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Kommunistische und fortschrittliche Kommunalpolitik
Referat von Hendrijk Guzzoni (Freiburg)
Vorbemerkung: die politische Gemengelage ist in Freiburg für die BRD eher
untypisch: Wir haben einen grünen Oberbürgermeister, die Grünen sind die
stärkste Fraktion im Stadtrat.
Es gibt neben den traditionellen Parteien und den Freien Wählern noch eine
Vielzahl kleinerer Listen, die im Gemeinderat vertreten sind: Junges Freiburg,
die Grün-Alternativen, eine Kulturliste, die Unabhängigen Frauen und last not
least die Linke Liste-Solidarische Stadt, für die ich seit 1999 im Stadtrat
sitze.
Die Vertreterin der Unabhängigen Frauen, die beiden Stadträte der Kulturliste
und die Linke Liste (vier Sitze) bilden zusammen eine Fraktionsgemeinschaft, die
7 der insgesamt 48 Sitze im Freiburger Gemeinderat stellt. In der Linken Liste
sind sowohl VertreterInnen der DKP als auch der Partei DIE LINKE vertreten, die
Mehrheit der Mitglieder sind jedoch parteilos.
Zu meiner Person: neben meiner Tätigkeit als Stadtrat bin ich auch Mitglied des
Bundesvorstands der DKP und einer der Sprecher der Bürgerinitiative „Wohnen ist
Menschenrecht“.
„Ein Gutes Leben für Alle“ war in diesem Frühjahr der Wahl-Slogan des
parteiunabhängigen Kandidaten bei der Oberbürgermeisterwahl in Freiburg, den die
verschiedene Linkskräfte und auch die Kommunistische Partei unterstützt haben.
Dieser Slogan, diese politische Forderung, hat viele Menschen in Freiburg in
hohem Maße irritiert. Die erste Reaktion war oft von Unverständnis, oft sogar
von Ablehnung geprägt. Dabei kam die Kritik nicht etwa von der Seite, die auf
antagonistische Klassen- und damit Interessensgegensätze hingewiesen hätte.
Nein, offensichtlich leben wir in gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen die
Forderung nach einem „Guten Leben für Alle“ keine Selbstverständlichkeit (mehr?)
darstellt. Auf der einen Seite geht offensichtlich eine große Zahl von Menschen
davon aus, dass diese Forderung reine unerfüllbare Utopie sei, nicht wirklich
etwas mit den realen politischen Auseinandersetzungen in der Kommunalpolitik in
einem OB-Wahlkampf zu tun haben könne. Auf der anderen Seite stellen nicht
wenige die prinzipielle Richtigkeit einer solchen Forderung in Frage. Soll
tatsächlich das „Gute Leben für Alle“ für alle und alle gleichermaßen gelten?
Oder haben nicht doch die „Leistungsträger der Gesellschaft“ ein bißchen mehr
gutes Leben verdient als die „einfachen Leute“, erst recht als die Arbeitslosen,
Sozialhilfeempfänger und Rentner? Oder die Einheimischen doch ein bißchen mehr
als die Zugewanderten und erst Recht als die Asylbewerber und Flüchtlinge?
Wir dagegen haben es durchaus sehr Ernst genommen mit dem „Guten Leben für
Alle“. Wir treten ein für eine Stadt, in der wirklich alle und so weit irgend
möglich, auch alle in gleichem Maße ein gutes Leben führen können. Ein gutes
Leben ohne Existenzangst, ein Leben mit Arbeit mit gerechtem Lohn, mit
menschengerechtem und bezahlbarem Wohnraum, verantwortlich, solidarisch und
selbstbestimmt, mit freiem Zugang zu Bildung und Kultur, in sauberer Umwelt und
mit guten sozialen Kontakten, demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten und all
dem, was zu einem Leben in Würde und ohne Not gehört, eben „Ein Gutes Leben für
ALLE“.
Aufgrund meiner Erfahrungen als Stadtrat in Freiburg würde ich drei Merkmale
(dazu später mehr) und vier thematische Schwerpunkte linker oder
kommunistischer, die ich als eine Teilmenge linker Kommunalpolitik bezeichnen
würde, für wesensbestimmend halten.
Diese sind:
die Vertretung der sozial Benachteiligten
Demokratie und BürgerInnenbeteiligung
die kommunalen Finanzen und
der Kampf gegen Privatisierung öffentlichen Eigentums.
Ohne klassische kommunale Aufgabenfelder wie die Umwelt-, Bau- oder
Kulturpolitik gering zu schätzen, scheint mir, dass diese vier Politikfelder
diejenigen sind, die das Wesen linker Kommunalpolitik bestimmen.
Die Vertretung der sozial Benachteiligten bedeutet, dass im Fokus linker
Kommunalpolitik immer die Frage steht, ob eine Entscheidung
a) der Arbeiterklasse, der Masse der lohnabhängig Beschäftigten, den
Erwerbslosen, den Studierenden, den „kleinen Leuten“ dient und wie sie sich
b) insbesondere auf die sozial besonders Benachteiligten und Ausgegrenzten
auswirkt, auf die MigrantInnen, die Erwerbslosen und GeringverdienerInnen, die
Behinderten, die „queeren“, die Obdachlosen usw. Aber auch, im Sinne des Gender
Mainstreaming, auf die Frauen, die in gewissen Hinsichten immer noch eine
benachteiligte, wenn auch Mehrheit und nicht Minderheit darstellen.
Zur Vertretung der sozial Benachteiligten gehört z.B. der von der
Stadtverwaltung vorgesehenen Erhöhung der Kindergartenbeiträge nicht nur nicht
zuzustimmen, sondern im Gegenteil einen Antrag zu stellen, die Kindergärten
stufenweise innerhalb der nächsten acht Jahre kostenfrei zu machen.
Auf Initiative der Linken Liste wurde vor einigen Jahren der „Runde Tisch gegen
Hartz IV“ (ja: in der BRD werden Gesetze schon mal nach verurteilten Kriminellen
benannt) ins Leben gerufen. Von der Beratung Erwerbsloser über praktische Hilfe
in Einzelfällen bis zu politischen Aktionen: der „Runde Tisch gegen Hartz IV ist
zu einem politischen Faktor in Freiburg geworden. Aktionen, z.B. für ein
Sozialticket (Monatskarte für Bus & Bahn für 18 statt für 44 Euro) verbinden die
Anklage gegen die Ausgrenzung erwerbsloser und geringsverdiendender Menschen
z.B. von Mobilität, von kulturellen und sportlichen Aktivitäten mit dem Kampf
für die konkrete Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Hier ist eine enge
politische Zusammenarbeit zwischen Rundem Tisch, Linker Liste und
Gemeinderatsfraktion eine Selbstverständlichkeit. Natürlich beinhaltet eine
politische Interessensvertretung der sozial Benachteiligten auch die Anliegen
für Barrierefreiheit für Menschen mit Handicap, der Kampf gegen drohende
Abschiebungen der kosovarischen Roma, die Arbeitsbedingungen der städtischen
Beschäftigten, die Unterstützung der Studierenden in ihrem Kampf gegen
Studiengebühren usw. usf. Und nicht zuletzt die Wohn- und Mietenpolitik. Darüber
an anderer Stelle mehr.
Demokratie und BürgerInnenbeteiligung
Hier geht es um eine ganze Reihe von Themenfeldern: da ist zum einen die
zunehmende Machtverschiebung weg von den gewählten Parlamenten hin zur
Verwaltung, zur Exekutive. Dies ist nicht nur auffällig in der immer mehr an
Bedeutung gewinnenden Rolle der EU, auch jede kommunale Verwaltungsreform geht
in diese Richtung.
Was sich jedoch noch gravierender auswirkt, ist die Tatsache, dass seit Jahren
versucht wird, parlamentarische Kommunalpolitik immer unpolitischer, und damit
immer weniger demokratisch zu gestalten. Informationsrechte der BürgerInnen
werden (wie z.B. in der BRD im neuen Baurecht) eingeschränkt, immer mehr
Tagesordnungspunkte werden im Rat der Stadt oder in Ausschüssen in
nicht-öffentlicher Sitzung behandelt, immer mehr Aufgabenbereiche in
privatrechtliche oder semi-privatrechtliche Organisationsformen ausgegliedert,
deren Aufsichtsräte oder Betriebsausschüsse nicht-öffentlich tagen.
Ein politisches Interesse an einer breiten, offenen und öffentlichen
bürgerschaftlichen Debatte über kommunalpolitische Entscheidungen und
Perspektiven ist bei den Herrschenden nicht festzustellen.
Das zunehmende Interesse und das zunehmende Aufkommen von Bürgerbegehren und
Bürgerentscheiden, und von Bürger- bzw. Beteiligungshaushaltsprozessen steht
hierzu nicht im Widerspruch. Sie sind vielmehr Gegenreaktion auf diese Tendenz
und Ausdruck einer großen Legitimationskrise des Kapitalismus allgemein wie auch
der herrschenden Kommunalpolitik im Besonderen.
Die Städte werden von Schulden in Billionenhöhe erdrückt. Und sie zahlen Zinsen
an die bundesdeutschen Banken in Milliardenhöhe.
„Sparen“ allein wird bei der Finanzkrise der Städte nicht weiter helfen.
Genausowenig wie der Appell, nicht weiter über „unsere Verhältnisse zu leben“.
Wer bitteschön, hat in den letzten Jahren über seine Verhältnisse gelebt? Die
Rentnerin mit 680.- Rente, der Hartz IV-Empfänger? Die alleinerziehende
Kassiererin bei ALDI? Die Kollegin, die mich am 1. Mai ansprach und mir
erzählte, dass sie 1100.- netto verdient und davon 660.- für die Miete
draufgehen? Die Polemik des „über den Verhältnissen Lebens“ entlarvt sich fast
von alleine. Fast.
Zinsmoratorium und, noch weiter gehend, Schuldenerlass für alle Kommunen, sind
Überlegungen, die von Kommunisten in die Diskussion eingebracht werden. Einig
ist sich die politische Linke darüber, dass eine konsequente Anwendung des
Konnexitätsprinzips gefordert werden muss („wer bestellt, zahlt“, bzw. wenn Bund
und Länder den Kommunen Aufgaben zuweisen, müssen sie ihnen auch die dafür
notwendigen Finanzmittel zur Verfügung stellen).
Wenn die Kommunen einerseits immer neue, zusätzliche Aufgaben (demnächst z.B.
für die Hortversorgung der Unter-Dreijährigen) übertragen bekommen, während
gleichzeitig ihr Anteil am Gesamtsteueraufkommen immer weiter sinkt, dann werden
sich die Kommunen wie ein Hamster im Laufrad bewegen mit immer neuen
„Sparbeschlüssen“ und Einschränkungen sozialer Angebote. Gleichzeitig wird damit
auch der Druck erhöht für Verkäufe öffentlichen Eigentums mit dem vorgeblichen
Ziel einer Haushaltssanierung.
Der Kampf gegen Privatisierungen
Das Handelsblatt schrieb in der Ausgabe 11/2005 vom „Charme der
Staatsverschuldung“, der Privatisierungen öffentlichen Eigentums wesentlich
erleichtere. Aus der Privatisierung (noch) öffentlichen Eigentums lassen sich
oftmals Renditen in zweistelliger Höhe erzielen. Private Investoren,
insbesondere Fondsgesellschaften, drängen massiv auf diesen lukrativen Markt.
Nicht erst seit heute, aber in den letzten Jahren verstärkt.
Marxistische Kommunalpolitik bestimmt sich in besonderem Maße durch die
Ablehnung und Gegenwehr gegen Privatisierungen oder sagen wir besser gegen die „Enteigung
öffentlichen Eigentums“.
Ein Zitat: „Das Bestreben die kommunalen Kassen leer zu halten hat noch einen
anderen Sinn, der uns zwingt auf dem Posten zu sein. (...) Länder, vornehmlich
aber Gemeinden, sollen gezwungen werden, ihre wertvollen Betriebe für ein
Butterbrot an das Privatkapital abzustoßen. Das ist Veranlassung genug, bei der
Haushaltsberatung auch diesem Kapitel größte Beachtung zuzuwenden. Die
bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokratie haben fürwahr den Boden gut
vorbereitet, um die Habgier des Privatkapitals zu reizen und schließlich auch zu
befriedigen. Sie haben durchweg die Werke in Gesellschaftsformen überführt und
damit der Kontrolle durch die Gemeindekörperschaften entzogen.“
Hochaktuell - und doch nicht von heute. Das Zitat ist entnommen der Broschüre
„Richtlinien für die Parlamentspolitik der KPD in den Ländern und Gemeinden“ von
1928.
Beim Kampf gegen Privatisierungen kommt es darauf an, den Handlungsspielraum des
politischen Einflusses und der öffentlichen Kontrolle, so gering dieser sein
mag, nicht gänzlich zu verlieren. Und auch darum, die ökonomischen
Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals zu beschränken. Es kommt hierbei also
einerseits auf ganz konkrete praktische kommunalpolitische Erwägungen an und
geht andererseits um Grundfesten marxistischer Theorie.
Denn die Überschuldung der Kommunen ist politisch gewollt. Sie dient dem Ziel
Privatisierung, der „Enteigung“ weiteren öffentlichen Eigentums.
Hierzu ein Beispiel aus der Praxis meiner politischen Tätigkeit: Am 3. Januar
2007 schrieb die FAZ, der Bürgerentscheid in Freiburg, in dem die Bevölkerung
den von der schwarz-grünen Ratsmehrheit geplanten Verkauf der städtischen
Wohnungsgesellschaft verhindert hatte, habe das „Klima für eine Privatisierung
kommunalen Eigentums nachhaltig vergiftet“.
So etwas hören wir natürlich gerne – und hoffen, dass die Nachhaltigkeit noch
lange anhalten möge.
Wie aber kam es zum ersten erfolgreichen Bürgerentscheid in der Geschichte
Baden-Württembergs? Durchgesetzt gegen Stadtverwaltung und 2/3 Mehrheit im
Gemeinderat, gegen die örtliche Monopolpresse, gegen das große Geld.
Die Verkaufsbefürworter sprachen von „Entschuldung auf einen Schlag“, von
„Handlungsspielraum“ und „Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung“.
Sie wollten über 500 Millionen Euro mit dem Verkauf der städtischen
Wohnungsgesellschaft FSB mit ihren ca. 8.000 Wohnungen erzielen. Ihre Strategie
beruhte auf der Annahme, dass die Betroffenen keine politische Lobby haben
würden, ja diejenigen seien, die bei Wahlen meist ohnehin zu Hause bleiben.
Doch es bildete sich schnell ein sehr breites Bündnis des Widerstands,
organisiert in der Bürgerinitiative „Wohnen ist Menschenrecht“, getragen in
starkem Maße von den Betroffenen selbst, den Mieterinnen und Mietern, sowie den
Beschäftigten der städtischen Wohnungsgesellschaft FSB. Und politisch
unterstützt von einem politischen Spektrum von SPD, DIE LINKE; Linke
Liste-Solidarische Stadt und DKP, aber auch aus dem bürgerlichen Lager mit
CDU-Abweichlern oder Kirchenvertretern, sowie besonders tatkräftig von der
Quartierssozialarbeit in einzelnen Stadtteilen.
Neben der politischen Breite des Bündnisses waren vor allem zwei Faktoren für
unseren Erfolg verantwortlich:
Die Vielfältigkeit der Argumentation: die Verkaufsbefürworter beschränkten sich
im Wesentlichen auf haushaltspolitischen Horrorszenarien und verwiesen auf eine
geplante „Sozialcharta“, die Mieterrechte schützen sollte. Wohnen ist
Menschenrecht verwies auf die beschränkte Wirkung einer Sozialcharta (ohne eine
Wirkung grundsätzlich in Frage zu stellen) und argumentierte insbesondere mit
der Notwendigkeit sozialpolitischer Steuerungsmöglichkeiten, aber auch mit der
Förderung des lokalen Handwerks (Instandsetzungsmaßnahmen), mit „Nachhaltigkeit“
(„soll über Generationen erworbenes Vermögen zugunsten einer kurzfristigen
Haushaltssanierung unwiederbringlich verscherbelt werden?“), mit ökologischen
Argumenten, mit Erfahrungen anderer Städte, dass der Schuldenstand nach einer
Entschuldung durch Verkäufe innert weniger Jahre den Stand von vorher wieder
erreichte.
Exkurs: im September 2008 legte die plötzlich wie durch ein Wunder wieder sehr
liquide Stadt Freiburg 47 Mio. Euro bei der Bank Lehmann Brothers an. Zwei
Wochen später war Lehmann Brothers pleite. Man stelle sich vor, die Stadt hätte
nach 2006 die gesamten Erlöse des Wohnungsverkaufs, über 500 Millionen dort
angelegt... Die Stadt Freiburg wäre tatsächlich pleite, zahlungs- und
handlungsunfähig geworden – und zwar durch die Wohnungsverkäufe!
Wir argumentierten natürlich mit steigenden Mieten, fehlenden
Instandsetzungsmaßnahmen und fehlender politischer und öffentlicher Kontrolle
usw. Besonders wichtig war, dass wir der Versuchung widerstanden haben, uns auf
eigene Entschuldungsvorschläge festzulegen. Die BI Wohnen ist Menschenrecht hat
statt dessen immer auf eine Vielzahl von Möglichkeiten zur
Haushaltskonsolidierung verwiesen und gefordert, dass die Bürgerschaft hierüber
in breiter öffentlicher Debatte beraten müsse.
Insbesondere, und hier haben die Kommunisten im Bündnis eine wichtige Rolle
gespielt, haben wir der Versuchung widerstanden, statt der Wohnungsverkäufe
andere Privatisierungen vorzuschlagen. Unsere Argumentation war so von Anfang
bis Ende stimmig: „öffentlich ist wesentlich“, wir brauchen mehr städtische
Wohnungen und nicht weniger, wir brauchen mehr öffentliches Eigentum und nicht
weniger.
Der dritte, vielleicht entscheidende Faktor war, dass wir von Anfang an nicht
auf einen positiven Entscheid des Gemeinderates gesetzt haben, sondern unsere
Strategie darauf ausgerichtet war, eine „gesellschaftliche Mehrheit in der
gesamten Stadt gegen die Wohnungsverkäufe“ zu erreichen, dass wir primär auf den
außerparlamentarischen Kampf orientiert haben.
Kern dieser Strategie war ein „präventives Bürgerbegehren“ mit dem wir (noch vor
einem entsprechenden Gemeinderatsbeschluss) einen Bürgerentscheid erzwingen
wollten, der einen Verkauf untersagt. Hierfür waren ca. 15.000 Unterschriften
(10% der Wahlberechtigten) erforderlich.
Mit dem Bürgerbegehren ging „Wohnen ist Menschenrecht“ politisch in die
Offensive, inhaltlich wie strategisch, und es gelang eine sehr breite
Mobilisierung: Infostände in den Stadtquartieren, Bewohnerversammlungen, in
verschiedenen Quartieren Hausbesuche von Wohnung zu Wohnung, das alles flankiert
von Anfragen, Presseerklärungen, öffentlichen Diskussionsveranstaltungen auch
seitens der Gemeinderatsfraktionen der SPD und der Unabhängigen Listen.
Knapp drei Monate nach Bekanntwerden der Verkaufspläne reichte die
Bürgerinitiative ca. 28.000 Unterschriften ein. Damit musste und konnte die
Freiburger Bürgerschaft über die Verkaufspläne selbst entscheiden. Der OB und
die schwarz-grüne Gemeinderatsmehrheit zeigten sich unbeirrt und beschlossen –
ohne das Votum des Bürgerentscheides abzuwarten - den Verkauf der
Wohnungsgesellschaft und trieben diesen bereits aktiv voran.
Das Ergebnis des Bürgerentscheides am 12. November 2006 war für die
Verkaufsallianz ein polisches Desaster: über 70% der WählerInnen sprachen sich
gegen den Verkauf aus, das Quorum wurde erreicht. Gerade in den Quartieren, in
denen die Menschen sonst oft nicht zur Wahl gehen, in den Quartieren, in denen
sich die meisten betroffenen Wohnungen befinden, war die Wahlbeteiligung
besonders hoch.
Besonders bemerkenswert an diesem Ergebnis scheint mir, dass es nicht durch eine
„Kompromisshaltung“ erreicht wurde: die Bürgerinitiative sprach sich gegen
jeglichen Verkauf von Wohnungen aus, gegen jegliche Privatisierung öffentlichen
Eigentums. Mit einer Haltung „verkauft doch bitte nur die Hälfte der Wohnungen“
oder „verkauft doch lieber Anteile am Energieversorger“ o.ä. wäre meines
Erachtens ein solcher Erfolg nicht möglich gewesen.
Ein Fazit aus dieser politischen Auseinandersetzung ist für mich daher, die
„Schere im Kopf“ wegzuschmeißen, immer die politisch richtige Forderung zu
erheben und nicht den (vielleicht) notwendigen Kompromiss im eigenen Kopf, in
der eigenen politischen Forderung schon vorwegzunehmen.
Was ist geblieben nach dieser polischen Auseinandersetzung, außer der von der
FAZ beschriebenen „Vergiftung des Privatisierungsklimas“?
Die schwarz-grüne Allianz hat noch immer eine, wenn auch geschrumpfte Mehrheit
im Gemeinderat. SPD und Linke Liste konnten nicht stadtweit, sondern nur in
einzelnen Quartieren massive Stimmenzuwächse verzeichnen, einer der
Hauptprotagonisten der Bürgerinitiative erreichte im April 2010 bei den
OB-Wahlen 20,1%.
Und es gibt mittlerweile in jedem Quartier, in dem die städtische
Wohnungsgesellschaft die Mieten erhöht, eine Mieterinitiative, die sich
gemeinsam mit der Bürgerinitiative Wohnen ist Menschenrecht, gegen zu hohe
Mieten wehrt.
Und nachdem es uns – nach vielen Niederlagen – in einem Quartier gelungen ist,
die Wohnungsgesellschaft in 85% der Fälle zur teilweisen oder gänzlichen
Rücknahme der Mieterhöhungen zu zwingen, gab es seit 15 Monaten keine
Mieterhöhungsbegehren mehr.
Aber dieser Erfolg wird nicht von Dauer sein, wenn es uns nicht gelingt, den
nächsten Schritt zu tun, aus den quartiersbeschränkten Abwehrkämpfen heraus in
die politische Offensive für mehr bezahlbaren Wohnraum zu gelangen, z.B. mit
einer Mietstop-Kampagne, z.B. mit der Forderung nach Rückkauf bereits
privatisierter Wohnungen.
Natürlich ist aber nicht nur das „Was“, sondern auch das „Wie“ für linke und
kommunistische Kommunalpolitik determinant.
Hierbei sind drei Elemente von besonderer Bedeutung:
Auf das Primat des außerparlamentarischen Kampfes bin ich gerade eben bereits am
Beispiel des Bürgerentscheides von 2006 eingegangen. Deshalb nur ganz allgemein:
Uns leitet die Erwägung, dass einzelne positive Entscheidungen und Beschlüsse
eines Parlaments dauerhaft wenig an den politischen Strukturen ändern. Diese
unterliegen nur dann einem Wandel, wenn über eine politische Auseinandersetzung,
geführt von den Betroffenen, die Parameter, die zu einer Entscheidung führen,
selbst verändert werden.
Insbesondere die Kommunisten sind der festen Überzeugung, dass sich
gesellschaftliche Veränderungen dauerhaft nicht durch Abstimmungserfolge in
Parlamenten, sondern nur mit einer Änderung des politischen Bewusstseins der
Betroffenen erringen lassen, z.B. indem im politischen Kampf die Erfahrung
gemacht wird, dass sich etwas bewirken lässt, dass der Satz
„die da oben machen ja ohnehin, was sie wollen“ dann nicht mehr gilt, wenn die
Bewegung von unten stark genug ist.
Womit wir zum Thema „Bündnispolitik“ kommen: Nirgends ist die Möglichkeit einer
aktiven Bündnispolitik so groß wie in der Kommunalpolitik. Dies beginnt damit,
dass es auf kommunaler Ebene eine Unzahl von Bürgerinitiativen gibt, in denen
sich engagierte Menschen für ihre Interessen, für soziale, kulturelle,
ökologische oder sonstige Anliegen einsetzen. Diese Einmischung von unten,
manchmal völlig ohne Parteibindung, ist aktive Bündnispolitik. Dieser Gedanke
ist mir besonders wichtig, weil Bündnispolitik oft - und fälschlicherweise - nur
als Bündnisse zwischen Parteien und Organisationen verstanden wird. Und
Bündnispolitik ist für viele Menschen die erste Erfahrung im politischen Kampf.
Die Linke Liste unterstützt, wo immer möglich, solche Bürgerinitiativen und
versucht, deren Anliegen in das Stadtparlament zu transportieren.
Auch auf der Ebene politischer Parteien und Organisationen bietet die
Kommunalpolitik vielfältigste Ansätze zur Bündnispolitik. So hat sich die Linke
Liste-Solidarische Stadt mit der Partei „DIE LINKE“ letztes Jahr auf eine
Kandidatur von Mitgliedern der Partei „DIE LINKE“ auf der Liste der Linken
Liste-Solidarische Stadt bei der Kommunalwahl in Freiburg geeinigt. Gemeinsames
Ziel war dabei eine starke gemeinsame Kandidatur, die alle Linkskräfte bündelt
und möglichst alle gesellschaftlich relevanten Bewegungen von unten vereint.
Freiburg hat im Übrigen eine lange Tradition erfolgreicher Bündnispolitik, die
die politische Kultur unserer Stadt wesentlich geprägt hat. Der Anfang liegt im
Kampf gegen das Atomkraftwerk in Whyl (bis heute das einzige AKW in der BRD, das
aufgrund von Protesten von unten nicht gebaut wurde). Im Jahr 2002 verhinderten
über 15.000 Menschen, mobilisiert von einem breiten Bündnis von über 40
Organisationen unter „Führung“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes eine geplante
Demonstration der neofaschistischen NPD, um nur zwei herausragende Beispiele zu
nennen.
Ein ganz persönliches Anliegen ist mir das dritte Wesensmerkmal linker Politik:
die Transparenz, das „Gläserne Rathaus“. Im Zusammenhang mit der aktuellen
Wirtschafts- und Finanzkrise ist oft von fehlender öffentlicher Kontrolle, vom
Versagen von Aufsichtsräten die Rede gewesen. So unkonkret scheint mir das eine
reine Alibi-Diskussion zu sein. Die praktische konkrete Forderung kann doch nur
heißen: „Transparenz durch Öffentlichkeit“! Wie soll denn Kontrolle
funktionieren können, wenn die Kontrolleure zur Verschwiegenheit verpflichtet
sind und auf mögliche Fehlentwicklungen nicht öffentlich hinweisen dürfen?
Unsere Fraktion hat (erfolglos) im Gemeinderat den Antrag gestellt, dass nicht
nur die Gemeinderatssitzungen, sondern auch die Ausschüsse und
Aufsichtsratssitzungen der städtischen Gesellschaften in der Regel öffentlich
tagen sollten.
Kürzlich hatte der neu gewählte Vorsitzende des Mieterbeirats (der Vertretung
der Mieterinnen und Mieter der städtischen Wohnungsgesellschaft FSB) einen
Termin bei der Leiterin des städtischen Rechtsamtes, um sich zu informieren, wie
es mit der Verschwiegenheitspflicht stehe, was an Möglichkeit zur Rücksprache
mit dem Mieterbeirat, was an Information der Mieterinnen und Mieter gehe.
Die erste spontane Antwort der Rechtsamtsleiterin war: „Also: was nicht geht,
ist das was der Herr Guzzoni macht“. Auch Leiterinnen städtischer Rechtsämter
können irren. Was der Guzzoni macht, geht nämlich sehr wohl. Schon einmal habe
ich eine förmliche Rüge erteilt bekommen, weil ich ein Detail aus der Bilanz der
FSB öffentlich gemacht habe. Ich habe gegen diese Rüge geklagt mit dem Ergebnis,
dass das Gericht festgestellt hat, dass ich nicht nur zur Veröffentlichung
berechtigt gewesen sei, sondern dass es geradezu ein öffentliches Interesse an
dieser Information gegeben habe. Und der Oberbürgermeister wurde verpflichtet,
die Rüge zurückzunehmen.
In Missachtung dieses Urteils wurden dennoch vor zwei Jahren die
Verschwiegenheitsregelungen nochmals verschärft, wobei offen von einer „Lex
Guzzoni“ gesprochen wurde. Dennoch ehrt es mich natürlich, in Freiburg geradezu
zum Synonym für Transparenz, für das Prinzip des „Gläsernen Rathauses“ geworden
zu sein. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Öffentlichkeit
z.B. über Pläne zum Abriss billigen Wohnraums, zu Tariferhöhungen bei Bus und
Tram, zu Zuschusskürzungen bei der Quartierssozialarbeit, erst recht bei
Mieterhöhungen vorab informiert werden. Die Betroffenen haben ein Recht darauf
zu erfahren, was politisch geplant ist, den Betroffenen nutzen diese
Informationen um ggf. Widerstandsaktionen zu organisieren. Ohne Öffentlichkeit,
ohne Transparenz ist eine lebendige Demokratie nicht möglich und wir sind nicht
in Gremien gewählt worden, um uns an einer Geheimdiplomatie gegen die eigene
Bevölkerung zu beteiligen. Schließlich heißen wir auch „Gemeinderäte“ und nicht
„Geheimräte“.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zum Titel dieses Symposiums „Tribüne oder
Politikfeld?“: Problematisch ist natürlich das „oder“.
Natürlich nutzen wir das Parlament, den Gemeinderat als Tribüne für unsere
Kapitalismuskritik, für Sozialismuspropaganda oder unsere Vision einer besseren
Welt, eines guten Lebens für alle. Das ist legitimer und notwendiger Bestandteil
unserer politischen Arbeit. Aber die Wählerinnen und Wähler, die uns ein Mandat
geben, die uns wählen, haben ein verdammtes Anrecht darauf, dass wir ihre
Interessen und politischen Anliegen vertreten.
IHRE Anliegen, IHRE Interessen, und dies ganz konkret und ganz praktisch. Wir
haben also die verdammte Pflicht, zuallererst einmal einfach gute
Kommunalpolitik zu machen. Pragmatisch und möglichst erfolgreich.
Wobei sich das pragmatische Herangehen und die politische Vision, der „Kampf ums
Teewasser“, wie ihn Bertolt Brecht in seinem „Lob des Revolutionärs“ beschrieb
und die sozialistische Zielsetzung keineswegs widersprechen müssen. Im
Gegenteil, die Kunst linker, kommunistischer (Kommunal-)Politik besteht darin,
diese zu verbinden, und zwar nachvollziehbar zu verbinden.
Ein ganz kleines Beispiel: wir von der Linken Liste-Solidarische Stadt setzen
uns selbstverständlich für die Einrichtung eines von der Bevölkerung geforderten
Zebrastreifens ein. Wir tun dies, um – natürlich – die Verkehrssicherheit zu
erhöhen, und wir tragen, wie die Marxisten es formulieren würden, damit zur
Verbesserung der Reproduktionsbedingungen der Menschen bei. Ein anderes Motiv
mag sein, aufzuzeigen dass mit der Linken Liste-Solidarische Stadt Erfolge zu
erzielen sind. Und – natürlich - tun wir dies, weil wir die Anliegen der
Menschen im Quartier, in der Stadt ernst nehmen und achten.
Die Kommunisten versuchen nun, um beim praktischen Beispiel zu bleiben, die
Forderung nach der Einrichtung eines Zebrastreifens zu verbinden mit einer
Vision von einer Gesellschaft, in der
a) die Verkehrspolitik nicht von den Interessen der großen Automobilkonzerne
diktiert ist,
b) ein von allen bezahlbarer ÖPNV Vorrang davor hat, den Individualverkehr
möglichst reibungslos zu gestalten,
c) Sicherheit ein höheres Gewicht hat als Geschwindigkeit,
d) ökologische Aspekte die Verkehrspolitik bestimmen und
e) niemand aus sozialen Gründen von Mobilität ausgeschlossen ist.
Wir versuchen also, wo immer möglich, auf einer Verbindung von Pragmatischem und
Visionärem zu bestehen, darauf, sich mit aller Ernsthaftigkeit um jedes konkrete
demokratische und soziale Anliegen zu kümmern. Dabei aber jeweils nicht aus dem
Blick zu verlieren, welche Auswirkungen eine konkrete Maßnahme auf eine
Machtverschiebung zugunsten der Arbeiterklasse haben kann. Wir wollen auf dem
Darstellen einer grundlegend anderen Gesellschaftsordnung bestehen, die von
gänzlich anderen Parametern bestimmt ist, eine Gesellschaftsordnung, die sich
nicht an Zielen der Profitmaximierung, sondern an den Bedürfnissen und
Interessen der Menschen ausrichtet, an einem „Guten Leben für Alle“.
Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft und des Bildungsvereins der KPÖ
Steiermark am 19. Juni 2010 in Graz
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