Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung Drechslergasse 42, A–1140 Wien Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at
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Walter Baier: Volksfrontorientierung und antifaschistische Bündnisanforderungen heuteEs war ein Hauptziel des antifaschistischen Kampfes und der Volksfront‑Orientierung der Kommunistischen Internationale, Antifaschismus weit über die Grenzen einer Partei hinaus zu verstehen und Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen und politischer Orientierungen zusammenzuführen. Die seit Jahren anhaltenden Wahlerfolge der FPÖ lassen sinnvoll erscheinen zu untersuchen, ob sich aus der Orientierung des 7. Weltkongresses der Komintern eine Strategie gegen die Rechtsentwicklung im heutigen Österreich ableiten läßt. Hier sollen einige Überlegungen zu diesem Thema zur Diskussion gestellt werden. Österreich und Europa machen im Moment den tiefsten Umbruch der Nachkriegsgeschichte durch. Die gängigste Interpretation lautet, die Globalisierung setze neue Maßstäbe des Wirtschaftens. Arbeitslosigkeit, unbezahlte Mehrarbeit (Stichwort; Flexilibisierung), Sozial‑ und Bildungsabbau scheinen quasi naturwüchsige Folge dieses Prozesses. Der Inhalt dieser Entwicklung ist ein Fortschritt, dessen Sinn immer weniger Menschen einleuchtet. Von der SPÖ‑ und ÖGB‑Spitze wird so getan, als ob der erhöhte soziale Druck auf Arbeiter und Angestellte, auf Jugendliche und Pensionisten nichts mit der Entstaatlichung der letzten Jahre und dem Beitritt zur EU bzw. der Regierungspolitik zu tun habe. Dadurch soll davon abgelenkt werden, daß diese negative soziale Entwicklung klar erkennbare Gründe hat: Die Übernahme neoliberaler Dogmen durch die beiden Regierungsparteien. Gegen die zutiefst konservativen Positionen der Regierung und der Sozialpartner tritt eine Partei mit einem Erneuerungsanspruch auf, die ihrem Wesen nach alles andere als neu ist. Jörg Haider schreibt in seinem Buch "Die Freiheit, die ich meine": Österreich ist eben anders. Politische Verantwortung für Fehlleistungen bedeutet nicht Rücktritt vom Amte sondern Griff in die Taschen der Steuerzahler. Wer in der österreichischen Demokratie abgelehnt wird, der wird mit Generaldirektorenwürden in Staatsunternehmen entschädigt. Manager, die Staatsbetriebe ruinieren, werden nicht entlassen, entlassen werden die Mitarbeiter. Manager in Staatsbanken, die Milliardenpleiten zu verantworten haben, werden nicht vor die Tür gesetzt, sondern erhalten Millionen Abfindungen und Frühpensionen". Der ehemalige sozialdemokratische Premierminister Frankreichs Rocard hat den Populismus von Le Pen als die falsche Antwort auf eine richtige Frage charakterisiert. Das ist natürlich oberflächlich, weil es nicht um einen Quiz geht, sondern um einen Machtkampf in der realen Welt der Politik. In den vielen bitteren Worten, die zwischen den Vertretern der großen Koalition und dem angeblichen politischen Erneuerer Jörg Haider gewechselt werden, scheint ihr gemeinsamer Nenner außer Frage zu stehen. Die österreichische Politik ohne Rücksicht auf Verluste als gigantischen Machtkampf zwischen Gut und Böse zu inszenieren. Im Ringen um die Vormachtstellung im Staate Österreich haben die beiden Koalitionsparteien von der Zweiten Republik und ihren Vorzügen wie Vollbeschäftigung, Sozialstaat, zeitweise steigender Lohnquote, Verstaatlichter Industrie und Neutralität nicht viel übrig gelassen. So stehen die angeblichen Verteidiger des Status quo mit ziemlich leeren Händen Jörg Haider gegenüber, der eine Dritten Republik mit folgender Charakteristik anstrebt: "Mehr Freiheit, kein Vereinigungszwang der Kammern, kein Staatseingriff in die Meinungsfreiheit, Abschaffung des ... Monopols, mehr Kontrolle, Schuldenabbau und Verschwendungsstopp, Senkung der Abgabenquote unter 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, Schluß mit dem Parteibuchzwang, soziale Gerechtigkeit durch steuerliche Entlastung der Familie, (...) strenge Maßnahmen gegen Mißbrauch und Verschwendung?" Die Staatsbürger haben scheinbar nur die Wahl zwischen einer Zweiten Republik, die nicht mehr existiert, und einer Dritten Republik, die nichts weiter ist als ein postmodernes Phrasensammelsurium. Es ist bezeichnend für die politische Kultur in unserem Land, daß die Auseinandersetzung zwischen dieser Scheinalternative als Mutter aller politischen Schlachten um die Demokratie in Österreich ausgegeben wird. Um zu verstehen, was Haider mit Dritter Republik meint, kann man die Wirtschaftspolitik der FPÖ analysieren. Am letzten Parteitag der Freiheitlichen Partei wurde ein Wirtschaftsprogramm präsentiert. Es ist durchdrungen von Unternehmerdenken und sieht die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Senkung der Lohnnebenkosten, die Streichung der Arbeitgeberbeiträge für den 13. und 14. Monatsgehalt zur Sozialversicherung und ähnliche Anschläge vor. Das ist die wirtschaftspolitische Alternative der FPÖ für die kleinen Leute. Was die EU‑Politik betrifft, wird von allen Massenmedien unterstellt, Haider sei der Hauptgegner der österreichischen EU‑Politik. Tatsächlich hat er jedoch in "Friede durch Sicherheit, eine österreichische Philosophie für Europa" zum Vertrag von Maastricht geschrieben: "Sollte die Währungsunion trotz aller Vorbehalte kommen, sind aus österreichischer Sicht folgende Forderungen unerläßlich: Der Euro muß genau so hart sein wie der Schilling; die Konvergenzkriterien müssen ohne die geringste Auslassung eingehalten werden; durch einen Stabilitätspakt mit automatischen Sanktionen muß garantiert werden, daß der Euro auch nach Beginn der Währungsunion jene Stabilität behält, die am Beginn gegeben war. Das wird nur zu erreichen sein, wenn die an der WWU teilnehmenden Staaten gezwungen sind, ihre Fiskalpolitik (Staatsschuld, Budgetdefizit) dauerhaft in den Grenzen der Konvergenzkriterien oder möglicherweise sogar darunter zu halten. Darüber hinaus soll die Arbeitslosenrate einen bestimmten möglichst niedrigen Wert nicht überschreiten." Dabei handelt es sich um eine Ergänzung der Euro‑Zwänge durch arbeitsmarktpolitische Zielstellungen, wie sie auch die ÖGB‑Spitze verlangt. (ÖGB‑Präsident Verzetnitsch fordert, daß eine maximale Arbeitslosenrate von sieben Prozent in die Maastricht‑Kriterien aufgenommen wird.) Sieht so eine integrationspolitische Alternative aus? Nein, viel eher ist anzunehmen, daß die fundamentalistische Rhetorik in der EU-Kritik ein Druckmittel ist, mit dem er die Erhöhung seines politischen Einflusses - bis zur Regierungsbeteiligung - betreibt. Bedeutet das, daß es keine oder nur geringfügige Unterschiede zwischen der FPÖ und den anderen Parteien des bürgerlichen Lagers in Österreich gibt? ‑ Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, daß der springende Punkt der aktuellen Lage nicht in unterschiedlichen Regierungskonstellationen, sondern in der Bereitschaft aller bürgerlichen Parteien besteht, am neoliberalen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft im Rahmen der EU mitzuwirken. Das bedeutet, daß die Abwehr der katastrophalen Auswirkungen dieser Entwicklung nicht von Differenzen zwischen diesen Parteien, sondern von der politischen Aktivierung der Widersprüche in ihren eigenen Reihen abhängt, wenn man einmal von der Reaktion der betroffenen Menschen und außerparlamentarischen Bewegungen absieht. Was hat das alles mit dem 7. Weltkongreß und der auf ihm entwickelten Strategie zu tun, und was hat umgekehrt die heutige Lage in Österreich mit den im Jahr 1936 gefaßten Beschlüssen zu tun? Beim Studium dieser Dokumente kann man vor allem genaueres Hinschauen lernen. Zunächst sei die klassisch gewordene Definition des Faschismus zitiert, die am 7. Weltkongresses entwickelt wurde. Es heißt da: "der Faschismus an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur" getragen von den "reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elementen des Monopolkapitals". Diese Definition ist geläufig; sie ist zwar oft zitiert und auch kritisiert, aber selten analysiert worden. Das heißt nicht, daß mit der Definition des Faschismus durch die Kommunistische Internationale alle Forschungen über den Faschismus abgeschlossen wären. Im Gegenteil: Es geht darum, an diesem Punkt anzusetzen, um die Analyse weiter zu treiben. Die Komintern‑Definition steht meines Erachtens nicht im Gegensatz zu Forschungen anderer marxistischer Theoretiker oder Historiker aus Strömungen der Arbeiterbewegung, aber sie erscheint wesentlich konkreter als andere Ansätze. Das trifft auch auf die Charakterisierung des Faschismus durch Wilhelm Reich aus dem Jahr 1933 zu, der von einer "Diktatur des Kleinbürgertums" sprach. Allerdings hat auch Reich interessante Aspekte aufgegriffen, wie das folgende Zitat zeigt: "Der Faschismus ist nicht, wie allgemein geglaubt wird, eine rein reaktionäre Bewegung, sondern er stellt ein Amalgam zwischen ... Emotionen und reaktionären sozialen Ideen her." Nebenbei ist dieser Hinweis auch bei Dimitroff zu finden, wenn er deutlich macht, der Faschismus entfache nicht nur tief verwurzelte Vorurteile in den Massen, sondern spekuliere auch auf die besten Gefühle, auf die Gerechtigkeitsgefühle, mitunter sogar auf revolutionäre Traditionen. Aber zurück zu Reich. Weiter heißt es: "Der Faschismus in seiner reinen Form ist die Summe aller irrationalen Reaktionen des durchschnittlichen menschlichen Charakters. Die faschistische Mentalität ist die des kleinen und unterjochten und gleichzeitig rebellischen Mannes. Der Faschist ist der Feldwebel in der Armee unserer tief kranken industriellen Zivilisation." Es lohnt sich, über faschistische Mentalitäten nachzudenken, und es gilt zu begreifen, daß diese Haltung nicht alleine eine Frage der politischen Einstellung, der politischen Organisierung oder der Wahlentscheidung ist, sondern daß es auch um die Zurichtung der Individuen in der bürgerlichen Gesellschaft geht. Derartige Überlegungen zum Phänomen des Faschismus können erhellen, wie es möglich war, daß bei den EU‑Wahlen im Oktober 1996 200.000 Wähler und Wählerinnen von der SPÖ direkt zu den Freiheitlichen übergelaufen sind. Um derartige Entwicklungen zu begreifen, ist notwendig, Problemstellungen nicht schematisch anzugehen, sondern von verschiedenen Seiten zu durchdenken. Erst eine Summe von politischen Überlegungen und Erfahrungen ergibt eine komplexe und konkrete politische Strategie. "Der Machtantritt des Faschismus ist nicht die einfache Ersetzung einer bürgerlichen Regierung sondern die Ablösung einer Staatsform". Diese Formulierung wirft auch heute jede Menge Fragen auf. Nach der Massenbasis des Faschismus, nach den Fraktionen des Kapitals, die er repräsentiert, nach den Strukturen seiner Machterhaltung, nach den ideologischen Strukturen seiner Hegemonie und vieles andere. Wesentlich ist Wissen auch auf diesem Gebiet nicht für abgeschlossen zu halten. Gesicherte Erkenntnisse sind nur als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen fruchtbar. Was kann das heute für Österreich heißen? ‑ Man könnte etwa fragen, ist Jörg Haider mit seiner "Buberlpartie", die aus Dandies und Naturburschen, dem Nazibuchstabierer Gauck oder den Förderern von Friedhofsch ndern besteht, die Zerschlagung der bürgerlichen Demokratie zuzutrauen? Meines Erachtens kann man diese Frage mit Ja beantworten. Diese Gruppe von Desperados ist reaktionär indoktriniert, gewissen‑ wie verantwortungslos und zu allem bereit. Aber es reicht nicht, daß der Alptraum zur Verwirklichung drängt; es ist auch erforderlich, daß die Wirklichkeit zum Alptraum drängt. Anders formuliert, was Jörg Haider und seine Truppe will ist eine Sache und was sie durchsetzen kann eine ganz andere Angelegenheit. Zur Errichtung einer faschistischen Diktatur (Wie könnte digitalisierter Hightech‑Faschismus ausschauen?) bedarf es objektiver gesellschaftlicher Umstände. Dimitroff beschrieb sie als gesellschaftliche Krise, die einer revolutionären Situation nicht unähnlich ist: "Die Bourgeoisie ist nicht mehr imstande, die Herrschaft über die Massen mit den alten Methoden der bürgerlichen Demokratie und des Parlamentarismus aufrecht zu erhalten und ist in Anbetracht dessen gezwungen, in der Innenpolitik zu terroristischen Regierungsmethoden und in der Außenpolitik zu Methoden des Krieges zu greifen". Gerade heute erscheint nachvollziehbar, daß monopolistischer Kapitalismus bzw. das kapitalistische Monopol in der Wirtschaft zum Monopol in der Politik drängt und Reaktion auf der ganzen Linie erzeugt. Wenn weiter richtig ist, daß der Monopolkapitalismus mit dem Krieg schwanger geht wie die Wolke mit dem Regen, so stellt sich mit dem dramatischen Machtgewinn des Monopolkapitals und des Finanzkapitals durch den Sieg im Kalten Krieg meiner Meinung nach die Frage, nicht ob wir uns auf den Weg einer globalen Reaktion befinden, sondern wie weit wir auf diesem Weg bereits fortgeschritten sind. In diesem Rahmen ist die Funktion von Parteien wie den Freiheitlichen oder der Front National in Frankreich oder anderen rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Parteien zu bestimmen. Darüber hinaus ist zu fragen, wo der Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist. Ernst Wimmer hat in einer Analyse im Jahr 1980 die Sozialpartnerschaft als die spezifische Herrschaftsform des österreichischen Kapitalismus charakterisiert. Herrschaftsform heißt, Methode der Herrschaftssicherung auf Grundlage der Demokratie als Staatsform. Und er hat vier Eckpunkte dieser Herrschaftsform skizziert: 1. Anerkennung der Marktwirtschaft 2. Verbot jeglicher Umverteilung 3. Verzicht auf weitere Verstaatlichung 4. Unbedingtes Verhindern, daß Verteilungskämpfe in Systemdiskussionen übergehen. Da es sich bei diesen Punkten um einen Klassenkompromiß handelt, kann er auch umgekehrt in Hinblick auf die Pflichten des Kapitals formuliert werden: Anerkennung von Vollbeschäftigung und Sozialstaatlichkeit, Abgeltung von Produktivitätssteigerungen durch Lohnerhöhungen, Akzeptanz der bestehenden verstaatlichten Industrie. Dieser politische Konsens ist mittlerweile hinfällig geworden. Er bildet aber die Voraussetzung dafür, daß sozialpartnerschaftliche Herrschaftsmethoden überhaupt praktizierbar sind. Sie sind auf Dauer nicht vereinbar mit dem Phänomen der Zweidrittel‑ oder Einfünftelgesellschaft, der Globalisierung im Zeichen eines neuen Regulationstyps, der privatmonopolistischen Entwicklungsvariante des staatsmonopolistischen Kapitalismus, oder was auch immer man als ausschlaggebendend für die Charakterisierung dieses neuen Kapitalismus halten mag. In letzter Konsequenz läuft er auf einen ständigen Druck zur Umverteilung von Einkommen zum Monopol‑ und Finanzkapital hinaus und die sukzessive Einführung militärischer Mittel als Methode der wirtschaftlichen Expansion zu akzeptieren. Auf politischer Ebene wird ein Wettlauf zwischen den politischen Parteien ausgetragen, sich bei Durchsetzung diesen neuen Typs kapitalistischer Entwicklung nützlich zu machen. ÖVP und SPÖ haben diesen Umbau seit 1986 gemanagt. Brigitte Ederer sagte als Bundesgeschäftsführerin, daß es ohne SPÖ keine Mehrheit bei der Volksabstimmung über die Europäische Union gegeben hätte. Liberales Forum und Grüne, die sich von einer Protestpartei mit gesellschaftsveränderndem Anspruch zu einer bürgerlichen Reformpartei entwickelt haben, organisieren die Einbindung von mehr oder weniger kritischen neuen Mittelschichten in dieses Projekt. Keine der genannten Parteien ‑ von antikapitalistischer oder sozialistischer Orientierung ist nicht die Rede , leistet ernsthaften politischen Widerstand gegen das neoliberale Modell und seine Durchsetzung. Im selben Tempo, wie die wirtschaftlichen und sozialpolitischen Grundlagen des Konsenses der "Sozialpartner" wegfallen, verlieren auch Riesenapparate wie ÖGB, Kammern und ORF ihre Funktion für das Kapital. Gewissermaßen als letzten Akt haben diese Apparate und ihre führenden Funktionäre das in der Nachkriegszeit entwickelte Herrschaftsgebäude dem Abbruch preisgegeben. Diesen Abbruch zu vollziehen, scheint mir die eigentliche Funktion der Freiheitlichen Partei zu sein. Auch dazu ein Zitat: "Es geht um die Überwindung von Elementen eines Ständestaates im System und um die Entmachtung der herrschenden politischen Klasse durch Beseitigung ihrer Pfründen, Privilegien und demokratisch nicht legitimierten Machtinstrumente, die die Entstehung einer offenen Gesellschaft freier Bürger mit aufrechtem Gang verhindern sollen. Unser Vorhaben ist mehr als ein Machtwechsel oder eine politische Korrektur. Wir wollen eine Österreichische Kulturrevolution mit demokratischen Mitteln, wir wollen die herrschende politische Klasse und ihre intellektuelle Kaste stürzen". (Jörg Haider, "Die Freiheit die ich meine") Erschöpft sich die Funktion der Freiheitlichen Partei darin, diesen rabiaten neoliberalen Umbau des politischen System voranzutreiben, oder gibt es einen Zusammenhang zwischen diesem neoliberalen reaktionären Pseudoliberalismus, dessen Rhetorik von Popper und Dahrendorf abgekupfert ist, und dem Deutschnationalismus bzw. dem sozialen und ethnischen Rassismus, der nicht nur in der FPÖ, sondern auch der politischen Unkultur Österreichs wurzelt? Jos Müller, ein in der autonomen Antifa‑Szene gelesener Autor, spricht von einer Krise des korporativen Klassenkompromisses. Gemeint ist eine Krise der Sozialpartnerschaft und ihrer parteipolitischen Träger. Müller rechnet damit, daß die Infragestellung dieser Institutionen zur Einführung autoritärer Beziehungen zwischen den Regierenden und den Regierten führt. Meines Erachtens wird damit ziemlich exakt beschreiben, was in Westeuropa vorgeht. Das Entstehen eines neuen modernen Autoritarismus, eines Zwangs zur gesellschaftlichen Konformität auf dem Hintergrund der Illusionen weitgehender individueller Selbstbestimmung. Man kann das in Österreich nachvollziehen: Zum Beispiel: Kommt der Euro? Oder: Muß Österreich in die westeuropäische Union eintreten? Beide Fragen würden gesellschaftlichen Diskurs erfordern. Tatsächlich werden sie in irgendwelchen Expertengremien erörtert und schließlich von den Eliten entschieden. Ein Problem besteht dabei darin, daß die österreichische Sozialpartnerschaft schon immer autoritäre Züge gehabt hat. Beispielsweise war Demokratie bei der Festlegung von Forderungen und Zielen im Rahmen der Gewerkschaften fast immer ein Fremdwort. Der Nationalrat war zu keinem Zeitpunkt ein Legislativorgan im klassischen Sinn, vielmehr hat er sich immer damit begnügt, Entscheidungen nachzuvollziehen, die außerhalb des Parlaments von der Regierung oder den sogenannten Sozialpartnern getroffen wurden. Dieser Autoritarismus erleichtert es Jörg Haider und den Freiheitlichen, die Sozialpartnerschaft in Frage zu stellen. Damit stellt sich das Problem, welcher neue Kitt das politische System in Österreich zusammenhält. Peter Ulram hat zu Beginn der 90er Jahre in einer Untersuchung über die politische Kultur in Österreich auf folgenden Zusammenhang verwiesen: Der rapide Vormarsch der Massenmedien und insbesondere der elektronischen Medien führe dazu, daß andere Instanzen, speziell die politischen Parteien, die direkten Möglichkeiten der Interpretations‑ und Informationsvermittlung verlieren. In dem Zusammenhang scheint es bemerkenswert, daß die FPÖ mit 45.000 Mitgliedern ebenso viele Stimmen von Wählern mobilisiert wie die SPÖ (mit rund 600.000 Mitgleidern) und die ÖVP (mit rund 400.000 Mitgliedern). Daran zeigt sich, daß es eine massive Veränderung bei der Organisierung der gesellschaftlichen Zustimmung für die jeweils herrschende Politik gegeben hat. Der Informationsprozeß, meint Ulram, werde durch die Hegemonie der Medien offener und die Informationsstrukturen und Inhalte pluralistischer. Tatsächlichen gehen wir in Österreich aber auf eine zunehmend totalitäre Informationsdiktatur zu. Aber es geht nicht nur um institutionelle, sondern um ideologische Bindekräfte. Seitens autonomer Antifaschisten wird geltend gemacht, daß die prägende Ideologie des enthemmten, deregulierten Kapitalismus und seines modernen Medienautoritarismus von folgenden Faktoren geprägt wird: aggressivem Chauvinismus, ethnischem und kulturellem Rassismus, sozialem Rassismus der Tüchtigen, ethnischer und sozialer Ausgrenzung. Autoritarismus, Nationalismus und Rassismus werden dem kapitalistischen System in Österreich und in Westeuropa deshalb auch nicht von außen aufgedrängt, sondern kommen aus dem Zentrum der Gesellschaft ‑ in letzter Konsequenz aus den geänderten Erfordernissen der Kapitalverwertung. Die Zweite Republik Österreich wird nicht von außen von einer Dritte Republik herausgefordert, sondern gebiert sie im eigenen Schoß. Jedenfalls befindet sie sich in einem Auflösungsprozeß, weil die tragenden Kräfte miteinander wetteifern, die Politik an die neuen Erfordernisse der Kapitalverwertung anzupassen. Die besondere Funktion der FPÖ ergibt sich daraus, daß sie ‑ statt das System zu stürzen, wie manche befürchten ‑ diesen Erfordernissen in jeder Hinsicht am nachhaltigsten, brutalsten und konsequentesten zum Durchbruch verhelfen will. Daher besteht die tatsächliche Alternative zum herrschenden System nicht in seiner Radikalisierung durch die FPÖ (wie umgekehrt die Koalition von SPÖ und ÖVP keine demokratische und soziale Alternative zum Projekt von Jörg Haider sind). Daraus ergibt sich, daß aus den Verhinderungen Haiders im bestehenden Rahmen fast zwangsläufig eine zunehmende Verhaiderung seiner Verhinderer wird. Sollen wir deshalb als ZeitzeugInnen eines sich entwickelnden neuen Autoritarismus mutlos und passiv darauf warten, daß der österreichische Kapitalismus sich möglicherweise sogar in eine faschistische Richtung entwickelt? Zwar würde man der Komplexität des sozialen und politischen Kahlschlages sowie der Rechtsentwicklung nicht gerecht, wenn man eine eins zu eins Übernahme der Volksfrontstrategie in Erwägung zöge. Es lohnt sich aber, beim 7. Weltkongreß nachzuschauen, welche Voraussetzungen damals Marxisten und Marxistinnen als notwendig für den Stop der Rechtsentwicklung betrachtet haben. Vor allem eine Lehre ist daraus zu ziehen: Der Sieg der Rechten kann verhindert werden, wenn Arbeiter und Angestellte, Pensionisten und Jugendlichen für ihre Interessen kämpfen. Zum Beispiel für Arbeitsplätze, für soziale Sicherheit, für Verstaatlichung, gegen die Wirtschafts- und Währungsunion, für ein neutrales und unabhängiges Österreich - in einem sozialen und demokratischen Europa, möchte ich hinzufügen. Dabei geht es auch um eine qualitative Veränderung der sozialen Funktion und Aufgabenstellung des ÖGB und anderer Institutionen der Arbeiterbewegung. Ein Siegeszug der Rechten kann ferner verhindert werden, wenn man sich an den Text des 7. Weltkongresses hält, durch das Wachstum einer revolutionären Partei (Heute heißt das durch das Wachstum einer Linken außerhalb und im Gegensatz zum bestehenden System des österreichischen Kapitalismus, deren Teil eine selbstbewußte und erneuerte Kommunistische Partei ist.) in Verbindung mit einer kühnen und offensiven, fortschrittlichen und demokratischen Bündnispolitik. Referat auf dem Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft „60 Jahre Internationale Brigaden“, 23. November 1996 |
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