Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Zwei Beispiele Huppert'scher Lyrik

Drei jüdische Balladen (1942/43), aus der 1. Ballade ("Die Klagemauer von Minsk")
Drei jüdische Balladen (1942/43), aus der 2. Ballade ("Ahasver")
Das Menschenmögliche (1969)

"Drei jüdische Balladen" (geschrieben im Winter 1942/43)

Aus der 1. Ballade ("Die Klagemauer von Minsk")

Es steht im Ghetto von Minsk eine Mauer,
wo jeder Gram seinen Schatten trifft.
Und jeder klagt der Wand seine Trauer
und schreibt sie drauf in jüdischer Schrift.

Der Trommler ist durch Minsk geritten,
hat Schlegel und Fell entzweigehaut;
und hat sich aus Judenbein Schlegel geschnitten
und auch ein Fell aus jüdischer Haut.

Viel Volk ist schwarz im Dunkel verschollen;
und andre gehn im Ghetto umher,
die ihre Entschwundenen suchen wollen,
und wenns ein Teich oder Aasgraben wär.

So tragen sie bang die Namen der Lieben
ins kalte Grau jener Mauer ein
und andre finden sich aufgeschrieben –
als läsen sie ihren Leichenstein.

[...]

Hierher kommen Greise beten und benschen,
und mancher murmelt ein Leichengebet.
Die Mauer lebt – es sterben die Menschen;
die Menschen knien – und die Mauer steht.

Der Jüngste Tag, er wird sie nicht beugen,
die Klagemauer von Minsk, wenn er tagt.
Sie werden noch stehn und klagen und zeugen,
und Anklage wird es sein, was sie klagt.

[...]

Ihr werdet die Mauer vom Schweigen erlösen,
wenn ihr sie erst wie ein Buch ergrifft
und anfingt, laut ihre Botschaft zu lesen:
die große steinerne Anklageschrift.

[...]

Aus der 2. Ballade ("Ahasver")

Der Ewige Jud kam von Witebsk her,
dort hörte man niemand klagen.
Dort gab es gar keine Juden mehr:
sie lagen alle erschlagen.
Er kam durch Sümpfe und Wälder weit
und trug das Kleid seiner Traurigkeit
mit einem Schatten vom Tode –
die alte jüdische Mode.

[...]

Der Wanderer kam nach Minsk und stand
vor jener klagenden Mauer.
Und seine Hand fuhr über die Wand –
sie las die Zeichen genauer.
Denn seine Augen waren schon blind
vom ewig trockenen, trostlosen Wind,
zwei Narben, zwei offene Nähte,
draus späte Bitterkeit spähte.

[...]

Und sieh, Ahasver schritt in die Wand,
er schmolz hinein in den Stein und verschwand.
Doch all die im Staube lagen,
nun hielten sie inne im Klagen.

Denn siehe, die Wand ward zur Karte der Welt,
drauf sich die Grenzen verwischten,
weil viele Völker, von Schmerzen entstellt,
zur furchtbaren Heerschar sich mischten.

Und keines, keines war auserwählt,
sie waren alle vermengt und vermählt
und ähnlich im Zorn und im Leiden
und kaum mehr zu unterscheiden.

[...]

Und tief sinkt das Volk, das sich Herrenvolk glaubt,
berechtigt, die Welt zu entrechten!
Schon welkt sein Reich, das den Erdkreis beraubt
und macht seine Nachbarn zu Knechten.
Streng sind seine glücklichen Tage gezählt,
denn keines, keines ist auserwählt
zu sühnelosem Verschulden,
und keins ist verdammt zum Dulden.

[...]

Das Menschenmögliche (1969)

Mehreres hab ich gewollt,
zuletzt das Menschenmögliche.
Das Dritte Reich vernichten –
und reihte mich freiwillig ein
            in die Rote Armee.
Dem Frieden Schützenhilfe leisten –
            und rückte vor mit der
            Ukrainischen Heeresgruppe.
Den Bergen und Bäumen Beine machen –
            und legte russische
            Tanzplatten auf.
Im Marchfeld Palmen pflanzen –
            und brachte Gesänge Georgiens
            nach Niederösterreich.
Einen Ozean entsalzen –
            und lockte den Landregen
            übern Laugengolf.
Das Schwarze Meer weißwaschen –
            und kam an den Strand
            mit Sonne und Saitenspiel.
Die Sprache der Vormütter erlernen –
            und wanderte durch Urwälder
            am Uralstrom.
Dem Ewig-Weiblichen auf die Spur kommen –
            und ging ein in die Täler
            Transkaukasiens.
Dies alles im letzten Vierteljahrhundert
            hab ich gewollt und getan.
Es war letzten Endes das Menschenmögliche:
            das, was Menschen mögen.

 

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