betätigung für die verbotene kommunistische Partei“.18 Knepler emigrierte nach dem 12. Februar 1934 nach London, kehrte nach 1945 in das befreite Österreich zurück, war hier in Wien einige Zeit Kulturreferent der KPÖ, ehe er 1949 in die Deutsche Demokratische Republik mit dem Auftrag, in Berlin die Deutsche Hochschule für Musik zu gründen, berufen wurde. Eine angemessene Stellung war ihm in Österreich versagt geblieben. Nach Berlin war auch Kneplers Freund aus Basel Harry Goldschmidt (1910–1986) übersiedelt. Dieser Schritt dürfte Knepler durch die Perspektiven und den Stellenwert des Musikschaffens im Einflussbereich der Sowjetunion, wie sie von Andrej A. Shdanow (1896–1948) eingefordert wurden, nicht sehr schwer gefallen sein.19 Knepler selbst hatte in seiner von der Zentralstelle für Volksbildung (KPÖ) in Wien verlegten Broschüre „Die geistigen Arbeiter und die Kommunisten“ (Wien o. J., 40 S.) im Grunde ähnliche Gedanken wie Shdanow über ein neues Musikleben in Österreich gehabt. Die Staatsbürgerschaft der unabhängigen neutralen Republik Österreich hat der patriotische Österreicher Knepler beibehalten.
Robert Lach wird sich nach 1945 an seinen Schüler Georg Knepler ebenso gut oder ebenso wenig erinnert haben wie an seinen Vorgänger Guido Adler, dessen schöne und wertvolle Bibliothek vom damaligen musikwissenschaftlichen Lehrkanzelinhaber Erich Schenk (1902–1974) unter Gestapoeinsatz seiner dann von den Nazis ermordeten Tochter Melanie Adler im Mai 1942 geraubt wurde.20 Das fiel ihm umso leichter, als im befreiten Österreich nicht an Guido Adler oder an Georg Knepler angeknüpft wurde, sondern an ihn selbst und an Schenk. Der langjährige Akademiepräsident Richard Meister (1881–1964), Schriftführer in jener Sitzung der Wiener philosophischen Fakultät, die für Lach als Nachfolger von Adler entschieden hat, würdigt 1954 zum achtzigsten Geburtstag von Lach diesen als „Denker“, der „uns seine Musikästhetik die Stellung der Musik im Kosmos der Werte der Kultur begreifen [läßt]“.21 Die Stadt Wien benannte eine Gasse nach Robert Lach (21, Leopoldau).22 Es wäre opportun, an die beiden hervorragenden Wiener Musikwissenschaftler Guido Adler und Georg Knepler durch eine Straßenbenennung in Wien zu erinnern.
Zum Mozartjahr 2006 wurde Kneplers Buch „Wolfgang Amadé Mozart. Annäherungen“ (Henschel Verlag 2005, 532 Seiten, 7 farb., 12 s/w-Abb.) neu aufgelegt. Es zählt zu den besten Mozartbüchern. Sein Sohn John Knepler sagt im Vorwort (London, Juni 2005), dass sein Vater dieses Buch als sein wichtigstes eingeschätzt habe. Wie in allen seinen musikgeschichtlichen Arbeiten berücksichtigt Knepler den vermittelnden Zusammenhang zwischen Musikgeschichte und allgemeiner Geschichte. Wenn Knepler dabei auf ihn weniger vertraute Gebiete vorstieß, versicherte er sich der Mithilfe von Kollegen, unter denen Österreicher wie Walter Hollitscher (1911–1988) oder Mitja Samuel Rapoport (1912–2004) waren.23

Anmerkungen:
1/ Charles P. Enz: „Pauli hat gesagt“. Eine Biografie des Nobelpreisträgers Wolfgang Pauli 1900–1958. Zürich 2005, 114–119.
2/ Karl. R. Popper: Ausgangspunkte. Meine intellektuelle Entwicklung. Hamburg, 2. A. 1982, 71.
3/ Victor Weisskopf: Mein Leben. Ein Physiker, Zeitzeuge und Humanist erinnert sich an unser Jahrhundert. Bern [u. a.] 1991, 15.
4/ Über die Familie Knepler Österreichisches Musiklexikon. Kommission für Musikforschung. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2002: www.musiklexikon.ca.at/
ml/musik_K/knepler_Familie.xml; über Georg Knepler, Hugo Knepler und Paul Knepler s. Walter Pass/Gerhard Scheit/Wilhelm Svoboda: Orpheus im Exil. Die Vertreibung der österreichischen Musik von 1938 bis 1945. Wien 1995, 299–301. In den Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft (Nr. 1/2003) hat Peter H. Feist einen gehaltvollen Nachruf auf Knepler geschrieben.
5/ Thomas Mann: Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde. Stockholmer Gesamtausgabe der Werke von Thomas Mann. Wien 1948.
6/ Pass/Scheit/Svoboda: Orpheus im Exil, 120–145.
7/ Rigorosenakt Georg Knepler, PN 10.845. Universitätsarchiv Wien.
8/ Georg Lukács: Beiträge zur Geschichte der Ästhetik. Berlin 1954, 295.
9/ Promotionsprotokoll der Philosophischen Fakultät Wien M 34.5, Nr. 2440.
10/ Georg Knepler: Karl Kraus liest Offenbach. Erinnerungen. Kommentare. Dokumentationen. Wien 1984.
11/ Knepler, Kraus, 212.
12/ Erwin Chargaff: Das Feuer des Heraklit. Skizzen aus einem Leben vor der Natur. Luchterhand 1989, 44 f.
13/ Gerhard Oberkofler: Erwin Chargaff und sein Wien. Ein paar Randnotizen zu seinem hundersten Geburtstag. Alfred Klahr Gesellschaft. Mitteilungen 2/2005.
14/ Ernst Krenek: Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne. Hoffmann und Campe 1998, 188.
15/ Gerhard Oberkofler: Politische Stellungnahmen der Akademie der Wissenschaften in Wien in den Jahren der NS-Herrschaft. In. Helmut Konrad/Wolfgang Neugebauer (Hg.): Arbeiterbewegung – Faschismus – Nationalbewusstsein. Wien [u. a.] 1983, 115–126.
16/ PA Lach, Universitätsarchiv Wien.
17/ Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung. Dazu Gerhard Oberkofler: Wiener Musikbrief nach Berlin. nVs 2/06, 46 f.
18/ Ablichtungen der Polizeiakten im DÖW.
19/ Andreij A. Shdanow: Über Kunst und Wissenschaft. Berlin 1951. Darin 55–79 Fragen der sowjetischen Musikkultur.
20/ Gerhard Oberkofler: Orchideenfächer im Faschismus. Jahrbuch 1990. DÖW. Wien 1990, 45–49; Yukiko Sakabe: Erich Schenk und der Fall Adler – Bibliothek. In: Dominik Schweiger/Michael Staudinger/Nikolaus Urbanek (Hg.): Musik – Wissenschaft an ihren Grenzen. Manfred Angerer zum 50. Geburtstag. Frankfurt a. M. 2004, 383–392; Georg Beck, Musikgeschichte, die sich der Gegenwart stellt. Der Welt abhanden gekommen: der Musikwissenschaftler Guido Adler (1855–1941). nmz Magazin, Dezember 2005. Januar 2006, 8.
21/ Robert Lach: Persönlichkeit und Werk. Zum 80. Geburtstag. Überreicht von Freunden und Schülern durch Walter Graf, Hans Jancik, Richard Meister, Leopold Nowak und Erich Schenk. Wien 1954, 21–23, hier 23.
22/ Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien in 5 Bänden. Band 3 (1994), 656.
23/ Georg Knepler: Geschichte als Weg zum Musikverständnis. Zur Theorie, Methode und Geschichte der Musikgeschichtsschreibung. Reclam Leipzig, 2., überarbeitete Auflage 1982, 12.

Dokument

1930 12 10. Wien. Robert Lach beurteilt die Dissertation „Die Form in den Instrumentalwerken Johannes Brahms’“ von Georg Knepler. Rudolf Ficker erklärt sich am 12. Dezember 1930 mit dieser Beurteilung einverstanden.

Original. Maschineschrift. Eigenhändige Unterschrift von Robert Lach. Eigenhändiger Zusatz von Rudolf Ficker. Rigorosenakt Georg Knepler. Universitätsarchiv Wien.

Man muß der vorliegenden Studie zugestehen, daß sie überaus sorgfältig und gewissenhaft gearbeitet ist. Mit einem geradezu grenzenlosen Fleiß und unsäglicher, unermüdlicher Geduld hat der Autor das gesamte Gebiet des Brahmsschen Instrumentalschaffens durchgeackert, jedes in Betracht kommende Werk sorgfältig analysiert und die für seine Argumentation wichtigen Details verzeichnet, registriert, rubriziert u. dgl. Allein schon die Tabelle pg. 120–132 zeigt, mit welch zähem, unermüdlichem Fleiße der Autor bemüht war, eine ausreichende Grundlage für den Aufbau seiner Beweisführung zu gewinnen. Daß durch diese fast ausschließlich analytische Untersuchungsmethode die Darstellung eine lebendig fesselnde und die Lektüre eine angenehme und leichte geworden wäre, läßt sich allerdings nicht behaupten: viele Partien, so vor allem das erste Kapitel: „Die Formen bei Brahms’ Vorgängern“ leiden an ermüdender Weitschweifigkeit und allzugroßer Breite, manches hätte sich mit bedeutend geringerem Aufwand an Detailnachweis sagen lassen u. dgl. Auch sind einzelne Behauptungen und Feststellungen des Autors hinsichtlich ihrer Richtigkeit durchaus nicht über jeden Einwand erhaben. Was aber trotz aller dieser im Vorstehenden flüchtig angedeuteten Mängel doch immerhin an der Arbeit sympathisch berührt, das ist – neben dem bereits eingangs erwähnten unsäglichen Fleiße – auch die Tatsache, daß man von dem Autor trotz seines enormen Aufwandes an analytisch – deskriptivem Detail doch nicht mit gutem Gewissen sagen kann, daß er im Wuste des Detailkrames ersticke und versinke. Vielmehr ist er jederzeit bemüht, das entwicklungsgeschichtliche und persönlich – charakteristische Moment im Schaffen seines Helden klar und deutlich herauszuarbeiten, und in der Tat ist ihm dies in einzelnen Partien auch recht gut gelungen. So ist in dieser Hinsicht u. a. vor allem das dritte Kapitel: „Zusammenfassung“ hervorzuheben, in dem er seine Schlussfolgerungen aus den analytisch – deskriptiven Untersuchungen der beiden ersten Kapitel zieht. Auch daß er der von ihm benutzten Quellenliteratur kritisch gegenübersteht und gelegentlich dort aufgestellte Behauptungen und Meinungen widerlegt und richtig stellt, söhnt mit der bisweilen trostlos – eintönigen Länge und ermüdenden Ausführlichkeit der analytischen Partien aus, ebenso wie auch verschiedene selbständige, ganz richtige Beobachtungen und Bemerkungen, die zeigen, daß der Autor über seiner monotonen Analysiertätigkeit doch nicht das Nachdenken über die von ihm beobachteten Details vergessen und verabsäumt hat. Alles in allem für die Zulassung zu den strengen mündlichen Prüfungen vollkommen ausreichend.
Wien, am 10. Dezember 1930
Robert Lach m. p.

Einverstanden
Wien, am 12. Dezember 1930
Ficker m. p.

Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 3/2006

 

Zurück Home Nach oben Weiter