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Jakob Zanger
Ich wurde in der Einladung zu dieser Veranstaltung als „Zeitzeuge“
bezeichnet. Ich halte diese Bezeichnung für völlig unkorrekt. Ich war nicht
Zeuge, ich war Beteiligter, das heißt ich war Täter. Täter im Rahmen des
Kampfes der Kommunistischen Partei Österreichs und des Kommunistischen
Jugendverbandes; des bewaffneten und unbewaffneten Kampfes während der
Emigration in Belgien in den Jahren 1938 bis 1945. Erstaunlicherweise ist über
den bewaffneten und unbewaffneten Kampf österreichischer Kommunisten in der
belgischen Emigration, auch unter Genossen, fast nichts bekannt. Auch die
Kommunistische Partei Österreichs hat in ihrer Argumentation in den letzten
fünfzig Jahren auf diesen Sachverhalt nicht hingewiesen, ja mehr noch, in der
von der Historischen Kommission beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei
herausgegebenen Darstellung „Die KPÖ - Beiträge zu ihrer Geschichte und
Politik“ ist diese Tatsache mit keinem einzigen Wort erwähnt. Dennoch behaupte
ich, daß es im besetzten Europa, außer in Brüssel, keine einzige Stadt gab, wo
derart konzentriert bis zu 75 Genossinnen und Genossen jahrelang im Kampf für
die Wiederherstellung eines unabhängigen Österreichs, im Kampf für die
Niederlage des deutschen Faschismus wirkten.
Die Periode des Agierens der Kommunisten in Belgien ist historisch gesehen in
zwei Etappen zu unterteilen. Einerseits die Etappe bis zum 10. Mai 1940, dem
Tag des Einmarsches der deutschen Wehrmacht in Luxemburg, Holland, Belgien und
Frankreich und der Periode danach. Von besonderer Bedeutung für unsere
Organisation war dieser 10. Mai deshalb, weil praktisch die Partei an diesem
Tag durch die Maßnahmen der belgischen Behörden fast zur Gänze zerschlagen
wurde. Die belgischen Behörden hatten nämlich am 10. Mai alle deutschen und
österreichischen - was für sie keinen Unterschied machte - Emigranten verhaftet
und in Güterwaggons, die beschriftet waren mit „Fünfte Kolonne, Deutsche
Fallschirmspringer“ nach Südfrankreich deportiert. Dort wurden sie in den
berüchtigten Lagern Gurs, St. Cyprien, Drancy interniert, aus denen sehr viele
leider nicht zurückkamen bzw. auf Grund des zwischen Hitler und Petain
bestandenen Auslieferungsabkommens in den deutschen KZ’s landeten. Ich kann aus
Zeitgründen auf die Tätigkeit des Kommunistischen Jugendverbandes und der
Kommunistischen Partei vor dem 10. Mai 1940 nicht eingehen. Soviel ist
jedenfalls zu sagen, daß beide Organisationen unter einheitlicher Leitung sehr
erfolgreich unter den übrigen Emigranten aktiv waren und insbesondere in
Hinsicht darauf von Bedeutung waren, weil in Belgien unter der Leitung des Gen.
Hirsch und unter der Redaktion des Gen. Klahr - der nämlich vor seiner
Verschickung nach Frankreich in Brüssel war - das Organ der Kommunistischen
Partei, die „Rote Fahne“ auf Zigarettenpapier gedruckt und illegal nach
Österreich geschmuggelt wurde.
Die zurückgebliebenen männlichen Genossen, insbesondere aber auch weibliche
Genossinnen, die von der Verhaftung nicht betroffen waren, setzten nach dem 10.
Mai ihre politische Tätigkeit fort. Wir gingen bereits Ende 1940, Anfang 1941
zur sogenannten Soldatenarbeit über. Wir teilten die vorhanden gebliebenen
Genossen, die sich in der Zwischenzeit durch Werbung verstärkt hatten, ein in
die „Mädelgruppe“ und die sogenannte „Streugruppe“. Was die Tätigkeit unserer
weiblichen Genossinnen, unserer Mädel anbelangt, verweise ich auf den Beitrag
der Genossin Schwager in unserem letzten Mitteilungsblatt, wo eine eingehende
Darstellung dieser Tätigkeit gegeben ist. Ich möchte nur anfügen, daß unsere
Mädel, die weiblichen Genossinnen, ohne Zweifel die gefährlichste alle
Tätigkeiten in der Emigration in Belgien leisteten, weil sie tagtäglich der
Gefahr ausgesetzt waren, daß zu dem Rendezvous anstatt des vereinbarten
Soldaten die Gestapo oder mit ihm die Gestapo kam und so die Genossinnen
verhaftet wurden. Tatsächlich wurden von unseren Mädel acht Genossinnen
verhaftet und durchlitten verschiedene Konzentrationslager. Die Genossin
Marianne Brandt, die Lebensgefährtin von Jean Amery, wurde von den deutschen
Faschisten erschlagen.
Die Tätigkeit der sogenannten Streugruppe bestand darin, daß die von uns
hergestellte Zeitung, „Die Wahrheit“, der später, nach der Moskauer Konferenz,
ein Beiblatt beigefügt worden war - mit der Bezeichnung „Österreichische
Freiheitsfront“ und ab etwa Ende 1943 die eigene österreichische Zeitung mit
der Bezeichnung „Freies Österreich“ produziert und verteilt wurde. Wir waren im
Besitz einer Aufstellung der von der Wehrmacht besetzten Kasernen, der
sonstigen von ihnen bewohnten Objekte, insbesondere des Fuhrparks, der
Flughäfen und der Kinos und sonstiger Lokale, die die Soldaten besuchten. Es
erscheint heute unvorstellbar, daß wir wöchentlich rund 12.000 Zeitungen
herstellten, wovon allein 9.000 in der belgischen Provinz verteilt wurden. Ich
kann mit Fug und Recht sagen, daß es in Belgien kaum eine deutsche Kaserne gab,
die nicht regelmäßig mit unserem Material betreut worden ist. Wir bestreuten
die Flughäfen, wir bestreuten die Fuhrparks der deutschen Soldaten und
hinterließen unser Material auch in den Kinos und Gaststätten.
Zum Zweck der Tätigkeit in der Provinz hatten sogar drei Genossen, der Genosse
Fürst, der Genosse Kandel und ich eine Netzkarte für das gesamte belgische
Eisenbahnnetz, um die Provinz regelmäßig auch mit unserem Material zu betreuen.
Unsere Aktionen und die Regelmäßigkeit der Aktionen, wie gesagt wöchentlich,
führten dazu, daß die deutschen Wehrmachtsangehörigen uns vor ihren Kasernen in
der Folge mit Maschinengewehrfeuer empfingen. Hier sitzt der Genosse Walter
Ultmann. Er wurde bei einer Streuaktion, die er gemeinsam mit Gen. Lindner und
dem Gen. Erich Ungar führte, mit Maschinengewehrfeuer empfangen. Die übrigen
Genossen konnten fliehen, einem wurde das Rad unter dem Hintern weggeschossen,
er selbst wurde verhaftet. Ähnlich erging es anderen. So führte der Genosse
Herbert Kandel, der ja in diesem Kreis sicherlich bekannt ist, mit dem Genossen
Alex Fürst eine Aktion in der Nähe des Brüsseler Südbahnhofes durch und wurde
dabei ebenfalls mit Gewehrfeuer empfangen. Der Gen. Kandel erlitt mehrere
Durchschüsse, seine Kleidung war durchsiebt, und außerdem erlitt er einen
Kopfschuß, der bis heute eine Narbe zurückgelassen hat. Andere Genossen, zum
Beispiel der Genosse Senzer, wurden unter Anwendung von Waffengewalt verhaftet.
Auch die Genossin Gundel Herrnstadt, die bei ihrer Verhaftung - sie hatte ein
Rendezvous mit einem deutschen Soldaten - einen Fluchtversuch machte, wurde
durch drei Schüsse niedergestreckt und hat eine Verletzung, die bis heute ihre
Wirkung zeigt.
Unsere Aktionen wurden auch deshalb, weil ab 1943 die Deutschen fast täglich
Razzien durchführten - einerseits um Juden einzufangen und um andererseits
massenhaft belgische Jugendliche als Zwangsarbeiter nach Deutschland zu
verschicken - besonders gefährlich. Aus diesem Grunde führten wir unsere
Aktionen mit Fahrrädern durch, wobei wir geradezu im Geleitzug fuhren. Wir
hatten an unseren Fahrrädern besondere Stopplichter angebracht, damit, wenn der
erste in eine Razzia geriet und stehen blieb, der Dahinterfahrende mit seinem
Material verschwinden konnte. Wir haben darüber hinaus auch neben oder vis a
vis von deutschen Kasernen Schmieraktionen durchgeführt, einmal zum Beispiel zu
sechst, damit jeder nur ein einziges Wort schreiben muß, eine Mauer beschmiert
mit der Losung: ”Genug krepiert, genug marschiert und endlich mal nachhaus
marschiert“. Ich kann Euch sagen, diese Parole ist heute, mehr als fünfzig
Jahre später, in der Rue de Charlevois in Brüssel, obwohl übermalt, noch immer
lesbar. Vor der Befreiung Brüssels haben wir massenhaft Schmieraktionen
durchgeführt, und zwar nicht nur mehr an irgendwelchen Mauerwänden, sondern
quer über die Straße in der Nähe von Objekten, also Kasernen der deutschen
Wehrmacht.
Ende 1943, Anfang 1944 wurde dann eine eigene österreichische
Partisanenkompanie gegründet, und wir produzierten, und zwar der Genosse Erich
Ungar, der vorher einigen Unterricht in Chemie und Physik hatte, selbst unsere
Bomben und Sprengsätze, mit denen wir deutsche Autos, deutsche Lastkraftwagen, Militärtransporte
in die Luft sprengten, zum Beispiel einmal durch Anbringung von sechs
Sprengkörpern, die mit Zeitzünder versehen waren, an einem munitionsbeladenen
LKW, der danach in die Luft flog. Ferner machten wir Attentate auf deutsche
Militärtransporte, zum Beispiel einmal dadurch, daß wir kurz vor einer Brücke
auf einen Militärzug, der Munition transportierte, mehrere Bomben fallen
ließen, die dann im Tunnel detonierten.
Wir mußten uns unsere Waffen, aber auch die Fahrräder, die wir zu unserer
Tätigkeit benötigten, zuerst durch Entwaffnung deutscher Soldaten, das heißt
durch Überfälle auf deutsche Soldaten, selbst beschaffen, weil
bedauerlicherweise die Engländer zwar die weißen Partisanen in Belgien, die in
Wirklichkeit aber zunächst an den Kämpfen gar nicht teilnahmen, sehr wohl mit
Waffen versorgten, aber nicht die roten. Und so mußten wir selbst durch
Überfälle auf deutsche Soldaten uns unsere Waffen erst einmal beschaffen.
Nach der Befreiung Brüssels meldete sich dann die österreichische Partisanenkompanie
zum Kampf an die Front und ging gemeinsam mit der belgischen Partisanenarmee an
die Front, um die letzten Widerstandsnester der deutschen Faschisten zu
zerschlagen. Es ist unglaublich, aber eine historische, jedoch in Österreich
nicht bekannte Tatsache, daß die österreichische Partisanenkompanie
ausdrücklich wegen der Befreiung Aarendongs, die durch uns durchgeführt worden
ist, in einem alliierten Tagesbefehl eigens genannt wurde.
Nach der Befreiung Belgiens wurden wir demobilisiert, aber für uns war der
Kampf dennoch nicht zu Ende. Wir gingen, und zwar ca. ein Dutzend Genossen - im
übrigen auch mit Genossen, die in Frankreich tätig waren, und solchen die in
der Schweiz tätig waren - gemeinsam nach Jugoslawien, wo ja bereits das erste
österreichische Partisanenbataillon unter der Führung des Genossen Max Bair im
Kampf stand. Unter der Führung der Gen. Fürnberg und Gen. Honner wurden weitere
vier österreichische Partisanenbataillone aufgestellt, die sich insbesondere
aus österreichischen Kriegsgefangenen bzw. auch aus Soldaten des
Strafbataillons 999 rekrutierten.
Es werden dieser Tage viele Feierlichkeiten durchgeführt und Lorbeerkränze für
Personen gewoben, die sie keinesfalls verdient haben sondern bestenfalls
Disteln. Wir werden nicht geehrt bei der Aufzählung des Widerstandskampfes. Wir
Kommunisten haben aber mit Ehre die uns von der Geschichte gestellte Aufgabe
erfüllt.
Statement auf dem Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft „50 Jahre Zweite
Republik“, 8. Mai 1995
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