Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung Drechslergasse 42, A–1140 Wien Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at
|
|
Walter Hollitscher (1911–1986)Der marxistische Wissenschafter Walter Hollitscher trat sowohl als Theoretiker und Publizist als auch als Volksbildner in Erscheinung. Er war ein enzyklopädischer Denker, der mit einer Vielzahl und Vielfalt seiner Vorträge und Publikationen wesentliche Beiträge zur Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens leistete. Seine Aufmerksamkeit galt allgemeinphilosophischen und speziellen Fragen der Naturwissenschaften, Biologie, Psychologie und Medizin, ferner hat Hollitscher mehrere Beiträge für ein marxistisches Verständnis der Religion, des Friedenskampfes und der Ideologie erarbeitet. Seine Auseinandersetzungen erstreckten sich auf die Bereiche Ökologie, Anthropologie, Sexuologie, bis hin zur Ethologie (Verhaltensforschung). Walter Hollitschers Wirken fand internationale Anerkennung. Seine Schriften sind in viele Sprachen übersetzt worden, sein Hauptwerk über die Natur und den Menschen im Weltbild der modernen Wissenschaften (1960 und 1969, überarbeitete sechsbändige Neuausgabe 1983-1985), das eine universalgeschichtlich angelegte Gesamtdarstellung der bisherigen Entwicklungsgeschichte, von der unbelebten Natur bis zur menschlichen Gesellschaft beinhaltet, in mehr als 10 Sprachen. Walter Hollitscher wurde 1911 in Wien als jüngster Sohn in einem bürgerlichen Elternhaus geboren. Nach der Übersiedlung nach Prag 1920 schloss sich Hollitscher 1924 als Mittelschüler der kommunistischen Bewegung an und wurde Mitglied des Jugendverbandes der KPC. Mit seiner Rückkehr nach Wien 1929 wurde er Mitglied der KPÖ und begann an der Universität Wien das Studium der Philosophie, Biologie und Medizin. 1933 promovierte er bei Moritz Schlick mit einer Arbeit über das Kausalprinzip der Quantenphysik. Nach der Annexion Österreichs durch das faschistische Deutschland 1938 musste Hollitscher zuerst nach Zürich emigrieren, kurz danach nach London, wo er – u.a. als Vizepräsident des Austrian Centre – bis 1945 lebte. Nach der Befreiung Österreichs kehrte Hollitscher im Oktober 1945 nach Österreich zurück. Er war als Mitarbeiter in der Wiener Volksbildung und des Instituts für Wissenschaft und Kunst tätig, 1946 als Leiter der von ihm eingerichteten Abteilung für Wissenschaftstheorie, das ein Sammelbecken fortschrittlicher Wissenschafter war. 1947 wurde Hollitscher Konsulent für Wissenschaft im Amt für Kultur und Volksbildung der Gemeinde Wien. In dieser Eigenschaft arbeitete Hollitscher Lehrpläne für die Wiener Volksbildung aus, hielt unzählige Vorträge über zahlreiche Themen und wirkte unter der aufgeschlossenen wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz. Nicht zuletzt unter dem Eindruck des Kalten Krieges und den damit verbundenen Einschränkungen seiner Arbeitsmöglichkeiten folgte Hollitscher 1949 einem Ruf der Berliner Humboldt-Universität, wo er bis 1953 als Ordinarius für Logik und Erkenntnistheorie und erster Direktor des philosophischen Instituts tätig war. Nach seiner politisch bedingten Rückkehr wurde Hollitscher erneut „Wissenschaftskonsulent“, nicht mehr der Gemeinde Wien, sondern des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Österreichs, dem er seit dem 19. Parteitag 1965 auch als Mitglied angehörte. Seit 1966 war Hollitscher als Gastprofessor für philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaften an der Karl-Marx-Universität in Leipzig, die ihm 1971 die Ehrendoktorwürde verlieh, tätig. Neben seiner regen wissenschaftlichen, wissenschaftspolitischen und volksbildnerischen Publikationstätigkeit (u.a. als Leiter der Wissenschaftsrubrik der Volksstimme und Redaktionsmitglied von Weg und Ziel) trat Hollitscher als Lehrer an Parteischulen, Referent in Parteiorganisationen im In- und Ausland, Vortragender an österreichischen Hochschulen und auf internationalen philosophischen Kongressen in Erscheinung. In besonderer Weise engagierte er sich für den marxistisch-christlichen Dialog, u.a. im Rahmen der Paulus-Gesellschaft. Zeitgenössische Urteile weisen Hollitscher als den „eifrigste(n) und erfolgreichste(n) marxistische(n) Volksbildner, den wir in Österreich haben“ (Tagebuch, Mai 1961) und „Prototyp des mit der revolutionären Arbeiterbewegung engstens verbundenen Intellektuellen“ (Josef Rhemann, in: Volksstimme, 25.11.1989) aus. Eigenständige Publikationen Walter Hollitschers (Auswahl)Vom Nutzen der Philosophie und
ihrer Geschichte. Einleitungsvorlesung im Kursus über „Problemgeschichte und
Geschichtsprobleme der europäischen Philosophie“, gehalten an der Abteilung für
Wissenschaftstheorie des Instituts für Wissenschaft und Kunst in Wien, WS
1946/47. Wien: Verlag Willy Verkauf 1947 Über Walter HollitscherHollitscher, Walter: Kurzfassung des (bisherigen) Lebenslaufes;
in: Wiss. Z. Karl-Marx-Univ. Leipzig, Ges.- und Sprachwiss. R. 30 (1981) 2, S.
111-116 Daneben Hunderte Essays, wissenschaftliche Abhandlungen und Zeitschriftenartikel: u.a. Österreichisches Tagebuch, Die Woche, Österreichische Zeitung, (Österreichische) Volksstimme, Weg und Ziel, Internationale Dialogzeitschrift, Probleme des Friedens und des Sozialismus, Marxistische Blätter, Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Die Bibliothek und der Nachlass Walter Hollitschers befinden sich heute in der Alfred Klahr Gesellschaft. |
|