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Gerhard Oberkofler: Die Wahl von Leo Stern in die Deutsche Akademie der
Wissenschaften (1955)
Aus Anlaß eines akademischen Hochamtes zum einhundertjährigen Jubiläum der
Rechtswissenschaft im Hause am Wiener Ring 1884 – 1984 erinnert das wirkliche
Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Werner Ogris an den
Lehrbetrieb an der Wiener Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät im
Wintersemester 1945/46: „Ludwig Adamovich, Alfred Verdroß, Alexander
Hold-Ferneck, Hans Mayer, Alexander Mahr, Dekan /Ferdinand/ Degenfeld und
Wilhelm Winkler betreuten den staatswissenschaftlichen Abschnitt. Zu allem
Überfluß hatte ein Herr Stern, Professor der Universität Moskau, noch eine
zweistündige „Gesellschaftslehre” und „Staatstheorie des Marxismus”
angekündigt”./1/
Was hat das Wiener Akademiemitglied zu dieser abschätzigen Bemerkung über
Leo Stern (1901-1982) veranlaßt? Völlige Unkenntnis - ja, aber auch die Pflege
der Illusion, die Universität müsse unpolitisch sein, und der in Österreich
selbstverständliche antisemitische und antikommunistische Reflex werden
deutlich. Dies umsomehr, als es Ogris offenkundig nicht störte, daß der
militant-deutschvölkische Alexander Hold-Ferneck (1875-1955) sich noch 1952
rühmte, die Nazis in ihrem Kampf gegen den Friedensvertrag von Versailles
unterstützt zu haben./2/ Im übrigen hatte das Professorenkollegium der Wiener
Juristenfakultät in seiner Sitzung am 23. Juli 1945 auf Antrag von Rektor
Ludwig Adamovich (1890-1955, Verfassungsrecht), Hans Mayer (1879-1955,
Nationalökonomie) und Alfred Verdroß (1890-1980, Völkerrecht) selbst den
Beschluß gefaßt, es möge dem Staatsamt vorgeschlagen werden, Leo Stern für das
Wintersemester 1945/46 als Gastprofessor zu bestellen und ihn einzuladen, eine
dann von Alfred Verdroß mit Begrüßungsworten eröffnete zweistündige Vorlesung
über „Die Gesellschafts- und Staatstheorie des Marxismus” zu halten./3/ Dabei
ist nicht auszuschließen, daß die Wiener Juristenfakultät bei ihrer Initiative
im Hinterkopf an die „Russen” dachte. Der aus Wien vertriebene Chemiker Fritz
Feigl (1891-1971), der seine Kollegen gut kannte, schreibt an den ebenfalls vor
den Nazis geflüchteten Engelbert Broda (1910-1983): „Unsere österreichischen
Kollegen, gestern noch Nazi, werden heute, da die Russen in Wien sind,
wahrscheinlich inzwischen Kommunisten geworden sein und sich als solche
gebärden, bis sie wieder anders können. Dieselben Kerle, die es mir stets
verübelt haben, daß ich durch 28 Jahre abends in der Volkshochschule
Chemiekurse und Laboranten Übungen abhielt, werden jetzt, da die Russen in Wien
sind, wahrscheinlich in Volksbildung machen“./4/
Der Altösterreicher Leo Stern/5/ gehört zu jener von den Nazis aus Österreich
„vertriebenen Vernunft“/6/, die auch nach der Befreiung in Wien keinen
entsprechenden Wirkungskreis erlangen konnte. Jonas Leib (später Leo)
Stern ist am 26. März 1901 in Woloka, einer kleinen in der
Bezirkshauptmannschaft Czernowitz gelegenen Gemeinde mit 2978 Einwohnern im Jahre
1880 in der vormals österreichischen Bukowina,/7/ dort, wo die ärmsten, am
tiefsten verachteten Juden des Habsburgerreiches lebten, als das zwölfte Kind
der verarmten kleinbäuerlichen Familie des Zalman Stern (1861-1902) und der
Henriette geb. Korn (1863-1934) geboren. Vom zehnten Lebensjahr an war Leo
Stern bereits auf den Erwerb seines eigenen Lebensunterhaltes angewiesen. Die
Mittel für den Schulbesuch und zum Studium erarbeitete er sich durch
Stundengeben, Gelegenheitsarbeiten und Stipendien. Die Matura legte Stern 1921
in Czernowitz ab. Leo Stern, der ab 14. Oktober 1921 in Wien gemeldet war,
inskribierte für das Wintersemester 1921/22 mit dem Vornamen Jonas Leib,
deutscher Muttersprache, mosaischer Religionszugehörigkeit und rumänischer
Staatsbürgerschaft an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der
Wiener Universität, an welcher er am 20. Juli 1925 zum Dr. rer. pol.
promovierte./8/ Der selbst aus dem galizischen Brody stammende und in einem
Armenhospital in Paris verstorbene Joseph Roth (1894-1939) setzte dem Schicksal
der revolutionär gesinnten ostjüdischen Studenten in Wien mit seiner
schwermütigen Trauer über Ephraim, dem begabten Sohn des Manes Reisiger, in der
Erzählung „Die Kapuzinergruft” ein literarisches Denkmal: „Er spielt nicht mehr!
Er hat es nicht nötig, sagt er. Er ist Kommunist. Redakteur der ’Roten Fahne‘.
Er schreibt prächtige Artikel.” - so läßt Joseph Roth den Manes Reisiger über
seinen zuerst an der Musikakademie studierenden Sohn Ephraim sprechen, ehe er
ihn, begleitet von den Gebeten des Rabbiner, als erschossenen Rebellen auf dem
Zentralfriedhof beerdigen mußte. Während seiner Studienzeit erlebte Leo Stern,
wie an der Universität Wien rassistische Positionen von führenden Kräften der
Rechts- und Staatswissenschaft und anderer Wissenschaftszweige offen vertreten
wurden und wie schon auf der Universität junge Studenten dazu reif gemacht
wurden, Menschen mit anderer Weltanschauung als minderwertig zu betrachten. Der
Antisemitismus war die im Nazifaschismus endende Grundtendenz des
österreichischen Universitätsmilieus. Die Wiener Landesbürgerschaft, mit der
die österreichische Bundesbürgerschaft erworben wurde, war Leo Stern, damals
wohnhaft im 9. Wiener Bezirk, Porzellangasse Nr. 53, vom Wiener Magistrat,
Abteilung 50, am 20. September 1923 verliehen worden. Das Gelöbnis als
Staatsbürger der Republik Österreich leistete er am 2. Oktober 1923 im
magistratischen Bezirksamt für den 9. Bezirk./9/ Seine unveröffentlichte
Dissertation „Die sozialökonomischen und politischen Grundlagen des
Merkantilismus” ist ebenso wie das Dissertationsgutachten vorerst nicht zu
finden./10/ Als seine Lehrer bezeichnet Leo Stern die Professoren Karl Grünberg
(1861-1940), Max Adler (1873-1937) und Hans Kelsen (1881-1973). Diese übten auf
die wenigen linken Studenten große Anziehungskraft aus, wie Hugo Huppert
(1902-1982), kommunistischer Jugendfunktionär und Kelsen-Schüler, in seinen
Erinnerungen schreibt./11/ Stern war dann nach eigener Mitteilung/12/
wissenschaftlicher Assistent von Max Adler in den Jahren 1925 bis 1932 und
bereitete sich als solcher für eine Habilitation mit einer Arbeit über „Die
Staatstheorie des Marxismus” vor. Diese kam nicht zustande, vor allem weil die
Habilitation eines offenkundig linksstehenden Juden, wie Leo Stern einer war, an
der Wiener Universität schon wenige Jahre nach Gründung der Republik von
vorneherein mit unverhüllten Drohungen verknüpft war. Die
Deutschösterreichische Tageszeitung polemisierte 1923 in scharfer Form gegen
die Habilitation des Physikers Karl Horovitz (1892-1958), „eines
kommunistischen Juden“./13/ Zur selben Zeit stürmten bewaffnete Studenten die
Anatomievorlesung von Julius Tandler (1869-1936) mit den Worten „Juden hinaus!”
und terrorisierten Carl Grünberg. Max Adler hatte sich noch im Frühjahr 1919 an
der Wiener Universität für „Gesellschaftslehre” habilitieren können und 1921
auch den Titel eines außerordentlichen Universitätsprofessors erhalten. Von Leo
Trotzki (1879-1940) ist eine scharfe, nicht unrichtige zeigenössische
Einschätzung überliefert: „Max Adler repräsentiert eine ziemlich komplizierte
Abart des austromarxistischen Typus. Er ist ein Lyriker, ein Philosoph, ein
Mystiker - der philosophische Lyriker der Passivität, wie /Karl/ Renner ihr
Tagesschriftsteller und Rechtsgelehrter /.../.“/14/ Von 1925 bis 1934 leitete
Leo Stern die sozialökonomische Abteilung der „Marxistischen
Studiengemeinschaft” und von 1927 an bis 1934 war er auch als Dozent an der
Wiener Volkshochschule tätig. Er hielt ein- und zweijährige Kurse aus
verschiedenen Gebieten der Nationalökonomie und Soziologie. Vieler seiner
historisch-politischen Arbeiten in den Zeitschriften „Der Kampf“, „Arbeit und
Wirtschaft“, „Die Weltbühne“, „Internationale Rundschau” und Kommunistische
Internationale” erschienen unter den Pseudonymen F. Schneider, L. Taylor und L.
Hofmeister. Seit seinem 17. Lebensjahr gehört Stern der Sozialistischen
Arbeiterjugend, später der SPÖ an und kooperierte in dieser Zeit am linken
Flügel mit Ernst Fischer (1899-1972). Aus dieser Zeit resultiert die
tiefgehende Abneigung, die Leo Stern gegenüber Ernst Fischer empfand, auch wenn
er diese viele Jahre aus Parteidisziplin hintanstellte. In einem Brief vom 11.
September 1968 an Eduard Rabofsky (1911-1994) charakterisiert Leo Stern Ernst
Fischer als „Charakter- und Gesinnungslumpen ohnegleichen, der mit demselben
Eifer, mit der er heute der Reaktion und Konterrevolution dient, seinerzeit in
Moskau sich als Stalinanhänger gebärdete und alles tat, um als `orthodoxer`
Marxist-Leninist zu erscheinen.“/15/ Stern teilte die scharfe Ablehnung
von Ernst Fischer auch mit dem Wiener Schriftsteller Hugo Huppert, den Bertolt
Brecht (1898-1956) 1955 „für seine außerordentliche Übersetzung der
Majakowskischen Dichtung” zum Nationalpreis der DDR vorgeschlagen hatte./16/
Huppert schrieb am 21. Februar 1962 in der „Weltbühne“/17/ einen
Würdigungsartikel zum 70. Geburtstag von Konstantin Fedin (1892-1977) und nahm
dabei offenkundig auf Ernst Fischer Bezug: „Wenn ich an Fedin denke, fällt mir
zuweilen eine Art Gegenpol ein: ein linker Literat und Klugschwätzer in einer
bürgerlichen Demokratie, verkappter Dekadenzanbeter, der sich auch in Drama und
Lyrik versucht. Im Dunst sauersten Schweißes glückt ihm kein Charakter, kein
Seelenbild, keine Menschenregung. Alles glatter Fehlschlag, Humbug. Seine
Gestalten mögen ihren Autor nicht. Ja, wo gebricht`s und was muffelt denn in
seinem Laden? Was ist los mit ihm? Kein Rätselraten. Bekannte Sachen: er liebt
nur sich selbst, der egozentrischer Füllhalter. Kein bißchen Liebe für seine
Geschöpfe. Darum streiken sie. Und sollte solch einer mal kandidieren, werden
auch die Wähler streiken. Da hilft ihm kein Mundwerk. Sie riechen den „Ichling”
auf drei Meilen Distanz. Das ist die Story vom Stümper, vom
Universaldilettanten aus verirrtem Ehrgeiz“. Am 24. Mai 1962 erteilte auf
Wunsch von Ernst Fischer das Politbüro der KPÖ Hugo Huppert deswegen „eine
Rüge“.
An den Juliereignissen 1927 nahm Leo Stern ebenso wie an den Februarkämpfen
1934 aktiv teil. Im Oktober 1933 war Leo Stern, nachdem er schon früher mit
einigen Kommunisten in Kontakt gekommen war, zur KPÖ übergegangen. Mit ihm tat
das auch eine Gruppe von Arbeitern, Studenten und Intellektuellen. Mit Max
Adler hatte er politisch und ideologisch 1931/32 gebrochen. Vom 18. Februar bis
zum 15. Juli 1934 war Leo Stern in Polizeihaft und im KZ Wöllersdorf. Nach
seiner Entlassung arbeitete er noch illegal, in der Studienbibliothek der
Wiener Arbeiterkammer von Viktor Matejka (1901-1993) unterstützt/18/, bis er,
vom Zugriff der Polizei unmittelbar bedroht, auf Beschluß der Parteileitung im
Oktober 1935 das Land verließ, in die Tschechoslowakei ging, dort eine Arbeit
über „Die Geschichte der Linksopposition in der SPÖ” schrieb und dann, wieder
auf Beschluß der Parteileitung, in die Sowjetunion ging. Nach kurzer Tätigkeit
als Lektor an der Internationalen Lenin-Schule meldete er sich freiwillig zu
den Internationalen Brigaden und war vom Jänner 1937 bis April 1938 in den
Reihen der Roten Armee. Im April 1938 kam er an den Verlag für Internationale
Literatur als „Redakteur der Klassiker des Marxismus-Leninismus” und war in
dieser Eigenschaft bis Ende 1939 tätig. Im Juni 1940 wurde er auf Grundlage
seiner Arbeiten, die z. T. in sowjetischen Zeitschriften veröffentlicht worden
waren, vor allem aber im Zusammenhang mit seiner Arbeit über den „Sozialen und
politischen Katholizismus der Gegenwart” auf Betreiben von Klawdija Kirsanowa,
eine führende Persönlichkeit im Volkskommissariat für Unterricht und Leiterin
der Internationalen Lenin-Schule in Moskau, zum Professor für neuere Geschichte
ernannt. In dieser Eigenschaft wirkte er bis Oktober 1941 an der Moskauer
Universität und am Moskauer Pädagogischen Institut. Aufgrund seiner
ausgedehnten Sprachkenntnisse (neben deutsch russisch, englisch, französisch,
italienisch und spanisch) war Leo Stern 1940 durch einige Monate Fachreferent
für ausländische sozialwissenschaftliche Literatur beim Allrussischen Komitee
für Hochschulangelegenheiten. Während seiner Beschäftigung bei Max Adler
schrieb Stern drei umfangreiche Aufsätze: 1. Beiträge zur Geschichte der
österreichischen Arbeiterbewegung; 2. Die verfassungsmäßigen Grundlagen der
Republik Österreich; 3. Ein Querschnitt durch die Wirtschaft Österreich. Die
beiden letzteren Arbeiten sind in der Sowjetunion in den Jahren 1936/37 unter
Mithilfe von Jemelja Jaroslawski und Kirsanowa auszugsweise publiziert worden.
Unter deren Einfluß wandte sich Leo Stern von der Soziologie ab und der
Geschichte zu, obschon gerade zu dieser Zeit in der Sowjetunion die
marxistische Soziologie in breiter Entfaltung begriffen war./19/ Er vertrat
aber weiterhin die Auffassung, daß die bürgerliche Soziologie zumindest den
Irrationalismus der historischen Geisteswissenschaften teilweise überwinde. Leo
Stern schätzte deshalb vor allem Max Weber (1864-1920)./20/
Zu Beginn des Überfalls von Hitlerdeutschland auf die Sowjetunion meldete sich
Leo Stern freiwillig am 7. Juli 1941 an die Front und wurde dem
Volkskommissariat für Verteidigung zur besonderen Verwendung zugeteilt. Im
Frühjahr 1942 schrieb er auch einige Lehrbehelfe über österreichische
Geschichte und die Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung für die
Höhere Parteischule in Kuschnarenkowo. Mit Johann Koplenig (1891-1968)
beteiligte sich Leo Stern an der Schaffung eines Komitees der österreichischen
Freiheitsbewegung. Im Oktober 1942 kam Leo Stern zur kämpfenden Truppe nach
Stalingrad, wo er bis zum Schluß an den Kämpfen teilnahm. Anschließend ging
er bis Mai 1943 an die Südwestfront und übernahm dann bis September 1944
einen militärischen Sonderauftrag in der Etappe beim Sowjetischen
Informationsbüro. Im September 1944 kam er wieder zur kämpfenden Truppe, in
deren Reihen er bis zu Kriegsende verblieb und an der Befreiung Wiens beteiligt
war. Nicht beteiligt war Leo Stern an der vom sowjetischen Oberkommando
betriebenen Reaktivierung von Karl Renner (1870-1950), mit dessen Name eines
der verhängnisvollsten Kapitel der österreichischen Arbeiterbewegung verbunden
ist, wie Leo Stern gegenüber Eduard Rabofsky betonte: „Jetzt werde ich Dir
sagen, daß ich in Hochwolkersdorf einer jener unter den politischen Offizieren
des Armeestabes war, der dauernd und höchst begründet gegen eine Heranziehung
von Renner Stellung nahm. Aber nach einigen Tagen, als zu meinen Ansichten
direkt aus Moskau eine Äußerung kam, erteilte mir General Sheltow, der Leiter
der politischen Abteilung der 3. ukrainischen Front, den Befehl, kein Wort mehr
über Renner von mir zu geben. Daran habe ich mich als Soldat bis heute
gehalten“./36/ Vielleicht hatte Stalin die Auffassung, daß auch ein Sozialdemokrat
wie Dr. Karl Renner, der den Anschluß Österreichs an Deutschland mit einem
„freudigen Ja” begrüßt hatte, aus der Geschichte zu lernen imstande war. Im
Ergebnis wurden die reaktionären historischen Verstrickungen des rechten
Flügels der SPÖ rehabilitiert. Im Oktober 1945 wurde Stern demobilisiert, blieb
aber ein wegen seines Kampfeinsatzes hochangesehener Mitarbeiter der
sowjetischen Kontrollkommission./37/ In der Obersteiermark forcierte Leo Stern
in großen Versammlungen, insbesondere in Bruck a. d. Mur, die Verschmelzung der
SPÖ mit der KPÖ. Es herrschte Begeisterung: „Als ich jedoch nach Wien ins ZK
kam“, so Leo Stern, „haben einige führende Genossen, insbesonders Ernst
Fischer, sich gegen diese Vereinigung gestellt und sofort die Auflösung
veranlaßt.
Dies mit der illusionären Erwartung, daß bei den kommenden Wahlen die
überwältigende Mehrheit (vielleicht 60-70% der Arbeiter) sowieso
`kommunistisch` wählen würden. Es sei daher besser, daß die SPÖ in ihrer ganzen
Nichtigkeit bei diesen Wahlen aufscheine. In Wirklichkeit kam es anders und
zuguterletzt war es das Wiener Neustädter Grundmandat, das überhaupt erst den
Eintritt der KPÖ ins Parlament ermöglichte“./38/ An der Wiener Universität
hielt Stern bis einschließlich Sommersemester 1947 Gastvorlesungen, im
Sommersemester 1946 über „Gesellschaftslehre und Staatstheorie des Marxismus
(mit Übungen)” (2st., Donnerstag 16-18 Uhr), im Wintersemester 1946/47 über
„Probleme des Spätkapitalismus (Kritische Analyse der ökonomischen, sozialen,
politischen und ideologischen Fragen der Gegenwart)” (2st., Mittwoch 16-18 Uhr)
und im Sommersemester 1947 über „Gesellschaftslehre und Staatstheorie des
Marxismus (mit Übungen)” (2st., Donnerstag 16-18 Uhr). Unterm 17. Februar 1947
teilte Leo Stern dem Rektor der Wiener Universität Ludwig Adamovich mit, er sei
„infolge Arbeitsüberbürdung und dienstlicher Verhinderung gegenwärtig nicht in
der Lage“, die Gastvorlesung weiter abzuhalten. Sowohl Rektor Adamovich wie der
Dekan der Juristenfkakultät Rudolf Köstler (1878-1972) drückten darüber ihr
Bedauern aus./39/
Aus Anlaß eines Vorfalles am 1. Mai 1947, bei welchem Leo Stern in
Klein-Pöchlarn während einer Wahlversammlung attackiert und verletzt wurde,
starteten reaktionäre Kräfte, in ihrer antisemitischen Enunziation unterstützt
von der sozialistischen Arbeiter-Zeitung/40/ , gegen Leo Stern heftige
persönliche Angriffe und versuchten ihn zu kriminalisieren. Christian Broda
(1916-1987) analysierte in einem Brief an das „Oesterreichische Tagebuch” vom
14. Juni 1947 den politischen Hintergrund, obschon er sich damals schon der
sozialistischen Partei annäherte. Christian Broda gab der Überzeugung Ausdruck,
„daß es im politischen Kampf innerhalb demokratischer Spielregeln so etwas wie
absolute Grundsätze der persönlichen und menschlichen Anständigkeit jenseits
der politischen Erfolgsberechnung geben kann und sogar geben muß“. Broda weist
darauf hin, daß auch sehr maßgebliche sozialistische Mandatare eigentlich
wissen müßten, „daß Professor Dr. Leo Stern seit seiner Rückkehr nach Wien
nicht nur ein aktiver und loyaler Mitarbeiter am kulturellen Wiederaufbau
Österreichs ist, sondern auch in hilfsbereiter und menschlich großzügiger Weise
zur Verfügung stand, wenn Rat oder persönliche Hilfe benötigt wurde“.
Ein anderer Versuch, Leo Stern zu kriminalisieren, steht im Zusammenhang mit
absurden Vorwürfen, die ihm wegen seiner Tätigkeit für das Staatsarchiv gemacht
wurden. Leo Santifaller (1890-1974), Generaldirektor des Staatsarchivs in jenen
Jahren, bestätigte Stern vielmehr: „Prof. Dr. Leo Stern hat als Historiker die
Bedeutung des Anliegens der Leitung des Staatsarchivs in vollem Umfang erkannt
und zufolge seines hohen dienstlichen Ranges in hohem Maße gefördert. Es darf
somit festgehalten werden, daß die frühzeitige Aufnahme der wichtigen Tätigkeit
des Staatsarchivs unter den damaligen schwierigen Umständen zufolge des Wirkens
von Prof. Dr. Leo Stern bedeutend erleichtert wurde“./41/ Leo Santifaller war
bis zur Niederlage des Faschismus ein durch seine römisch-katholische Tradition
etwas gemilderter Vertreter des machtstaatorientierten deutschen Historismus.
Nach 1945 war er einer der initiativsten österreichischen Historiker, der mit
klarem Verstand einen weltoffenen und zugleich durchaus die österreichischen
Interessen wahrenden Standpunkt eingenommen hat. Am 13. Jänner 1955 wurde
Santifaller auf Anregung des Präsidenten der Monumenta Germaniae Historica
Friedrich Baethgen (1890-1972) und von Fritz Hartung (1883-1967) zum
korrespondierenden Mitglied der Berliner Akademie gewählt./42/ Leo Stern hatte
im Staatsarchiv seine früheren Quellenstudien zur Geschichte der Jakobiner als
Träger der Ideen von Freiheit, Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit
fortgesetzt. Dabei entdeckte er in den Vertraulichen Akten des Haus-, Hof- und
Staatsarchivs die Einwände des Vizepräsidenten der Obersten Justizstelle, Karl
Anton Freiherrn von Martini (1726-1800), gegen das von allerhöchster Stelle
inszenierte ad hoc „Halsgericht“. Das Erbe der Jakobiner für die
Arbeiterbewegung zu erschließen, war ihm als Historiker ein wichtiges Anliegen.
Das gelang ihm in Wien trotz vielfältiger Bemühungen nicht. Im Herbst 1949
reiste er nach Budapest, um über die Möglichkeit gemeinsamer
Forschungsaktivitäten zu verhandeln. Auf seine Initiative wurde auf der
Ungarischen Historiker-Tagung im Juni 1953 ein Kolloquium über die
Jakobinerverschwörung in Österreich abgehalten. Wie wichtig er dieses Thema
einschätzte, zeigt sein Vortrag über „Die Jakobiner-Verschwörung in Österreich
1794” aus Anlaß seiner Ehrenpromotion am 28. März 1961 in Halle-Wittenberg./43/
Leo Stern, der in Wien die aus dem antifaschistischen Widerstand kommende Alice
Melber geheiratet hatte, nahm Anfang 1950 eine Berufung an die
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg als Professor für neuere Geschichte
unter besonderer Berücksichtigung der Arbeiterbewegung an, die vom Minister für
Volksbildung in der Landesregierung Sachsen-Anhalt mit Wirkung vom 1. März 1950
ausgesprochen worden war./44/ Damit erhielt die DDR den fünften ausgesprochen
marxistischen Historiker. Jürgen Kuczynski (1904-1997), Alfred Meusel
(1896-1960) und Walter Markov (1909-1993), der zeitweise auch in Halle
lehrte/45/, waren 1946/47 gekommen, Ernst Engelberg 1949. In Halle amtierte von
1948 bis 1951 der 1947 berufene Historiker Eduard Winter (1896-1982) als
Rektor./46/ Winter und Stern kannten sich aus ihrer gemeinsamen Tätigkeit am
Wiener Institut für Wissenschaft und Kunst, an dem sich nach der Befreiung eine
Gruppe von Wissenschaftlern organisiert hatte, die an einen Neuanfang der
österreichischen Wissenschaft durch Kooperation aller an einer illusionsfreien
und realitätsbezogenen Welt interessierten Kräfte dachten. Zu einer
weitergehenden Zusammenarbeit zwischen Leo Stern und Eduard Winter kam es in
der Folge aber nicht. Für die von Leo Stern mitherausgegebene dreibändige
Festschrift zum 450-Jahrjubiläum der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
wurde im November 1952 ein vom inzwischen an der Berliner Humboldt-Universität
lehrenden Eduard Winter angebotener Artikel wegen nicht näher qualifizierter
„kulturträgerischer Diktion” abgelehnt./47/ Dies, obschon Eduard Winter in
Halle mit der Durchforschung des reichen Archivs der Franckeschen Stiftung
begonnen hatte und über die Beziehungen der Halleschen Pietisten, die mit
kirchlichen Zielen auch wirtschaftliche und politische Interessen verbanden, zu
Rußland zu arbeiten und publizieren begonnen hatte. In einem Brief vom 30.
September 1963 an den Präsidenten der Deutschen Akademie Werner Hartke
(1907-1993) klagte Winter darüber, „wie schlecht noch die Zusammenarbeit der
wenigen aktiven Forscher in der DDR ist“./48/ Eduard Winter erschien Leo Stern
politisch nicht ganz zuverlässig, wozu er aber auch im Blick zurück keine
tatsächlichen Anhaltspunkte haben konnte. Wohl aber gab es immer wieder, nicht
zuletzt von klerikaler Seite in die Welt gesetzte Gerüchte wegen Winters
angeblicher Zusammenarbeit mit den Nazis in Prag. Leo Stern waren allerdings
Intelligenzler schon zuhauf begegnet, die die Arbeiterbewegung verraten und
verlassen hatten. Seine Reserven gegenüber Winter könnten darauf beruhen. Die
Distanz zwischen Eduard Winter und Leo Stern wurde im Rahmen der Berliner
Akademie der Wissenschaften nicht geringer, zumal Leo Stern seinen Wohnsitz in
Halle behielt und nicht nur wissenschaftliche Interessen pflegte. Die üblichen
akademischen Eitelkeiten und Streitigkeiten, die Eifersüchteleien, das
Geklatsche, wie es zum System der universitären Institutionen gehört, waren
nicht überwunden. Distanziert war im übrigen auch das Verhältnis von Leo Stern
und Jürgen Kuczynski, der ihn in seinen Erinnerungen völlig ignoriert.
Insgesamt wurde Leo Stern aber einer der einflußreichsten Historiker der
DDR/49/, der die Auseinandersetzung mit den Spitzenvertretern der bürgerlichen
Geschichtswissenschaft Westdeutschlands wie Hermann Heimpel (1901-1988) oder
Gerhard Ritter (1888-1967) mit ihren desorientierenden, reaktionären
Interpretationen aufnahm./50/ Leo Stern hatte jene Diskussion über die
postfaschistischen Kontinuitäten deutschen historischen Denkens geführt,
die von der heutigen Historikergeneration als notwendig und neu angeboten wird.
Am 24. Februar 1955 wurde Leo Stern zum Ordentlichen Mitglied der Akademie der
Wissenschaften der DDR gewählt./51/
Der zum Erfolg führende Wahlantrag für Leo Stern vom 29. Dezember
1954 war von Alfred Meusel formuliert und von Wolfgang Steinitz
(1905-1967) unterstützt, beide zählten zu den profiliertesten
Wissenschaftlern im damaligen Berlin. Alfred Meusel/52/ war von Haus aus
Soziologe, er hatte sich 1923 mit einer Arbeit „Zur Soziologie der
Abtrünnigen“, die sich mit dem psychoanalytischen Irrationalismus von Sigmund
Freud (1856-1939) auseinandersetzt, an der Technischen Hochschule in Aachen für
Sozialökonomik und Soziologie habilitiert. Der Hauptreferent Carl Max Maedge (1884-1969)
hatte damals in seinem Gutachten gemeint, „dass die Postulate eines
kulturhistorischen Wissens im Allgemeinen und der historischen Kenntnis der
Revolutionen im Besonderen und endlich die Kenntnis der modernen
psycho-analytischen Literatur erfüllt sind, und dass darüber hinaus der
Verfasser /Meusel/ mit kluger Beobachtung auch die von ihm selbst erlebten
Revolutionen (bzw. Gegenrevolutionen) zu fruktifizieren weiss. Auch die
nichtdokumentare Literatur über ältere Revolutionen und die Schriften moderner
Revolutionäre, die Parteikämpfe und - Standpunkte sind berücksichtigt“./53/
Erstaunlich, wie in Aachen in einer Zeit, in der die Reaktion voll durchschlug,
über die Annäherung von Meusel an die materialistische Geschichtsauffassung und
die antisemitisch verpönte Psychoanalyse debattiert wurde! Wolfgang Steinitz,
ein enger Freund von Jürgen Kuczynski, war auf den Gebieten der
Sprachwissenschaft, der Volkskunde und der Literaturforschung eine Autorität
von Weltruf./54/
Der von den Akademiemitgliedern Wilhelm Unverzagt (1892-1971), Arthur
Baumgarten (1884-1966), Ernst Hohl (1886-1957) und Asmus Petersen (1900-1962)
schon unterm 24. April 1952 eingereichte Wahlvorschlag war ohne Erfolg
geblieben. Das zeigt doch sehr deutlich, welche Durchsetzungsprobleme die wenigen
aktiven Kommunisten bei ihren bürgerlich denkenden und handelnden
Wissenschaftlerkollegen in der Anfangsperiode der Deutschen Demokratischen
Republik hatten./55/ Arthur Baumgarten hatte am 2. Dezember 1952
separat gegenüber dem Präsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften
Walter Friedrich (1883-1968) auf die notwendige Zuwahl von Leo Stern aufmerksam
gemacht. Er tat dies auf Aufforderung hin und nannte dabei mit Stern noch
Eduard Winter (gewählt am 24. Februar 1955), Alfred Meusel (gewählt am 19.
Februar 1953), Hilde Benjamin (1902-1989, nicht gewählt), Fred Oelssner
(1903-1977, gewählt am 19. Februar 1953) und Jürgen Kuczynski (gewählt am 24.
Februar 1955).
Arthur Baumgarten wird von Hermann Klenner als „der bedeutendste
Rechtsphilosoph, den das deutsche Bürgertum in der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts hervorgebracht hat“, angesprochen./56/ Auf ihn muß hier besonders
aufmerksam gemacht werden, weil seine Persönlichkeit den Wissenschaftsprozeß in
der Frühzeit der Deutschen Demokratischen Republik ebenso unterstreicht wie Leo
Stern. Arthur Baumgarten hat als Rechtslehrer in Frankfurt a. M. die in
quasiverfassungsmäßigen Formen vollzogene Machtübernahme der Nazis erlebt und,
wie sein Schwager Jean Rudolf von Salis (1901-1996) schreibt, das deutsche
Bürgertum beschuldigt, in dieser Krise versagt zu haben./57/ Arthur Baumgarten
war es, wie er schreibt, unmöglich, an einer Universität eines faschisierten
Landes Vorlesungen über Strafrecht und Rechtsphilosophie zu halten,/58/ und
bereitete seine Emigration vor, indem er mit der Universität Basel, wo er von
1923 bis 1930 als Ordinarius für Strafrecht und Strafprozeßrecht tätig gewesen
war, Verbindung aufnahm./59/ Diese war sofort bereit, ihm mit Beginn des
Wintersemester 1933/34 einen Lehrauftrag für „Rechtsphilosophie und verwandte
Gebiete” zu geben: „So kommt er nicht ins Konzentrationslager!” schreibt von
Salis an seine Mutter./60/ Den Baseler Unterrichtsbehörden bezeugte
Baumgarten noch am Ende seines Lebens seine Dankbarkeit./61/ Nach Ende des
Faschismus kehrte Baumgarten nach Deutschland zurück, und zwar in die
Sowjetische Besatzungszone Deutschlands, also vom reichen und ruhigen Basel, wo
er 1944 die Schweizer Partei der Arbeit mitbegründet hatte, in das
bombenzerstörte, arme Berlin, um sich hier in der Überzeugung, daß der Mensch
die Umstände ändern kann, an der Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft
aktiv zu beteiligen./62/ Seine Frau Helene geb. von Salis war mit Ricarda Huch
(1864-1947), der kämpferischen Humanistin, eng befreundet./63/ Für die
österreichische Geschichtswissenschaft konnte sich Leo Stern in Halle und
Berlin nicht mehr engagieren, wobei deren amtliche Universitätsvertreter daran
ohnedies kein Interesse hatte. Eine von Leo Stern geplante Geschichte der
ersten Republik kam nicht zustande. Seine Vorlesungen über „Allgemeine
Geschichte der Neuesten Zeit von 1918-1939“, die im Archiv der Berliner
Akademie im Typoskript ausgearbeitet überliefert sind, beinhalten zahlreiche
Passagen über Österreichs Geschichte nach 1918.
Anmerkungen:
1/ Werner Ogris: 1884-1984. Einhundert Jahre Rechtswissenschaft im Hause am
Ring. Schriftenreihe des Universitätsarchivs 3. Wien 1986, 43-64, hier 59.
2/ Selbstdarstellung in: Österreichische Rechts- und Staatswissenschaften
der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Hg. von Nikolaus Grass. Innsbruck 1952,
93-103, hier 100 f.; dazu Peter Goller: Naturrecht, Rechtsphilosophie oder
Rechtstheorie? Zur Geschichte der Rechtsphilosophie an Österreichs
Universitäten (1848-1945) (= Rechts- und SozialWissenschaftliche Reihe 18).
Frankfurt 1997, 194-196.
3/ Jur. Dekanatszahl 601 aus 1945 vom 25. Juli 1945. Universitätsarchiv Wien;
Volksstimme vom 21. Oktober 1945.
4/ Brief vom 24. Juli 1945. Abgedruckt in: Gerhard Oberkofler und Peter Goller:
Fritz Feigl (1891-1971). Hg. von der Zentralbibliothek für Physik in Wien. Wien
1994, 58 f., hier 59.
5/ Brigitte Hering: Einblick in ein reiches Wissenschaftlerleben. Zum 80.
Geburtstag von Prof. Dr. Dr. h.c. Leo Stern. Neues Deutschland 27. März 1981;
Conrad Grau: Leo Stern. 1901 bis 1982. In: Wegbereiter der
DDR-Geschichtswissenschaft. Biographien. Berlin 1989, 318-340. Dort auch
weitere Literaturhinweise. Eine Bibliographie von Leo Stern bis 1961 findet
sich in: Die Volksmassen. Gestalter der Geschichte. Festgabe für Prof. Dr. Dr.
h.c. Leo Stern zu seinem 60. Geburtstag. Hg. von Hans-Joachim Bartmuß et al.
Berlin 1962, 559-572. Deutsche Biographische Enzyklopädie Bd. 9 (1998), 514.
Biographische Details stützen sich auf die von Leo Stern der Berliner Akademie
der Wissenschaften überlassenen Materialien.Viele Hinweise verdanke ich dem
wiss. Leiter der Alfred Klahr-Gesellschaft Dr. Willi Weinert in Wien.
6/ Friedrich Stadler: Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil
österreichischer Wissenschaft. Wien 1988, 34 f. und öfter.
7/ Vollständiges Ortschaften-Verzeichnis der im Reichsrathe vertretenen
Königreiche und Länder nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 31. December
1880. Hg. von der k.k. statistischen Central-Commission in Wien. Wien 1882. 2.
A.
8/ Nationale für das Wintersemester 1921/22 und Doktorenbuch der Wiener
Juristenfakultät. Archiv der Universität Wien.
9/ Aufnahmeschrift des magistratischen Bezirksamtes für den 9. Bezirk vom 2.
Oktober 1923, IX - 7333 aus 1923 aufgrund der Verfügung des Wiener Magistrats,
Abtlg.50, als politische Landesbehörde vom 20. September 1923, M.Abt.
50/III/15872/1923. Laut Aktenauszug des Bezirksamtes für den 9. Bezirk vom 12.
April 1923 war die Bezirksvertretung für die Gewährung des am 28. November 1922
eingebrachten Gesuchs von Leo Stern um die Wiener Landesbürgerschaft
eingetreten, das Bezirksamt stellte dagegen den Antrag auf Abweisung „wegen des
zu kurzen Aufenthaltes u. des gänzlichen Mangels von Gründen für die
Gesuchsgewährung“. Dem Wiener Stadt- und Landesarchiv besten Dank für
Aktenkopien!
10/ Frld. Mitteilung von Universitätsarchivar HR Dr. Kurt Mühlberger (Wien)
11/ Hugo Huppert: Die angelehnte Tür. Bericht von einer Jugend. Mitteldeutscher
Verlag Halle/Saale 1976. Siehe auch Gerhard Oberkofler und Peter Goller: Der
junge Alfred Klahr im Umfeld der Kelsen-Schule (1928). Alfred Klahr
Gesellschaft. Mitteilungen. 4. Jg./Nr. 1, März 1997.
12/ Lebenslauf von Leo Stern vom 5. Juli 1950. Akademiearchiv Berlin.
13/ Vgl. Peter Goller: Ein starkes Stück. Versuchte Habilitation eines Kommunistischen
Juden. Universitäten im Lichte politischer und rechtlicher Willkür am Beispiel
des Habilitationsverfahrens von Karl Horovitz (1892-1958) an der Wiener
Universität 1923-1925. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes.
Jahrbuch 1998, 111-134.
14/ Leo Trotzki: Terrorismus und Kommunismus. 1920, 149. Zu Max Adler siehe
Alfred Pfabigan: Max Adler. Eine politische Biographie. Frankfurt/New York
1982. Hier wird Leo Stern nicht genannt. Im rechtsphilosophischen Zusammenhang
orientiert Peter Goller: Naturrecht, Rechtsphilosophie oder Rechtstheorie? Zur
Geschichte der Rechtsphilosophie an Österreichs Universitäten (1848-1945)
(=Rechts- und Sozialwissenschaftliche Reihe 18). Frankfurt a. M. 1997, 326-345.
15/ Gerhard Oberkofler: Eduard Rabofsky. Jurist der Arbeiterklasse.
Innsbruck-Wien 1997, 132. Siehe dazu Ernst Fischer: Stalin und sein Werk.
Volksstimme vom 15. März 1953.
16/ Neue Deutsche Literatur 3 (1955), Heft VIII, 115.
17/ Die Weltbühne XVII. Jg. vom 21. 2. 1962, Nr. 8.
18/ Viktor Matejka: Widerstand ist alles. Notizen eines Unorthodoxen. Wien
1984, 155 f.
19/ Vgl. Jürgen Kuczynski: Bemühungen um die Soziologie. Berlin 1986.
20/ Vorlesung „Geschichte und Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung des
19. und 20. Jahrhunderts“. Akademiearchiv Berlin.
21/ Wer war Wer in der DDR. Ein biographisches Handbuch. Fischer Taschenbuch
Verlag 1995, 713 (die dort detailliert angegebenen biographischen Daten dürften
aus den Kaderakten des Instituts für Marxismus-Leninismus geholt worden sein);
Deutsche Biographische Enzyklopädie Bd. 9 (1998), 515.
22/ Dr. Heinz Dürmayer: Von der Universität Wien zur Universität Madrid. Ein
großer österreichischer Internationalist im spanischen Bürgerkrieg. Volksstimme
vom 11. Juli 1976. Darnach auch die folgenden Angaben über Manfred Stern.
23/ Ludwig Renn: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Band 6. Berlin 1968, 77
(Im Spanischen Krieg).
24/ Ruth von Mayenburg. Hotel Lux. Ullstein Sachbuch 1981, 105 f.
25/ Archiv der Alfred Klahr-Gesellschaft. Mappe M (Politisches Archiv).
26/ Horst Schumacher: die Kommunistische Internationale (1919-1943). Berlin
1979, 88 f.
27/ Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands. Suhrkamp Verlag 1983, 278 f.
28/ Siebenter Band. Leipzig 1964, 769.
29/ Akademiearchiv Berlin. Durchschlag des maschinegeschriebenen Originals.Im
Verlag Rütten & Loening Berlin 1956 (40 Seiten) veröffentlichte Leo Stern
seinen Vortrag (18. Juli 1956) „Der Freiheitskampf des spanischen Volkes
1936-1939“, in welchem er es als eine vordringliches Anliegen bezeichnete, die
Geschichte der Internationalen Brigaden, „ein Ruhmesblatt zugleich in der
Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung und des antifaschistischen
Kampfes“ (19), lebendig zu halten. Seinen Bruder Manfred konnte er bei dieser
Gelegenheit noch nicht erwähnen.
30/ Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung Bd. 5 (Berlin 1966), 154 und 157.
31/ Akademiearchiv Berlin. Durchschlag des maschinegeschriebenen Briefes.
32/ K. A. Merezkow: Im Dienste des Volkes. Militärverlag der Deutschen
Demokratischen Republi. Berlin 2. A. 1972, 126.
33/ Moskau 1975, 252.
34/ Heinrich Dürmayer w.o.; Eduard Rabofsky: Parteigeschichte und Widerstand.
Weg und Ziel 1990, 350-353.
35/ Akademiearchiv Berlin. Durchschlag des maschinegeschriebenen Briefes vom
21. November 1977.
36/ Oberkofler, Rabofsky, 79.
37/ Z.B. berichtet Josef Meisel: Erinnerungen eines ausgeschlossenen
Kommunisten 1945-1970. Wien 1986, 27: „Wo immer er /Leo Stern/ aufgetaucht ist,
wurde er von den sowjetischen Kommandanturen, die sich oft auch gegenüber der Kommunistischen
Partei und den kommunistischen Funktionären reserviert verhalten haben, mit
offenen Armen empfangen.“
38/ Brief von Leo Stern an Karl Flanner (Wiener Neustadt) vom 11. September
1967. Durchschlag des maschinegeschriebenen Schreibens. Akademiearchiv Berlin.
39/ Archiv der Universität Wien.
40/ Artikel „Der blutige Ausflug des Herrn Stern“, Arbeiter-Zeitung vom 11. Mai
1947, und Artikel „Neues vom blutigen Stern“, Arbeiter-Zeitung vom 18. Mai
1947.
41/ Gerhard Oberkofler, Rabofsky, 80.
42/ Gerhard Oberkofler: Die Wahl von Leo Santifaller zum korrespondierenden
Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (1955). Der
Schlern 70 (1996), 745-750.
43/ Wiss. Z. Univ. Halle, Gesw. R., Nr. 5, 1961.
44/ Universitätsarchiv Halle.
45/ Walter Markov: Zwiesprache mit dem Jahrhundert. Berlin 1989.
46/ Eduard Winter: Erinnerungen (1945-1976). Hg. von Gerhard Oberkofler.
Frankfurt a. M. 1994.
47/ Ebenda, 87.
48/ Akademiearchiv Berlin.
49/ Ilko-Sascha Kowalcuk: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“. Zur Entwicklung
der DDR-Geschichtswissenschaft bis in die späten fünfziger Jahre. ZfG 42
(1994), 302-318.
50/ Leo Stern: Zur geistigen Situation der bürgerlichen Geschichtswissenchaft
der Gegenwart. Rektoratsrede, gehalten bei der Inaugurationsfeier am 28.
November 1953 in der Aula der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Sonderdruck aus der Wissenschaftlichen Zeitschrift der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Jg. III, 1953/54, Heft 2.
51/ Werner Hartkopf: Die Akademie der Wissenschaften der DDR. Ein Beitrag zu
ihrer Geschichte. Berlin 1983, 390.
52/ Wegbereiter der DDR Geschichtswissenschaft, 149-168 (Horst Haun).
53/ Archiv der RWTH Aachen.
54/ Jürgen Kuczynski: Freunde und gute Bekannte. Berlin 1997, 169 f.
55/ Siehe dazu auch Zweimal Stockholm - Berlin 1946. Briefe nach der Rückkehr:
Jürgen Peters und Wolfgang Steinitz. Mit Nach-Fragen an Robert Rompe und Jürgen
Kuczynski. Herausgegeben von Jan Peters. Leipzig 1989.
56/ Hermann Klenner: Arthur Baumgarten und die deutsche Rechtsphilosophie in
der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Zum 100. Geburtstag des
Rechtswissenschaftlers. Staat und Recht 3/1984, 202-210, hier 202; Baumgartens
Erinnerungen sind, betreut von Helene Baumgarten, erschienen unter dem Titel:
Vom Liberalismus zum Sozialismus. Berlin 1967; „Zum Weg Arthur Baumgartens“ als
Einleitung (1-15) zu Arthur Baumgarten: Rechtsphilosophie auf dem Wege.
Vorträge und Aufsätze aus fünf Jahrzehnten. Hg. von Helene Baumgarten-Gerd
Irrlitz-Hermann Klenner. Glashütten im Taunus 1972 (mit Baumgarten-Bibliographie
567-574). Michael Stolleis hat Arthur Baumgarten in sein biographisches Lexikon
„Juristen“ (München 1995) nicht aufgenommen.
57/ Jean Rudolf von Salis: Grenzüberschreitungen. Ein Lebensbericht. Erster
Teil 1901-1939. Brunegg 1975, 409.
58/ Vom Liberalismus zum Sozialismus, 33.
59/ Akten des Erziehungsdepartements des Kantons Basel-Stadt vom 3. Oktober und
26. Oktober 1933. Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt.
60/ Ebenda.
61/ Vom Liberalismus zum Sozialismus, 33.
62/ Hermann Klenner: Rechtsphilosoph und Humanist Arthur Baumgarten zu rühmen.
Neue Justiz 21 (1967) 2, 37-40; Eberhard Poppe/Wolfgang Weichelt (Hg.): Arthur
Baumgarten zum 100. Geburtstag (= Sitzungsberichte der Akademie der
Wissenschaften der DDR. Gesellschaftswissenschaften. Jg. 1984. Nr. 15/G).
Berlin 1985
63/ Jean Rudolf von Salis, Grenzüberschreitungen, 159 und Helene Baumgarten:
Ricarda Huch. Köln 1968, 2. A.
64/ Ursprünglich „ist zweifellos unter“; „zweifellos“ durchgestrichen.
Wolf Stern (15.12.1897 – 16.9.1961)
1927 war auch Leo Sterns Bruder Wolf Stern (1897-1961)/21/ in Wien und hielt
im 18. Bezirk Veranstaltungen für die KPÖ ab. Wolf Stern, Absolvent des
Gymnasiums in Czernowitz, war durch seine führende Rolle beim revolutionären
Aufstand im k.u.k. 113. Regiment, in welches er 1915 als Fähnrich eingerückt
war, einer der Organisatoren der kommunistischen Bewegung in der Bukowina
gewesen. Von 1918 bis 1920 inskribierte Wolf Stern an der philosophischen
Fakultät der Universität Czernowitz. Im Februar 1919 war er unter den Gründern
der Kommunistischen Partei der Bukowina, die, nachdem das Land durch den
Vertrag von Saint-Germain (10. September 1919) an Rumänien gekommen war, 1924
zu einer regionalen Organisation der am 8. Mai 1921 gegründeten und jetzt
(1924) illegalen Kommunistischen Partei Rumäniens wurde. 1924 kam Wolf Stern
nach Wien und arbeitete zeitweise auch als Redakteur der Presseabteilung der
Botschaft der UdSSR. Unter dem Parteinamen „Otto” ging er im Juli 1936 nach
Spanien, um am Freiheitskampf des spanischen Volkes (1936-1939) teilzunehmen.
Dort befehligte ein anderer Bruder von Leo Stern, Manfred Stern
(1896-1954)/22/, die legendäre XI. Brigade der spanischen Volksarmee, die am 8.
November 1936 im Gebäude der philosophischen Fakultät der Universität Madrid ihren
Gefechtsstand zur Rettung der Stadt vor den Faschisten errichtet hatte: „Wir
sind gekommen, um Euch zu helfen, um Eure Hauptstadt mit der gleichen Hingabe
zu verteidigen, als ob es die Hauptstadt eines jeden von uns wäre“. Manfred
Stern trug in Spanien in Erinnerung an den französischen Revolutionsgeneral
Jean-Baptiste Kléber (1753-1800), dessen revolutionäre Kampfweise er an der
Militärakademie Frunse studiert hatte, den Namen General Emilio Kléber. Ludwig
Renn (1889-1979) erinnert, daß die spanischen Zeitungen voll waren mit
Nachrichten über die XI. Brigade und den General Kléber, „der, noch vor einer
Woche unbekannt, nun der populärste Mann Spaniens war.“/23/ Manfred, Leo und
Wolf Stern - der vierte Bruder war Dr. Filipp Stern - waren zeitweise Bewohner
des „Hotel Lux” in Moskau./24/ Die Schwestern Stern, ihre Männer und Kinder
wurden 1941 von den Nazis umgebracht. Wolf Stern, der im Februar 1939 aus
Spanien nach Moskau ging, war dort bis 1941 an der Hochschule für Fremdsprachen
und an der Lomonossow-Universität tätig und meldete sich nach dem Überfall
Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion als Freiwilliger der Roten Armee an die
Front. Vom Jänner 1943 an bis 1950 war er Mitarbeiter einer Abteilung des
Sowjetischen Innenministeriums für das Kriegsgefangenenwesen, dann Übersetzer
und Redakteur der Zeitschriften „Sowjetliteratur” und „Neue Zeit” sowie der
Unions-Handelskammer. Im September 1956 kam Wolf Stern aus der Sowjetunion in
die DDR und übernahm die Leitung der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt in
Dresden, ab 1958 des Instituts für Deutsche Militärgeschichte in Potsdam. Wolf
Stern zeichnete als Verantwortlicher eines Autorenkollektivs des Buches „Zur
Vorgeschichte der Verschwörung vom 20. Juli 1944” (Berlin 1960. 110 S.).
Gelegentlich erschienen von ihm militärgeschichtliche Arbeiten unter dem
Pseudonym Stephan Wolf. Die KPÖ hatte sich 1949 vergeblich bemüht, Wolf Stern
und seine Frau Gerda Stern für den Wiener Parteiapparat aus der Sowjetunion
anzufordern./25/ Das zeigt, daß Wolf Stern als österreichischer Kommunist
geführt wurde.
Manfred Stern (20.1.1896 – 1954)
Manfred Stern, ein wahrhafter Antifaschist und Kommunist, vielleicht die
bedeutendste Persönlichkeit aus der Familie Stern, war als blutjunger
Medizinstudent der Universität Wien und Einjährig Freiwilliger der k.u.k.
Wehrmacht 1915 in russische Kriegsgefangenschaft geraten, erlebte nahe der
Mongolei den Zusammenbruch des zaristischen Regimes, beteiligte sich an der
Seite der Bolschewiki an der Oktoberrevolution und an der Verteidigung gegen
die Interventen, wobei seine große organisatorische, militärische und
politische Begabung rasch auffiel. Er wurde Stabschef der fernöstlichen
Truppenteile der Roten Armee. Manfred Stern hatte in der Sowjetunion den
Parteinamen „Fred” und veröffentlichte unter diesem Pseudonym in der
Kommunistischen Internationale, im Bolschewik, in der Prawda und in der
Iswestja viele Artikel. Im Herbst 1923 beteiligte er sich an dem von Ernst
Thälmann (1886-1944) geführten Hamburger Aufstand (23.-26. Oktober 1923) zum Schutz
der Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen. 1927, als die Kommunistische
Partei Chinas in Südchina Sowjetgebiete schuf, wirkte Manfred Stern, der von
der die Vorgänge in China aufmerksam verfolgenden Komintern/26/ mit speziellen
militärischen Aufgaben betraut worden war, am Aufbau der chinesischen Roten
Armee mit. Nach der Niederlage der spanischen Republik - am 28. März 1939 mußte
Madrid kapitulieren - kehrte Manfred Stern in die Sowjetunion zurück und wurde,
obschon 1937/38 im Revolutionsmuseum in Moskau noch groß herausgestellt, Opfer
verleumderischer Anklagen. Die letzten Jahre verbrachte Manfred Stern in einem
Lager in Magadan (Chaborowsk) und in Taischet. Um ihn herrschte viele Jahre
Stillschweigen, das erst allmählich durchbrochen wurde. In den Kommunistischen
Parteien galt das, was Peter Weiss (1916-1982) so beschrieb: „Wir fragen nicht,
warum der geheimnisvolle General Kléber, Österreicher oder Deutscher, Held aus
zahlreichen Schlachten, nicht mehr genannt wird und verschwindet, als habe es
ihn nie gegeben. Wir schweigen, in der Annahme, oder in der Überzeugung, daß es
wichtige Gründe für diese Vorgänge und Verordnungen gibt, doch während wir
schweigen, in der Hoffnung, in der Gewißheit, daß uns die Partei zu einem
späteren Zeitpunkt ihre Entscheidungen erklären wird, treten wir ein in die
Gedankenregion, in der uns der Drang zusetzt, nicht nur für unsre Zeit, sondern
auch für eine Epoche zu schreiben, in der das Wahrheitsbedürfnis alles jetzt
Zurechtgelegte durchbrechen wird. Wir wissen, daß uns die Partei einmal, wenn
sie den Augenblick für richtig ansieht, alle Zusammenhänge in ihren heute oft
schwer durchschaubaren Beschlüssen erhellen wird, denn sie wäre keine
leninistische Partei, wollte sie ihre Handlungen der Begreifbarkeit entziehn.“/27/
Noch in Meyers Neuem Lexikon (1964) wird der Name von Manfred Stern im
Gegensatz zu Leo Stern verschwiegen./28/ Leo Stern tat viel für die
Rehabilitation seines Bruders, auch wenn diese seine Aktivitäten nicht
öffentlich geworden sind. Am 26. Juli 1963 schreibt er an Dolores Ibárruri
(1895-1989) in Beantwortung für die Widmung eines Buches, in welchem auf
Manfred Stern Bezug genommen wurde: „Ich freue mich, daß sowohl in der
Sowjetunion als auch in der übrigen sozialistischen Welt die objektive historische
Wahrheit über meinen Bruder, wenn auch leider sehr spät, doch noch triumphieren
konnte. Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn er das selbst hätte erleben
können. Sehr verehrte, liebe Genossin Dolores, ich übertreibe nicht, wenn ich
sage, daß Sie für mich und für sehr viele hier in der Deutschen Demokratischen
Republik ein Synonym sind für die Größe und den Heroismus des spanischen Volkes
und es gehört mit zu meinen vornehmsten Aufgaben als Historiker, in meinen
Vorlesungen und Publikationen dazu beizutragen, daß die einzigartige Epopöe des
spanischen Volkes der jungen Generation nahegebracht wird“./29/ 1966 wurde in
Leningrad eine Dissertation von M. I. Brofmann aus Czernowitz approbiert, die
im Rahmen der Darstellung der revolutionären Bewegung in der Bukowina 1917-1940
ausführlich auf Manfred Stern eingeht. Leo Stern schreibt nach Erscheinen jenes
Bandes der „Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung“, der auf Manfred Stern
bezug nimmt/30/, am 21. Juli 1966 an Brofmann: „Wie Sie sehen, ist es doch gelungen,
eine schwere Mauer des langjährigen Schweigens zu durchbrechen, und ich danke
Ihnen sehr, daß Sie einen wesentlichen Teil dazu beigetragen haben“./31/ Die
1968 publizierten Erinnerungen des Marschalls der Sowjetunion Kyrill A.
Merezkow, der im Herbst 1936 einer der sowjetischen Kommandeure im
republikanischen Spanien war, gedenken der Kampfkraft der XI. Internationalen
Brigade unter Manfred Stern./32/ In dem von der Akademie der Wissenschaften der
UdSSR mit dem Verband der sowjetischen Kriegsveteranen 1975 herausgegebenen
Buch „Die Völker an der Seite der Spanischen Republik 1936-1939” wird
Manfred Stern als der erste Kommandant der 11. Brigade, „der bei der
Verteidigung Madrids im Herbst 1936 eine große Rolle spielte” als „in
Österreich geboren” genannt./33/ Die Geschichtsdarstellung der KPÖ wird vor
allem durch die offizielle Geschichtsschreibung, sei es jene von seiten der
Universitäten oder der von diesen gefütterten Printmedien von der Kronenzeitung
abwärts, entstellt und verfälscht. Die KPÖ begeht bei der
Aufarbeitung ihrer Geschichte allerdings selbst viele Fehler. Dazu zählt das
viele Jahrzehnte hindurch ausgebreitete Verschweigen der tagespolitisch nicht
verkaufbaren Biographie von Manfred Stern, der, obschon ein Opfer des
sowjetischen Politapparates, so wie viele andere der Arbeiterklasse treu
geblieben ist. Erst 1976 hat Heinrich Dürmayer, unterstützt von Eduard
Rabofsky, mit einem Artikel in der „Volksstimme” zur Aufklärung
beigetragen./34/ In der DDR wurde am 10. November 1976 in Halle/S. eine Schule
nach Manfred Stern benannt, doch kam es zu keiner offiziellen Feier, wie Leo
Stern in einem empörten Brief über die „unerklärliche Passivität” an den
Direktor dieser Schule schreibt./35/
Dokumente
1954 12 29. Berlin. Alfred Meusel und Wolfgang Steinitz beantragen die Wahl
von Leo Stern zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften in
Berlin.
Original. Maschineschrift, eigenhändige Unterschriften. Archiv der Akademie der
Wisenschaften in Berlin. Bestand Klassen, Nr. 159.
Prof. Dr. Leo Stern wurde am 27. III. 1901 in Woloka, Österreich geboren. Er
entstammte einer kinderreichen Kleinbauernfamilie. Da er schon mit 10 Jahren
Vollwaise war, musste er seit dieser Zeit seinen Lebensunterhalt selbst
erwerben.
Er absolvierte das Gymnasium in Salzburg und die Universität in Wien, wo er am
20. VII. 1925 zum Dr. rer. pol. promovierte. Anschliessend studierte er Jura
bis zum Absolutorium (1927). Seine akademischen Lehrer waren vor allem die
Professoren Karl Grünberg, Max Adler und Hans Kelsen. Obwohl seine
Habilitationsschrift „Die Staatstheorie des Marxismus“ sehr gut beurteilt
wurde, konnte er sich wegen des erstarkenden austrofaschistischen Kurses an der
Wiener Universität nicht habilitieren. Dabei dürfte die Tatsache, dass er schon
seit 1917 in der Arbeiterbewegung tätig war, eine nicht unwesentliche Rolle
gespielt haben.
Stern setzte seine geschichtlichen und rechtsgeschichtlichen Studien bis
1934/35 in Wien fort und arbeitete im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv an
den Archivalien zur „Geschichte der österreichischen Jakobinerverschwörung
1794“. Zur gleichen Zeit leitete er in den Jahren 1927 - 34 die
„Sozialökonomische Studiengemeinschaft“ und schrieb eine Reihe von grösseren
Arbeiten, von denen folgende besonders hervorzuheben sind:
1.) Beiträge zur österreichischen Arbeiterbewegung
2.) Die verfassungsmässigen Grundlagen der Republik Österreich
3.) Der soziale und politische Katholizismus der Gegenwart
4.) Die preisgekrönte Abhandlung: Ist die Welt auf dem Wege zum Freihandel?
Im Zusammenhang mit einem von ihm im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv
durchgeführten Forschungsauftrag der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften
(1936) kam Dr. Stern in die UdSSR, wo er seine Forschungsarbeiten und seine
publizistische Tätigkeit bis 1945 fortsetzte.
Vom Akademiemitglied Jemelian Jaroslawski betreut, habilitierte Stern sich mit
seiner Arbeit „Der soziale und politische Katholizismus der Gegenwart“ im Juli
1940 vor der Obersten Attestations-Kommission beim Allunionskomitee für
Hochschulangelegenheiten. In Würdigung seiner Dozenten-Tätigkeit an der
Internationalen Lenin-Hochschule und seiner in der UdSSR veröffentlichten
wissenschaftlichen Arbeiten wurde er zum a.o. Professor für neuere Geschichte
ernannt. In dieser Eigenschaft war er am Ersten Moskauer Pädagogischen Institut
für Fremdsprachen bis 1945 tätig.
Unmittelbar nach dem Sturz des Faschismus und der Befreiung Österreichs kehrte
Stern nach Wien zurück und wirkte als Gastprofessor für neuere Geschichte an
der dortigen Universität und an der Hochschule für Welthandel. Gleichzeitig
arbeitete er an einem Forschungsauftrag der Sowjetischen Akademie der
Wissenschaften im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv über die
„Österreichisch-russischen Beziehungen von den Anfängen bis zur Gegenwart“ und
über die „Slawenfrage in Österreich“.
Am 1. III. 1950 wurde er als Professor mit Lehrstuhl für neuere Geschichte an
die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg berufen. Dort war er von 1951 -
1953 Prorektor für das gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium. Im Oktober
1953 wurde er einstimmig zum Rector Magnificus gewählt. Dieses Amt nimmt er
noch heute wahr.
Als einer der wichtigsten Erneuerer des historischen Bildungswesens in der
Deutschen Demokratischen Republik, als Rektor der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
als Dozent, Forscher und Herausgeber hat Professor Stern eine Tätigkeit
entfaltet, die man bei sehr zurückhaltender Charakteristik sowohl ihrem Inhalt
wie ihrem Umfang nach als ausserordentlich bezeichnen muss.
Als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats für Geschichte beim
Staatssekretariat für Hochschulwesen hat Professor Stern die führende Rolle bei
der Aufstellung der neuen Lehrpläne für das Studium der Geschichte gespielt.
Mit tiefem Verständnis für die wertvollen Traditionen der deutschen
Universitäten und gleichzeitig starker Teilnahme für das Neue bemüht er sich
erfolgreich darum, die wertvollen Überlieferungen des deutschen
Universitätswesens mit den berechtigten Anforderungen der neuen Zeit und
unseres neuen Staates in Einklang zu bringen.
Seine wissenschaftlichen Interessen, die in bedeutenden Publikationen Gestalt
annehmen, bewegen sich vor allem in folgender Richtung:
1.) Geschichte des Feudalismus in Deutschland. Während bisher die marxistischen
Geschichtsforscher in Deutschland diesen gewaltigen Stoffkreis mit einer
gewissen Scheu vermieden, haben Professor Stern und seine Mitarbeiter in der
Mediävistik einen wirklichen Durchbruch erzielt. Professor Stern ist der
verantwortliche Verfasser des ersten Bandes des Hochschullehrbuches für die
Geschichte des deutschen Volkes. Der erste Band behandelt die Geschichte des
deutschen Volkes von ihren Anfängen bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Die
Disposition dieses Werkes, die in der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“,
Jahrgang 1953, S. 628 ff. erschien, hat im In- und Ausland berechtigter Weise
grosses Interesse erregt. Zahlreiche massgebende Historiker, vor allem der
Sowjetunion und der Volksdemokratien, haben sich ausführlich dazu geäussert. In
drei grossen Artikeln, von denen der erste schon gedruckt vorliegt
(„Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“, Jahrg. 1954, Heft 6) wird sich
Professor Stern mit der Kritik seines Entwurfes auseinandersetzen.
Eine weitere Vorfrucht seiner Studien über den Feudalismus in Deutschland bilden
die in der Festschrift zur 450- Jahrfeier der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg erschienenen Aufsätze „Die geschichtliche Gesamtlage
Deutschlands zur Zeit der Gründung der Universität Halle-Wittenberg“ (1. Bd.,
S. 1), „Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und die Deutsche
Akademie der Naturforscher (Leopoldina)“ (2. Bd., S. 375), und die 1954 im
Verlag Rütten & Loening erschienene Schrift „Martin Luther und Philipp
Melanchthon - ihre ideologische Herkunft und geschichtliche Leistung“. Diese
Arbeiten zeichnen sich aus durch solide Materialgrundlage, wohlgegliederten
Aufbau, sichere Linienführung und kraftvolle Diktion.
2.) Aufgrund seiner Herkunft und seines Bildungsganges ist Professor Stern wie
kaum ein anderer Gelehrter dazu berufen, die Beziehungen zwischen Deutschland,
Österreich und den slawischen Ländern zu erforschen. Soeben hat er ein Buch
vollendet, das „Die Einwirkung der russischen Revolution von 1905 auf
Deutschland“ behandelt und das gleichfalls im Verlag Rütten & Loening erscheinen
wird. Dieses für das Verständnis der deutschen Sozialgeschichte
ausserordentlich wichtige Thema ist noch nie so gründlich und umfassend
dargestellt worden wie in dieser Arbeit von Stern.
3.) Ein dritter Themenkreis, bei dessen Behandlung Prof. Stern seit seiner
Berufung an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Bedeutendes
geleistet hat, ist seine Auseinandersetzung mit den älteren
Geschichtsauffassungen, insbesondere mit der bürgerlich-idealistischen
Historiographie. (Vgl.: Gegenwartsaufgaben der deutschen Geschichtsschreibung.
Rütten & Loening 1952. Zur geistigen Situation der bürgerlichen
Geschichtswissenschaft der Gegenwart. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Jahrg. III, 1953-54). Die marxistische
Literatur über diesen Gegenstand war bisher sehr karg und beschränkte sich auf
mehr oder minder gelungene Spezialuntersuchungen. So sehr Sterns Arbeiten über
die ältere Historiographie im einzelnen der Ergänzung und der Modifikation
bedürfen mögen, gebührt ihnen unzweifelhaft das Verdienst, das Problem der
Auseinandersetzung zwischen dem historischen Materialismus und der
idealistischen Geschichtsbetrachtung auf wirklich breiter Basis angepackt und
damit die Aussprache darüber in Gang gebracht zu haben.
Von der umfassenden und erfolgreichen Arbeit, die Professor Stern als
Herausgeber sowie als Inspirator und Organisator von archivalischen Studien
leistet, sei Folgendes genannt: er ist Mitherausgeber der „Zeitschrift für
Geschichtswissenschaft“, Herausgeber der „Wissenschaftlichen Zeitschrift der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg“, der „Archivalischen Forschungen
zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ und der „Bestandsübersichten zur
Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“. Über die in Vorbereitung
befindliche sechsbändige Publikation der „Bestandsübersichten zur Geschichte
der Arbeiterbewegung“ haben Herr Hartung und ich uns in einem Schreiben vom
April 1954 an den Herrn Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates,
Walter Ulbricht, in Worten hoher Anerkennung geäussert. Die gleiche Anerkennung
wurde dieser Arbeit zuteil von den Historischen Instituten der Akademien der
Wissenschaften der Sowjetunion, Polens, der Tschechoslowakei, Ungarns,
Rumäniens und Bulgariens, denen Professor Stern je einen Satz photokopierter
Exemplare übermittelte. Im gleichen Sinne wie Herr Hartung und ich äusserten
sich Frau Professor Pankratowa und Professor Siderow in Moskau, Professor
Manteuffel in Warschau, Professor Böhm in Prag, Professor Erik Molnár in
Budapest und Professor Cherestesin in Bukarest.
Um den ausserordentlich ungünstigen Zustand zu beenden, der darin besteht, dass
eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigste archivalische Arbeit, die heute
in der Deutschen Demokratischen Republik entsteht, und die im Ausland vielfach
irrtümlicherweise als eine Arbeit unserer Akademie betrachtet wird, in
Wirklichkeit sich in Isolierung von der Akademie entwickelt, hat die
Historische Kommission der Klasse für Philosophie, Geschichte, Rechts-, Staats-
und Wirtschaftswissenschaft beantragt, Herrn Stern zum ausserakademischen
Mitglied der Historischen Kommission zu ernennen. Dieser Antrag wurde
inzwischen von der Klasse für Philosophie, Geschichte, Rechts-, Staats- und
Wirtschaftswissenschaften und vom Präsidenten der Akademie angenommen, sowie
vom Präsidium des Ministerrates bestätigt. Wir sind uns selbstverständlich
darüber klar, dass die Ernennung Sterns zum ausserakademischen Mitglied der
Historischen Kommission nur eine provisorische, behelfsmässige Regelung seiner
Beziehungen zur Akademie darstellen kann.
Die besondere Bedeutung der „Bestandsübersichten“ besteht darin, dass erst auf
ihrer Grundlage eine wirkliche Planung der geschichtlichen Arbeit im Maßstab
der Deutschen Demokratischen Republik möglich ist. Mit dieser Arbeit hat sich
Professor Stern unstreitig ein grosses Verdienst um die Entwicklung der
deutschen Geschichtswissenschaft erworben, genauer gesagt: hat er seinen
bisherigen Verdiensten ein weiteres hinzugefügt.
Der Unterzeichnete beendet die Laudatio mit dem unbehaglichen Gefühl, dass er
sie eiglentlich abbricht, dass er Sterns Leistung nur in Stichworten würdigen
konnte. Desto kürzer kann die conclusio sein, ohne unvollständig zu werden. Die
Klasse für Philosophie, Geschichte, Rechts-, Staats- und
Wirtschaftswissenschaft ist der Meinung, dass die Wahl Professor Sterns zum
ordentlichen Mitglied eine ausserordentliche Bereicherung der Akademie und eine
intensive Förderung der Geschichtswissenschaft in der Akademie bedeuten würde,
dass diese Wahl die Akademie in die Lage versetzen würde, auch auf dem Gebiet
der historischen Forschung die ihr zustehende Funktion als organisatorisches
und geistiges Zentrum der wissenschaftlichen Arbeit zu erfüllen. Wir beantragen
deshalb einstimmig, Herrn Prof. Stern zum ordentlichen Mitglied der Deutschen
Akademie der Wissenschaften in Berlin zu wählen.
Berlin, den 29. 12. 1954
Meusel m. p. (Prof. Dr. A. Meusel) Nationalpreisträger stellv. Sekretar der
Klasse für Philosophie, Geschichte, Rechts-, Staats- und Wirtschaftswissenschaften
gez. Steinitz m. p.
1952 12 02. Potsdam-Babelsberg. Arthur Baumgarten macht dem Präsidenten der
Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin Walter Friedrich einige
Wahlvorschläge.
Original. Maschineschrift. Eigenhändige Unterschrift. Archiv der Akademie der
Wissenschaften in Berlin. Bestand Akademieleitung, Personalia Nr. 505.
Sehr verehrter Herr Präsident!
Die Deutsche Akademie der Wissenschaften hat mir den Stellenplan für die
nächste Zuwahl von ordentlichen Mitgliedern bekanntgegeben und mich
aufgefordert, meine Vorschläge bei ihr einzureichen.
Es kann sich für mich nur um die Fächer der Klasse für
Gesellschaftswissenschaften handeln.
Für Osteuropäische Geschichte nenne ich den Namen von Prof. E. Winter, für
neuere Geschichte die Namen von Prof. Alfred Meusel und Prof. Leo Stern.
Über Herrn Prof. Winter ist bereits ein von der gesellschaftswissenschaftlichen
Klasse gebilligtes Gutachten von Herrn Prof. Hartung verfasst worden.
Herr Prof. Alfred Meusel ist ebenfalls als Kandidat für die Akademie in der
gesellschaftswissenschaftlichen Klasse eingehend besprochen worden. Er ist
zweifellos ein gründlicher Kenner der neueren Geschichte und ein
gedankenreicher Historiker. Grössere Arbeiten von ihm sind in neuester Zeit
nicht erschienen, was sich aus anderweitiger starker beruflicher
Inanspruchnahme erklärt. Seine zahlreichen Aufsätze sind stets anregend und
fördernd. Als Direktor des Museums für Deutsche Geschichte scheint er für die
Wahl zum Mitglied der Akademie designiert zu sein.
Herr Prof. Leo Stern ist /64/ unter den marxistisch eingestellten Historikern
der Deutschen Demokratischen Republik mit an erster Stelle zu nennen. Er hat in
seinem Fach, wie sich aus meinen Erkundigungen ergab, einen hochgeachteten
Namen. In neuester Zeit sind von ihm Abhandlungen anlässlich des Jubiläums der
Leopoldina und des Jubiläums der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
erschienen. Es handelt sich zweifellos um Schriften, die, wie auch der
Nichtfachmann beurteilen kann, sorgfältig gearbeitet und in hohem Grade
belehrend sind.
Für die Rechtswissenschaften käme meines Erachtens vor allem Frau Dr. Hilde
Benjamin als Mitglied der Akademie infrage.
Das Verdienst von Frau Benjamin liegt in erster Linie auf den Gebieten der
Rechtsprechung, der Gesetzgebung und der Organisation des Justizwesens. Die
Urteile des Obersten Gerichtes, deren Begründung von ihr verfasst wurde, sind
nicht nur von praktischer, sondern auch von theoretischer Bedeutung.
An dem neuen Gerichtsverfassungsgesetz und der neuen Strafprozessordnung hat
sie hervorragenden Anteil genommen. Wenn wir einen demokratischen Justizapparat
haben, so ist das nicht zum wenigstens ihr zu danken.
Frau Benjamin, die Vizepräsident des Obersten Gerichtes ist, wird von nicht
wenigen Sachkennern als der beste praktische Jurist der Deutschen
Demokratischen Republik angesehen. Sie hat in der „Neuen Justiz“ eine Reihe von
Aufsätzen veröffentlicht, so namentlich über die Frage der Auslegung der alten
Gesetze in unserem neuen Staatswesen und über das Verhältnis von Objekt und
Gegenstand im Strafrecht; Aufsätze, die von erheblichem wissenschaftlichen Wert
sind. Bei der engen Verbindung von Wissenschaft und Praxis gerade auf dem
Gebiet des Rechtes lässt es sich durchaus rechtfertigen, Frau Dr. Benjamin in
die Akademie aufzunehmen.
Unter den zu wählenden Vertretern der Politischen Ökonomie scheinen mir die
Herren Fred Oelssner und Prof. Jürgen Kuczynski in erster Linie in Betracht zu
kommen.
Herr Fred Oelssner hat ein Buch über die Wirtschaftskrisen geschrieben, das zweifellos
zu den besten Leistungen der Politischen Ökonomie in den letzten Jahren in
unserem Lande gerechnet werden muss. Auch stammt aus seiner Feder eine
ausgezeichnete Würdigung des Lebenswerkes von Rosa Luxemburg. Seine Referate
auf wissenschaftlichen Konferenzen der Sozialistischen Einheitspartei
Deutschlands erweisen ihn als einen Mann von umfassendem Wissen und
ungewöhnlicher Urteilsfähigkeit.
Herr Prof. Jürgen Kuczynski hat sich durch seine zahlreichen Publikationen über
wirtschaftswissenschaftliche Fragen einen so vortrefflichen internationalen
Namen erworben, dass ich meinen Vorschlag, ihn zum ordentlichen Mitglied der
Akademie zu wählen, nicht näher zu begründen brauche.
Um eine Antwort auf die Anfrage der Akademie geben zu können, musste ich Erkundigungen
einziehen und mich mit meinen Kollegen ins Einvernehmen setzen, was nicht wenig
Zeit erforderte. Ausserdem war ich in dieser Woche stark beruflich in Anspruch
genommen.
Ich bitte daher, die Verspätung meiner Antwort freundlichst entschuldigen zu
wollen.
In grösster Hochachtung Ihr (Prof. Dr. Baumgarten)
A. Baumgarten m.p.
Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 1/1999
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