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Manfred Groß: Oktober 1950 und die Sozialpartnerschaft
Unser Symposium fällt ja in äußerst bewegte Zeiten. Die Diskussionen und
politischen Bandagen der letzten Tage sind die Begleitumstände einer Regierungspolitik,
die immer offensichtlicher darauf gerichtet ist, die sozialstaatlichen
Errungenschaften zu demontieren. Dabei geht es auf der einen Seite um
Verschlechterung und Streichung sozialstaatlicher Leistungen, mit äußerst
schmerzlichen Folgen für die Betroffenen, zum anderen aber auch um eine
Änderung des Prinzips. Wenn etwa die Pflichtversicherung in den
umlagefinanzierten Selbstverwaltungsbereichen einer bloßen Versicherungspflicht
weichen soll, dann heißt das: Privatisierung der Sozialversicherung und
Einbeziehung der Beiträge in die private Kapitalverwertung und somit das Ende
der Sozialversicherungen und der sozialen Sicherheit. Oder wenn die Ausgaben
des Staates mit den Einnahmen junktimiert werden - also das sogenannte
Null-Defizit -, dann bedeutet das den Fall jeder Rechtssicherheit für
staatliche Transferleistungen. Das alles geschieht über die Köpfe der
Betroffenen hinweg. Gewerkschaften, bisher mittelbar oder unmittelbar in die
Verhandlungen über die Sozialpolitik eingebunden, werden kurzerhand überfahren.
Dabei müssen sie sich freilich selbst die Frage vorlegen, wie weit ihre Politik
der vergangenen Jahre, ihre nachgiebige Haltung und ihr Verzicht auf
konsequente Interessensvertretung selbst dazu beigetragen hat, ihren
politischen Stellenwert zu entwerten. Es ist also ein besonderer Zeitpunkt, zu
dem wir unsere Beratung führen und des großen Streiks vor fünfzig Jahren
gedenken.
Die Denkwürdigkeit dieses Jahrestages liegt also nicht nur in der schönen
runden Zahl „50“ – sie liegt vor allem darin, daß mit dem Jahr 2000 das Ende
eines Phänomens eingeläutet wird, das seine Wurzeln in den Ereignissen vor
fünfzig Jahren hat und nahezu ein halbes Jahrhundert die Politik unseres Landes
geprägt hat: die Sozialpartnerschaft. In den Debatten über den großen Streik
spielt die Diskussion darüber eine zentrale Rolle. Heute – unter den
Bedingungen einer schwarz-blauen Regierung – hat dieses Thema enorm an Brisanz
gewonnen. Die Kernfrage lautet dabei, ob die Sozialpartnerschaft im Wandel oder
in Auflösung begriffen ist.
Ein Beispiel: Am vorigen Mittwoch bekam ich seitens des ÖGB ein umfassendes
Konvolut an geplanten Gesetzesänderungen zugestellt, das sich von den
Arbeitsmarktgesetzen über das Jugendausbildungsgesetz und das
Entgeltfortzahlungsgesetz bis hin zum Karenzgeldgesetz, das
Sonderunterstützungsgesetz und das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz erstreckt.
Der ÖGB, die einzelnen Gewerkschaften und die Fraktionen wurden seitens der
Regierung aufgefordert, innerhalb von drei Tagen zu begutachten und entsprechende
Stellungnahmen oder Änderungsvorschläge zu erarbeiten.
Die Umgehung annehmbarer Begutachtungsfristen ist schon unter der Großen
Koalition – etwa bei den Verstaatlichtengesetzen oder im Zusammenhang mit den
sogenannten „Sparpaketen“ – zur Anwendung gekommen. Jetzt ist sie aber zur
Regel geworden. Und selbst die informellen Gespräche mit den Spitzen der
Interessensvertretungen, wie sie früher in sozialpartnerschaftlicher Manier
hinter verschlossenen Türen geführt wurden, unterbleiben heute.
Da drängt sich freilich die Frage auf, ob die regierenden Rechtsparteien im
Verbund mit den Interessensvertretungen des Kapitals entschlossen sind, die
Sozialpartnerschaft endgültig einzusargen. Oder besser gefragt: wird von
Kapitalseite die Sozialpartnerschaft überhaupt noch als existent oder nicht
schon als überflüssig betrachtet ?
Diese Frage möchte ich wie folgt beantworten: Mit Sicherheit sind mit den neuen
politischen Machtverhältnissen, mit dem Beitritt zur Europäischen Union, mit
der Währungsunion und ihrem Stabilitätspakt und mit den einschneidenden
Veränderungen in der sozialökonomischen Basis der Gesellschaft wesentliche
Grundlagen der Sozialpartnerschaft entfallen. Daher wird es auch kein
Wiedererstehen in der alten Gestalt mehr geben können. Eine andere Frage ist
aber, wie weit bestimmte Elemente sozialpartnerschaftlicher Durchsetzung von
Kapitalinteressen lebensfähig sind. Und als Gewerkschafter interessiert mich
vor allen Dingen die Frage, wie weit die Gewerkschaftsbewegung unter dem
Vorschützen von „gesamtgesellschaftlichen“ oder „Staatsinteressen“ im
veränderten System politischer Regulierung oder Herrschaftsausübung eingebunden
bleibt.
Das ist die Frage nach der Funktion der Gewerkschaften als „Ordnungsfaktor“ des
Systems und somit als der beruhigende Arm der Macht der Arbeiterklasse, oder
aber als vitale und entschiedene Interessensvertretung. Hier gibt es durchaus
widersprüchliche Vorzeichen. So viel steht aber fest: Besinnt sich der ÖGB auf
seine ureigene Rolle als Interessensvertretung der Arbeitenden, dann muß er
letztlich einen Bruch mit seinem über Jahrzehnte aufgebauten Selbstverständnis
und auch mit seiner politischen Praxis vollziehen!
Der ÖGB findet gänzlich veränderte Bedingungen vor. Reagiert er nicht, so wird
er sich in relativ kurzer Zeit in einer schweren Legitimierungs- und
Identifikationskrise befinden, weil er in immer größerem Widerspruch zu
wachsenden Teilen seiner Mitgliedschaft kommt.
Die Frage nach Gegenwart und Zukunft der Sozialpartnerschaft und nach der
gesellschaftlichen Rolle des ÖGB macht einen Blick in die Vergangenheit
notwendig. Was zu Anfang der fünfziger Jahre die Menschen bewegte und empörte,
und was im September/Oktober 1950 zur großen Streikbewegung führte, kann aus
heutiger Sicht als die entscheidende Formierungsphase der Sozialpartnerschaft –
also jenes spezifisch geprägten Systems politischer Machtausausübung vom Ende
der fünfziger Jahre bis dato – gesehen werden. Und wenn heute, allen
Erkenntnissen der Historiker zum Trotz, die Legende vom „Putschversuch“ der KPÖ
immer wieder aufgewärmt wird, so hat dies seine Begründung darin, daß sich die
Streikbewegung gegen jene Preistreiberpakte richtete, die letztlich eine
Vorform dieser Art der Herrschaftsausübung darstellte, denen sich SPÖ, ÖVP und
nicht zuletzt auch die Spitzen der Verbände „ohne Wenn und Aber“ in der
Folgezeit verschrieben haben.
Der Hebel zur Umsetzung einer Politik der – wie es damals hieß – „paktierten
Inflation“ und des Eindämmens der Lohnbewegung war die sogenannte
„Wirtschaftskommission“, die eine Vorwegnahme der späteren
sozialpartnerschaftlichen Gremien – von der „Paritätischen Lohn- und
Preiskommission“ abwärts – darstellte. Wie ihre Nachfolgegremien war auch sie
nicht gesetzlich verankert oder legitimiert. In ihr waren die Vertreter der
Regierung, der Kammern und des ÖGB vertreten. Über Druck der USA, die mit der
Marshallplanhilfe wirtschaftspolitische Bedingungen, wie die forcierte private
Kapitalbildung, verknüpften, wurden die sogenannten „Lohn-Preis-Pakte“
vereinbart.
In der Realität kam es zu schmerzlichen Beschränkungen in der Lohnbewegung,
während die Verbraucherpreise galoppierten. Zugleich kam es zur Erhöhung der
Agrarpreise bei gleichzeitigem Abbau der Stützungen, um über die eingesparten
Mittel die Kapitalakkumulation staatlich ankurbeln zu können.
Die Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen verschlechterten sich rapide,
die Empörung wuchs und griff auch weit in die sozialdemokratisch orientierten
Teile der ArbeiterInnenschaft über. Die KPÖ und ihre Betriebsorganisationen
zielten in dieser Situation sicher nicht auf die Machtübernahme, die auf Grund
der Verhältnisse und der Tatsache, daß Österreich in vier Besatzungszonen
geteilt war, auch gar nicht möglich gewesen wäre, sondern auf eine mächtige
Streikbewegung gegen die Preistreiberpakte, gegen die Koalitionsregierung und
gegen die Unterordnung des ÖGB. Heute könnte man sagen, daß der Streik gegen
die Lohn-Preis-Pakte als Kristallisationspunkt des sich bereits abzeichnenden
unsozialen und entdemokratisierenden sozialpartnerschaftlichen
Regulierungssystems gerichtet war. Die Grundlage des Streiks aber war die
materielle Not der Betroffenen und die um sich greifende Empörung.
Die Streikbewegung, an der bis zu 200.000 Menschen direkt beteiligt waren,
scheiterte. Und man kann natürlich heute verschiedene Betrachtungen über
Strategie und Taktik der KPÖ und der Streikleitungen anstellen – die
Hauptursache des Scheiterns lag in der Vehemenz und Härte des Gegenschlages und
in der Diskreditierung des Streiks als „Terroristischer Akt“ und als Putsch.
Zugleich versuchte sich die ÖGB-Führung als die Bewahrerin der Demokratie zu
profilieren und sich erfolgreich als „Ordnungsfaktor“ des Systems anzubieten.
Der spätere ÖGB-Präsident Anton Benja sprach übrigens noch in den siebziger
Jahren gerne und nicht ohne einen gewissen Stolz von den Gewerkschaften als
„Ordnungsfaktor im System der Sozial- und Wirtschaftspartnerschaft“.
Das Scheitern des Streiks hatte schwerwiegende Folgen: Im ÖGB kam es zur
Maßregelung und zum Ausschluß einer Reihe von Funktionären, darunter des
ÖGB-Mitbegründers Gottlieb Fiala. Die kommunistischen GewerkschafterInnen
wurden aus allen wesentlichen Entscheidungsebenen entfernt, in den Betrieben
folgten politische Kündigungen, die bis zur regelrechten Zerschlagung von
Betriebsorganisationen der KPÖ führten – und mittels der Putsch-Legende wurde
jeder Versuch klassenbewußter GewerkschafterInnen, sich die Organisation als
Instrument im Klassenkampf zu erhalten, diskreditiert.
Der neue Geist im ÖGB kristallisiert in der Person Franz Olahs. Der 1949 zum
Bauarbeiterchef avancierte rabiate Antikommunist und Rechtspopulist mit dem
Parteibuch der SPÖ nahm nach seinen Aktionen und Tiraden gegen die Streikenden
und die KPÖ einen unaufhörlichen Aufstieg vom ÖGB-Vizepräsidenten über den
ÖGB-Präsidenten zum Innenminister, ehe er dann über die Betrugsaffäre stürzte,
im Zuge deren er Gewerkschaftsgelder abzweigte, die der Gründung der
Kronenzeitung und paramilitärischer antikommunistischer Stoßtrupps dienten. Und
das alles mit dem sicher nicht nur ideellen Segen des US-Geheimdienstes.
7In der ideologischen Debatte wurden die Sozialdemokraten im ÖGB zur
ideologischen Speerspitze gegen die Kommunisten. Die sozialdemokratische
Fraktion wurde über lange Jahre gewissermaßen zur antikommunistischen Kaderschmiede.
Viele frühere Funktionäre in den Betrieben und in den Gewerkschaften erinnern
sich, mit welcher Vehemenz und oft Gehässigkeit gegen sie vorgegangen wurde,
wenn sie sich zur Gewerkschaftlichen Einheit oder seit 1974 zum
Gewerkschaftlichen Linksblock bekannten. BetriebsratskandidatInnen und die
UnterzeichnerInnen von Wahlvorschlägen wurden unter Druck gesetzt und nicht
selten im Zusammenspiel von Mehrheitsfraktion und Geschäftsführungen, vor allem
in der Verstaatlichten Industrie, mit Kündigung bedroht oder wirklich
gekündigt.
Die inhaltliche wie organisatorische „Säuberung“ des ÖGB wurde also eingeleitet
und das Organisationsleben entdemokratisiert, womit die wichtigste
Voraussetzung geschaffen war, um die Gewerkschaften voll in das
Herrschaftssystem zu intergrieren und die Sozialpartnerschaft aus der Taufe zu
heben.
Die Voraussetzungen, dass es zu dieser spezifischen Form politischer
Machtausübung kommen konnte, erschöpfen sich freilich nicht in der Rolle der
Gewerkschaften, wenngleich diese auch eines der Wesenselemente der
Sozialpartnerschaft war.
Wichtig war auch die relative Schwäche des österreichischen Kapitals und in
diesem Zusammenhang der hohe Anteil der Verstaatlichten Industrie, der
Gemeinwirtschaft und des verstaatlichten Kredit- und Bankensektors. Um hier
Konkurrenzsituationen hintanzuhalten und beträchtliche Anteile des im
staatlichen Sektor erwirtschafteten Mehrwerts in den vielfältigsten Formen an
das private Kapital transferieren zu können, bedurfte es eines umfassenden
Regulierungssystems, das mit der Paritätischen Kommission und ihren
Untergliederungen nicht das Auslangen finden konnte und sich in weite Bereiche
des Wirtschaftslebens erstreckte.
Auf der politischen Bühne bildeten die ÖVP-SPÖ-Koalitionen und der schon früh
erstarkende politische Proporz den Humus dieses Systems, das auch in der Zeit
der ÖVP-Alleinregierung zwischen 1966 und 1970 und den folgenden
SPÖ-Alleinregierungen munter weiter wuchs und so gut wie alle Bereiche des
wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens
erfasste. Kein Sportverein, kein Autofahrerklub und kein Touristenverein, der
nicht einer der beiden politischen Reichshälften zugeordnet und unterstellt
worden wäre und keine führende Verwaltungsebene, keine Vorstandsetage im staatlichen
Bereich und auch keine Vorstandsebene in den Sozialversicherungen, die nicht in
trauter rot-schwarzer Absprache besetzt worden wäre.
Die sozialpartnerschaftliche Regulierung in ihrer Tripolarität - hier
Regierung, also Staatsmacht, da Kapital und dort Arbeit - war allgegenwärtig.
Gewählte Parlamente auf allen Ebenen und auch die Vollversammlungen der
Selbstverwaltung hatten nachzuvollziehen, was in diesem System paktiert wurde.
Das war auch stets der entscheidende Angriffspunkt von Links: Sozialpartnerschaft
führt zur Entdemokratisierung, Entpolitisierung der Masse der Menschen,
Verschleierung von Klassengegensätzen und in der letzten Konsequenz zur
Unterordnung der Gewerkschaften unter die Kapitalinteressen.
Freilich wäre es eine verkürzte Sicht der Dinge, im Phänomen
„Sozialpartnerschaft“ nur deren entdemokratisierende Wirkung zu sehen: Die
österreicheichischen Gewerkschaften entwickelten am „grünen Tisch“ wohl eine
Politik fernab direkter Konfrontationen mit dem Kapital, die eine stark
entpolitisierende Wirkung auf die Mitglieder hatte - was heute übrigens umso
schmerzlicher zu Buche schlägt -, sie konnten aber auch nicht unwesentliche
Erfolge in der Sozialpolitik und wichtige Schritte in der
Kollektivvertragspolitik aushandeln. Und das machte die Sozialpartnerschaftskritik
von Links für viele ArbeiterInnen und Angestellte vielfach schwer verständlich,
weil dem Argument des Demokratieverlustes, der Unterordnung unter
Kapitalinteressen und der Entpolitisierung die in Verhandlungen erzielten
materiellen Ergebnisse von sozialdemokratischer Seite entgegengestellt wurden.
Erst mit der forcierten Kapitaloffensive Mitte der Achtzigerjahre, der
Verschärfung der Verteilungspolitik und nicht zuletzt der Krise der
Verstaatlichten Industrie und der von der rot-schwarzen Koalition eingeleiteten
Politik der Entstaatlichung und Privatisierung begann sich dieses System immer
löchriger zu zeigen. Und noch ein Faktor darf nicht übersehen werden, nämlich
der Aufstieg der FPÖ unter Haider. Diese Partei war als politischer Faktor
nicht ins Sozialpartnerschaftssystem eingebunden. Sie schoss konsequent gegen
den Proporz - nicht aus demokratiepolitischen Gründen, sondern aus ihrer
Orientierung auf radikale Marktwirtschaft und einen schlanken, straff
organisierten Staat im Sinne der Kapitalherrschaft heraus. Und die FPÖ verband
auch ihre Sozialpartnerschaftskritik von Anfang an mit der Zielsetzung, die
Organisationen der Arbeiterklasse aus allen staatlichen Entscheidungsprozessen
hinauszudrängen und in letzter Konsequenz zu zerschlagen.
Haiders Parolen wurden immer populärer, je stärker er die so genannte
„Bonzenwirtschaft“ auf- und angriff, und dabei echte und empörende Missstände
ans Tageslicht zog. Haiders Alternative zur Sozialpartnerschaft war und ist
aber nicht die Demokratisierung politischer Entscheidungsprozesse - wie von
Links gefordert - sondern deren Gegenteil: der Abbau des Sozialstaates und
aller Institutionen, die diesen interessenspolitisch repräsentieren. Hier
trafen und treffen sich FPÖ und entscheidende Teile der ÖVP, sodass die jetzige
Koalitionsregierung gewissermaßen so etwas wie eine „logische Folge“ ist.
Nicht übersehen darf man auch den Umstand, dass mit dem EU-Beitritt und der
Währungsunion sowie der damit verbundenen Abgabe bedeutender Kompetenzen der
staatliche Regulierungsbedarf geringer geworden ist. Viele früher gefassten
sozialpartnerschaftlichen Entscheidungen, etwa im Bereich der
Stabilitätspolitik, des Außenhandelsregimes und der Marktgestaltung werden
heute nicht mehr in Österreich vereinbart.
So sind also wesentliche Elemente sozialpartnerschaftlicher Regulierung und
auch der Konsens zwischen SPÖ und ÖVP weitgehend weggefallen. Die
Sozialpartnerschaft alten Zuschnittes gehört der Vergangenheit an, je mehr ihre
Grundlagen abhanden kommen. Sie ist auch nicht mehr herbeizujammern, wie es
führende GewerkschaftsfunktionärInnen sozialdemokratischen Zuschnitts tun. Das
Kapital hat Morgenluft gewittert und wird unter eifriger Mithilfe der jetzt
Regierenden den Kapitalismus pur mit all seinen antisozialen und
antidemokratischen Folgerungen durchzusetzen versuchen.
Hier möchte ich Ernst Wimmer zitieren, der in seinem 1979 verfassten Buch
„Sozialpartnerschaft aus marxistischer Sicht“ zu folgendem Schluss kommt:
„In unserem Lande ist die Dämpfung und Verschleierung der Klassengegensätze
eine Realität, ihre Aufhebung jedoch nur Schein. Und in jeder Scheinwelt geht
als Gespenst die Wirklichkeit um. Wer Probleme vor sich herschiebt, so lange es
geht, wer sie abzutreiben trachtet, wird doch letzten Endes - außerhalb jeden
Rechtsweges - über die Folgen bestraft, die sie dann haben. Auch unser Land ist
kein Landstrich, von dem die Geschichte Abschied genommen hätte. Sie wird auch
in unseren Breiten noch im Widerstreit der Interessen von Klassen gemacht.“
Wir erleben heute das immer offenere Aufbrechen dieser Klassengegensätze. Und
in dieser Situation werden sich die Gewerkschaften als Klassenorganisationen
den Kopf über die Botschaft der vor fünfzig Jahren Streikenden zerbrechen
müssen: Kampflos ist nur der tiefe Fall in die Bedeutungslosigkeit zu
erreichen. Die österreichische Gewerkschaftsbewegung geht - ob sie es will oder
nicht - auf eine grundsätzliche Richtungsentscheidung zu, um die kein Weg
herumführt. Und diese Entscheidung wird zur Schicksalsentscheidung.
Referat auf dem Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft „Der große Streik
des September/Oktober 1950“, 30. September 2000
Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 4/2000 & 1/2001
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