Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung Drechslergasse 42, A–1140 Wien Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at
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Irma Schwager: „Mädelarbeit“ in Frankreich: Im Kampf um Österreichs FreiheitHeute wird die Selbständigkeit der demokratischen Republik Österreich
allgemein als Selbstverständlichkeit angesehen. Das war aber nicht immer so. Erst
ein unendlich opferreicher Kampf und der Sieg über den Hitlerfaschismus haben
die Wiedergeburt Österreichs als selbständige demokratische Republik möglich
gemacht. Als im März 1938 die deutsche Armee zusammen mit den großen
Terrororganisationen der Nationalsozialisten unser Land besetzten, sagte damals
der Kanzler des christlich-ständischen, austrofaschistischen Regimes in
Österreich, Dr. Kurt Schuschnigg: „Wir weichen der Gewalt - Gott schütze
Österreich“. Die Hitlerfaschisten konnten den in Österreich weitverbreiteten
Deutschnationalismus nutzen und sprachen - mit großem Erfolg- davon, daß
Österreich ein Teil des Deutschen Reiches sei, das nun „heimgekehrt“ sei. Der
„Anschluß“ wurde von allen Ländern, außer von der Sowjetunion und Mexiko,
hingenommen. EmigrationIch emigrierte nach Belgien, von wo ich nach Frankreich ging. Mit falschen Papieren als Elsässerin getarnt, beteiligte ich mich mit zahlreichen anderen Österreichern und Österreicherinnen am Widerstandskampf im besetzten Paris. Im Rahmen der französischen Widerstandsbewegung hatten wir, aufgrund unserer Sprachkenntnisse, die Aufgabe, mündliche und schriftliche Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit unter den Besatzungssoldaten zu leisten. Während die Männer, als Franzosen getarnt, bei Wehrmachts- und zivilen deutschen Dienststellen als Dolmetscher, Telefonisten, in Soldatenheimen als Kellner usw. arbeiteten, hatten wir jungen Frauen die Aufgabe, den direkten Kontakt zu den Besatzungsoldaten herzustellen, in Gesprächen mit ihnen zu erfahren, wie die Stimmung in den Kasernen und zu Hause war. Das war wichtig, weil wir in unseren Flugblättern und der Zeitung „Soldat im Westen“ aktuell an die Probleme der Soldaten anknüpfen konnten. Wir leisteten auch Aufklärungsarbeit unter ihnen, d.h. wir versuchten sie von der Sinnlosigkeit des Krieges und vom wahren Charakter des Nationalsozialismus zu überzeugen. Wenn möglich, gaben wir ihnen Flugblätter und gewannen sie als Mitkämpfer. Bekamen wir Kontakt zu Österreichern, die auf Urlaub nach Hause fuhren, gaben wir ihnen Flugblätter mit. MädelarbeitDiese spezielle „Mädelarbeit“ gab es in Paris, im Norden, und nach der Besetzung ganz Frankreichs (Ende 1942) auch im Süden. In Belgien agierten ebenfalls „Mädelgruppen“. (Siehe dazu auch den Beitrag von J. Zanger in dieser Nummer.) Es war keine leichte Sache, insbesondere in der Zeit vor der Schlacht um Stalingrad, als die deutsche Armee noch im Vormarsch war. Hitlers Blitzkrieg in Europa hatte einen Mythos der Unbesiegbarkeit geschaffen. Anfangs waren die meisten Soldaten, die wir trafen, noch vom Endsieg der Deutschen überzeugt. Wir erlebten die tiefen Spuren, die die Nazipropaganda bei den Soldaten hinterlassen hatten. Viele glaubten an die Naziphrasen von der „neuen Ordnung“, die sie dem „dekadenten“ Europa bringen wollten. Rassismus, Antisemitismus und Herrenmenschentum waren tief verwurzelt. Das bekamen wir in den Gesprächen zu spüren. Überheblich wurde z.B. kritisiert, wie schlampig die Franzosen seien, und daß in Deutschland die Straßen sauberer und die Menschen besser angezogen seien. Wenn es uns gelang, diese Männer zum Nachdenken darüber zu bringen, daß die sauberste Straße, die gebügelte Hose und die schönste Frisur nichts wert sind, solange man nichts empfindet, wenn ein Mensch gedemütigt, verfolgt und erschossen wird, dann war das schon ein Erfolg. Wir mußten lernen zuzuhören, uns nicht provozieren zu lassen, auch wenn vieles gesagt wurde, was uns weh tat. Das Gespräch mußte unbemerkt so geführt werden, daß der Soldat möglichst viel von sich erzählt. Vorsichtig haben wir unsere kritischen Fragen und Bemerkungen eingeflochten. Eine gewisse Vertrauensbasis mußte geschaffen werden, ohne Vertraulichkeiten und Annäherungsversuche zuzulassen. SoldatenkontakteMöglichkeiten gab es viele. In der Metro, beim Einkaufen in Warenhäusern, in den Banlieus (den Vororten von Paris), wo die Kasernen waren, haben wir uns in die Gespräche eingemischt, oder beim Einkauf den Soldaten „geholfen“. Die scheelen Blicke und manchmal in der Metro auch die Stupser von Franzosen, die uns für Soldatenliebchen hielten, waren unangenehm, aber gleichzeitig ein bewußtes Widerstandszeichen gegen die Besatzungsmacht, was uns gefreut hat. Wir gingen immer zu zweit. Um Annäherungsversuchen auszuweichen, haben wir die Bedingungen so gewählt, daß nichts passieren konnte. Das heißt, wir gingen nicht ins Kino, nicht im Finstern, sondern bei Tag im Park spazieren. Im Kaffeehaus oder Bistro ließen wir uns nichts bezahlen. Vor allem mußte mit Geschick verhindert werden, daß man nach Hause begleitet wurde. Das war oft nicht leicht. Am Beginn unserer Bekanntschaft waren die Soldaten höchst erfreut, junge Französinnen kennen zu lernen, die sogar noch deutsch sprachen. Sie wollten natürlich nicht nur mit uns plaudern. Aber bald, als sie uns näher kennen lernten, haben sie bemerkt, daß wir keine gewöhnlichen Soldatenliebchen sind. Das freundschaftliche Gespräch trug oft dazu bei, eine gute Atmosphäre zu schaffen und viele waren dann froh, endlich mit jemanden offen sprechen zu können. Über ihre Sorgen zu Hause, über den Drill und die Ungerechtigkeiten in der Kaserne und später immer mehr über ihre Ängste, an die Ostfront geschickt zu werden. Haben wir bemerkt, daß es Menschen sind, mit denen man reden konnte, dann haben wir sie allein wieder getroffen, ihnen zuerst ein Flugblatt gegeben und dann versucht, ihnen auch welche für die Kaserne mitzugeben. Waren es fanatische Nazis, dann haben wir ihnen ausgemalt, was alles passieren wird, wenn der Krieg verloren ist und haben sie nie wieder getroffen. Die Gefahr dieser Tätigkeit war groß. Die Deutschen haben geglaubt, daß wir eine sehr große Organisation sein müssen, weil die Flugblätter an den verschiedensten Stellen aufgetaucht sind. Nicht nur wir Frauen, sondern auch die männlichen Österreicher haben die Flugblätter verbreitet, sie über die Kasernenmauern geworfen, auf Parkbänke gelegt, in Kinos liegengelassen und auf Alleebäume geheftet. Man warnte die Soldaten, es handle sich um französische Spioninnen, die die deutsche Armee zersetzen wollen. Nach solchem „politischen Unterricht“ haben Soldaten beim Treff gleich die Gestapo mitgebracht. Trude Blaukopf wurde verhaftet und in Frankreich ermordet, Vilma Steindling kam nach Auschwitz. In Paris habe ich „Soldatenarbeit“ gemacht, bis eines abends die Concierge (Hausbesorgerin), als wir heimkamen, zu mir sagte: „Wenn sie hinaufgehen, machen sie kein Licht, denn die Gestapo war hier und hat sie gesucht. Nehmen sie nur das Notwendigste mit, denn wahrscheinlich beobachten sie das Haus“. Mein Mann Zalel, der im Norden illegal arbeitete, war gerade zu Besuch in Paris. So mußten wir damals untertauchen und wieder „unsere Identität wechseln.“ Fremdarbeiter in ÖsterreichIm Jahre 1943 fuhren viele österreichische Genossinnen und Genossen als
„Fremdarbeiter“ getarnt nach Wien, um mitzuhelfen, den kommunistischen
Widerstand zu stärken. Auch ich hatte schon die ärztliche Untersuchung hinter
mir und einen Abfahrtstermin von den Deutschen. Da aber in Wien von den bereits
dort eingetroffenen „Fremdarbeitern“ bis auf einen alle verhaftet worden waren,
ließ die Parteileitung mich nicht mehr fahren.Von den acht Frauen, mit denen
ich in Paris zusammengearbeitet habe, sind vier verhaftet worden. Gerti
Schindel und Lisa Gavritsch, die als Fremdarbeiterinnen nach Österreich
gefahren waren, kamen in das berüchtigte Frauenkonzentrationslager Ravensbrück,
in dem 92.000 Frauen ermordet wurden. Gerti Schindel, Edith Wexberg und Toni
Lehr, sie waren schon auf der Todesliste, sind durch eine internationale
Solidaritätsaktion innerhalb des Lagers gerettet worden, indem man sie
versteckt und dann in einen Transport nach Schweden geschmuggelt hatte. An
dieser Aktion war auch die mutige französiche Kommunistin Marie Claude Vaillant
Couturier beteiligt. Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 1/1995 |
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