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Theodor Heinisch
International wird die Situation immer so dargestellt, als hätte es in
Österreich vor dem März 1938 eigentlich nur Nationalsozialisten gegeben. Aber
es gibt sehr reale Unterlagen dafür, wie die Dinge damals wirklich lagen. Und
hier möchte ich die Rolle der illegalen Gewerkschaftsbewegung auf diesem Gebiet
herausstreichen, denn das geht bisher völlig in der Literatur unter. Es gibt im
wesentlichen nur eine Darstellung, das ist die von mir seinerzeit verfaßte
Broschüre über diesen Teil unseres Widerstandes.
Wenn ich über diesen Teil heute berichte, so geht es um drei Aspekte, die in
der Zeit zwischen 1934 und 1938 hinsichtlich des Widerstandes gegen den
deutschen Faschismus besonders zu unterstreichen sind. Die illegale
Gewerkschaftsbewegung hat sich nicht nur gegen das damalige Regime gewendet,
sondern sie hat auch bei jeder Gelegenheit auf die Gefahren hingewiesen, die
durch den deutschen Faschismus entstehen, wenn Österreich von der Landkarte
verschwindet. Das erste, was sich innenpolitisch auf dem Gebiet abgespielt hat
war, daß die illegalen Gewerkschaften, insbesondere bei den Metallarbeitern und
bei den Angestellten, zusammen einen konsequenten Kampf gegen den
seinerzeitigen Staatssekretär für soziale Verwaltung Znideric geführt haben. Er
hat eine Organisation, die er gefördert hat, mit seiner Unterschrift noch
verstärkt, nämlich den „Deutsch-Sozialen Verein“. Es haben sich dieser
Unterschrift noch einige andere angeschlossen, darunter der Heimwehrführer
Lengauer, der im Parlament Abgeordneter war. Für uns war daraus ersichtlich,
daß die österreichische Abart des Faschismus bereits nationalsozialistisch
verseucht war. Wie sich dann gezeigt hat, waren das dieselben Leute, die dann
im Nationalsozialismus eine bestimmte Rolle gespielt haben. Znideric hat das
unterschrieben. Znideric ist offiziell dann Nazi geworden mit dem Ergebnis, daß
die Metallarbeiter gegen ihn einen konsequenten Kampf geführt haben trotz der
Schwierigkeiten durch das Regime. Dieser konsequente Kampf hat dazu geführt,
daß Znideric mit der Duldung der offiziellen Organisation der
Regierungsgewerkschaft von seinem Posten entfernt wurde und die Metallarbeiter
dafür eine Streikbewegung inszeniert haben, also etwas, was damals durchaus
nicht selbstverständlich war.
Im Jahre 1936 gab es von unserer Seite eine erste Denkschrift, in der
ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, daß die Außenpolitik Österreichs
zusammen mit Ungarn und Italien Österreich keine Sicherheit bietet, sondern
früher oder später das Land dem deutschen Imperialismus ausliefern werde. Wir
haben erlebt, daß diese Voraussage hundertprozentig eingetreten ist, aber das
hat das damalige Regime in seinem Haß gegen alles, was auch nur annähernd links
in seinen Augen war, ignoriert. Die illegalen Gewerkschaften haben damals die
Grundsatzforderung gestellt, die Regierung könne von der Arbeiterschaft nur
dann einen Kampf erwarten, wenn diese österreichische Arbeiterschaft in diesem
Land noch etwas zu verlieren hat. Und das war die entscheidende Frage: Daß man
die Gewerkschaften wieder den Arbeitern und Angestellten gibt, sie selbst ihre
Funktionäre wählen, die Regierung darauf verzichtet, dauernd drein zu reden.
Dann würden sie bereit sein, in diesem Land sich wirklich zu engagieren. Das
hat aber damals beim Regime noch keinen besonderen Eindruck gemacht. Erstmals
ist damit die Frage der staatlichen Existenz Österreichs von den illegalen
Gewerkschaften aufgerollt worden. Das geht in der Literatur faktisch völlig
unter.
Der nächste Schritt wurde im Jahr 1937 gesetzt. Der Bundesvorstand der
illegalen Gewerkschaften hat damals einen Beschluß gefaßt, in einer neuerlichen
Denkschrift gegen diese Gefahren anzutreten, diesmal in aller Öffentlichkeit.
Deshalb mußte der Versuch gemacht werden, diese zweite Denkschrift zu legalisieren.
Das war gar nicht so einfach. Der Kollege Hillegeist ist damals zu mir ins Büro
gekommen und hat mir gesagt: „Der Bundesvorstand ist auf die Idee gekommen, Du
sollst den Versuch unternehmen“. Das hing damit zusammen, daß wir bei den
Angestellten vorher den Kampf der Versicherungsangestellten gehabt haben und
wir dort imstande waren, wochenlang Aktivitäten zu setzen, die sogar bis zu
Betriebsbesetzungen geführt haben, also etwas, was damals in Österreich völlig
unvorstellbar war. Durch langwierige organisatorische Arbeiten ist es uns
trotzdem, halb legal, halb illegal gelungen, bei einer Reihe von Betrieben die
Denkschrift zu popularisieren und Funktionäre der legalen
Regierungsgewerkschaft dazu zu bringen, diese Denkschrift zu unterschreiben.
Das hat beim Regime ziemlich böses Blut gemacht. Als eines schönen Tages der
damalige ernannte Obmann des Gewerkschaftsbundes, der Herr Staud, nach Genf
geschickt wurde zu einer Konferenz des Arbeitsamtes, hat er dort erleben
müssen, daß ihm die dortigen Funktionäre, an der Spitze die französischen,
entgegengehalten haben: Du hast hier nichts verloren, Du bist nicht berechtigt,
im Namen der Arbeiter und Angestellten Österreichs hier zu reden. Er hat noch
das Pech gehabt, daß selbst der Vertreter der internationalen Christlichen
Gewerkschaften aufgestanden ist und ihm entgegengehalten hat: „Ich schließe
mich dem Vertreter der französischen Gewerkschaftsbewegung an, Sie haben hier
nicht das Recht, im Namen der Angestellten und Arbeiter Österreichs
aufzutreten.“ Diese Haltung der internationalen Gewerkschaftsbewegung hat beim
Schuschnigg-Regime gewisse Wirkung gezeigt.
Weiter: Im Jänner 1938 ist in der Teinfaltstraße in der Kanzlei des Herrn Tavs
bei einer Hausdurchsuchung praktisch der gesamte organisatorische Plan der
Nationalsozialisten zur Besetzung Österreichs gefunden worden. Große Aufregung
natürlich. Einen Monat später hat sich Schuschnigg endlich dazu entschlossen,
die von den illegalen Gewerkschaften gewählten Funktionäre zu empfangen. Es war
das eine Delegation von vierzehn Leuten. Ich war in dieser Delegation vertreten
und habe an der Aussprache teilgenommen. Hier hat sich gezeigt, daß das Regime
den alten Fehler wiederholte, dann erst bereit zu sein, Zugeständnisse zu
machen, wenn es zu spät ist.
Die Unterredung mit Schuschnigg hat viereinhalb Stunden gedauert. Er war
bekanntlich ein Kettenraucher und hat ununterbrochen Mentholzigaretten benutzt.
Der Hauptsprecher war Hillegeist, und ich habe vor allem die außenpolitischen
Konsequenzen unterstrichen und die Frage der Kriegsgefahr. Aber vorher hat es
noch einige Dinge gegeben. Die Staatspolizei hat uns gerufen. Ich bin mit zwei
Arbeitern zum Hofrat Weiser, dem Chef der Staatspolizei, vorgeladen worden.
Diese Unterredung am Deutschmeisterplatz hat stattgefunden am Tag vorher, als
Schuschnigg seine Rede im Parlament gehalten hat, mit dem Schlußwort
„Rot-Weiß-Rot bis in den Tod“. Bei der Aussprache haben wir ihm sofort gesagt:
Herr Hofrat, sie haben die Macht, uns sofort bei der Türe verhaften zu lassen,
das wissen wir. Wenn sie aber die Wahrheit wissen wollen, dann tun sie es
nicht, dann hören sie uns an und ziehen Konsequenzen daraus. Sagt er: Was wollt
ihr, ihr habt ja eh die Kollektivverträge. Sage ich: Haben sie sich die schon
einmal angeschaut? Sie haben uns unsere Verträge demoliert beim Phönix-Skandal,
sie haben Mitglieder ihrer Regierungspartei dort eingesetzt, obwohl sie Dreck
am Stecken haben. Das alles ist hier geschehen mit ihrer Zustimmung, mit ihrer
Partei. Sie sind blind gegen das, was vor der Tür steht. Denken sie einmal
darüber nach, was dann passiert. Sagt er: Was soll da schiefgehen? In
derartiger Unkenntnis der wirklichen Lage war der Chef der Staatspolizei! Die
Unterredung hat drei Stunden gedauert und am Schluß habe ich gefragt: Und was
ist das Ergebnis? Sagt er: Na bitte, der Regierungschef, Kanzler Schuschnigg
hat den Wunsch geäußert, er möchte die Stimmung der Arbeiter und Angestellten
kennenlernen. Habe ich gesagt: Dann sagen sie ihm, wir wollen morgen etwas
hören im Parlament darüber. Wir werden dort sein. Und davon wird sehr viel
abhängen, unter anderem, wieweit wir imstande sein werden, die Arbeiter und
Angestellten zu mobilisieren.
Ein paar Tage vorher kam Hillegeist zu mir ins Büro und sagte mir, daß der
Wiener Bürgermeister Schmitz gebeten habe, wir sollen keinen Kulturkampf
führen. Sage ich: Hast du ihm darauf gesagt, daß das wirklich nicht unsere
wichtigste Angelegenheit ist, die uns jetzt interessiert? Sagt er, das ist die
Schwierigkeit, er ist ein gläubiger Katholik. Sage ich, der soll glauben was er
will, aber in dem Augenblick jetzt zu reden über die Frage, ob man einen
Kulturkampf führt oder nicht, ist hirnrissig. Es ist eine Unterredung mit
Schmitz zustandegekommen, die ich mit drei Leuten zu führen hatte. Wieder war
es ein erschütterndes Erlebnis. Schmitz, ein Mann, der sich in Dachau
ausgezeichnet verhalten hat, erwies sich als blind. Als wir auf die Gefahr
hingewiesen haben, die durch die Ernennung Seyß-Inquarts entsteht, antwortete
er: Na ja, aber meine Herren, was ist denn schon geschehen, ein Minister ist
ausgewechselt worden gegen einen anderen. Daraufhin habe ich ihm gesagt: Herr
Bürgermeister, für die Machtergreifung ist nicht der Greißler notwendig, sehr
wohl aber der Polizist. Und die Polizei untersteht jetzt dem Seyß-Inquart. Gibt
er mir darauf zur Antwort: „Aber schauen sie, er ist doch ein gläubiger
Katholik!“
Die Unterredung bei Schuschnigg hat dreieinhalb Stunden gedauert. Beim Eingang
am Ballhausplatz ist die Wache noch mit dem Gewehr gestanden und hat uns das
Gewehr präsentiert. Ich habe dem Hillegeist noch gesagt: Ist dir klar, in einer
Woche hauen uns dieselben Leute den Gewehrprügel ins Kreuz.
Um es kurz zu sagen: Die Gewerkschaften haben trotz der Unterdrückung durch das
autoritäre Regime immer die Unabhängigkeit Österreichs in den Vordergrund
gestellt. In der sogenannten Umbruchsnacht gab es den einzigen schriftlichen
Aufruf einer politischen Organisation, das war der Aufruf der Kommunistischen
Partei zum Widerstand gegen das Regime, das jetzt kommt. Die illegalen
Gewerkschaften, standen immer auf dem Standpunkt, daß der Todfeind Hitler ist.
Wenn wir imstande sind, die wichtigsten Freiheitsrechte zu erreichen, dann gibt
es die Möglichkeit des gemeinsamen Widerstandes. Wie recht wir damit hatten,
zeigte dann der Ablauf der Floridsdorfer Betriebsrätekonferenz. Bei der
Besprechung mit Schuschnigg wurde von uns zum Schluß verlangt, daß wir uns auf
einer Betriebsrätekonferenz von Arbeiter und Angestellten und vor den illegalen
Gewerkschaftsfunktionären unsere Vorgangsweise legalisieren lassen dürfen.
Weiters verlangten wir, daß die Polizei zurückgezogen wird und wir diese
Konferenz ohne Einfluß von staatlichen Machtmitteln abhalten können. Das hat
Schuschnigg zugesagt. Tatsächlich hat es sich dann so abgespielt. Die Konferenz
ist legal abgewickelt worden. Der Berichterstatter auf dieser Konferenz war der
Leiter der Delegation Hillegeist. Alles was nachher geschehen ist, ist bekannt.
Der Großteil der Teilnehmer wurde gleich verhaftet, ein Teil dann im August
1939, zuletzt ein Teil Mitte Dezember 1941. Ich war dann bei der letzten
Garnitur.
Statement auf dem Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft „50 Jahre Zweite
Republik“, 8. Mai 1995
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