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Manfred Mugrauer: Ein Zeitalter wird besichtigt
Die groß angelegte autobiographische Trilogie Hugo Hupperts
ist reich an bewegenden Ereignissen und interessierenden Zusammenkünften des
kommunistischen Lyrikers, Prosaikers und Majakowski-Nachdichters, der dieses
Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte.
Von 1974 an widmete sich Huppert ganz der Aufgabe, sein Leben, seine
Begegnungen mit ZeitgenossInnen und die Umstände seines Weges als Dichter und
Schriftsteller, als politischer Mensch zu erzählen. 1979 erschien der dritte
Band dieses Unternehmens, das „ein Zeitalter besichtigt“, von einer Jugend
berichtet, „Stationen eines Lebens“ darstellt und „Anläufe der
Reifezeit“ beschreibt. Huppert bezeichnet jeden Band als „in sich
abgeschlossenen Entwicklungsroman“, die Bücher seien nur insofern „ein
Reihenwerk, als sie aufeinanderfolgende Daseinsphasen im Geschichtsbild des 20.
Jahrhunderts festhalten“.
Nicht zufällig erschien Hupperts Trilogie im Mitteldeutschen Verlag in
Halle/S. Das umfangreiche Werk Hupperts wurde und wird in seiner Heimat Österreich
kaum rezipiert, seine v.a. in der DDR erschienenen Bücher in österreichischen
Zeitungen und Zeitschriften in der Regel nicht rezensiert. Außer kleineren
Arbeiten des Innsbrucker Literaturwissenschafters Johann Holzner liegen
hierzulande keine Studien über Huppert vor, in der heimischen
Literaturgeschichte ist er zumeist nur als Nachdichter Majakowskis oder überhaupt
nicht bekannt.
Geboren wurde Huppert 1902 in Bielitz/Biala im damals österreichischen
Schlesien. Wien wurde für ihn die erste Wahlheimat, hier studierte er Nationalökonomie
und Staatswissenschaften, 1925 promovierte er bei Hans Kelsen. Nachdem Huppert
in der Zeit der beginnenden Weltwirtschaftskrise in Wien keine Anstellung fand,
emigrierte er 1928 in die Sowjetunion, in „die bessere Gegenwelt“, wie er
den ersten sozialistischen Staat in seiner Autobiographie bezeichnete.
Huppert sollte erst 1945 wieder nach Wien zurückkehren, als Major der Roten
Armee im Zuge der Befreiung Österreichs vom Hitler-Faschismus. Diese
„Umleitung“ seines Lebensweges prägte entscheidend Hupperts weiteres
Geschick: er fand Zugang zum Majakowskischen Kreis der LEF und arbeite von 1928
bis 1932 am Marx-Engels-Institut als wissenschaftlicher Mitarbeiter der MEGA
(dort war er u.a. an der Herausgabe von Marxens „Ökonomisch-philosophischen
Manuskripten“ beteiligt). Als Absolvent des Moskauer Instituts der Roten
Professur und Dozent des Moskauer Literaturinstituts publiziert er
kontinuierlich Erzählungen, Reportagen und lyrische Arbeiten, arbeitet als
Kulturredakteur bei der Deutschen Zentralzeitung (DZZ) und ab 1936 als
stellvertretender Chefredakteur der von Johannes R. Becher geleiteten Internationalen
Literatur/Deutsche Blätter.
Im März 1938 – am Höhepunkt des Stalin-Terrors – wurde Huppert infolge
einer Denunziation verhaftet und erst 14 Monate später wieder freigelassen. In
einem erst kürzlich veröffentlichen Brief an das ZK der KPÖ aus dem Jahr 1962
klagt er den damaligen Vertreter der KPÖ bei EKKI der Komintern – Ernst
Fischer – an, seine Rehabilitierung hintertrieben zu haben. Die von Reinhard Müller
1991 herausgegebenen Sitzungsprotokolle der deutschen Sektion des sowjetischen
Schriftstellerverbandes aus dem Jahr 1936 wiederum geben einen Hinweis darauf,
dass in der damaligen Atmosphäre der Verdächtigungen schwer zwischen
DenunziantInnen und Denunzierten zu trennen ist. Jedenfalls findet sich in den
Protokollen wenig, was der Reputation Hupperts außerordentlich dienlich wäre.
Diese Ereignisse festigten bei Huppert den Entschluss, Majakowskis Schaffen
durch Nachdichtung auch deutschsprachigen LeserInnen zugänglich zu machen:
„Das sollte eine Art realer Dank ans Leben sein, das mich aus dem
Zwischenreich zurückgeholt und dem problematischen Glück der Wiedergeburt
anheimgegeben hatte“, schrieb er Jahrzehnte später. 1940/41 erschienen auf
Veranlassung der Komintern die ersten Bände der Majakowski-Übersetzungen,
diese intensive Arbeit mündete schließlich in die fünfbändige Ausgabe der
Werke des „Oktoberpoeten“ (Huppert), die 1974 im Berliner Verlag Volk und
Welt abgeschlossen vorlag. Den „Kontinent sowjetischer Lyrik“ hat Huppert
den deutschsprachigen LeserInnen auch mit der Nachdichtung von Twardowskis „Wassili
Tjorkin“ erschlossen.
Ab 1941 arbeitete Huppert in der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee,
u.a. als Propagandist unter deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen und
Lehrer an Antifa-Schulen. Nach seiner Rückkehr nach Wien war er als Leiter der
Kulturabteilung der Österreichischen Zeitung tätig.
1949 wurde Huppert – immer noch sowjetischer Staatsbürger und Angehöriger
der Roten Armee – jähe in die Sowjetunion „rückkommandiert“, ihm war
sein Verhältnis zu einer in Jugoslawien geborenen Frau, die sich als „displaced
person“ in Wien aufhielt, zum Verhängnis geworden. Sein Name wurde fortan im
Zusammenhang mit der „odiosen Affäre“ des Titoismus genannt. In einer
Aussprache mit dem Vorsitzenden der Kontrollkommission der KPdSU war von einem
„Verstoß gegen das Gebot der Wachsamkeit während der Tätigkeit im
kapitalistischen Ausland“ die Rede, es folgte der Parteiausschluss. Diese von
ihm selbst als „zweites Exil“ und „Schicksalsnotstand“ charakterisierte
Zeit dauerte bis 1956. Durch einem Zufall wurde Georgien zu seiner Heimat, dort
übertrug Huppert das altgeorgische (aus dem 13. Jahrhundert stammende)
Nationalepos „Der Recke im Tigerfell“ von Schota Rusthaweli ins Deutsche.
1956 konnte er endgültig nach Wien zurückkehren, wobei er es als Mitarbeiter
an kommunistischen Zeitungen als Theater- und Literaturkritiker und
freischaffender Schriftsteller im vom Kalten Krieg geprägten politischen Klima
Österreichs gewiss alles andere als leicht hatte. Große Anerkennung und
verlegerische Betreuung fand Hupperts reichhaltiges künstlerisches Schaffen
hingegen in der DDR, v.a. durch den Mitteldeutschen Verlag, hier erschienen
mehrere Gedichtbände und auch die von Martin Reso herausgegebene dreibändige
Werkausgabe. Bereits 1953 war ihm durch seine Mitarbeit an der Weltbühne
der „erfreuliche Anschluß an die DDR-Publizistik“ gelungen.
Das lyrische Schaffen nimmt einen zentralen Platz im Werk Hupperts ein, als
einer der wenigen Lyriker seiner Zeit bemühte er sich erfolgreich um die
Wiederbelebung des Poems (u.a. „Rhapsodie: Brot und Rosen“ zum 100.
Geburtstag W. I. Lenins und das Exilpoem „Das Taubenhaus“). 1973 legt er mit
dem Essay – seinem „ästhetischen Credo“ (Reso) – „Sinnen und
Trachten“ ein „poetologisches Programm“ vor, in dem er versucht, „die
Bilanz eines Lebens mit der Wortkunst und für die Wortkunst“ zu ziehen.
Hupperts detaillierte Trilogie umfasst 1971 Seiten, Lesefaulen sei also der einbändige
von Martin Reso besorgte Auswahlband empfohlen, der 1987 – fünf Jahre nach
Hupperts Tod – mit dem Titel „Einmal Moskau und zurück“ im
Mitteldeutschen Verlag in Halle/S. und im Wiener Globus-Verlag erschien.
Hugo Huppert: Die angelehnte Tür. Bericht von einer Jugend (1976);
Wanduhr im Vordergrund. Stationen eines Lebens (1977); Schach dem Doppelgänger. Anläufe der Reifezeit (1979)
Quellen und Literatur:
Holzner, Johann: Geglückte Integration in der UdSSR – gestörte Integration in Österreich. Anmerkungen zu Hugo Huppert; in: Leben in Exil. Probleme der Integration deutscher Flüchtlinge im Ausland 1933–1945. Hamburg: Hoffmann und Campe 1981, S. 122–130.
Hugo Hupperts Anklage gegen Ernst Fischer; in: Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 2/2002.
UNITAT (Zeitung des Kommunistischen
StudentInnenverbandes), Nr. 2/2002.
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