Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Winfried R. Garscha: Überblick über das literarische Werk Hugo Hupperts

Nur wenige begabte Dichterinnen und Dichter nutzen ihr Talent in großem Umfang dafür, Andere zu Wort kommen zu lassen, indem sie ihr lyrisches Schaffen in den Dienst der Übertragung von der einen in eine andere Sprache stellen. Es gibt im deutschen Sprachraum vermutlich ein einziges Beispiel, das sowohl in der Dimension als auch in der Qualität mit dem vergleichbar ist, was Hugo Huppert als Nachdichter geleistet hat: Die Übertragung der Shakespeare-Dramen von Schlegel und Tieck, die so kongenial waren und gleichzeitig so sehr den literarischen Geschmack des deutschsprachigen Publikums über eine lange Periode trafen – nämlich vom Ende des 18. bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus – dass Shakespeare in einem Ausmaß Eingang in die deutschsprachige Theatertradition fand, als sei er ein deutscher Dramatiker gewesen. 

In durchaus vergleichbarer Weise hat Hugo Huppert einen der ganz Großen der sowjetischen Literatur, Wladimir Majakowski, in der deutschen Sprache heimisch gemacht – so sehr, dass seinen Nachdichtungen die Herkunft aus einer fremden Sprache nicht mehr anzumerken ist, gleichzeitig aber den Sprach-Duktus, den Rhythmus und die Melodie des Originals ins Deutsche herüber gebracht. Dass sich diese Einbürgerung auf die DDR und das nicht besonders zahlreiche kommunistische Publikum in der BRD, der Schweiz und Österreich beschränkte, hat etwas mit den Realitäten des Kalten Krieges nach 1945 zu tun, die ganze Abschnitte auch der eigenen Literatur einfach ausklammerte – man denke nur an den Brecht-Boykott.

Die Veranstaltung stellt zwar Hugo Huppert vor allem mit seinen eigenen, originären Werk vor, bringt aber auch einige Beispiele von Nachdichtungen. Wir haben uns dabei auf Majakowski beschränkt und auch hier – aus Zeitgründen – auf Gedichte, die nur etwa ein Fünftel des von Huppert übertragenen Gesamtwerks ausmachen. Nur als Anmerkung möchte ich hinzufügen, dass Majakowski nicht der einzige russische Dichter ist, mit dem sich Huppert befasst hat, aber er ist der einzige, den er komplett ins Deutsche übertragen hat. 

Allerdings gibt es eine Nachdichtung, die der des Werks Majakowskis an die Seite zu stellen wäre – sowohl vom Umfang als auch von der Kraft, die Huppert in sie investiert hat, von allem aber hinsichtlich der historischen Bedeutung der Vorlage: "Der Recke im Tigerfell" des Georgiers Schota Rusthaweli, ein Werk aus dem späten 12. Jahrhundert, das für die georgische Dichtung dieselbe Bedeutung hat wie Dantes knapp hundert Jahre später entstandene "Göttliche Komödie" für die italienische. Dass Schota Rusthaweli trotz der Leistung Hupperts im Deutschen so wenig heimisch geworden ist, dass der georgische Nationaldichter z.B. der Brockhaus-Enzyklopädie ganze vier Zeilen wert ist, liegt allerdings weniger am Kalten Krieg (der hatte nur insofern Bedeutung, als die in einem DDR-Verlag erschienene Ausgabe der Huppert'schen Nachdichtung im Westen praktisch nicht erhältlich war), als an der Fremdheit eines Werks, das die Gedanken- und Gefühlswelt der beginnenden vorderasiatischen Renaissance widerspiegelt. Diese Dichtung wirkt nicht mehr unmittelbar auf uns Heutige – und um ihre Wirksamkeit in der georgischen Literatur und Kunst, und zwar über die Jahrhunderte hinweg, mit zu berücksichtigen und in unsere Rezeption des Textes einfließen lassen zu können, müsste man mit der literarischen und künstlerischen Entwicklung des kleinen Landes im Kaukasus in einem halben Jahrtausend vertraut sein. Nur zum Vergleich: Auch eine noch so kunstvolle Nachdichtung des – übrigens zeitgleich entstandenen, aber noch ganz und gar dem Mittelalter verhafteten  – Nibelungenliedes auf Suaheli oder Thailändisch vermag das nicht zu transportieren, was uns Begriffe wie "Nibelungen-Treue", die "Verwundbarkeit Siegfrieds" oder "Der Nibelungen Not" bedeuten. Nicht einmal die Einbeziehung der ja auch außerhalb des deutschen Sprachraumes bekannten Wagner-Opern würde hierzu reichen. Das schmälert die Leistung Hupperts nicht, im Gegenteil: Es verdeutlicht, welche Anstrengungen er auf sich genommen hat, um sich die Vorlage zunächst einmal selbst anzueignen, die Zwischentöne zu begreifen, die man wahrnehmen können muss, um – noch dazu einen literarischen Text – korrekt übersetzen zu können. Dieser kleine Exkurs erklärt aber vielleicht, warum sich bei Hupperts Rusthaweli-Nachdichtung das Gefühl der Vertrautheit nicht einzustellen vermag, das wir empfinden, wenn wir seine Majakowski-Texte hören. Wer sich aber auf das Abenteuer einlassen will, in eine Welt einzutauchen, in der im 12./13. Jahrhundert nicht mehr Mittelalter war, sondern sich schon ein Menschenbild zu entwickeln begann, das in Europa später dann "humanistisch" genannt wurde, der ist mit dem "Recken im Tigerfell" bestens bedient. Dank der Leistung Hupperts ist das Deutsche eine der wenigen Sprachen außerhalb der ehemaligen Sowjetunion, in denen dieses Abenteuer möglich ist.

Ich habe Hupperts Leistungen als Nachdichter an den Beginn meiner Einleitung gestellt, weil es – und davon bin ich zutiefst überzeugt – das ist, was bleiben wird. Um noch einmal zum Beispiel von August Wilhelm Schlegel und seines Fortsetzers Ludwig Tieck zurückzukehren: Nach 200 Jahren sind ihre eigenen Werke nur mehr literaturhistorisch interessant, ihre Shakespeare-Nachdichtungen hingegen haben die Jahrhunderte überdauert.

Hupperts Lyrik hat ihre eigene Qualität, sie ist an der Rhythmik seines Vorbildes Majakowski geschult, sie profitiert von den technischen Fertigkeiten, die er sich bei der Übertragung aus dem Russischen und Georgischen angeeignet hatte, und in den 1960er Jahren entwickelte er auch einen eigenen, unverwechselbaren Stil. Dieser klang allerdings schon damals merkwürdig fremd für österreichische, aber auch deutsche – zumindest westdeutsche – Ohren. Es war eine Mischung aus Agitprop in der Tradition kommunistischer und linkssozialistischer Autorinnen und Autoren der Zwischenkriegszeit, der poetischen Wärme russischer Dichtung, vor allem nach dem Ende der ultralinken Periode in den dreißiger Jahren, und einem sehr österreichischen Zugang zur Sprache als Werkzeug, um nicht zu sagen Spielzeug, geschult an Nestroy, vor allem aber Karl Kraus, der auch für Huppert – wie für viele seiner Zeitgenossen – die Fackel seiner Jugend war, bevor er für sich seinen Leuchtturm in Majakowski entdeckte: "majak" heißt "Leuchtturm" auf Russisch.

Dass diese Dichtung über weite Strecken fremd auf uns wirkt, hat allerdings weniger stilistische Gründe – obwohl die natürlich auch eine Rolle spielen – sondern inhaltliche. Hupperts literarische Heimat war in erster Linie die Sowjetunion, später die DDR, deren Verlage seine Bücher druckten. Sein literarisches Schaffen spielte sich außerhalb der Auseinandersetzungen ab, die die österreichische Literatur der 1950er, 60er und 70er Jahre prägten. Die Probleme österreichischer Autorinnen und Autoren – von Ingeborg Bachmann über Ernst Jandl bis Thomas Bernhard – waren nicht nur nicht die seinen, sie waren ihm fremd, und er begriff sie in nicht wenigen Fällen nur als Ausdruck der kulturellen Dekadenz des Spätkapitalismus. Eine besondere Verachtung hegte er für Thomas Bernhard, und er ließ – beispielsweise in seinen Berichten über die Salzburger Festspiele, die in der "Volksstimme" und in "Weg und Ziel" erschienen – kaum eine Gelegenheit aus, um sich über die Werke Bernhards zu entrüsten. Hinter dieser Haltung steckt nicht nur das Problem des mehrfach Exilierten, der nirgends daheim ist, daher auch nicht in der österreichischen Gegenwartsliteratur, sondern auch ein eigenes poetologisches Konzept, das Huppert nach seiner endgültigen Rückkehr nach Österreich, also ab der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, zu entwickeln begonnen hatte, dem seine Gedichte ab den späten sechziger Jahren folgten und das er 1973 in einem umfangreichen theoretischen Band mit dem Titel "Sinnen und Trachten. Anmerkungen zur Poetologie", also zur Wissenschaft vom Gedichteschreiben, veröffentlichte. Bereits 1968 erschien sein Gedichtband "Logarithmus der Freude", in dem er dieses poetologische Konzept an vielen Gedichten praktisch demonstrierte. Der Innsbrucker Literaturprofessor Johann Holzner hat in einem Aufsatz über Hupperts Poetologie dargelegt, dass Huppert damals von der erklärenden, nacherzählbaren Dichtung übergegangen ist zu einem von ihm "implikativ" genannten Verfahren, das sich dem Stoff annähert, indem es Assoziationen und Bilderketten im Kopf des Zuhörers provoziert und damit das Publikum zur aktiven Mitwirkung zu bringen versucht. Gedichte sind, nach diesem Konzept, keine fertigen Botschaften, sondern – wie Huppert es in seinem Gedicht "Um Liebe zur Wortkunst" nennt – "Höhenbaustellen", in "träumerischem Schaukelzustand über Abgründigem".

Das dritte Feld, auf dem sich Hugo Huppert literarisch betätigt hat, ist das Zeitbezogenste, das für den Augenblick Geschriebene: die Reportage, Reiseschilderung, der mit persönlichen Überlegungen, mit historischen Informationen unterlegte Bericht, den vor allem eines auszeichnet: eine wirklich beeindruckende Beobachtungsgabe, die immer wieder auch aus dem Fundus seiner Tagebücher schöpft – beginnend mit der 1934 erschienenen "Sibirischen Mannschaft" ("Ein Skizzenbuch aus dem Kusbass", Nachdruck Berlin 1961), bis zu seiner dreibändigen Autobiografie ("Die angelehnte Tür", "Wanduhr mit Vordergrund", "Schach dem Doppelgänger", 1976–1979).

Einleitungsreferat auf der Gedenkveranstaltung der Alfred Klahr Gesellschaft zu Ehren des 100. Geburtstags und 20. Todestags von Hugo Huppert am 7. Juni 2002

 

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