Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Jakob Zanger: Bewaffneter Kampf in Belgien: Soldatenarbeit

Richtlinie für die Tätigkeit der Kommunisten in Belgien war der Aufruf des ZK der Kommunistischen Partei Österreichs zur Annexion, beschlossen in der Nacht vom 11. zum 12. März 1938 in dem es hieß: „Volk von Österreich! An alle Völker Europas und der Welt! Hitler hat mit militärischer Gewalt Österreich unter sein Joch gebracht. Hitler ist dabei, den Freiheitswillen des österreichischen Volkes durch die Stiefel seiner Soldateska niederzutreten, er ist daran, in Österreich seine Fremdherrschaft aufzurichten. Volk von Österreich! Wehre Dich, leiste Widerstand dem fremden Eindringern und ihren Agenten. Schließt Euch zusammen, Katholiken und Sozialisten, Arbeiter und Bauern! Schließt Euch zusammen, nun erst recht, zur Front aller Österreicher, aller Unterschiede der Weltanschauung, aller Parteiunterschiede treten zurück vor der heiligen Aufgabe, die heute dem österreichischen Volk gestellt ist! Zusammenstehen gegen Hitler, zusammenstehen, um Hitlers Soldateska aus Österreich wieder hinauszujagen.”

Kapitulation - Deportation

Am 10. Mai 1940 fiel Hitlerdeutschland in Belgien, Holland, Luxemburg und Frankreich ein. Am 27. Mai kapitulierte der belgische König, am 21. Juni 1940 Frankreich. Bereits vorher hatten die Engländer Frankreich fluchtartig verlassen und ihr Expeditionskorps von über 300 000 Mann über den Hafen Dünkirchen evakuiert, das heißt in knapp 40 Tagen war die alliierte englisch-französische Armee zerschlagen. Dies sei jenen in Erinnerung gerufen, die auch heute noch den raschen Vormarsch der Hitlerarmee der sowjetischen Staats- und Armeeführung, allen voran Stalin, in den ersten Monaten nach Beginn des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion zum Vorwurf machen. Die Sowjetarmee wurde nicht innerhalb von 40 Tagen zerschlagen, sondern hatte die Kraft, die faschistischen Eindringlinge im Spätherbst zu stoppen und in der Folge hunderte Kilometer zurückzutreiben. Für die kommunistische Emigration in Belgien waren die Maßnahmen der belgischen Behörden im Zusammenhang mit der deutschen Invasion von verheerender Wirkung. In der Nacht des 10. Mai 1940 wurden sämtliche deutschen und österreichischen Emigranten, Antifaschisten und Interbrigadisten ohne Rücksicht darauf, ob sie Juden oder „Arier” waren, ohne jede legale Grundlage verhaftet, meist unter Beschuldigung, deutsche Fallschirmspringer und Spione zu sein, und unter unmenschlichen Bedingungen in Viehwaggons als angebliche 5. Kolonne nach Frankreich deportiert und dort in Lagern interniert. Viele Tausende von ihnen wurden in der Folge auf Grund der zwischen Hitler und Pétain abgeschlossenen Vereinbarung an Deutschland ausgeliefert und in KZ´s deportiert. Von diesen Maßnahmen der belgischen Regierung war die gesamte Parteileitung der KPÖ in Belgien betroffen.

Für ein freies Österreich

Die österreichischen Kommunisten in Belgien hatten vor den Überfall der deutschen Armee unter anderem „für das Land” gearbeitet und nun vertrat man die Auffassung „das Land” sei eben in Form von Österreichern in deutscher Uniform nach Belgien gekommen - da müßte eine ähnliche Tätigkeit fortgesetzt werden. Also: Für ein freies Österreich, gegen den Faschismus, für den Frieden, gegen die Besetzung fremder Länder lauteten die Parolen, die sehr bald auf einfache herzustellende „Pickerl” gedruckt und weit verbreitet werden konnten. Selbstverständlich setzten wir unsere Agitationstätigkeit unter den anderen in Belgien, insbesondere jüdischen Emigranten fort, um für unsere Sache zu werben. So ließen sich über Auftrag der Partei einige in die von der israelitischen Kultusgemeinde initiierte landwirtschaftliche Schule bei La Rauné einschreiben, um dort unter der jüdischen Jugend politische Tätigkeit zu entfalten und sie für die Widerstandstätigkeit zu gewinnen. Was uns auch tatsächlich bei einer Reihe Jugendlicher, unter anderem auch bei zwei deutsche Genossen, gelang. Bald entwickelte sich die Soldatenarbeit, bei der die Genossinnen eine wichtige Rolle spielten. Die Mädchen bemühten sich, mit Soldaten in Kontakt zu treten, mit ihnen über die Sinnlosigkeit und Verbrechen des Krieges zu sprechen und, sofern sie Österreicher waren, über die Eigenstaatlichkeit Österreichs. Diese Arbeit erforderte ein hohes Maß an Takt und Einfühlungsvermögen, große Geschicklichkeit und noch größere Vorsicht. Zwei bis drei Mädchen gingen zusammen in Lokale, in denen Soldaten verkehrten, und versuchten mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Die Soldaten sollten möglichst schnell bemerken, daß nicht die Absicht bestand, ein Verhältnis einzugehen, daß aber auch nicht nur um der politischen Diskussion willen das Gespräch gesucht wurde. Wenn man auf Verständnis gestoßen war, konnte man beim zweiten oder dritten Rendezvous schriftliches Material mitbringen und sich langsam bis zur Aufforderung vorarbeiten, diese Flugblätter und Zeitungen in den Kasernen aufzulegen. Im Laufe der vierjährigen Tätigkeit ist es dann des öfteren gelungen, Soldaten für die ständige Abnahme der Schriften zu gewinnen; andere wiederum nahmen die Publikationen mit in die Heimat. Einige Soldaten haben sich sogar nach Kriegsende gemeldet und sich auf ihre antifaschistische Tätigkeit in Belgien berufen. So etwa der von der Genossin Gundl Herrnstadt geworbene Tankred Kleiner, der dann von 1942 bis 1944 aktiv mit unserer Parteigruppe zusammenarbeitete, im Juli 1944 verhaftet, an die russische Front verschickt wurde und am 17.12.1944 zur Sowjetarmee überlief.

Widerstandsarbeit

Ohne Zweifel leisteten die Genossinnen der Mädelgruppe, in ihrer exponierten Tätigkeit die gefährlichste Arbeit innerhalb der Parteigruppe. Sie setzten sich täglich der Gefahr aus, der Gestapo ausgeliefert zu werden. Herta Ligeti, Luci Fürst, Gundl Herrnstadt, Herta Wiesinger (Stuberg), Marianne Brandt, Ester Tenzer u.a. durchlitten Auschwitz und andere Nazi-KZ, Marianne Brandt wurde ermordet. Aufgabe der Streugruppen war es, die von unserer Parteigruppe hergestellte Zeitschrift „Wahrheit” und ab März 1944 die österreichischen Zeitschrift „Freies Österreich” zu kolportieren. „Die Wahrheit” wurde anfangs von Bruno Weingast, Irma Hirsch und Mara Ginsburg redigiert. Hergestellt wurde sie zunächst in der Wohnung von Mutz Hoffmann, vorübergehend in einer stillgelegten Bäckerei, später in der Wohnung von Marianne Brandt und schließlich in der Wohnung von Herbert Lindner. Die Papierbeschaffung oblag den Genossen Otto Spitz und Alfred Wiesinger, dem „Künstler” unserer Gruppe, der die Titel und Parolen auf die Matrizen zeichnete.
Wir besaßen ein Verzeichnis wo das deutsche Militär untergebracht war, der Kasernen, der von ihnen okkupierten Häuser und Privatwohnungen und der von ihnen besuchten Kinos und Gaststätten. Jeder der beteiligen Genossen erhielten entweder einzeln oder in einer Dreiergruppe verschiedene Kasernen, Lokale oder Wohnungen zugeteilt, um die betreffenden Örtlichkeiten mit unserem Material zu belegen. Unser Hauptaugenmerk galt den deutschen Kasernen, vor und in denen wir regelmäßig mit unser Material streuten. Vor allem in den Kasernen in Brüssel und den angrenzenden Bezirken. Auch die großen Bahnhöfe in Brüssel wurden insbesondere bei Ankunft von Militärtransporten mit Material bestreut. Es ist heute kaum vorstellbar, daß wir wöchentlich 12 000 Stück unserer Zeitung (davon allein 9000 in der belgischen Provinz) verteilten. Die deutschen Behörden waren der Auffassung, daß diese Aktionen von einer großen Organisation der belgischen Widerstandsbewegung ausging und erkannten erst nach den ersten Verhaftungen, daß es sich um Österreicher, und zum Teil um deutsche Emigranten, die in unsere Gruppen integriert waren, handelte. Wegen der Regelmäßigkeit der von uns durchgeführten Streuaktionen hatte die Wehrmacht vor ihren Kasernen Maschinengewehre aufgestellt, und Genossen unserer Gruppe wurden wiederholt mit Maschinengewehrfeuer empfangen. So wurden Unger, Lindner und Ultmann einmal vor der Kaserne Dailly mit Maschinengewehrfeuer empfangen. Ein anderes Mal wurden Fürst und Kandel, nachdem sie wie üblich ihr Material in einen Kasernenhof in der Nähe des Südbahnhofes geworfen hatten, beschossen. Fürst konnte unbehelligt entfliehen, Kandel bekam aber einen Streifschuß am Kopf. Stark blutend gelangte es ihm, sich mit Hilfe einer Belgierin ins Hospital St. Pierre zu retten, wo er, als die SS alle Krankenhäuser durchsuchte, von dem Chef Prof. Snoeck, einem Gynäkologen, in der Frauenklinik untergebracht wurde. Außer den Streuaktionen führte wir auch in der Nähe deutscher Unterkünfte Schmieraktionen durch. So malten wir zum Beispiel vis á vis eines von der Wehrmacht bewohnten Objektes die Parole „Genug marschiert, genug krepiert, endlich einmal nach Haus marschiert”. Ende 1943, Anfang 1944 wurde unter der Leitung von Otto Spitz die österreichische Partisanengruppe gegründet, die der „Armee belge des Partisans” eingegliedert war.

Partisanengruppe

Dieser Gruppe gehörten neben Otto Spitz die Genossen Bob Zanger, Herbert Lindner, Herbert Kandel, Paul Herrnstadt, Harry Zimmermann, Ludwig Günser, Walter Pollack, Hermann Umschweif, N. Karasek, Erich Unger, Fredl Wiesinger u.a. an. Kurier dieser Partisanengruppe war die Genossin Cilly Spitz.
Unsere Waffen mußten wir uns durch Überfälle auf deutsche Soldaten beschaffen, desgleichen die für unsere Aktionen notwendigen Fahrräder. Die für uns erforderlichen Brandsätze und Bomben wurden von unserem Supertalent Erich Unger hergestellt. So gelang es uns, Wehrmachtsfahrzeuge, PKW und Lastkraftwagen zu sprengen. Einmal wurden an einem Lastkraftwagen der deutschen Wehrmacht, der mit Munition beladen war, sechs Sprengkörper angebracht, die mit Zeitbomben versehen waren und in der Nacht detonierten. Wir haben auch Bahnverbindungen gesprengt, auf denen Munitionstransporte nach Brüssel oder an die Front gebracht werden sollten. Einmal in der Weise, daß wir auf einen fahrenden Zug vor einem Tunnel mehrere Bomben warfen, die dann im Tunnel explodierten. Mit der Befreiung Brüssels war für uns der Kampf nicht beendet. Wir meldeten uns freiwillig als geschlossene österreichische Kompanie zur Ausmerzung der deutschen Widerstandsnester. Es gelang uns, den Kanal Campine Aerendonck von den deutschen Faschisten zu befreien. Wegen unserer Tapferkeit wurden wir als erste der gesamten belgischen Partisanenarmee in englische Uniformen eingekleidet.
Viele Österreicher fuhren Ende 1944, Anfang 1945 nach Jugoslawien, um sich in die in Gründung befindlichen österreichischen Freiheitsbataillone einzureihen.
Es muß als einmaliges Ereignis in der Geschichte der österreichischen Widerstandskämpfer festgehalten werden, daß österreichische Partisanen in einem Tagesbefehl der Alliierten besonders hervorgehoben wurden.

Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 1/1995

 

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