Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

Drechslergasse 42, A–1140 Wien

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Irma Schwager: „Mädelarbeit“ in Frankreich: Im Kampf um Österreichs Freiheit

Heute wird die Selbständigkeit der demokratischen Republik Österreich allgemein als Selbstverständlichkeit angesehen. Das war aber nicht immer so. Erst ein unendlich opferreicher Kampf und der Sieg über den Hitlerfaschismus haben die Wiedergeburt Österreichs als selbständige demokratische Republik möglich gemacht. Als im März 1938 die deutsche Armee zusammen mit den großen Terrororganisationen der Nationalsozialisten unser Land besetzten, sagte damals der Kanzler des christlich-ständischen, austrofaschistischen Regimes in Österreich, Dr. Kurt Schuschnigg: „Wir weichen der Gewalt - Gott schütze Österreich“. Die Hitlerfaschisten konnten den in Österreich weitverbreiteten Deutschnationalismus nutzen und sprachen - mit großem Erfolg- davon, daß Österreich ein Teil des Deutschen Reiches sei, das nun „heimgekehrt“ sei. Der „Anschluß“ wurde von allen Ländern, außer von der Sowjetunion und Mexiko, hingenommen.
Ich erinnere mich noch genau an das Gröhlen der SA-Trupps und der Hitlerjugend, die Tag und Nacht skandierten: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“, „Deutschland erwache - Juda verrecke!“, „Sieg heil“. Anfangs gab es allzuviele, die den Nazis ihre soziale Demagogie glaubten und die antisemitischen Hetzpropaganda mitmachten. Während die einen am Wiener Heldenplatz Hitler zujubelten, wurde der erste Transport nach Dachau zusammengestellt, verfolgten und verhafteten die Nazis ihre Gegner, holte man die Juden zuerst zum demütigenden Straßenwaschen, und später zur Ermordung in Ghettos und Vernichtungslager. Viele glaubten nicht mehr, daß es jemals wieder ein selbständiges Österreich geben werde, ließen sich vom Terror einschüchtern, zogen sich zurück oder paßten sich an. Das österreichische National- und Selbstbewußtsein begann sich erst richtig nach der deutschen Besetzung zu entwickeln, als die Menschen aus eigener Erfahrung spürten, welche verheerenden Folgen es hatte, daß Österreich zur Ostmark des mörderischen deutschen Hitlerregimes wurden.
Als einzige Partei hat die KPÖ in der Nacht der Besetzung am 12. März zum Kampf für die Wiederherstellung einer unabhängigen, demokratischen Republik Österreich und zum Widerstandskampf aufgerufen. 1937 hatte Dr. Alfred Klahr wissenschaftlich nachgewiesen, daß Österreich sich zu einer eigenen Nation entwickelt hat, deren Wurzeln weit in die Geschichte zurückreichen. Der Widerstandskampf der Kommunisten basierte auf dieser Grundlage. Er war, so wie der anderer politischer und religiöser Menschen, jener - wenn auch kleine - Beitrag zur Befreiung, den, bei der Nachkriegsregelung Österreichs zu berücksichtigen, die alliierten Außenminister im Herbst 1943 in Moskau festschrieben.Der Widerstandskampf hatte viele Facetten. Er wurde unter schwierigsten Bedingungen in Österreich, in den von den Deutschen besetzten Ländern, von Österreichern in den alliierten Armeen, in den Gefängnissen und Konzentrationslager und von den österreichischen Freiheitsbataillonen in Jugoslawien geführt.

Emigration

Ich emigrierte nach Belgien, von wo ich nach Frankreich ging. Mit falschen Papieren als Elsässerin getarnt, beteiligte ich mich mit zahlreichen anderen Österreichern und Österreicherinnen am Widerstandskampf im besetzten Paris. Im Rahmen der französischen Widerstandsbewegung hatten wir, aufgrund unserer Sprachkenntnisse, die Aufgabe, mündliche und schriftliche Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit unter den Besatzungssoldaten zu leisten. Während die Männer, als Franzosen getarnt, bei Wehrmachts- und zivilen deutschen Dienststellen als Dolmetscher, Telefonisten, in Soldatenheimen als Kellner usw. arbeiteten, hatten wir jungen Frauen die Aufgabe, den direkten Kontakt zu den Besatzungsoldaten herzustellen, in Gesprächen mit ihnen zu erfahren, wie die Stimmung in den Kasernen und zu Hause war. Das war wichtig, weil wir in unseren Flugblättern und der Zeitung „Soldat im Westen“ aktuell an die Probleme der Soldaten anknüpfen konnten. Wir  leisteten auch Aufklärungsarbeit unter ihnen, d.h. wir versuchten sie von der Sinnlosigkeit des Krieges und vom wahren Charakter des Nationalsozialismus zu überzeugen. Wenn möglich, gaben wir ihnen Flugblätter und gewannen sie als Mitkämpfer. Bekamen wir Kontakt zu Österreichern, die auf Urlaub nach Hause fuhren, gaben wir ihnen Flugblätter mit.

Mädelarbeit

Diese spezielle „Mädelarbeit“ gab es in Paris, im Norden, und nach der Besetzung ganz Frankreichs (Ende 1942) auch im Süden. In Belgien agierten ebenfalls „Mädelgruppen“. (Siehe dazu auch den Beitrag von  J. Zanger in dieser Nummer.) Es war keine leichte Sache, insbesondere in der Zeit vor der Schlacht um Stalingrad, als die deutsche Armee noch im Vormarsch war. Hitlers Blitzkrieg in Europa hatte einen Mythos der Unbesiegbarkeit geschaffen. Anfangs waren die meisten Soldaten, die wir trafen, noch  vom Endsieg der Deutschen überzeugt. Wir erlebten die tiefen Spuren, die die Nazipropaganda bei den Soldaten hinterlassen hatten. Viele glaubten an die Naziphrasen von der „neuen Ordnung“, die sie dem „dekadenten“ Europa bringen wollten. Rassismus, Antisemitismus und Herrenmenschentum waren tief verwurzelt. Das bekamen wir in den Gesprächen zu spüren. Überheblich wurde z.B. kritisiert, wie schlampig die Franzosen seien, und daß in Deutschland die Straßen sauberer und die Menschen besser angezogen seien. Wenn es uns gelang, diese Männer zum Nachdenken darüber zu bringen, daß die sauberste Straße, die gebügelte Hose und die schönste Frisur nichts wert sind, solange man nichts empfindet, wenn ein Mensch gedemütigt, verfolgt und erschossen wird, dann war das schon ein Erfolg. Wir mußten lernen zuzuhören, uns nicht provozieren zu lassen, auch wenn vieles gesagt wurde, was uns weh tat. Das Gespräch mußte unbemerkt so geführt werden, daß der Soldat möglichst viel von sich erzählt. Vorsichtig haben wir unsere kritischen Fragen und Bemerkungen eingeflochten. Eine gewisse Vertrauensbasis mußte geschaffen werden, ohne Vertraulichkeiten und Annäherungsversuche zuzulassen.

Soldatenkontakte

Möglichkeiten gab es viele. In der Metro, beim Einkaufen in Warenhäusern, in den Banlieus (den Vororten von Paris), wo die Kasernen waren, haben wir uns in die Gespräche eingemischt, oder beim Einkauf den Soldaten „geholfen“. Die scheelen Blicke und manchmal in der Metro auch die Stupser von Franzosen, die uns für Soldatenliebchen hielten, waren unangenehm, aber gleichzeitig ein bewußtes Widerstandszeichen gegen die Besatzungsmacht, was uns gefreut hat. Wir gingen immer zu zweit. Um Annäherungsversuchen auszuweichen, haben wir die Bedingungen so gewählt, daß nichts passieren konnte. Das heißt, wir gingen nicht ins Kino, nicht im Finstern, sondern bei Tag im Park spazieren. Im Kaffeehaus oder Bistro ließen wir uns nichts bezahlen. Vor allem mußte mit Geschick verhindert werden, daß man nach Hause begleitet wurde. Das war oft nicht leicht. Am Beginn unserer Bekanntschaft waren die Soldaten höchst erfreut,  junge Französinnen kennen zu lernen, die sogar noch deutsch sprachen. Sie wollten natürlich nicht nur mit uns plaudern. Aber bald, als sie uns näher kennen lernten, haben sie bemerkt, daß wir keine gewöhnlichen Soldatenliebchen sind. Das freundschaftliche Gespräch trug oft dazu bei, eine gute Atmosphäre zu schaffen und viele waren dann froh, endlich mit jemanden offen sprechen zu können. Über ihre Sorgen zu Hause, über den Drill und die Ungerechtigkeiten in der Kaserne und später immer mehr über ihre Ängste, an die Ostfront geschickt zu werden. Haben wir bemerkt, daß es Menschen sind, mit denen man reden konnte, dann haben wir sie allein wieder getroffen, ihnen zuerst ein Flugblatt gegeben und dann versucht, ihnen auch welche für die Kaserne mitzugeben. Waren es fanatische Nazis, dann haben wir ihnen ausgemalt, was alles passieren wird, wenn der Krieg verloren ist und haben sie nie wieder getroffen. Die Gefahr dieser Tätigkeit war groß. Die Deutschen haben geglaubt, daß wir eine sehr große Organisation sein müssen, weil die Flugblätter an den verschiedensten Stellen aufgetaucht sind. Nicht nur wir Frauen, sondern auch die männlichen Österreicher haben die Flugblätter verbreitet, sie über die Kasernenmauern geworfen, auf Parkbänke gelegt, in Kinos liegengelassen und auf Alleebäume geheftet. Man warnte die Soldaten, es handle sich um französische Spioninnen, die die deutsche Armee zersetzen wollen.  Nach solchem „politischen Unterricht“ haben Soldaten beim Treff gleich die Gestapo mitgebracht. Trude Blaukopf wurde verhaftet und in Frankreich ermordet, Vilma Steindling kam nach Auschwitz. In Paris habe ich „Soldatenarbeit“ gemacht, bis eines abends die Concierge (Hausbesorgerin), als wir heimkamen, zu mir sagte: „Wenn sie hinaufgehen, machen sie kein Licht, denn die Gestapo war hier und hat sie gesucht. Nehmen sie nur das Notwendigste mit, denn wahrscheinlich beobachten sie das Haus“. Mein Mann Zalel, der im Norden illegal arbeitete, war gerade zu Besuch in Paris. So mußten wir damals untertauchen und wieder „unsere Identität wechseln.“

Fremdarbeiter in Österreich

Im Jahre 1943 fuhren viele österreichische Genossinnen und Genossen als „Fremdarbeiter“ getarnt nach Wien, um mitzuhelfen, den kommunistischen Widerstand zu stärken. Auch ich hatte schon die ärztliche Untersuchung hinter mir und einen Abfahrtstermin von den Deutschen. Da aber in Wien von den bereits dort eingetroffenen „Fremdarbeitern“ bis auf einen alle verhaftet worden waren, ließ die Parteileitung mich nicht mehr fahren.Von den acht Frauen, mit denen ich in Paris zusammengearbeitet habe, sind vier verhaftet worden. Gerti Schindel und Lisa Gavritsch, die als Fremdarbeiterinnen nach Österreich gefahren waren, kamen in das berüchtigte Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, in dem 92.000 Frauen ermordet wurden. Gerti Schindel, Edith Wexberg und Toni Lehr, sie waren schon auf der Todesliste, sind durch eine internationale Solidaritätsaktion innerhalb des Lagers gerettet worden, indem man sie versteckt und dann in einen Transport nach Schweden geschmuggelt hatte. An dieser Aktion war auch die mutige französiche Kommunistin Marie Claude Vaillant Couturier beteiligt.
Ungefähr 200 Österreicherinnen und Österreicher waren in der französischen Widerstandsbewegung. 82 wurden verhaftet, davon sind 46 in den Gefängnissen und Konzentrationslagern ermordet worden. 36 haben überlebt.
Nach der Befreiung von Paris gingen viele Österreicher nach Jugoslawien, um sich den österreichischen Freiheitsbataillon anzuschließen. Ich wurde nach Belgien geschickt und baute mit Österreichern aller politischen Schattierungen in Brüssel die  Österreichische Freiheitsfront auf. In der Leitung waren Sozialdemokraten, Kommunisten, Monarchisten und unpolitische Emigranten. Wir haben uns bemüht, insbesondere durch kulturelle Tätigkeit, die Öffentlichkeit zu überzeugen, daß die Österreicher keine Deutschen sind, und für das Wiedererstehen Österreichs geworben.
Der Wirkungsgrad unserer Widerstandstätigkeit ist kaum quantifizierbar. Er hat aber dazu beigetragen, manchem die Augen zu öffnen, antifaschistisches Bewußtsein zu bilden und Widerstand zu fördern.
Auch er gehörte zur Grundlage für das Wiedererstehen Österreichs als unabhängiger  Staat. Heute muß erneut alles unternommen werden, um den Widerstand gegen die Aushöhlung der Unabhängigkeit, des Staatsvertrages und der Neutralität zu stärken.

Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 1/1995

 

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