Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Manfred Mugrauer: Ein Zeitalter wird besichtigt

Die groß angelegte autobiographische Trilogie Hugo Hupperts ist reich an bewegenden Ereignissen und interessierenden Zusammenkünften des kommunistischen Lyrikers, Prosaikers und Majakowski-Nachdichters, der dieses Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte.

Von 1974 an widmete sich Huppert ganz der Aufgabe, sein Leben, seine Begegnungen mit ZeitgenossInnen und die Umstände seines Weges als Dichter und Schriftsteller, als politischer Mensch zu erzählen. 1979 erschien der dritte Band dieses Unternehmens, das „ein Zeitalter besichtigt“, von einer Jugend berichtet, „Stationen eines Lebens“ darstellt und „Anläufe der Reifezeit“ beschreibt. Huppert bezeichnet jeden Band als „in sich abgeschlossenen Entwicklungsroman“, die Bücher seien nur insofern „ein Reihenwerk, als sie aufeinanderfolgende Daseinsphasen im Geschichtsbild des 20. Jahrhunderts festhalten“.
Nicht zufällig erschien Hupperts Trilogie im Mitteldeutschen Verlag in Halle/S. Das umfangreiche Werk Hupperts wurde und wird in seiner Heimat Österreich kaum rezipiert, seine v.a. in der DDR erschienenen Bücher in österreichischen Zeitungen und Zeitschriften in der Regel nicht rezensiert. Außer kleineren Arbeiten des Innsbrucker Literaturwissenschafters Johann Holzner liegen hierzulande keine Studien über Huppert vor, in der heimischen Literaturgeschichte ist er zumeist nur als Nachdichter Majakowskis oder überhaupt nicht bekannt.
Geboren wurde Huppert 1902 in Bielitz/Biala im damals österreichischen Schlesien. Wien wurde für ihn die erste Wahlheimat, hier studierte er Nationalökonomie und Staatswissenschaften, 1925 promovierte er bei Hans Kelsen. Nachdem Huppert in der Zeit der beginnenden Weltwirtschaftskrise in Wien keine Anstellung fand, emigrierte er 1928 in die Sowjetunion, in „die bessere Gegenwelt“, wie er den ersten sozialistischen Staat in seiner Autobiographie bezeichnete.
Huppert sollte erst 1945 wieder nach Wien zurückkehren, als Major der Roten Armee im Zuge der Befreiung Österreichs vom Hitler-Faschismus. Diese „Umleitung“ seines Lebensweges prägte entscheidend Hupperts weiteres Geschick: er fand Zugang zum Majakowskischen Kreis der LEF und arbeite von 1928 bis 1932 am Marx-Engels-Institut als wissenschaftlicher Mitarbeiter der MEGA (dort war er u.a. an der Herausgabe von Marxens „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ beteiligt). Als Absolvent des Moskauer Instituts der Roten Professur und Dozent des Moskauer Literaturinstituts publiziert er kontinuierlich Erzählungen, Reportagen und lyrische Arbeiten, arbeitet als Kulturredakteur bei der Deutschen Zentralzeitung (DZZ) und ab 1936 als stellvertretender Chefredakteur der von Johannes R. Becher geleiteten Internationalen Literatur/Deutsche Blätter.
Im März 1938 – am Höhepunkt des Stalin-Terrors – wurde Huppert infolge einer Denunziation verhaftet und erst 14 Monate später wieder freigelassen. In einem erst kürzlich veröffentlichen Brief an das ZK der KPÖ aus dem Jahr 1962 klagt er den damaligen Vertreter der KPÖ bei EKKI der Komintern – Ernst Fischer – an, seine Rehabilitierung hintertrieben zu haben. Die von Reinhard Müller 1991 herausgegebenen Sitzungsprotokolle der deutschen Sektion des sowjetischen Schriftstellerverbandes aus dem Jahr 1936 wiederum geben einen Hinweis darauf, dass in der damaligen Atmosphäre der Verdächtigungen schwer zwischen DenunziantInnen und Denunzierten zu trennen ist. Jedenfalls findet sich in den Protokollen wenig, was der Reputation Hupperts außerordentlich dienlich wäre.
Diese Ereignisse festigten bei Huppert den Entschluss, Majakowskis Schaffen durch Nachdichtung auch deutschsprachigen LeserInnen zugänglich zu machen: „Das sollte eine Art realer Dank ans Leben sein, das mich aus dem Zwischenreich zurückgeholt und dem problematischen Glück der Wiedergeburt anheimgegeben hatte“, schrieb er Jahrzehnte später. 1940/41 erschienen auf Veranlassung der Komintern die ersten Bände der Majakowski-Übersetzungen, diese intensive Arbeit mündete schließlich in die fünfbändige Ausgabe der Werke des „Oktoberpoeten“ (Huppert), die 1974 im Berliner Verlag Volk und Welt abgeschlossen vorlag. Den „Kontinent sowjetischer Lyrik“ hat Huppert den deutschsprachigen LeserInnen auch mit der Nachdichtung von Twardowskis „Wassili Tjorkin“ erschlossen.
Ab 1941 arbeitete Huppert in der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee, u.a. als Propagandist unter deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen und Lehrer an Antifa-Schulen. Nach seiner Rückkehr nach Wien war er als Leiter der Kulturabteilung der Österreichischen Zeitung tätig.
1949 wurde Huppert – immer noch sowjetischer Staatsbürger und Angehöriger der Roten Armee – jähe in die Sowjetunion „rückkommandiert“, ihm war sein Verhältnis zu einer in Jugoslawien geborenen Frau, die sich als „displaced person“ in Wien aufhielt, zum Verhängnis geworden. Sein Name wurde fortan im Zusammenhang mit der „odiosen Affäre“ des Titoismus genannt. In einer Aussprache mit dem Vorsitzenden der Kontrollkommission der KPdSU war von einem „Verstoß gegen das Gebot der Wachsamkeit während der Tätigkeit im kapitalistischen Ausland“ die Rede, es folgte der Parteiausschluss. Diese von ihm selbst als „zweites Exil“ und „Schicksalsnotstand“ charakterisierte Zeit dauerte bis 1956. Durch einem Zufall wurde Georgien zu seiner Heimat, dort übertrug Huppert das altgeorgische (aus dem 13. Jahrhundert stammende) Nationalepos „Der Recke im Tigerfell“ von Schota Rusthaweli ins Deutsche.
1956 konnte er endgültig nach Wien zurückkehren, wobei er es als Mitarbeiter an kommunistischen Zeitungen als Theater- und Literaturkritiker und freischaffender Schriftsteller im vom Kalten Krieg geprägten politischen Klima Österreichs gewiss alles andere als leicht hatte. Große Anerkennung und verlegerische Betreuung fand Hupperts reichhaltiges künstlerisches Schaffen hingegen in der DDR, v.a. durch den Mitteldeutschen Verlag, hier erschienen mehrere Gedichtbände und auch die von Martin Reso herausgegebene dreibändige Werkausgabe. Bereits 1953 war ihm durch seine Mitarbeit an der Weltbühne der „erfreuliche Anschluß an die DDR-Publizistik“ gelungen.
Das lyrische Schaffen nimmt einen zentralen Platz im Werk Hupperts ein, als einer der wenigen Lyriker seiner Zeit bemühte er sich erfolgreich um die Wiederbelebung des Poems (u.a. „Rhapsodie: Brot und Rosen“ zum 100. Geburtstag W. I. Lenins und das Exilpoem „Das Taubenhaus“). 1973 legt er mit dem Essay – seinem „ästhetischen Credo“ (Reso) – „Sinnen und Trachten“ ein „poetologisches Programm“ vor, in dem er versucht, „die Bilanz eines Lebens mit der Wortkunst und für die Wortkunst“ zu ziehen.
Hupperts detaillierte Trilogie umfasst 1971 Seiten, Lesefaulen sei also der einbändige von Martin Reso besorgte Auswahlband empfohlen, der 1987 – fünf Jahre nach Hupperts Tod – mit dem Titel „Einmal Moskau und zurück“ im Mitteldeutschen Verlag in Halle/S. und im Wiener Globus-Verlag erschien.

Hugo Huppert: Die angelehnte Tür. Bericht von einer Jugend (1976); Wanduhr im Vordergrund. Stationen eines Lebens (1977); Schach dem Doppelgänger. Anläufe der Reifezeit (1979)

Quellen und Literatur:
Holzner, Johann: Geglückte Integration in der UdSSR – gestörte Integration in Österreich. Anmerkungen zu Hugo Huppert; in: Leben in Exil. Probleme der Integration deutscher Flüchtlinge im Ausland 1933–1945. Hamburg: Hoffmann und Campe 1981, S. 122–130.
Hugo Hupperts Anklage gegen Ernst Fischer; in: Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 2/2002.

UNITAT (Zeitung des Kommunistischen StudentInnenverbandes), Nr. 2/2002.

 

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