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Herbert Steiner
Ich möchte mich vor allem sehr herzlich bei der Alfred Klahr Gesellschaft
bedanken für die Einladung und für die Tatsache, daß sie dieses Symposium
organisiert hat. Sie werden aus der Presse, dem Radio und anderen Medien sicher
wissen, daß es in diesen Tagen ziemlich viele ähnliche Veranstaltungen gibt.
Ich glaube, es können gar nicht genug sein, um die Möglichkeit zu geben, hier
tatsächlich alles zu erzählen bzw. zu diskutieren, was in dieser Zeit vor sich
gegangen ist.
Ich kann Ihnen als Zeitzeuge, der ich sicher auch war, nicht so aufregende und
dramatische Dinge wie Genossin Mali Fritz erzählen, aber ich kann Ihnen etwas
anderes sagen. Ich halte seit mehreren Jahren Vorlesungen an der Wiener
Universität über „Widerstand und Verfolgung“ ab. Es ist durchaus erfreulich,
daß diese Vorlesungen sehr gut besucht sind, daß das Interesse groß ist und daß
man vor allem bei den schriftlichen Prüfungsarbeiten sieht, wie sehr junge
Menschen von dieser Frage betroffen sind und sich bemühen, zu verstehen und
Konsequenzen zu ziehen. Zweifellos sind heute die Umstände anders als sie in
der schwierigen Zeit des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus waren. Wir
sollen nicht vergessen, daß wir in einer Demokratie leben. Das heißt, daß wir
alle die Verpflichtung haben, ein klein wenig mitzuhelfen gegen diese
reaktionären Strömungen, über die Mali Fritz gesprochen hat und die sich heute
wieder breit machen und uns alle mit Sorge erfüllen. So sehr wir auf der einen
Seite sehen können, daß junge Menschen heute anders handeln und denken als im
Jahr 1938, so ist das Recht absolut legitim, auch besorgt zu sein. Wir haben
nicht erwartet, daß in unserer Zeit wieder solche Strömungen aufkommen und auf
das gesellschaftliche Leben Einfluß zu nehmen versuchen. Wenn wir eine Lehre
ziehen wollen aus dieser Zeit, so ist es die, daß wir versuchen sollten, in
unserem Freundeskreis, Familienkreis, Bekanntenkreis, offensiv zu wirken und
uns den Argumenten, die der Herr Haider immer wieder verbreitet, zu stellen. Es
scheint sich heute auch in der Sozialdemokratischen Partei durchgesetzt zu
haben, daß man den Herrn Haider härter und schärfer entgegentreten soll. Ich
glaube, daß wir diese wichtige und notwendige neue Entwicklung fördern können.
Es kommen immer wieder Leute zu mir, die sagen: Was sollen wir tun, was könnten
wir tun? Menschen, die verzweifelt und entsetzt sind. Ich glaube daher, jeder
Einzelne von uns kann ein kleines bißchen dazu beitragen, daß nie mehr wieder
eine Zeit wie 1938-1945 kommt. Das hängt von uns allen ab.
Mit Recht wird immer wieder darauf hingewiesen, daß in den Jahren des
autoritären Regimes in Österreich zwischen 1934 und 1938 und des
nationalsozialistischen Regimes 1938 bis 1945 von den Kräften, die Widerstand
geleistet haben, die Kommunisten die aktivsten gewesen sind. Ich glaube, die
traurigen und oft bösen Erfahrungen, die wir in den letzten paar Jahren hatten,
haben uns alle recht kritisch gemacht. Wir sollen uns aber nicht davon
abbringen lassen, historische Tatsachen immer wieder zu wiederholen. Ich kann
sagen, daß an der Universität dafür durchaus Verständnis herrscht. Es ist eine
Tatsache, daß in der Zeit des Nationalsozialismus die Kommunisten es waren, die
den größten Einsatz leisteten und den stärksten Anteil am Widerstand hatten.
Das heißt nicht, daß nicht auch andere da waren. Selbstverständlich gab es die
Sozialisten, gab es die Katholiken und andere, die am Widerstand teilgenommen
haben. Als politisch organisierte Kraft standen aber die Kommunisten an
vorderster Stelle. Die Frage ist jetzt, warum es so war. Dafür gibt es eine
Reihe von Begründungen. Zweifellos waren die Kommunisten im Widerstand jene,
die von der Notwendigkeit ihrer Tätigkeit absolut überzeugt gewesen sind und
damit auch die notwendige Kampfbereitschaft aufbrachten. Sie hatten auch
größere organisatorische Erfahrungen. Es ist ja bekannt, daß die Kommunistische
Partei als erste politische Partei in Österreich schon im Jahre 1933 verboten
wurde und daher zwischen 1933 und 1938 viel Erfahrung sammeln konnte im illegalen
Kampf gegen das autoritäre Regime. Sie war die Kraft, die in dieser Zeit nicht
versäumt hat, ihre ideologische Haltung durch Schulungen zu festigen. Die
Kommunisten waren jene, die 1938 diesen Kampf mit diesen Erfahrungen
fortsetzten.
Es gab allerdings auch negative Erscheinungen. So hat man anfangs die Gestapo
und die Terrorkraft des Nationalsozialismus teilweise unterschätzt. Man
glaubte, daß es so weitergeht wie im autoritären Regime bis 1938.
Eine Frage, die zur Ideologie gehört, war, daß seit dem Jahre 1937, als die
Diskussion über die nationale Frage begann, der Großteil, vor allem der aktiven
und führenden Kommunisten davon überzeugt war, daß die Österreicher eine eigene
Nation sind. Die Kommunisten haben sich wissenschaftlich und politisch damit
auseinandergesetzt und darüber diskutiert. Das war einer der entscheidenden
Gründe, warum die Kommunisten bereit waren, in diesem großen Ausmaß am Kampf
teilzunehmen. Wir können uns stolz dazu bekennen, und ich möchte noch einmal
sagen, daß ich an der Universität diese Erfahrung mache. Das Interesse dafür
ist sehr groß, auch für die Zeitzeugen, die zum Teil Kommunisten sind, die dort
über ihre Erlebnisse und über ihre Tätigkeit sprechen. Eine andere Frage, die
immer wieder gestellt wird, ist die, warum die Kommunisten im Widerstand diese
breite, intensive und bewußte Tätigkeit ausgefüllt haben und wieso es dann für
sie unmittelbar nach Kriegsende bei den ersten Wahlen in Österreich zu der
großen Enttäuschung gekommen ist. Ich glaube, daß das etwas ist, das wir gut
überlegen und diskutieren sollten. Mir scheint, das hängt vor allem mit der
Frage zusammen, daß die Kommunisten im Kampf gegen Faschismus als integrierende
Kraft, und zwar als einzig integrierende Kraft, im Widerstand aufgetreten sind.
Sie haben versucht, alle zu sammeln, Sozialdemokraten, Katholiken, bürgerliche
Menschen, alle, die gegen den Nationalsozialismus und für ein Wiedererstehen
Österreichs waren. Das war gar nicht so selbstverständlich. Wenn wir uns die
Zielsetzung der Kommunisten ansehen, die nach wie vor darin besteht, die
Gesellschaft zu verändern, so wurde diese Frage damals nicht gestellt. Die
Kommunisten waren die einzigen, die im Kampf gegen den Nationalsozialismus ihre
unmittelbaren eigenen Zielsetzungen zurückgestellt haben, um den
Nationalsozialismus zu besiegen. Sie erklärten, über die Frage der
Gesellschaftsveränderung könne man später sprechen, aber gegenwärtig besteht
die vordringliche Aufgabe darin, den Nationalsozialismus und den Faschismus zu
schlagen. Sehen wir uns beispielsweise an, was nach dem Februar 1934 passiert
ist. Nach dem Februar 1934 sind in ganz Österreich tausende
Gewerkschaftsfunktionäre, Arbeiterfunktionäre verschiedener Organisationen
inhaftiert worden. Sie haben ihre Posten verloren, zum Teil sogar ihre Wohnungen.
Aber das waren meist nicht die Leute, die 1934 auf den Barrikaden gestanden
sind und gegen Dollfuß mit der Waffe gekämpft haben. Vielmehr sie sind
eingesperrt worden, weil sie demokratisch gewählte Funktionäre waren. Ich halte
es für einen Fehler, wenn man die Periode 1934 bis 1938 vollkommen trennt von
der Periode 1938 bis 1945, weil es hier einen engen Zusammenhang gibt. Vor
kurzer Zeit hat die Österreichische Volkspartei, die eine der Gründerparteien
der Zweiten Republik war, eine Feier gehabt, auf der sie der Gründung gedachte.
Aber es war nicht erst im Schottenstift im April 1945, daß diese Idee geboren
wurde. Es gab in Wien einen ÖVP-Gemeinderat, der auch der Obmann der
Kameradschaft der politisch Verfolgten der ÖVP war, Leinkauf hieß er, der darüber
erzählt hat, wie sie, bevor sie noch verhaftet wurden, oft in verschiedenen
Gasthäusern zusammengekommen sind und überlegt haben, welche Art von Partei
künftig notwendig sein wird. Im wesentlichen haben sie also das alles schon
vorher, im Widerstand besprochen.
Die Sozialistische Partei, oder heute heißt sie wieder Sozialdemokratische
Partei, verdankt ihr Entstehen der Zusammenführung jener, die bei den
Revolutionären Sozialisten tätig waren und jenen Sozialdemokraten, die sich
politisch passiv verhielten. Wenn wir über Karl Renner sprechen, wieso er nach
seiner Erklärung im März 1938 wieder eine wichtige Funktion ausüben konnte, so
dürfen wir nicht vergessen, daß das, was Renner damals sagte, auch einem
relativ großen Teil der ehemaligen Sozialdemokraten entsprochen hat. Die als
Revolutionäre Sozialisten den Kampf führten, waren nur eine Minderheit. Später,
von 1938 bis 1945, sind viele Mitglieder der Revolutionären Sozialisten in
Gruppen gemeinsam mit den Kommunisten tätig gewesen.
Es war also so, daß die Kommunisten im Widerstand eine integrierende Kraft
darstellten und zwischen Katholiken und Sozialisten ausgeglichen haben, ihnen
erklärten, warum es notwendig sei, diesen entschiedenen Kampf bis zum Sieg über
den Faschismus gemeinsam zu führen. Wahrscheinlich war die Zeit zu kurz
zwischen der Befreiung im April 1945 und den Wahlen im Oktober 1945, um die
Umstellung der KPÖ auf eine bürgerlich-demokratische Wahl durchzuführen. Das
hatten einige Theoretiker schon längst vorausgesehen. Wenn wir beispielsweise
das Buch Otto Bauers „Zwischen zwei Weltkriegen“ anschauen, so hat er dazu ganz
deutlich und offen gesagt, daß auf Grund ihrer Erfahrungen und ihrer
Einstellung die Kommunisten die stärkste und aktivste Kraft im Widerstand sind
und sein werden. Es sei aber auch gar keine Frage, daß, wenn die alten
Sozialdemokraten zu einer neuen allgemeinen Wahl im bürgerlichen Österreich
antreten werden, dann die Kommunisten wieder eine sehr kleine Gruppe sein
werden und die Sozialdemokratie die Mehrheit übernehmen werde. Ich kann dieses
Problem hier nur anschneiden; mir scheint es aber, daß dies ein wichtiges
Problem ist, das uns helfen könnte, Inaktivität, Passivität und die manchmal
nicht sehr klaren Zukunftsperspektiven ein wenig zu ändern, wenn wir diese
Probleme stärker diskutieren.
Statement auf dem Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft „50 Jahre Zweite
Republik“, 8. Mai 1995
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