Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at


 

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Gertrude Springer: Was geschah vor mehr als 50 Jahren?

Heute bin ich eine Frau mit weißen Haaren, erinnere mich aber noch genau, was sich vor mehr als fünf Jahrzehnten zugetragen hat. Ich kann darüber berichten, während andere, mit denen ich damals im Widerstand gegen den Hitlerfaschismus zusammengearbeitet habe, das nicht tun können, weil sie als Jugendliche hingerichtet, das heisst geköpft wurden.

Wie kam ich zum Widerstand?

Mit noch drei Geschwistern bin ich in einer Ottakringer Arbeiterfamilie aufgewachsen. Meine Eltern  waren Sozialdemokraten und so war es nur natürlich, daß ich die Kinderorganisationen dieser Partei besuchte, wie Turnverein, Singschule und später die Roten Falken. Dann kam der 12. Februar 1934 und mit einem Schlag war alles vorbei. Die Sozialdemokratische Partei wurde verboten und auch alle ihre Organisationen. Ich war traurig und zornig zugleich. Vielleicht wurde schon damals das Samenkorn für die Bereitschaft zum Widerstand gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit gelegt. Bald nach 1934 fanden wir uns wieder zusammen in der sogenannten „Wandergruppe des Volksbildungsvereines”, bis auch diese verboten wurde. Aber unsere Gemeinschaft blieb aufrecht. Wir machten Ausflüge und sangen unsere Kampflieder.
Aus uns Kindern wurden Jugendliche. Je mehr sich die politische Lage in unserem Lande zuspitzte, um so politischer wurden unsere Zusammenkünfte. Die Nationalsozialisten wurden immer frecher. Als dann Schuschnigg im Februar 1938 das Berchtesgadener Abkommen unterzeichnete, in dem Hitler die Bildung einer neuen Regierung mit Seyß-Inquart als Innenminister forderte, war bereits das Todesurteil für Österreich gesprochen. Vollstreckt wurde es dann am 11. März 1938, als Schuschnigg mit den Worten „Gott schütze Österreich” sich verabschiedete und Österreich endgültig den Nazis auslieferte. Nun erst erfuhren wir, was Faschismus wirkl ich bedeutete. Trotz Verhaftungen und Deportationen wurde der Widerstand immer wieder organisiert. Ich selbst habe 1939 als 17-jähriges Mädchen begonnen, im illegalen Kommunistischen Jugendverband zu arbeiten, obwohl wir wußten, daß es bei einer eventuellen Verhaftung den Kopf kosten konnte. Wir haben Flugschriften, wie die „Rote Jugend” und den „Soldatenrat” hergestellt und zur Verbreitung gebracht. In Flugschriften wurden den Menschen die Ziele des Hitlerfaschismus und die Sinnlosigkeit des Krieges vor Augen geführt. Auch Sabotageaktionen in Wehrbetrieben organisierten wir. In Briefen, die wir an Soldaten an die Front schickten - ihre Feldpostanschriften hatten wir gesammelt - forderten wir saie auf, nicht weiter ihr Leben für diesen verbrecherischen, ungerechten Krieg aufs Spiel zu setzen. Zahlreiche Mitkämpferinnen und Mitkämpfer wurden nach Prozessen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Diese Gruppe Soldatenrat war eine der vielen kommunistischen Gruppen, die Widerstand gegen den Nazifaschismus leisteten und dabei ihr Leben genauso verloren, wie 2.700 weitere österreichische Frauen und Männer, die hingerichtet wurden, wie mehr als 9.600 in Gestapogefängnissen ermordet und zirka 16.500 politische Gefangene in Konzentrationslagern, die man dort umgebracht hat. Dazu kommen noch mehr als 65.000 österreichische Juden, die in Konzentrationslagern vergast, erschlagen oder einfach verhungert sind. Das ist eine erschreckende Bilanz des Todes, die man sich kaum vorstellen kann.
Vom 22. - 27. September 1943 hatte die blutige Nazijustiz (5. Senat, Berlin, unter dem Vorsitzenden Albrecht) diesmal im Kreisgericht Krems zugeschlagen. Gegen 14 Jugendliche wurde verhandelt. 12 von ihnen wurden zum Tode verurteilt, zwei erhielten eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren. Eine davon war ich. Wir wußten, daß Jahre keine Rolle spielten und waren überzeugt, daß der Hitlerfaschismus in nicht allzulanger Zeit besiegt sein würde. Die Wende bei Stalingrad hat uns diese Zuversicht gegeben, aber auch die Solidarität der Häftlinge im Zuchthaus spielte eine ganz große Rolle. Eine Zeichnung, ein kleines Gedicht, aufmunternde Worte, geschrieben mit einem selbstgebastelten Bleistift aus einer winzigen Mine und einem gekneteten Brot gab uns Mut und Kraft. Aber auch ein zerlesener, zu einem Fetzen Papier gewordener Wehrmachtsbericht, nicht mehr ganz aktuell, der aber indirekt unsere Zuversicht stärkte. Das alles wanderte beim „Kübeln” und Mistausleeren geschickt von Zelle zu Zelle (im Zuchthaus Aichach gab es keine Klos). Und wenn wir nur „Guten Morgen” und „Gute Nacht” beim Fenster hinausgeschrieen haben, gab uns das ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Auch den 1. Mai ließen wir Kommunistinnen und revolutionären Sozialistinnen nicht wie jeden anderen Tag vorübergehen. Wir organisierten rote Fäden und flochten sie ins Haar. Sie waren kaum zu sehen, aber wir waren stolz darauf, den 1. Mai auf diese Art und Weise feiern zu können.
Es gäbe noch viel mehr zu schreiben, aber was ich damit sagen will ist, daß man einfach diese Dinge machen mußte, um das Leben im Zuchthaus, in der Zelle ertragen zu können. Man war im Zuchthaus nicht so dem willkürlich Tod ausgeliefert wie im Konzentrationslager, aber es waren die täglichen Schikanen und Demütigungen, die nicht leicht zu verkraften waren.
Doch wir haben sie verkraftet. Am 29. April 1945 war es endlich so weit. Ohne vorhergegangener Schießerei, aber fürchterlichem Lärm innerhalb des Zuchthauses, so daß wir glaubten, die SS sei gekommen, kam plötzlich eine Genossin zu unserer Zellentür gelaufen und rief durch das Guckloch: „Grete, Trude, die Amerikaner sind da, wir sind frei! Ich hol gleich die Schlüsseln!”. Sie kam und sperrte die Zellentür auf. Ich mußte weinen und ich schäme mich nicht, das zu schreiben, denn ich dachte an alle jene, die hingerichtet wurden und diesen Tag nicht erleben konnten.
Mit vielen Illusionen und Erwartungen kamen wir nach Hause. Viele Jahre sind seither vergangen. Wir können feststellen, daß sich das Bekenntnis zu Österreich gefestigt hat. Aber daß wir uns nach 50 Jahren noch mit Faschisten und Neofaschisten auseinandersetzen müssen, hätte ich mir damals nicht gedacht. Unser Kampf gegen Faschismus, für ein besseres, schöneres Leben in einer friedlichen Welt geht weiter.

Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 4/1995

 

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