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Hans Hautmann: Der Platz des Oktoberstreiks in der österreichischen
Geschichte
Der Streik, der vor fünfzig Jahren, im September und Oktober 1950,
stattfand, war der größte Streik der österreichischen Nachkriegszeit und eine
der bedeutendsten Kampfaktionen in der Geschichte der österreichischen
Arbeiterbewegung. Er mutet heute, nach einer jahrzehntelangen Periode, in der
Streiks zu höchst seltenen Ausnahmen wurden, der davon geprägten Öffentlichkeit
als etwas Fernliegendes, Exotisches, historisch ein für allemal Abgeschlossenes
an, als Ereignis, das völlig aus dem Rahmen österreichischer Normalität fällt.
Die historischen Tatsachen zeigen ein anderes Bild, nämlich daß die
österreichische Arbeiterbewegung eine lange und reiche Tradition des
Streikkampfes besitzt. Von den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts beginnend
über die Massenstreiks für das allgemeine Wahlrecht, die
Teuerungsdemonstrationen von 1911, die riesenhaften Ausstände im Ersten
Weltkrieg mit dem Höhepunkt des Jännerstreiks 1918 und die zahlreichen
Streikkämpfe der Eisenbahner, Bergarbeiter, Metallarbeiter und
Textilarbeiterinnen in der Ersten Republik setzten sich diese nach 1945 fort.
Im Februar 1946 mit ersten Streiks gegen den Lebensmittelmangel in Fohnsdorf
und Wien anhebend, mündeten sie über die große Hungerdemonstration in Wien im
Mai 1947 in den Jahren 1948 bis 1950 in eine Welle erbitterter Klassenkämpfe
mit einer Vielzahl von Streiks und militanten Demonstrationen, die zu den
Perioden der intensivsten Klassenauseinandersetzungen in der Geschichte der
österreichischen Arbeiterbewegung überhaupt gehört. Von Gemütlichkeit als der
in Österreich angeblich obwaltenden Haupteigenschaft war da nichts zu bemerken.
Die Mehrzahl dieser Kämpfe zeichnete sich vielmehr durch Heftigkeit,
Radikalität und bisweilen offene Zusammenstöße mit den staatlichen
Ordnungsmächten aus, besonders dann, wenn Mangel an Lebensmitteln herrschte und
die Grundnahrungsmittel verteuert wurden. Genau diese Verbindung war es auch,
die das Feuer des Streiks im September 1950 entfachte.
I.
Wir Historiker sind ständig mit dem Phänomen konfrontiert, daß sich
Geschichtslegenden entgegen allen historischen Tatsachen zählebig behaupten.
Das Bewußtsein über ein historisches Ereignis ist oft wesentlich geschichtsmächtiger
als das Ereignis selbst. Jenseits jeder Realität können sich dadurch die Fakten
in ihr Gegenteil verkehren. Geschichtsbewußtsein wird von mannigfaltigen und
komplizierten ökonomischen, politischen und kulturellen Faktoren gesteuert, und
man kann es nur dann erklärend in den Griff bekommen, wenn man die hinter ihm
stehenden gesellschaftlichen Interessen analysiert.
Die österreichische Zeitgeschichte ist voll von Begebenheiten, bei denen
Geschichtsbild und tatsächlicher Ablauf weit auseinanderklaffen. Ich nenne nur
den Kärntner Abwehrkampf von 1920, den Februar 1934, bei dem man die These von
der „geteilten Schuld“ entwickelte, und das Verhältnis der Österreicher zur
eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit. Besonders tangiert von einem uminterpretierten
Geschichtsbild, das politische Legitimationsfunktionen erfüllen soll, sind
historische Ereignisse, die das Bild der natürlichen Harmonieentwicklung
Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg stören und von der sogenannten
„Koalitionsgeschichtsschreibung“ in ihrem Sinne und für ihre Zwecke
zurechtgebogen wurden. Eine zentrale Position unter diesen uminterpretierten
Ereignissen nimmt die Streikbewegung vom September/Oktober 1950 anläßlich des
4. Lohn- und Preisabkommens ein. Eine große Kampfaktion breiter Teile der
Arbeiterschaft über parteipolitische Grenzen hinweg wurde in das Werk einer
kleinen Minderheit von kommunistischen Agitatoren umgemünzt, die, mit der
sowjetischen Besatzungsmacht im Rücken, putschartig an die Macht zu kommen
trachtete. Die große Mehrheit der überwiegend sozialdemokratischen Arbeiter und
Arbeiterinnen sei besonnen aufgetreten und habe mit Vernunft, Zurückhaltung und
politischem Instinkt Demokratie und Freiheit vor einer kommunistischen
Machtübernahme gerettet.
II.
Es lohnt sich für mich an dieser Stelle und vor einem Publikum wie Ihnen
nicht, auf die Putschlegende ausführlich einzugehen. Hält man sich die
Tatsachen vor Augen, ist sie abgeschmackt und von einer geradezu bizarren
Absurdität. Dennoch lebt sie munter weiter, obwohl schon seit dem Ende der
siebziger Jahre der SPÖ nahestehende Historiker die Putschthese verneinten und
sich damit nur dem anschlossen, was schon lange vorher kommunistische und
andere linke Historiker dargelegt hatten. Seither gibt es keinen ernstzunehmenden
Zeitgeschichtsforscher in Österreich mehr, der sie vertritt. Daß das
herrschende Geschichtsbild über den Streik von 1950 demnach als Lüge dasteht,
darf aber nicht sein, weswegen Franz Olah die Putschlegende alle zehn Jahre
unter großem Medienrummel beständig wiederholt und sich als Erretter
Österreichs vor der kommunistischen Machtübernahme feiern läßt. Eine neue
Variante tischte er im Jahr 1990 auf, als er in einem Interview im
Industriellenvereinigungsorgan „Die Presse“ sagte: 1950 war ein politischer
Streik der Kommunisten, und wörtlich hinzufügte: „Ein politischer Streik ist
immer ein Putschversuch“. Auf die politische Dimension des 1950-Streiks, die
eine wichtige Frage ist, werde ich noch zu sprechen kommen. Was Olah aber hier
sagte, war gewissermaßen die vorausahnende Vorwegnahme der heutigen Situation.
Denn damit kann man ja jedwede politische Aktion, jeden Streik für politische
Ziele, jede große politische Demonstration kriminalisieren und ihnen den Geruch
der Illegalität zuschanzen. Die schwarzblaue Regierung unternahm bekanntlich
schon solche Versuche in der Richtung, wogegen man mit aller Entschiedenheit
auftreten muß. Denn das wäre nichts weniger als ein Anschlag auf die bei uns
immer noch vorhandene Rechtsstaatlichkeit, nach der Streiks, Demonstrationen,
außerparlamentarische Aktionen ja nicht verboten sind, sondern legale Mittel
des politischen Kampfes darstellen.
III.
Eine so mächtige Streikbewegung wie die von 1950 konnte nicht wie der Blitz
aus heiterem Himmel fahren oder von irgend jemand willkürlich angezettelt
werden. Es war das Zusammentreffen dreier Faktoren, das zum Oktoberstreik
führte: 1) das Zurückbleiben der Kaufkraft der arbeitenden Menschen gegenüber
dem ansteigenden Lebensmittel- und Warenangebot sowie die Kluft zwischen dem niedrigen
Lohnniveau und den sprunghaft anwachsenden Profiten; 2) die Kampfbereitschaft
der Arbeiter und Angestellten aufgrund der von ihnen mit den vorhergegangenen
drei Lohn- und Preispakten gemachten Erfahrungen; und 3) die aufklärende und
organisierende Tätigkeit der Kommunisten und Kommunistinnen in den Betrieben.
Zum ökonomischen Faktor: Vor 1950 stand nicht der Geldlohn im Vordergrund der
Sorge der arbeitenden Menschen, sondern die Beschaffung der dringendsten
Lebensmittel, nicht die Erhöhung der Löhne also, sondern die Erhöhung der
Kalorien. Die Versorgungsschwierigkeiten der ersten Nachkriegsjahre waren nun,
1950, vorbei. Gegenüber dem nun anfallenden Waren- und Lebensmittelangebot
blieb die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung zurück. Das Mißverhältnis
zwischen dem niedrigen Lohnniveau und den sprunghaft wachsenden Profiten war
aufreizend. Die Produktion lag 1950 schon mit 142 Prozent über dem
Vorkriegsstand. Der Reallohn war aber weit unter dem Vorkriegsniveau und
dementsprechend der Konsum. So lag der Fleischkonsum mit 36 kg pro Kopf und
Jahr tief selbst unter dem Krisenjahr 1937 mit 54 kg. Produktion, Produktivität
und Investitionen wurden mit Mitteln aus dem Marshall-Plan und aus dem Erlös
der amerikanischen Überschußgüter auf Kosten niedriggehaltener Löhne gehoben.
Die Kalorien waren 1950 bereits da, aber die Löhne waren zu niedrig.
Zum zweiten Faktor: Die ersten beiden Lohn- und Preisabkommen wurden von der
Arbeiterschaft unter anderen wirtschaftlichen Bedingungen und im Vertrauen auf
die Versprechungen der Regierung noch geduldig hingenommen. Aber schon beim 3.
Lohn- und Preispakt vom Mai 1949 gärte es in den Betrieben. Die Arbeiterschaft
mißtraute bereits den Versprechungen. Franz Honner schrieb damals: „Die wahre
Engelsgeduld des arbeitenden Volkes hat offenbar ein paar Herren auf den
Gedanken gebracht, einmal auszuprobieren, was man ihm alles ungestraft zumuten
darf“. Diese Geduld ging zu Ende. Eine wachsende Zahl von Betrieben, voran
Großbetriebe wie Steyr, Voith, die Großbaustelle in Kaprun und andere
protestierten gegen das Abkommen. In den Landeshauptstädten kam es zu großen
Protestkundgebungen. In Wien waren Zehntausende Menschen auf dem Rathausplatz,
in Steyr 12.000 aufmarschiert. Jedes Lohn- und Preisabkommen hatte eine
Preislawine in Gang gesetzt. Die arbeitenden Menschen fanden die Warnungen der
Kommunisten durch die Tatsachen und durch ihre eigene Erfahrung bestätigt. Vor
diesem Hintergrund wuchs ihre Kampfbereitschaft.
Zum dritten Faktor: Nun erst, beim 4. Lohn- und Preispakt, zeitigte die
Agitation der Kommunisten und ihr Versuch, über Teilstreiks zu Massenbewegungen
zu kommen, ihre Wirkung. Ihre Warnungen vor den Folgen der Lohn- und
Preisabkommen, ihre Aufforderung an die Arbeiterschaft, mit gewerkschaftlichen
Kampfmitteln eine Anhebung des Lohnniveaus und damit der Kaufkraft
durchzusetzen, fanden weitgehende Zustimmung. Wiewohl eine Minderheit, waren
Kommunisten und Kommunistinnen die auslösende und vorwärtstreibende Kraft der
großen Streikbewegung.
Das ist in dem Sinne zu verstehen, daß sie mit ihrer aufklärenden Tätigkeit
vorher die notwendigen allgemeinen Bedingungen geschaffen hatten, und nicht in
dem Sinne, daß es der Inhalt der Flugblätter war, die sie am Montag, dem 25.
September 1950, vor den Fabriktoren verteilten. Vielmehr war die KPÖ-Führung
vom Ausmaß der Bewegung anfänglich überrascht, und die Protestaktionen
eskalierten weitgehend ohne ihr Zutun zum Massenstreik. Das Paradebeispiel ist
die VÖEST, wo 1950 der VdU mit 14 Betriebsräten die Mehrheit unter den
Arbeitern hatte gegenüber 12 der SPÖ und 2 der KPÖ. Gerade hier war die
Reaktion auf den 4. Lohn- und Preispakt besonders heftig. Selbstkritisch
stellte das Plenum des Zentralkomitees der KPÖ am 13. Oktober 1950 fest, daß
die Partei „zu Beginn des Kampfes die Kampfentschlossenheit der breiten
Arbeitermassen unterschätzte, woraus sich bestimmte Schwächen und Fehler
ergaben“.
IV.
Einige Worte zum Ablauf und Umfang des Oktoberstreiks. Der Sturm brach los,
als die Einzelheiten des 4. Lohn- und Preisabkommens, das so wie die früheren
von einem Klüngel von Regierungs-, Kammer- und Gewerkschaftsvertretern hinter
dem Rücken der Arbeiterschaft ausgehandelt worden war, bekannt wurden. Der Pakt
sah eine Erhöhung der Preise für Mehl um 64 Prozent, für Brot um 26 Prozent,
für Semmeln um 59 Prozent, für Zucker um 34 Prozent sowie für elektrischen
Strom und bei den Verkehrstarifen um 25 Prozent vor, der eine sogenannte
Abgeltung durch eine zehn- bis vierzehnprozentige Erhöhung der Löhne, Gehälter,
Renten und Pensionen gegenüberstand. Nicht nur die Lohnabfindung wurde von der
Arbeiterschaft als zu niedrig angesehen. Ihr Begehren galt einer größeren
Anhebung des Lohnniveaus als Vorgriff auf die zu erwartende Teuerungswelle und
als teilweise Abgeltung der Produktions- und Produktivitätssteigerungen.
Der Oktoberstreik war eine elementare, keineswegs aber bloß spontane, sondern
in hohem Maße organisierte Kampfbewegung. Die Kommunisten, die überall zum
Streik aufriefen, forderten die Zurücknahme des 4. Lohn- und Preisabkommens,
die Zurückziehung der Preiserhöhungen oder die Verdoppelung der vorgesehenen
Lohnerhöhungen, einen gesetzlichen Preisstopp und keine weitere
Schillingabwertung mehr.
Der Streik begann nicht in den USIA-Betrieben, sondern in Oberösterreich, in
der amerikanischen Besatzungszone. Neuere Forschungsergebnisse korrigieren zwar
die Ansicht, daß der Streik in Oberösterreich begann, weil es an dem Tag (es
war Montag, der 25. September 1950) auch schon in Wien Streiks und
Demonstrationen gab. Das ändert jedoch nichts daran, daß die erste massive
Bewegung in Großbetrieben in Linz und Steyr einsetzte. Von hier breitete er
sich über ganz Österreich aus, bis nach Vorarlberg, wo es in den Betrieben zu
einstimmigen Streikbeschlüssen kam. Am Ausstand beteiligten sich etwa 200.000
bis 220.000 Arbeiter und Angestellte, in der überwiegenden Mehrheit der
verstaatlichten und Privatbetriebe. In Wien streikten 242 Betriebe mit 41.000
Beschäftigten, davon 102 USIA-Betriebe mit 22.000 Beschäftigten. In
Niederösterreich streikten 215 Betriebe mit 54.500 Beschäftigten, davon 95
USIA- und SMV-Betriebe mit 28.000 Beschäftigten. In Oberösterreich legten an
die 60.000 die Arbeit nieder, in der Steiermark 25.000 und in Salzburg 7000 bis
8000. In den übrigen Bundesländern gab es ca. 1500 Streikende.
Stellt man in Betracht, daß 1950 in der österreichischen Industrie ungefähr
500.000 Menschen beschäftigt waren, ergibt sich, daß an die 40 Prozent der
Industriearbeiterschaft, der Kernschicht der österreichischen Arbeiterklasse,
sich am Streik beteiligte. Die Bewegung ging aber noch über diese Zahlen
hinaus, denn Zehntausende traten zwar nicht in den Streik, faßten aber
Ablehnungsbeschlüsse oder demonstrierten mit und waren damit ebenfalls Teil der
Massenbewegung.
Der Streik verlief in zwei Wellen: vom 26. bis 29. September und vom 4. bis 6.
Oktober. Ende September war er, nach Aufruf seitens der KPÖ, zeitweilig
unterbrochen worden. Diese Entscheidung wird seither als schwerer Fehler
angesehen, weil dadurch dem Streik der Schwung genommen worden sei und die
Erfahrungen mit Massenbewegungen in der Tat zeigen, daß man sie nicht auf
Knopfdruck aus- und wieder einschalten kann. Ein Fehler war es, weil man damit
der Regierung und der SPÖ-Gewerkschaftsspitze eine willkommene Atempause
verschaffte, die sie sofort dazu benützte, um ihre Propagandasalven vom
kommunistischen Putschversuch abzufeuern. Vorher hatten sie das aufgrund des
Faktums, daß der Streik gerade in Betrieben mit SPÖ-Mehrheit unter den
Belegschaften ausgebrochen war, nicht zu behaupten gewagt. Die Schürung des antikommunistischen
Syndroms, in der Masse der Österreicher längst verinnerlicht, war zweifellos
die wirksamste Waffe in dieser Situation und wurde von der Regierung daher
folgerichtig in hemmungsloser Weise eingesetzt.
Auf der anderen Seite läßt sich heute, rückblickend nach fünfzig Jahren, aber
auch nicht die Lauterkeit des Zwecks und der Absicht, die zur
Streikunterbrechung führte, in Abrede stellen. Was wollte man damit erreichen?
Der Regierung sollte durch ein Ultimatum Zeit zur Überlegung gelassen werden.
Die gesamtösterreichische Betriebsrätekonferenz sollte ein zentrales
Streikkomitee zur Weiterführung des Ausstandes, zu allfälligen Verhandlungen
und zur organisierten Beendigung des Streiks legalisieren. Gerade mit der
Unterbrechung sollte demonstriert werden, daß der Streik den Fall oder die
Veränderung des 4. Lohn- und Preispaktes zum einzigen Ziel hatte und er nicht
die Absicht der Zuspitzung zu einem Staatsstreich verfolgte.
V.
War der Streik von 1950 daher rein und ausschließlich wirtschaftlicher
Natur? Das war nicht der Fall und konnte nicht der Fall sein, weil jeder
ökonomische Kampf von nur irgendwie größerer Quantität unvermeidlich auch
politische Bedeutung bekommt und es doch das erklärte Ziel der Bewegung war,
einen von der Regierung, der Koalition ÖVP/SPÖ, und von den Unternehmern mit
der Gewerkschaftsspitze beschlossenen Pakt zu Fall zu bringen. Interessanter-,
aber nicht zufälligerweise wurde von der Regierung nicht die geringste
Konzession gemacht. Für ihr hartes Auftreten waren politische Gründe maßgebend,
die in Zusammenhang mit ihren Perspektiven für die weitere Entwicklung
Österreichs standen, nämlich der Kapitalistenklasse die Möglichkeit zu geben,
ihre wirtschaftliche Macht wieder aufzurichten und den Mechanismen der
sogenannten „freien Marktwirtschaft“, die nach 1945 eingeschränkt waren, wieder
Bahn zu verschaffen. So gesehen war es die Koalitionsregierung, die mit ihrem
unnachgiebigen Auftreten dem Streik einen politischen Charakter verlieh.
Aber auch die KPÖ hat damals wie später nie verleugnet, daß der Streik von 1950
für sie eine politische Dimension hatte. Worum konnte es ihr gehen? Nicht
darum, einen Umsturz herbeizuführen und die Macht zu ergreifen, denn bei aller
Empörung und Streikbereitschaft entbehrte die Lage in Österreich im September
und Oktober 1950 der unabdingbaren Bestandteile einer revolutionären Situation.
Eine solche Zielsetzung war zudem unter den damaligen Bedingungen des
vierfachen Besatzungsregimes irreal bzw. hätte zur Zerreißung Österreichs
geführt, wogegen die KPÖ mit ihrer ganzen Politik nach 1945 immer und
unzweideutig auftrat. Es ging ihr also – und Persönlichkeiten wie Koplenig,
Honner und Fürnberg haben das auch offen ausgesprochen – 1950 politisch darum,
das Bündnis der Kapitalistenklasse mit den rechten SPÖ-Führern und den diesen
folgenden Arbeitermassen zu sprengen, zu einer Klasseneinheit der
Arbeiterschaft zu kommen, aus der mit den Unternehmern paktierenden
Gewerkschaft wieder eine Gewerkschaft des Kampfes und der
Interessenswahrnehmung der Arbeitermassen zu machen, zu verhindern, daß die
Lasten des Wiederaufbaus der Wirtschaft einseitig auf den Schultern der
arbeitenden Bevölkerung liegen, kurz: in Österreich eine andere, soziale, den
Interessen der Volksmassen dienende Politik durchzusetzen. Diese Aufgabe war
damals aktuell, ist es heute, und wird für die Linke in unserem Land auch in
Zukunft aktuell bleiben.
VI.
Der politische Charakter der Ereignisse von 1950 steht auch in engem
Zusammenhang mit der allgemeinen weltpolitischen Situation der damaligen Zeit.
Im Juni 1950 war der Koreakrieg ausgebrochen, die Spannungen zwischen der
Sowjetunion und den USA näherten sich dem Siedepunkt. In den Jahren der
Besetzung Österreichs durch die vier Großmächte war die Entfaltung des
Klassenkampfes in Österreich behindert und direkt beeinflußt durch die
Auseinandersetzung zwischen Ost und West. Immer wieder ist behauptet worden,
daß der Streik 1950 nur deshalb so große Dimension angenommen habe und die
Kommunisten nur deshalb einen so großen Einfluß auf die Streikbewegung ausüben
konnten, weil sie von der sowjetischen Besatzungsmacht unterstützt wurden. Man
weist auf die USIA-Betriebe hin, daß man dort die nichtkommunistischen Arbeiter
und Arbeiterinnen zum Streik gezwungen habe, usw. Es ist aber längst bekannt, daß
die russischen Direktoren der USIA-Betriebe sich ziemlich unbehaglich fühlten,
weil der Streik ihre Planauflagen bei der Produktion in Frage stellte und
durcheinanderbrachte, was 1950, als Stalin noch an der Spitze der Sowjetunion
stand, für sie auch persönlich zu einer gefährlichen Sache werden konnte.
Letztlich haben sie aber den Streik nicht behindert.
In Wirklichkeit war die Anwesenheit der Besatzungstruppen eine weit größere
Hilfe für die Koalitionsregierung und die SP-Führung als für die KPÖ. Sie konnte
zwar in der Sowjetzone die bewaffnete Staatsmacht nicht gegen die
Arbeiterschaft einsetzen; als Innenminister Oskar Helmer von der SPÖ – übrigens
der eigentliche Erfinder der Lüge vom Kommunistenputsch – Gendarmen gegen die
streikenden Arbeiter des Rax-Werkes in Wiener Neustadt in Marsch setzte,
schritt der sowjetische Stadtkommandant ein und zwang sie, wieder abzuziehen.
Sehr wohl einsetzen konnte die Regierung aber Gendarmerie und Polizei in der
amerikanischen und britischen Zone. Das, die Präsenz der Amerikaner und
Engländer, war es, was die Zuversicht der Regierung Figl/Schärf stärkte, die
den Unternehmern und der Gewerkschaftsspitze Sicherheit gab und auch die
Möglichkeit, gegenüber den Forderungen der streikenden Arbeiterschaft hart und
unnachgiebig aufzutreten.
VII.
Damit komme ich zu einem heute nur mehr wenig bekannten Kapitel des
Oktoberstreiks, nämlich zu den Methoden, die man zur Erzwingung des
Streikabbruchs anwandte und zu den Sanktionen, die folgten. Die Behauptungen
von den Putschabsichten der Kommunisten zeitigten beim Abbröckeln der
Streikfront ihre Wirkung, sie reichten aber nicht aus. Die Behörden und
Gewerkschaftsführer griffen zu massiven Mitteln des Streikbruchs, der
Aussperrung mit Waffengewalt, der Besetzung von Betrieben mit bewaffneter
Gendarmerie und Polizei. Die Vergangenheit der österreichischen
Arbeiterbewegung in die Erste Republik zurück, ja sogar bis in die Zeit der
Monarchie kennt kaum ein anderes Beispiel eines solchen gewaltsamen
Streikabbruchs unter Einsatz der Exekutive wie 1950, im fünften Jahr der
demokratischen Zweiten Republik. Die Steyr-Werke wurden von Gendarmerie
besetzt, vor anderen Betrieben marschierten Gendarmerie und Polizei auf;
Dutzende Betriebsräte in Donawitz und in anderen Betrieben wurden verhaftet; in
vielen Betrieben wurden Prügelgarden aufgestellt, nicht zum Schutz, sondern um
die Belegschaften am Weiterstreiken zu hindern. Das alles ohne und neben den
Trupps von etwa 2000 Mann der Bau-Holzarbeitergewerkschaft unter Olah, von
denen in dem Zusammenhang fast ausschließlich die Rede ist.
Vor diese Situation gestellt, beschloß die Streikexekutive am 6. Oktober, den
Streik abzubrechen. Der Betriebsratsobmann der Fiat-Werke und damalige
Vorsitzende der gesamtösterreichischen Betriebsrätekonferenz, Ernst Schmidt -
er wird heute bei uns zu Gast sein und an der Podiumsdiskussion teilnehmen -
erklärte: „Wohl wäre es möglich, den Streik in Wien und Niederösterreich
fortzusetzen, aber wir halten es unter den gegebenen Umständen nicht für
möglich, ihn auf die übrigen Bundesländer auszudehnen“. Die Arbeiterschaft
wurde aufgefordert, den Kampf gegen die Auswirkungen des Lohn- und Preispaktes,
für ihre berechtigten Forderungen und für die Hebung des Lebensniveaus in jedem
Betrieb und in jeder Branche zum geeigneten Zeitpunkt und in geeigneter Form
fortzusetzen.
VIII.
Die Niederwerfung des Streiks fand ihren Endpunkt in umfangreichen
Maßregelungen. Insgesamt wurden nach dem Streik an die 1.000 Arbeiter entlassen
oder gekündigt. Das Gros der Maßregelungen erfolgte in der VÖEST in Linz, in
den Steyr-Werken und im Aluminiumwerk Ranshofen. In der VÖEST wurden 350
Arbeiter hinausgeworfen, in Steyr zunächst 150 mit der Auflage, daß sie in
Steyr und Umgebung keine Arbeit mehr bekommen sollten. Die Arbeiterschaft in
Steyr, eine österreichweite Elite mit traditionell hohem Klassenbewußtsein,
hatte mit einzigartiger Festigkeit eine Woche lang die Streikfront gehalten,
wobei die starke Betriebsorganisation der Kommunisten die führende Kraft des
Kampfes war. Bis 1953 erhöhte sich hier die Zahl der Gemaßregelten auf mehr als
400 Personen. In Ranshofen gab es 90 Kündigungen, und die Betriebsorganisation
- Betriebsräte und Vertrauensleute – wurde bis auf den letzten Mann
zerschlagen. Bei der VÖEST wurden bei den Kündigungen wirtschaftliche Gründe
vorgeschützt, doch waren unter den Entlassenen großteils Aktivisten des Streiks
und besonders Mitglieder der kommunistischen Betriebsorganisation. Die
Einigungsämter erteilten den Entlassungen fast durchwegs ihre Zustimmung, wobei
der politische Charakter der Kündigungen bei den Verhandlungen offen zutage
trat. Die restlichen Maßregelungen gab es in der Steiermark in der Waggonfabrik
Simmering-Graz-Pauker, bei Waagner-Biro sowie in Donawitz, wo die zwölf
kommunistischen Betriebsräte entlassen wurden. Die Maßregelungen kamen
bezeichnenderweise fast nur in der verstaatlichten Industrie vor, dem Reich des
SPÖ-Ministers Karl Waldbrunner.
Die Verhaftung einer Reihe von Betriebsräten und Streikenden erfolgte aufgrund
des Staatsschutzgesetzes von 1936 und des Koalitionsgesetzes von 1870. Der
sozialdemokratische Justizminister und der sozialdemokratische Innenminister
haben dafür also Rechtsgrundlagen aus der Zeit des austrofaschistischen
Ständestaates und der Habsburgermonarchie herangezogen.
Zu den Verhaftungen und Maßregelungen kamen noch die Gewerkschaftsausschlüsse.
Insgesamt wurden 85 Mitglieder aus den Leitungsgremien des ÖGB ausgeschlossen,
kommunistische Gewerkschaftssekretäre und ÖGB-Angestellte. Begründet wurde dies
damit, daß sie mit ihrer Teilnahme am Streik oder durch ihre Unterstützung der
Streikenden gegen einen Gewerkschaftsbeschluß verstoßen hätten. Die wahre
Ursache war, daß sie sich gegen die Methode der Geheimpackelei der
SPÖ-Gewerkschaftsführung gestellt hatten. Bei den Metall- und Bergarbeitern
wurden aus dem Zentralvorstand vier von acht Kommunisten hinausgeworfen und
drei von sieben kommunistischen Sekretären entlassen. Unter dem Diktat von
Franz Olah, dem Vorsitzenden der Bau-Holzarbeitergewerkschaft, wurde kurzerhand
verfügt, daß Kommunisten keine Funktion in dieser Gewerkschaft bekleiden
dürften.
Ein letzter, weitgehend unbekannter und deshalb von mir zu erwähnender Aspekt
betraf die Sanktionen gegenüber kommunistischen Polizeibediensteten. In den
sowjetisch besetzten Bezirken Wiens standen Kommunisten den
Polizeikommissariaten vor. Innenminister Helmer verfügte nach dem Streik deren
Absetzung mit der Begründung, daß sie das Vorgehen der Exekutive gegen
Streikende – bezeichnet als „gewaltsame Elemente“, „Randalierer“ und
„Krawallmacher“ – sabotiert und konterkariert hätten. Hier mußte Helmer jedoch
zurückweichen, weil die sowjetische Besatzungsmacht das nicht zuließ.
IX.
Die ökonomischen und politischen Folgen des Streiks waren widersprüchlich,
und man muß dabei zwischen den kurzfristigen und langfristigen Folgen
unterscheiden Äußerlich betrachtet endete er mit einer Niederlage, weil keine
der Forderungen durchgesetzt werden konnte. Der Streik versetzte den
Herrschenden in Österreich aber einen Schock, und man wurde vorsichtiger. Drei
Monate lang, bis zum Ende des Jahres 1950, gab es keine Preissteigerungen, und
auch danach blieb die Preisbewegung moderater als früher. Der damalige
ÖGB-Zentralsekretär Fritz Klenner von der SPÖ schrieb 1951 im
Gewerkschaftsorgan „Solidarität“: „Wäre der Schock nicht gewesen, so hätte es
länger gedauert, bis es dem Gewerkschaftsbund gelungen wäre, die
Preisüberwälzer zur Ordnung zu rufen“. Das 5. und letzte Lohn- und
Preisabkommen im Jahr 1951 war bereits begrenzt und gemäßigt. Es wurde
propagandistisch sorgfältig vorbereitet und provozierte im Unterschied zu den
vorhergegangenen kaum Widerstand mehr. Danach hörte man mit der Methode der
Lohn-Preis-Pakte überhaupt auf und räumte den Einzelgewerkschaften einen
größeren Spielraum in der Tarifpolitik ein.
Für die KPÖ zeitigte der Streik eine von ihren Gegnern unerwartete Wirkung,
denn diese glaubten sie am Boden zerstört. Und obwohl sie in der Gewerkschaft
durch Ausschlüsse und in den großen Betrieben durch Entlassungen Positionen
einbüßte, festigte sie in der Folge ihr Ansehen in der Arbeiterschaft. Bei den
Betriebsratswahlen in der VÖEST 1951 steigerte sich ihr Anteil unter den
Arbeitern, verglichen mit 1949, von 9,5 auf 30,3 Prozent, bei den Angestellten
von 7,7 auf 14,2 Prozent. In den VÖEST-Abteilungen Stahlbau, Maschinenbau I und
im Stahlwerk wurde die Liste der Gewerkschaftlichen Einheit sogar zur stärksten
Fraktion. Es war das der größte Wahlerfolg in der Geschichte des Werkes
überhaupt, und er zeigte, daß die Arbeiter und Angestellten der VÖEST jenen Kollegen
das Vertrauen aussprachen, die im September und Oktober 1950 bis zuletzt an
ihrer Seite gestanden waren. Dasselbe zeigte sich in Steyr, wo die Kommunisten
bei den Betriebsratswahlen 1951 mit 2.055 Stimmen die höchste Stimmenanzahl
erreichten, die sie je dort hatten, und mit acht Mandaten in den
Arbeiterbetriebsrat einzogen. Ebenso war es in anderen österreichischen
Industriebetrieben.
Auch auf politischer Ebene äußerte sich dieser Trend. Gottlieb Fiala, der
wenige Monate nach seinem Ausschluß aus dem ÖGB als kommunistischer Kandidat
bei den Bundespräsidentenwahlen antrat, erhielt im Mai 1951 220.000 Stimmen,
die höchste Stimmenzahl, die die KPÖ bei Wahlen in ihrer Geschichte jemals
erreichte.
X.
Mit den langfristigen Auswirkungen, auf die ich nun, zum Ausklang, zu
sprechen komme, kehre ich zum Titel meines Referats zurück, zu der Frage,
welchen Platz der Oktoberstreik von 1950 in der österreichischen Geschichte
einnimmt. War er eine Wegscheide, und wenn ja, welche Periode schloß er ab und
welche Periode leitete er ein?
Meines Erachtens bildet er eine Wegscheide. Halten wir uns vor Augen, daß die
gesamte Epoche vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 bis zum Beginn der
fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts im weltgeschichtlichen wie im
österreichischen Maßstab ein Zeitalter der Kriege, Katastrophen,
Zusammenbrüche, Revolutionen, der Krise und tiefen Erschütterung des
kapitalistischen Systems war. Die Arbeiterbewegung, einerlei ob reformistisch
oder revolutionär orientiert, hat in dieser Zeit die marxistische Grundposition
vertreten, daß es einer ganz anderen Gesellschaftsordnung als der
kapitalistischen bedarf, daß der kollektive Kampf um Verbesserung der
Bedingungen der Arbeiter und Arbeiterinnen die Möglichkeit und Notwendigkeit
einer neuen, besseren, einer sozial gerechten Gesellschaft einschließt, einer,
die auf den Grundsätzen der Gemeinschaft und nicht auf denen der Konkurrenz
aufbaut. Beiden Linien gemeinsam war weiters der Gedanke, daß das nur durch
Klassenkampf erreicht werden kann. Dementsprechend hoch war das
Klassenbewußtsein sowohl in der sozialdemokratischen wie kommunistischen
Arbeiterschaft. Wenn etwas den Oktober 1950 auszeichnete, dann das, daß ein
harmonisches Gesellschaftsmodell, versinnbildlicht durch den berühmten Ast, auf
dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer angeblich gemeinsam sitzen, von einer
klassenbewußten österreichischen Arbeiterschaft noch nicht ohne Widerspruch
akzeptiert wurde. Die Koalitionsgesinnung war damals noch nicht gänzlich
gefestigt, und in der SPÖ wirkte die Klassenkampftradition noch nach. Das ist
der Grund, warum sie nur unter dem Deckmantel der als lebensnotwendig
hingestellten Koalition mit der ÖVP von der Klassenkampfposition ab- und zum
Harmoniemodell hinrücken konnte. Ihre Mitglieder nahmen die pragmatische
Erklärung der Koalitionsnotwendigkeit leichter an als die Perspektive der
Klassenversöhnung. Einen Bruch der Koalitionsgesinnung zu diffamieren als
Handlangerdienst für die Kommunisten kam daher sehr gelegen und erwies sich
1950 als propagandistisch sehr wirksam.
Über die Periode, die der Oktoberstreik einleitete, wird der Kollege Manfred
Groß sprechen, und ich möchte ihm nicht vorgreifen. Wir alle wissen, daß schon
bald nach den Ereignissen von 1950, im Jahr 1952 und 1953 bereits spürbar, die
Rekonstruktionsperiode in Österreich zu Ende ging und ein wirtschaftlicher
Aufschwung begann, der über Jahrzehnte anhielt. Keynesianische
Wirtschaftspolitik, Vollbeschäftigung, soziale Errungenschaften,
Reallohnzuwächse, Wohlstand sind hier die Stichworte. All das förderte eine
Politik, welche die ökonomischen Gegensätze von den Fabriken und von der Straße
an den „grünen Tisch“ verlagerte. Dies wiederum verstärkte die Entpolitisierung
der Bevölkerung und somit die Sozialpartnerschaft, die zum Symbol par
excellence der auf Harmonie fußenden österreichischen Gesellschaft als
vielbewunderter und beneideter „Insel der Seligen“ wurde.
Jedoch auch diese Epoche geht nun zu Ende. Denn ein Grundpfeiler für die
Erfolge des Reformismus und der sozialdemokratischen Parteien war stets die Angst
der Herrschenden vor dem Kommunismus und der Sowjetunion. Seit es die
Sowjetunion nicht mehr gibt, hat der Kapitalismus das Fürchten verlernt und
damit das Interesse an denen verloren, die keine Aktien besitzen. Was wir jetzt
erleben, ist Klassenkampf von oben in reinster, unverhülltester Form und der
Versuch, das Prinzip öffentlicher Wohlfahrtsvorkehrungen als Behinderung des
freien Marktes und des maximalen Wachstums der Profite abzuschaffen. Um das zu
verhindern, wird man dem Klassenkampf von oben den von unten entgegensetzen
müssen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, denn mit gutem Zureden und
Appellen an die soziale Vernunft wird man bei Besitzern der Produktionsmittel,
deren einziges Ziel die Abschöpfung des Mehrwerts ist, nichts erreichen können.
Die Arbeiterklasse, die sich im Lauf der letzten Jahrzehnte sozial stark
verändert hat und quantitativ in den Industrieländern schrumpft, existiert hier
nach wie vor und wird weiter existieren, weil – wie Karl Marx voraussagte – die
große Mehrheit der beschäftigten Bevölkerung aus Lohn- und Gehaltsempfängern
besteht, deren Interessen als arbeitende Menschen andere sind als die der
Unternehmer. Der Gegensatz bleibt unversöhnlich, und Konflikte zwischen beiden
werden in Zukunft mehr denn je auf Seiten der arbeitenden Menschen kollektives
Handeln erfordern. Wie das geschehen kann und mit welchen Ergebnissen, vermag
uns der Streik von 1950 als historische Erfahrung vor Augen zu führen. Ob im
politischen Sinn des Wortes oder unpolitisch, der Klassenkampf geht daher
weiter.
Referat auf dem Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft „Der große Streik
des September/Oktober 1950“, 30. September 2000
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