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Hans Hautmann: Ein Dokument über den 15. Juli 1927 aus dem Archiv der Komintern
Das nachfolgende Dokument widerspiegelt die Ereignisse des 15. Juli 1927 in
Wien, die sich heuer zum fünfzigsten Mal jähren, auf seine Art. Die
Auseinandersetzung zwischen Nikolai Bucharin, dem Vorsitzenden der
Kommunistischen Internationale, und dem damals 25jährigen ZK-Mitglied der KPÖ,
Friedl Fürnberg, ging im Kern um die Frage nach dem Charakter der
Juliereignisse und der daraus abzuleitenden Orientierung für die Politik der
KPÖ.
Ebenso wie die Führung der Sozialdemokratischen Partei war auch die KPÖ von
der elementaren Wucht der Demonstration am Vormittag des 15. Juli 1927
überrascht worden. /1/ Ihre ersten Stellungnahmen in Flugblättern und einer
Sonderausgabe der „Roten Fahne“ am 15. und 16. Juli verdeutlichen aber, daß die
Parteileitung um Johann Koplenig die Situation im großen und ganzen realistisch
einzuschätzen imstande war. Sie forderte den Einsatz des Republikanischen
Schutzbundes und die Bewaffnung der Arbeiter in den Betrieben, um dem Massaker
der Polizei Einhalt zu gebieten, den Zusammentritt einer Betriebsrätekonferenz
und die Absetzung des Wiener Polizeipräsidenten Johannes Schober. Sie
interpretierte die Vorfälle als „spontanen Massenprotest“ und strebte danach,
der Bewegung eine Stoßrichtung gegen die Hauptgefahr zu verleihen, gegen die
Offensive der faschistischen Kräfte in Österreich.
Diese Linie wurde von den Ultralinken in der Partei, als deren Wortführer Willy
Schlamm auftrat, vehement kritisiert. Für sie figurierte der Juli 1927 als
„Aufstand“, den es in revolutionäre Aktion bis hin zur „siegreichen
proletarischen Revolution“, ja bis zur „Diktatur des Proletariats“
weiterzutreiben galt. Das war eine aus der spezifisch österreichischen Situation
wie aus der ökonomisch-politischen Gesamtkonstellation im kapitalistischen
Europa der relativen Stabilisierung gleichermaßen wirklichkeitsfremde Sicht der
Dinge. Aber sie machte sich auch der Vorsitzende der Komintern, Bucharin, zu
eigen, der ansonsten in innersowjetischen Fragen einen in der Regel „rechten“
Kurs vertrat. Er nahm die Wiener Ereignisse zum Anlaß, in der Komintern eine
Interpretation der internationalen Lage durchzusetzen, wonach nicht die
Reaktion im Vormarsch und daher die Organisierung einer einheitlichen Abwehr
der internationalen Arbeiterbewegung gegen die faschistische Gefahr vonnöten
sei, sondern eine neue revolutionäre Krise, analog der von 1917 bis 1923,
heranreife./2/
Im August und September 1927 stand die „österreichische Frage“ auf mehreren
Sitzungen des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI) im Mittelpunkt einer heftig
geführten Diskussion. Friedl Fürnberg, der damals zeitweilig in der
Jugendinternationale in Moskau tätig war, wurde von den nüchtern
argumentierenden Kräften in der KPÖ beauftragt, deren Position im Präsidium des
EKKI zu vertreten. Er stützte sich dabei auf eine Resolution des II.
Weltkongresses der Komintern aus dem Jahr 1920, um den Vorwurf, die KPÖ hätte
es verabsäumt, in den Julitagen zur Bildung von Arbeiterräten aufzurufen, zu
entkräften und auf diese Weise hinhaltenden Widerstand gegen die Versuche zu
leisten, die Wiener Juliereignisse in eine verhinderte soziale Revolution
umzudeuten.
Nicht alles, was Fürnberg in der Diskussion sagte, war richtig. Indem er teilweise
die ultralinke Diktion seiner Kontrahenten übernahm (zu denen auch der
Österreicher Richard Schüller gehörte, der damals Ko-Vorsitzender des
Exekutivkomitees der Kommunistischen Jugendinternationale war), unterminierte
er seine Position. Dennoch - und das ist das eigentlich Interessante und
Bemerkenswerte an der Auseinandersetzung - war seine Einschätzung bei weitem
wirklichkeitsnäher als die Bucharins, den doch der Nimbus eines bedeutenden
marxistischen Denkers umgab. Wenn Fürnberg davon sprach, daß der „Aufstand
selbst überschätzt“ werde, weil er nur einen Tag dauerte, der Generalstreik
schon nach vierundzwanzig Stunden abgebrochen werden mußte, in Österreich
relative Stabilisierung herrschte und im Gefolge des 15. Juli 1927 eine
„Zunahme der Macht der Bourgeoisie“ zu verzeichnen sei, dann suchte er darauf
hinzuweisen, daß nun für die österreichische Arbeiterbewegung wie für die
Kommunistische Partei andere Aufgaben auf der Tagesordnung standen als das
Herumwerfen mit linken Phrasen: die Zusammenfassung aller fortschrittlichen und
demokratischen Kräfte gegen die Gefahr des Faschismus und die Offensive des
Kapitals. Bucharin hingegen beharrte auf der illusionären These, daß die
Juliereignisse Ausdruck der „schärfsten Form der gesamten sozialen Lage“, mit
anderen Worten: einer revolutionären Krisensituation, gewesen seien und
kreidete es sogar (allerdings auf der Basis einer derartigen Argumentation nur
logisch und folgerichtig) der KPÖ als Fehler an, daß sie „nicht planmäßig an
die Eroberung der Macht gehen wollte.“
Ausgangspunkt und Ursache derartiger Fehleinschätzungen war die Klassifikation
des 15. Juli 1927 als „Aufstand“. Denn unter diesem Begriff versteht der
Marxismus im Unterschied zu „Empörungen“, „Erhebungen“, „Revolten“ usw. etwas
ganz Bestimmtes. „Aufstand“ ist das Resultat der organisierenden,
generalstabsmäßig vorbereiteten Tätigkeit einer revolutionären Partei, mithin
eine „Kunst“, die es zu lernen, sich anzueignen gilt. Lenin dazu: Man könne dem
Marxismus, der Revolution „nicht treu bleiben, wenn man sich nicht zum Aufstand
als zu einer Kunst verhält.“/3/ Da selbst Bucharin den spontanen Charakter der
Wiener Ereignisse nicht rundweg leugnen konnte, umging er das Dilemma durch
Prägen des Begriffs des „unorganisierten Aufstands“ - marxistisch gesehen ein
contradictio in adjecto, so viel wie ein „rundes Viereck“. Damit trachtete er
den 15. Juli 1927 in Wien als Bestätigung für die falsche Analyse
heranzuziehen, wonach sich die Arbeiterbewegung nicht in der Defensive, sondern
in der Offensive befinde und eine neue revolutionäre Welle vor der Tür stehe.
/4/
In dem Zusammenhang sei deshalb hier daran erinnert, was Lenin in seinem „Brief
an den Parteitag“ vom 24. Dezember 1922 (bekannt als „Lenins Testament“) über
ihn schrieb: „Bucharin ist nicht nur ein überaus begabter und bedeutender
Theoretiker der Partei, er gilt auch mit Recht als Liebling der ganzen Partei,
aber seine theoretischen Anschauungen können nur mit sehr großen Bedenken zu
den völlig marxistischen gerechnet werden, denn in ihm steckt etwas
Scholastisches (er hat die Dialektik nie studiert und, glaube ich, nie
vollständig begriffen).“ /5/
Die wiedergegebenen Passagen entstammen einem Akt des Zentralen
Parteiarchivs der KPÖ, das seit 1993 die Alfred Klahr Gesellschaft verwaltet.
Er ist die Kopie eines Mikrofilms aus dem Kominternarchiv in Moskau, der
anfangs der siebziger Jahre Friedl Fürnberg als dem damaligen Vorsitzenden der
Historischen Kommission beim ZK der KPÖ ausgehändigt wurde. Nachdem der Text im
Jahr 1987 von Winfried Garscha auszugsweise zur Veröffentlichung kam /6/ wird
er hier erstmals ungekürzt und in vollem Wortlaut wiedergegeben. Der Gefertigte
hat nur einige wenige rhetorische Ungeschliffenheiten im Beitrag Bucharins, der
als Russe seine Stellungnahme in deutscher Sprache abgab, leicht verbessert.
Protokoll Nr.102 der Sitzung des Präsidiums des EKKI vom 16. September 1927
Anwesend: Bucharin, Kuusinen, Roy, Humbert-Droz, Murphy, Katayama, Maggi,
Losowsky, Kreibich, Schüller, Mehring, Schatzkin, Vujowitsch, Fürnberg, Badulescu,
Baktschewitsch, Semanen, Jablonsky, Smoliansky, Tschernyn, Wassiljew, Abramow,
Rait, Johnson, Kachan, Demard, Glaubauf, Kurella, Grollmann, Schubin, Heimo.
Behandelt: 1. Belgische Gewerkschaftsfrage; 2. Österreichische Frage
Gen. Bucharin: Falls einige Genossen das fordern, dann bitte ich den Gen.
Kuusinen, doch einen kurzen Bericht zu geben.
Gen. Kuusinen: Ich habe nur in der letzten Zeit an den Arbeiten der
Kommission teilgenommen. Gen. Remmele führte die Arbeiten am Anfang, er ist
jedoch augenblicklich nicht anwesend. Es gibt also keinen Genossen, der einen
ganzen Überblick geben könnte.
Gen. Bucharin: Vielleicht gestatten Sie mir dann, eine kurze Einleitung zu
geben. Bei der ersten Besprechung der österreichischen Frage spielten in der
Diskussion zwei Hauptmomente eine Rolle: 1. die Einschätzung dieser Bewegung,
ob es ein Aufstand war oder nicht - es waren einige Genossen, die die Meinung
vertraten, daß es kein Aufstand, sondern nur eine Massenbewegung war -, und 2.
die Frage über die Parole der Arbeiterräte.
Zuerst einige Worte über die Einschätzung der Ereignisse, die wir in Wien
hatten. Wir haben uns mit der Frage befaßt, warum es möglich war, daß während
dieser Erhebung wirklich die großen Massen der Arbeiterschaft trotz
sozialdemokratischer Führung und gegen sie doch eine große Massenbewegung
imstande waren zu entwickeln. In der Diskussion über diese Frage war mehr oder
weniger die Meinung vertreten worden, daß das teilweise mit der allgemeinen
Situation und teilweise mit den spezifischen Entwicklungen in Österreich
verbunden ist. Die Arbeiterschaft stand unter dem Einfluß der SP wegen der
spezifischen Lage in Österreich. Die Sozialdemokratie hatte einerseits eine
große Kraft deswegen, weil sie besonders mit den Mitteln der Kommunalpolitik
doch etwas für die Arbeiterschaft leistete vom Standpunkt der kleinlichen
Dinge. In den Händen der Sozialdemokratie war das kein Mittel, um, von diesen
reformistischen Eroberungen ausgehend, die Revolution zu propagieren, aber sie
war imstande, mit der linken Phrase diese Politik zu decken und der
Arbeiterschaft immer zu sagen, daß sie die wirkliche Kraft in Österreich ist.
Sie verstand es also, eine Psychologie bei der Arbeiterschaft zu produzieren,
sodaß ziemlich große Schichten der sozialdemokratisch und gewerkschaftlich
organisierten Arbeiter doch das Gefühl hatten, daß sie eine Kraft sind, die
ziemlich viel zu realisieren imstande ist. Dann kam die Situation des
verschärften Klassenkampfes, und gerade das, was die Arbeiterschaft als wahr
betrachtete, was aber in Wirklichkeit eine heuchlerische Phrase der
Sozialdemokratie war, diese Psychologie, die teilweise von der Sozialdemokratie
geschaffen wurde, verwandelte sich in ein Instrument gegen die
Sozialdemokratische Partei, die während der großen Ereignisse nicht an die
Anwendung der Machtmittel dachte, an die Diktatur des Proletariats usw.,
sondern sie anwandte mit der Polizei gegen die Empörung der
sozialdemokratischen Arbeiter.
Diese Serie der Fragen haben wir damals in der Diskussion besprochen, und
dementsprechend gibt es verschiedene Passuse in der Resolution, die
dementsprechend die Situation analysieren.
Das zweite Problem, das in der Diskussion aufgerollt wurde, war die Frage der
Bewertung des Aufstandes, ob es ein wirklicher Aufstand war oder nicht. Hier
haben wir gekämpft gegen die Auffassung, die diese Bewegung einschätzt als ob
es kein wirklicher Aufstand war. Einige Genossen vertraten die Meinung, daß
dies kein Aufstand war, weil er nicht organisiert war. Das ist eine absolut
falsche Einschätzung. Niemals kann man behaupten, daß ein Aufstand nur dann die
Bedeutung eines Aufstandes haben wird, wenn er organisiert ist. Die Wiener
Ereignisse waren ein unorganisierter Aufstand, eine spontane Erhebung, obwohl
nicht im ganz gewöhnlichen Sinne, weil doch die revoltierenden Teile der
Arbeiterschaft sozialdemokratisch und gewerkschaftlich organisiert waren, aber
spontan in dem Sinne, daß die Führung dieser Bewegung vollkommen fehlte. Die
Sozialdemokratie war gegen den Aufstand, sie kämpfte aktiv dagegen, und die
Kommunistische Partei war zu schwach, um ein wirkliches Zentrum dieses
Aufstandes zu bilden.
Im Zusammenhang damit stand das Problem der Arbeiterräte. (Ich halte kein
Referat und berühre nur die Fragen, die in der Diskussion als kritische Fragen
erschienen.) Hier hatten wir die schärfste Diskussion. Der Vertreter der KPÖ,
Genosse Fürnberg, hat die Meinung vertreten, daß die Partei richtig handelte,
indem sie die Parole der Arbeiterräte, die wir gaben, eliminierte und nicht
herausgab. Genosse Fürnberg verteidigte diese Meinung und verteidigt sie,
soweit ich informiert bin, auch noch jetzt. In der allerletzten Zeit haben wir
vom Genossen Fürnberg ein Dokument bekommen, wo er seine Meinung mit der
Resolution des II. Weltkongresses zu rechtfertigen versucht. Die Argumente des
Gen. Fürnberg sind:
„In dem Beschluß des II. Weltkongresses über die Bedingungen, unter welchen
Arbeitersowjets geschaffen werden dürfen, heißt es: „Arbeitersowjets zu
organisieren und sie in Sowjets von Arbeiter- und Soldatendeputierten zu
verwandeln darf man nur bei Vorhandensein von folgenden drei Vorbedingungen:
a) eines revolutionären Massenaufstieges unter den breitesten Massen der
Arbeiter und Arbeiterinnen, der Soldaten und der werktätigen Bevölkerung
überhaupt.“
Diese Bedingung war nach Meinung des Gen. Fürnberg erfüllt.
b) eine derartige Verschärfung der wirtschaftlichen und politischen Krise, daß
die Macht den Händen der früheren Regierung zu entgleiten beginnt.“
„Diese Bedingung war (nach Meinung des Gen. Fürnberg) nicht erfüllt. Gewiß
konnte ein erfolgreicher Fortgang des Kampfes der Beginn einer derartigen
Verschärfung der Krise sein, durch die die relative Stabilisierung zerschlagen
wird und die so vielleicht schon nach kurzer Zeit zur Erfüllung dieser
Bedingung führen kann.“
„c) Wenn in den Reihen der bedeutenden Schichten von Arbeitern und vor allem in
den Reihen der Kommunistischen Partei die ernste Bereitschaft ausgereift ist,
einen entscheidenden, planmäßigen und systematischen Kampf um die Macht zu
beginnen.“ „Es ist klar, daß diese Bedingung nicht erfüllt war, da man
unmöglich von einer Ausreifung der Bereitschaft zu einem entscheidenden,
planmäßigen und systematischen Kampf der bedeutenden Schichten der
Arbeiterschaft im Verlaufe von 24 Stunden sprechen konnte. Gewiß konnte eine
erfolgreiche Fortsetzung des Aufstandes der Beginn eines solchen Prozesses
sein, der unter revolutionären Verhältnissen auch sehr rasch vor sich gehen
hätte können.“
Ich glaube, daß Gen. Fürnberg in dieser Argumentation das Wichtigste nicht
sieht. Er zählt verschiedene Bedingungen der Kommunistischen Internationale auf
und die bekannte Resolution über die Bildung der Sowjets, aber er eliminiert,
daß in Wien nichts weniger als ein Aufstand war, und das ist doch das
Wichtigste. Wir haben über die Parole der Arbeiterräte gesprochen, denn es war
ein Aufstand. Wie sieht das Bild aus, falls wir diese Tatsache nicht
verschweigen, sondern sie in das Zentrum der ganzen Diskussion stellen? Also,
die erste Bedingung war da. Die zweite Bedingung war eine verschärfte
wirtschaftliche und politische Krise. Gen. Fürnberg sagt, diese Bedingung war
nicht erfüllt. Aber wieso war sie nicht erfüllt? Wenn ein Aufstand war, ist das
eine friedliche Situation im Lande? Wie kann man sagen, daß das keine Krise war
in der Zeit des Aufstandes? Welche Verschärfung der Krise hat man denn, wenn
nicht bei einem Aufstand? Sie sagen, diese Bedingung war nicht erfüllt, genauer
gesagt: nicht in höchster Form. Aber es waren doch einige Tage des
Bürgerkrieges im Lande. Das ist doch die schärfste Form der gesamten sozialen
Lage in einem gewissen Sinne und eine Form der Krise in einem gewissen Sinne.
Gen. Fürnberg eliminiert diese Tatsachen, die am wichtigsten erscheinen,
vollständig. Er schreibt die Sache so, als ob es kein Aufstand gewesen wäre,
und das ist unrichtig. Die Bedingung ist also erfüllt in potenzierter Form. Es
scheint, als ob man eine Resolution nimmt und sagt: wenn eine von den zwanzig
Bedingungen nicht erfüllt ist, dann paßt die ganze Resolution nicht. So eine
Resolution zu buchstabieren paßt nicht, denn es können Fälle sein, daß eine der
Bedingungen nicht erfüllt ist, aber es noch Extra-Bedingungen gibt, von denen
hier keine Rede ist, die aber alle nicht vorhandenen Bedingungen kompensieren.
Hier wurde gesagt, daß die KP nicht planmäßig an die Eroberung der Macht gehen
wollte. Das ist richtig, aber gerade darin liegt der Fehler. In der Resolution
des II. Weltkongresses steht etwas über die Aufgaben unserer Partei. Die
Resolution ist so geschrieben, daß sie die Situation in der Partei als
objektive Bedingung darstellt. Aber daß in der Partei kein solcher Wille da war
deswegen, weil die Partei nicht imstande war, die ganze Situation zu begreifen,
das ist gerade der Fehler der Partei. Natürlich hätte man in den Bedingungen
schreiben können: „Unter den verschiedenen Voraussetzungen zur Bildung der
Arbeiterräte muß auch eine Vorbedingung sein, nämlich, daß die Führung der KP
begreift, daß man um die Macht kämpfen muß und deswegen Arbeiterräte bilden
muß“. Man sagt, daß die Partei recht hatte, weil sie diese Parole nicht
verstanden hat. Das aber ist die Anerkennung ihrer Fehler und nicht eine
Entschuldigung für die Partei. Natürlich kann man alles beweisen. Wir haben
daran nicht gedacht, aber in der Resolution des II. Weltkongresses heißt es:
wenn die Partei daran nicht denkt, so kann man es nicht realisieren. Damit ist
die Fragestellung über die Möglichkeit der Arbeiterräte bei den Fehlern der
Partei eliminiert, dann darf man nicht darüber diskutieren, ob die Partei recht
hatte oder nicht. Wir diskutieren aber gerade darüber, ob es richtig war, daß
die Parteizentrale diese Parole nicht aufstellte, weil sie die Situation nicht
verstanden hat oder ob sie unrichtig gehandelt hat.
Dann kann man aber sagen, daß die Resolution doch darüber spricht, daß die
breitesten Schichten der Arbeiterschaft sich dessen bewußt sein sollten, daß
sie um die Macht kämpfen, und daß dieses Bewußtsein bei den arbeitenden Massen
in Wien nicht vorhanden war. Das kann ich anerkennen. Es ist sehr
wahrscheinlich, daß die Situation so war, daß die Massen, die gekämpft haben -
mit den schärfsten Mitteln der Macht -, sich nicht besonders klar dar über
waren, daß es objektiv um den Kampf um die Macht geht. Aber hier gibt es den
Satz, über den ich sprach: Es hat etwas gegeben , das dieses Fehlen
kompensierte. Warum? Der bewaffnete Kampf selbst hat eine neue Situation
geschaffen, und bei Fortgang des Kampfes hätte die Logik dieses Kampfes - über
die Gen. Fürnberg in seinem Dokument kein Wort verliert - zum Kampf um die
Macht geführt. Die objektive Lage mußte die Arbeiterschaft dazu treiben, daß
sie in kürzester Zeit das mit Hilfe der KP verstehen würde. Das, was fehlt,
wenn wir die Resolution des II. Weltkongresses formell analysieren, das wird
tausendmal kompensiert durch die Tatsache des Aufstandes. Ich glaube also, daß
diese Argumente des Gen. Fürnberg nicht stichhaltig sind.
Aber auch materiell - ohne über die Resolution des II. Weltkongresses zu
diskutieren - steht die Frage: Was war das Wichtigste in diesem Moment? Eine elementare
Organisation den Massen zu geben. Was war der größte Widerspruch der
Ereignisse, eigentlich die Wurzel des ganzen Zusammenbruches? Das war der
Widerspruch zwischen den kämpfenden Massen und dem vollständigen Fehlen einer
Führung der Massen. Das ist eine nackte Tatsache. Wie konnte man nun eine
Organisation schaffen unter solchen Bedingungen, unter denen die KP als Partei
und die Parteizentrale der KP als Parteizentrale nicht imstande war und keine
genügende Autorität hatte, um ein solches Zentrum zu bilden? Hier konnte es nur
ein Mittel geben, nämlich Vertretungen der breitesten Massen zu haben,
Vertretungen, mit denen man einerseits die ganze Masse mobilisiert, das Volk
aufrüttelt, und die andererseits ein gewisses organisatorisches Zentrum schaffen.
Und das sind gerade die Arbeiterräte. Ich glaube, daß für die Arbeiterräte die
Grundlage absolut gegeben war. Der Aufstand war hauptsächlich in Wien, einer
Stadt mit konzentriertem Proletariat, mit Großbetrieben, mit einem hohen Grad
der Organisiertheit der Arbeiter, überhaupt einer sehr scharfen Stimmung unter
der Arbeiterschaft, dazu alles in Bewegung begriffen. Also waren alle
Voraussetzungen für solche Organe gegeben, und das Argument, daß man in einigen
Tagen das nicht schaffen konnte, trifft nicht zu. Das ist widerlegt insofern,
als man einen Aufstand in dieser Zeit machen konnte. Und das ist keineswegs
leichter als die Wahl von Arbeiterräten. Darin besteht die Differenz zwischen
uns.
Ich glaube, daß die Kominternresolution dieses Problem ganz richtig beleuchtet.
Wenn Zweifel bestehen, so muß man diese Frage diskutieren. Was alle anderen
Probleme betrifft, die generelle Einschätzung, die Bedeutung des Aufstandes
international, die mögliche Intervention usw., so sind das Probleme, die schon
seit ziemlich langer Zeit in unserer Literatur beleuchtet wurden. Hier gibt es
Beschlüsse und hier herrschen keine eigentlichen Meinungsverschiedenheiten. Das
konkrete und stetige Problem ist das Problem der Arbeiterräte während des
Aufstandes. Was die positiven Teile des Resolution betrifft, die Aufstellung
verschiedener revolutionärer Parolen, so gab es hier keine Diskussion und keine
strittige Frage. So ist die Lage. Ich glaube daher, daß wir in erster Linie den
Komplex der Fragen im Zusammenhang mit der Parole der Arbeiterräte und im
Zusammenhang mit der Taktik der österreichischen Partei besprechen sollten.
Gen. Fürnberg: Ich werde hauptsächlich über die Frage der Arbeiterräte
sprechen, aber auch nicht ausführlich, da schon über diese Frage viel
diskutiert wurde. Ich glaube, daß die Diskussion hauptsächlich um die Frage der
Einschätzung des subjektiven Faktors in der Revolution geht. Unserer Auffassung
nach bedeutet die Behauptung, daß der Aufstand zur Diktatur des Proletariats
hätte führen können, eine Unterschätzung der Rolle der Kommunistischen Partei
und eine Überschätzung der Wiener Ereignisse. Die Partei ist, als sie die
Aufstellung der Parole der Arbeiterräte ablehnte, davon ausgegangen, daß die
Aufstellung der Parole der Arbeiterräte nichts anderes ist, als die Frage der
Diktatur des Proletariats unmittelbar auf die Tagesordnung zu stellen. Daß also
der subjektive Faktor eine so große Bedeutung hat und die Partei eine
Verankerung in den Massen haben muß, wenn sie diese Frage unmittelbar auf die
Tagesordnung stellen will. Ich glaube, daß in der Resolution des II.
Weltkongresses, die ich zitierte, im dritten Punkt gerade auf diese Frage
hingewiesen wird. Wenn Genosse Bucharin sagt, daß der Fehler der Partei darin
liegt, daß kein Wille zur Machtergreifung bei ihr vorhanden war, weil sie die
Situation nicht erkannte, so glaube ich, daß man das nicht sagen kann. In der
Resolution heißt es, daß der Wille zur Macht ausgereift sein muß, d.h. daß er
aus gewissen Bedingungen heraus entstehen muß. Das ist eben die Zusammenfassung
dessen, was wir über den subjektiven Faktor denken. Ich glaube, daß man nicht
sagen kann, daß eine solche Ausreifung des Machtwillens am 15. Juli dagewesen
wäre. Gewiß konnten Ereignisse dazu führen, daß sie zum planmäßigen Kampf um
die Macht ausreifen hätten können. Aber das hätte nicht am 15. Juli geschehen
können. Deshalb kann man nur zum Schluß kommen, daß die Partei diese Losung
nicht erst am 15. Juli, sondern schon in der Periode vorher ausgeben hätte
müssen. Wenn man konsequent ist, so muß man zu dieser Auffassung kommen.
(Bucharin: Hat man die Parole des Aufstandes früher aufgerollt?)
Nein. Aber dann steht die Frage, ob bei jedem Aufstand die Parole der
Arbeiterräte zur Diktatur des Proletariats führen muß. Es gibt Möglichkeiten,
wo man feststellen muß, daß es nicht unbedingt zur Diktatur des Proletariats
führen muß und daß man daher nicht überall unbedingt die Parole der
Arbeiterräte aufstellen muß.
Ich glaube, der Aufstand selbst wird überschätzt. Gewiß ist die Behauptung
einiger Genossen unrichtig, daß die Wiener Ereignisse nur eine Massenbewegung
waren und kein Aufstand. Aber man kann nicht sagen, daß es der Bürgerkrieg war.
Faktisch war der Aufstand nur an einem Tag. Es war eine solche Lage, daß am
zweiten Tag der Generalstreik abgebrochen wurde, d.h. eben, daß der spontane
Aufstand keine Kraft hatte, um weiterzugehen. Wenn der Aufstand eine
organisierte Kraft gehabt hätte, so hätte er zum Bürgerkrieg führen können, und
es wäre notwendig gewesen, die Parole der Arbeiterräte aufzustellen. Aber weil
der subjektive Faktor nicht so stark war, daß die Frage der Revolution auf der
Tagesordnung stand, darum war es so, daß der Aufstand in vierundzwanzig Stunden
erledigt war.
Noch ein Wort zu der zweiten Bedingung, die hier in der Resolution des II.
Weltkongresses aufgezählt ist. Ich glaube, man kann nicht sagen, daß durch die
Tatsache allein, daß der Aufstand besteht, die Bedingung erfüllt war. Dort
heißt es: „Eine derartige Verschärfung der wirtschaftlichen und politischen
Krise, daß die Macht den Händen der früheren Regierung zu entgleiten beginnt.“
Man kann den Begriff „Aufstand“ anwenden auf die politische Krise, nicht aber
auf den ersten Teil dieser Bedingung, die Verschärfung der wirtschaftlichen
Krise. Wir hatten am 15. Juli in Österreich die Lage der relativen
Stabilisierung. Mir scheint, daß meine Formulierung hier richtig ist. Ich
glaube, man muß den Aufstand so einschätzen, daß im Falle des siegreichen
Fortgangs des Kampfes die Möglichkeit bestanden hätte, die Stabilisierung zu
zerschlagen und dann die Frage der Arbeiterräte und der Diktatur des
Proletariats auf die Tagesordnung zu stellen.
Das, was Genosse Schatzkin sagte über die Propagierung der Arbeiterräte, halte
ich für richtig. Ich glaube, die Propagierung des Rätegedankens muß mehr in den
Vordergrund gerückt werden. Für die Frage der Arbeit der Partei in der Zukunft
gibt es hier keine Differenzen. Es ist eine Frage der Einschätzung der Kraft
der Partei und des Aufstandes. An eine Wiederholung der Ereignisse in der
nächsten Zeit kann man nicht glauben. Ich glaube, das ist nicht möglich, weil
jetzt eine solche Zunahme der Macht der Bourgeoisie zu verzeichnen ist, daß man
mit einem Aufstand in der nächsten Zeit nicht rechnen kann.
(Schatzkin: Kann das nicht zur Radikalisierung des Proletariats führen? Die
Klassengegensätze haben sich verschärft und dadurch soll die Möglichkeit des
Aufstandes geringer geworden sein?)
Aber die Zunahme der Macht der Bourgeoisie läßt es als nicht wahrscheinlich
erscheinen, daß es zu einem solchen Aufstand kommt. Die Partei ist sich aber
bewußt, daß aufgrund der günstigen Lage, die für sie entstanden ist, für sie
die Möglichkeit besteht, breite Massen zu gewinnen und einen linken Flügel in
der SP zu bilden, die ihr die Möglichkeit gibt, die Parole der Schaffung von
Arbeiterräten herauszugeben, falls wieder eine Verschärfung der Lage eintreten
sollte, umsomehr, als eine Propaganda für die Idee der Arbeiterräte unternommen
werden kann.
Anmerkungen:
1/ Allgemein dazu: Die Ereignisse des 15. Juli 1927. Protokoll des Symposiums
in Wien am 15. Juni 1977. Wien 1979; Winfried R. Garscha/Barry McLoughlin, Wien
1927. Menetekel für die Republik. Wien–Berlin 1987.
2/ Winfried R. Garscha, Die Komintern und die Wiener Juliereignisse 1927, in:
Archiv. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung. Wien 1987, S.
183.
3/ W.I. Lenin, Marxismus und Aufstand, in: W.I. Lenin, Werke, Band 26, S. 10.
4/ Die Kommunistische Partei Österreichs. Beiträge zu ihrer Geschichte und
Politik. Wien 1987, S. 123.
5/ W.I. Lenin, Brief an den Parteitag, in: W.I. Lenin, Werke, Band 36, S. 579.
6/ W.R. Garscha, Die Komintern und die Wiener Juliereignisse, a.a.O., S. 185f.
Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 2/1997
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