Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

Drechslergasse 42, A–1140 Wien

Tel.: (+43–1) 982 10 86, E-Mail: klahr.gesellschaft@aon.at


 

Home
AKG
Veranstaltungen
Mitteilungen
Publikationen
Geschichte
Links

 

Anton Staudinger

Ich sehe mich gehalten, einer sehr alten Weisheit zu entsprechen, nämlich daß über alles gesprochen werden kann, nur nicht über 120 Minuten hinaus. Deswegen werde ich auch versuchen, Ihnen nicht ein Referat im Zusammenhang mit dem Thema der Veranstaltung zu halten, was Freund Hans Hautmann vorgeschlagen hat, also eine Kurzgeschichte der Entstehung des österreichischen nationalen Bewußtseins in diesem Zusammenhang, sondern nur einige Bemerkungen machen, über die wir uns dann unterhalten können.
Alfred Klahr hätte vermutlich 1937 sehr gestaunt, hätte er von der ständig wachsenden Zahl von Bejahern der österreichischen Nation seit den 60er Jahren gewußt. Seine Analysen zur nationalen österreichischen Frage waren ganz wesentlich bestimmt vom Wissen um den Mangel österreichischer nationaler Identität. Wir könnten sozusagen zufrieden sein, daß die österreichische Nation kein Streitfall mehr ist, auch wenn der - wie sagt man da, der Führer, nein der Vorsitzende der Freiheitlichen - behauptet, die österreichische Nation wäre eine ideologische Mißgeburt, gleichzeitig aber genau diesen Konsens anzusprechen versucht, indem er behauptet, für Österreich würde er alles tun. Auf die kürzeste Formel und auf den Punkt gebracht heißt das: Alles, was als „Österreich“ und „österreichisch“ benannt wird, muß kritisch untersucht werden. Denn wir müssen bedenken, daß der Begriff „Österreich“, das Adjektiv „österreichisch“, der Appell, „österreichisch“ zu handeln, nie vorher so häufig an die Einwohner und Einwohnerinnen unseres Landes gerichtet wurde als zwischen 1933 und 1938. Es gilt heutzutage noch immer als Handbuchwissen, wenngleich es falsch ist, daß dieses Österreichbewußtsein, das sich als Produkt der gesellschaftlichen Entwicklung nach 1945 entwickelt hat, hier seinen Ausgang genommen habe. Zwischen 1933 und 1938 gibt es unendlich viele Beschwörungen von „Österreich“, allerdings damals noch ganz offen mit der Betonung auf „Deutsch“-Österreich. Und „deutsch-österreichisch“ war ein Konkurrieren mit den deutschen Deutschen um das bessere Deutschtum: Die kulturell angeblich so viel höher stehenden österreichischen Deutschen, die so viel Erfahrungen im milden Umgang mit zu Beherrschenden in der Monarchie gemacht hätten, usw., und mit dem ganz wichtigen Element des Katholischen. So ist es auch überhaupt nicht erstaunlich, daß diese Österreichbeschwörung bis 1938 in den Organisationen der Arbeiterbewegung auch keine vernünftige, echte Resonanz fand.
Das bringt mich genau zu dem Punkt, der auch für den neuen österreichischen Nationalismus festzustellen ist. Es geht eben darum, was für ein Österreich man jeweils meint. Und die Hinweise gerade von denen, die hier als Zeitzeugen gesprochen haben, zeigen genau das: Daß es wichtig ist, um welches Österreich es geht und daß nationales Bewußtsein weniger eine Frage der objektiven Merkmale ist als die Möglichkeit, an einer akzeptierten Gesellschaft so weit als möglich zu partizipieren, teilzunehmen, mitzugestalten, mitzubestimmen. So gesehen ist es nicht wichtig, welche Sprache in Österreich gesprochen wird. Ich finde auch die Frage nicht so wichtig, ob das österreichische Deutsch so furchtbar grundverschieden ist zum deutschen Deutsch. Es ist ganz klar, daß gesellschaftliche Traditionen, die gelebt werden, unterschiedliche Identitäten erzeugen, unterschiedliches Bewußtsein erzeugen. Davon blieben vor wie nach 1938 sogar Sympathisanten der Nationalsozialisten und manche Nationalsozialisten selber nicht verschont. Eine praktizierte österreichische Gesellschaft, die bis in die Küche geht, bis auf den Fußballplatz, erzeugt anderes Bewußtsein. Im Aufeinanderprallen mit anderen Produkten gesellschaftlicher Entwicklung, bis in den Alltag hinein, werden die Differenzen deutlich. Das heißt: Österreichische Identität hat Differenzen dann zu entwickeln, wenn es um undemokratische gesellschaftliche Vorstellungen geht. Ich glaube, Alfred Klahr und alle jene, die eine andere Gesellschaft in Österreich zu erreichen versuchten, denen sind wir verpflichtet, die österreichische nationale Frage immer und ausschließlich als eine gesellschaftliche Frage der Weiterentwicklung demokratischer Möglichkeiten zu sehen, der Partizipation an einem Österreich, das diese Demokratie verwirklicht. Wir sollten das, was Alfred Klahr 1937 geschrieben hat, nicht wie einen Bibeltext behandeln und der ständigen Verehrung anheimstellen, sondern davon ausgehend eine Gesellschaft in Österreich anstreben, die alle Menschen demokratisch partizipieren läßt.
Sorgen wir also dafür, daß das, was in Alfred Klahrs Orientierung auf die Wiedererrichtung einer demokratischen, österreichischen Gesellschaft lag, nicht verloren geht.

Statement auf dem Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft „50 Jahre Zweite Republik“, 8. Mai 1995

 

Zurück Home Nach oben Weiter