





| |
Walter Hollitscher
(1911–1986)
Der marxistische Wissenschafter Walter Hollitscher trat
sowohl als Theoretiker und Publizist als auch als Volksbildner in Erscheinung.
Er war ein enzyklopädischer Denker, der mit einer Vielzahl und Vielfalt seiner
Vorträge und Publikationen wesentliche Beiträge zur Entwicklung des
wissenschaftlichen Denkens leistete. Seine Aufmerksamkeit galt
allgemeinphilosophischen und speziellen Fragen der Naturwissenschaften,
Biologie, Psychologie und Medizin, ferner hat Hollitscher mehrere Beiträge für
ein marxistisches Verständnis der Religion, des Friedenskampfes und der
Ideologie erarbeitet. Seine Auseinandersetzungen erstreckten sich auf die
Bereiche Ökologie, Anthropologie, Sexuologie, bis hin zur Ethologie
(Verhaltensforschung).
Walter Hollitschers Wirken fand
internationale Anerkennung. Seine Schriften sind in viele Sprachen übersetzt
worden, sein Hauptwerk über die Natur und den Menschen im Weltbild der modernen
Wissenschaften (1960 und 1969, überarbeitete sechsbändige Neuausgabe
1983-1985), das eine universalgeschichtlich angelegte Gesamtdarstellung der
bisherigen Entwicklungsgeschichte, von der unbelebten Natur bis zur menschlichen
Gesellschaft beinhaltet, in mehr als 10 Sprachen.
Walter Hollitscher wurde 1911 in
Wien als jüngster Sohn in einem bürgerlichen Elternhaus geboren. Nach der Übersiedlung
nach Prag 1920 schloss sich Hollitscher 1924 als Mittelschüler der
kommunistischen Bewegung an und wurde Mitglied des Jugendverbandes der KPC. Mit
seiner Rückkehr nach Wien 1929 wurde er Mitglied der KPÖ und begann an der
Universität Wien das Studium der Philosophie, Biologie und Medizin. 1933
promovierte er bei Moritz Schlick mit einer Arbeit über das Kausalprinzip der
Quantenphysik. Nach der Annexion Österreichs durch das faschistische
Deutschland 1938 musste Hollitscher zuerst nach Zürich emigrieren, kurz danach
nach London, wo er – u.a. als Vizepräsident des Austrian Centre – bis 1945
lebte.
Nach der Befreiung Österreichs
kehrte Hollitscher im Oktober 1945 nach Österreich zurück. Er war als
Mitarbeiter in der Wiener Volksbildung und des Instituts für Wissenschaft und
Kunst tätig, 1946 als Leiter der von ihm eingerichteten Abteilung für
Wissenschaftstheorie, das ein Sammelbecken fortschrittlicher Wissenschafter war.
1947 wurde Hollitscher Konsulent für Wissenschaft im Amt für Kultur und
Volksbildung der Gemeinde Wien. In dieser Eigenschaft arbeitete Hollitscher
Lehrpläne für die Wiener Volksbildung aus, hielt unzählige Vorträge über
zahlreiche Themen und wirkte unter der aufgeschlossenen wissenschaftlichen und künstlerischen
Intelligenz.
Nicht zuletzt unter dem Eindruck des Kalten Krieges und
den damit verbundenen Einschränkungen seiner Arbeitsmöglichkeiten folgte
Hollitscher 1949 einem Ruf der Berliner Humboldt-Universität, wo er bis 1953
als Ordinarius für Logik und Erkenntnistheorie und erster Direktor des
philosophischen Instituts tätig war. Nach seiner politisch bedingten Rückkehr
wurde Hollitscher erneut „Wissenschaftskonsulent“, nicht mehr der Gemeinde
Wien, sondern des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Österreichs, dem
er seit dem 19. Parteitag 1965 auch als Mitglied angehörte. Seit 1966 war
Hollitscher als Gastprofessor für philosophische Probleme der modernen
Naturwissenschaften an der Karl-Marx-Universität in Leipzig, die ihm 1971 die
Ehrendoktorwürde verlieh, tätig.
Neben seiner regen
wissenschaftlichen, wissenschaftspolitischen und volksbildnerischen
Publikationstätigkeit (u.a. als Leiter der Wissenschaftsrubrik der Volksstimme
und Redaktionsmitglied von Weg und Ziel) trat Hollitscher als Lehrer an
Parteischulen, Referent in Parteiorganisationen im In- und Ausland, Vortragender
an österreichischen Hochschulen und auf internationalen philosophischen
Kongressen in Erscheinung. In besonderer Weise engagierte er sich für den
marxistisch-christlichen Dialog, u.a. im Rahmen der Paulus-Gesellschaft.
Zeitgenössische Urteile weisen
Hollitscher als den „eifrigste(n) und erfolgreichste(n) marxistische(n)
Volksbildner, den wir in Österreich haben“ (Tagebuch, Mai 1961) und
„Prototyp des mit der revolutionären Arbeiterbewegung engstens verbundenen
Intellektuellen“ (Josef Rhemann, in: Volksstimme, 25.11.1989) aus.
Eigenständige Publikationen Walter
Hollitschers (Auswahl)
Vom Nutzen der Philosophie und
ihrer Geschichte. Einleitungsvorlesung im Kursus über „Problemgeschichte und
Geschichtsprobleme der europäischen Philosophie“, gehalten an der Abteilung für
Wissenschaftstheorie des Instituts für Wissenschaft und Kunst in Wien, WS
1946/47. Wien: Verlag Willy Verkauf 1947
Über die Begriffe der
psychischen Gesundheit und Erkrankung. Eine wissenschaftslogische Untersuchung.
Wien: Gerold & Co 1947
Jugoslawien im Aufbau. Tagebuch
einer Studienreise. Wien: Verlag der Österreichisch-Jugoslawischen Gesellschaft
1948
"Rassentheorie“ im Lichte
der Wissenschaft. Wien: Verlag Willy Verkauf, Wien 1948
Die Entwicklung im Universum.
Berlin: Aufbau-Verlag 1951
... Wissenschaftlich betrachtet
... 64 gemeinverständliche Aufsätze über Natur und Gesellschaft. Berlin:
Aufbau-Verlag 1951
Wissenschaft und Sozialismus –
heute und morgen, hg. von der KPÖ. Wien 1958
Die Natur im Weltbild der
Wissenschaft. Wien: Globus-Verlag 1960
Der Mensch im Weltbild der
Wissenschaft. Wien: Globus-Verlag 1969
Aggression im Menschenbild.
Marx, Freud, Lorenz. Frankfurt/M.: Verlag Marxistische Blätter 1970
Tierisches und Menschliches.
Essays. Wien: Globus-Verlag 1971
„Kain“ oder Prometheus? Zur
Kritik des zeitgenössischen Biologismus. Berlin: Akademie-Verlag 1972
Sexualität und Revolution.
Frankfurt/M.: Verlag Marxistische Blätter 1972
Grundbegriffe der marxistischen
politischen Ökonomie und Philosophie. Wien: Globus-Verlag 1974
Der überanstrengte Sexus. Die
sogenannte sexuelle Emanzipation im heutigen Kapitalismus. Berlin:
Akademie-Verlag 1975
Für und wider die
Menschlichkeit. Essays. Wien: Globus-Verlag 1977
Bedrohung und Zuversicht.
Marxistische Essays. Wien: Globus-Verlag 1980
Materie – Bewegung –
kosmische Entwicklung. Berlin: Akademie-Verlag 1983 (unter Mitarbeit von Hubert
Horstmann)
Ursprung und Entwicklung des
Lebens. Berlin: Akademie-Verlag 1984 (unter Mitarbeit von Rolf Löther)
Lebewesen Mensch. Berlin:
Akademie-Verlag 1985 (unter Mitarbeit von Rolf Löther)
Die menschliche Psyche. Berlin:
Akademie-Verlag 1983 (unter Mitarbeit von John Erpenbeck)
Mensch und Gesellschaft. Berlin:
Akademie-Verlag 1985 (unter Mitarbeit von Alfred Arnold)
Naturbild und Weltanschauung.
Berlin: Akademie-Verlag 1985 (unter Mitarbeit von Hubert Horstmann)
Vorlesungen zur Dialektik der Natur. Marburg: Verlag Arbeit & Gesellschaft
1991
Über Walter Hollitscher
Hollitscher, Walter: Kurzfassung des (bisherigen) Lebenslaufes;
in: Wiss. Z. Karl-Marx-Univ. Leipzig, Ges.- und Sprachwiss. R. 30 (1981) 2, S.
111-116
Hollitscher, Walter: Ich erinnere mich... Protokoll eines Gesprächs zwischen
Walter Hollitscher, Siegfried Kätzel und Klaus-Peter Noack, geführt am
12.6.1981 in Leipzig; in: Informationsbulletin. Aus dem philosophischen Leben
der DDR, Jahrgang 17 (1981), Heft 7. Marxistisch-leninistische Philosophie und
wissenschaftliches Weltbild, hg. von der Akademie für
Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Institut für
Marxistisch-leninistische Philosophie, Zentralstelle für philosophische
Information und Dokumentation. Berlin 1981, S. 47-61
Daneben Hunderte Essays, wissenschaftliche Abhandlungen
und Zeitschriftenartikel: u.a. Österreichisches Tagebuch, Die Woche, Österreichische
Zeitung, (Österreichische) Volksstimme, Weg und Ziel, Internationale
Dialogzeitschrift, Probleme des Friedens und des Sozialismus, Marxistische Blätter,
Deutsche Zeitschrift für Philosophie.
Die Bibliothek und der Nachlass Walter Hollitschers
befinden sich heute in der Alfred Klahr Gesellschaft.
|