Klahr    Alfred Klahr Gesellschaft

Verein zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung

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Hilde Tragler: Die Ausbeutung der arbeitenden Menschen in der heutigen Arbeitswelt – und Gegenwehr

Zu Beginn möchte ich schildern, wie ich Ausbeutung damals empfunden habe und was sich seither verändert hat. Ich habe 1985 im Grazer Puch-Werk, dem heutigen Magna-Steyr, zu arbeiten begonnen. Ich war als Maschinenarbeiterin im Komponentenbau des Getriebewerkes tätig und mit der Einzelteilefertigung mit Mehrmaschinenbedienung beschäftigt. Die Einzelteile wurden eingelegt bis zum fertigen Zahnrad, mehrere Zahnradgrößen an den verschiedenen Maschinen gleichzeitig. Ich habe im Einzelakkord gearbeitet, die Arbeitstakte lagen zwischen wenigen Sekunden und Minuten. Genau kann ich mich nicht mehr erinnern, aber der Akkord lag bei etwa 600 Teilen pro Tag. Habe ich mehr geschafft, so gab es auch mehr Geld.
Es gab bessere und schlechtere Arbeitsplätze. Als Frau und „Neue“ hatte ich die schleißigen Arbeiten, so konnte der Unterschied bis zu 30 Schilling in der Stunde ausmachen. Ich habe das damals subjektiv nicht als Ausbeutung empfunden – für mich und für viele meiner KollegInnen war das „normal“.
Heute arbeite ich in der Materialwirtschaft/Logistik, wo ich die Teile auf Materialwagen für die einzelnen Montagebänder einschlichte. Wie hat sich heute die Ausbeutung verändert? Zunächst haben wir 18 Autos am Tag gebaut, heute sind es 34. Dadurch hat sich das Arbeitstempo gegenüber früher enorm erhöht, ebenso die Anforderungen an die Konzentration, denn wenn wir einen Wagen falsch beschicken, dann steht das Band. Solche Fehler dürfen nicht passieren, weshalb wir auch schärfer kontrolliert werden als früher. Die von uns bearbeiteten Produkte haben auch eine Produktionsnummer, d.h. für den Fall, dass etwas schief läuft, ist immer festzustellen, wer genau den Fehler verursacht hat. Das bedeutet einen enormen Druck. Wenn früher etwas schief gelaufen ist – und Fehler geschehen schließlich immer – so war am nächsten Tag nicht mehr nachzuvollziehen, wer den Fehler verursacht hat. Heute ist das anders, was den psychischen Druck auf jede Kollegin und jeden Kollegen erhöht.
Weiters gibt es ständig Programmänderungen. Kontinuierlich und mehr oder weniger schleichend wird eine höhere Arbeitsleistung verlangt, quasi hinter unserem Rücken, ohne dass wir es merken. Erst wenn wir nach einem längeren Zeitraum zurückschauen, z.B. auf die letzten zwei Jahre, dann sehen wir, wie viel wir zusätzlich machen müssen, wie sehr sich die Arbeit intensiviert hat, natürlich mit dem gleichem Personal und in der gleichen Zeit. Es gibt keine Zeitpuffer mehr, man kann nichts mehr planen und muss immer bereit sein. Wir sind praktisch nur noch eine Nummer. Nach der Schicht sind die KollegInnen völlig erschöpft.
Welche Möglichkeiten zur Gegenwehr gibt es unter diesen Bedingungen? Ein deutliches Zeichen der Gegenwehr war der Streik der MetallerInnen. Es ging hier vor allem ums den höheren Lohn, aber nicht nur. Die Leute haben die Schnauze voll und wollten denen „da oben“ zeigen, dass sie nicht alles mit sich machen lassen. Auch aus diesem Grund war der Streik sehr wichtig.
Es ist wichtig, das Selbstbewusstsein der arbeitenden Menschen zu stärken und es uns nicht mies machen zu lassen, wie z.B. durch Industrielle oder durch Minister Mitterlehner, die behaupten, der Streik sei unnötig gewesen. Er war notwendig, einerseits wegen des Geldes, denn 4,2 Prozent Lohnerhöhung ohne Streik hätten wir nicht erhalten, aber er war auch wichtig wegen des Selbstbewusstseins und der Gegenwehr. Klar hätte noch mehr herausgeholt werden können – keine Frage. Aber genauso muss gesehen werden, dass in der Zeit der Streikvorbereitung und auch während dem Streik der Druck der Geschäftsleitung, das neue Schichtmodell durchzudrücken, nachgelassen hat, eigentlich sind die Verhandlungen darüber zum Erliegen gekommen.
Gegenwehr bedeutet auch, das Bewusstsein zu schärfen, damit die KollegInnen erkennen, wie Ausbeutung heute konkret abläuft. Es kann nicht immer noch schneller gehen bei der Arbeit. Das muss man immer wieder bewusst machen, tagtäglich müssen wir mit den KollegInnen darüber diskutieren. Ich selbst habe 1985 diese Ausbeutung noch nicht erkannt, habe sie erst mit der Zeit richtig einzuschätzen gelernt.
Gegenwehr ist auch, den Solidaritätsgedanken zu entwickeln und zu pflegen, damit wir uns nicht so leicht auseinanderdividieren lassen. Dazu muss das Vertrauen der KollegInnen gewonnen werden. Mit ihnen muss ich ständig Draht halten. Heute sehe ich die Früchte meiner Arbeit: Als ich in die Abteilung kam, haben die Leute hier nicht einmal miteinander geredet, niemand hat dem Neuen etwas erklärt. Heute ist das anders. Die KollegInnen hören mir zu und sie akzeptieren mich, aber sie hören sich auch gegenseitig zu. Im Sozialraum wird miteinander gesprochen, es wird auch darüber nachgedacht, was mit uns seitens der Werksleitung gemacht wird.
Ich setzte mich auch dafür ein, dass die MitarbeiterInnen Wertschätzung erfahren. Dabei habe ich im Rahmen meiner Arbeit als Betriebsrätin auch gelernt, dass es nicht richtig ist, wenn es Probleme gibt, gleich anstelle der KollegInnen aktiv zu werden. Ich versuche vielmehr, sie dazu zu motivieren, dass sie sich selber wehren, dass sich auch selbst einmal zum Chef oder zum Vorgesetzten gehen, wenn sie wollen, dass sich etwas ändert. Das machen heute tatsächlich schon einige. Sie sind dann auch stolz darauf, dass sie sich getraut haben und dass Erfolge erzielt wurden.
Im Betriebsrat haben wir als GLB-Fraktion mit dazu beigetragen, dass das Schichtmodell mit der geplanten Einbeziehung des Samstags bisher nicht eingeführt wurde. Natürlich sind wir als kleine Gewerkschaftsfraktion nicht so stark, aber ohne uns wären diese Pläne der Direktion womöglich schon verabschiedet worden. Gleichzeitig müssen wir realistischerweise davon ausgehen, dass das Schichtmodell mit dem Samstag langfristig nicht verhindert werden kann. Der Arbeitgeber erpresst den Betriebsrat und die Belegschaft: Er droht damit, ein zweites Montagewerk in Europa zu bauen, um uns dazu zu bringen, dem neuen Schichtmodell zuzustimmen. Vor diesem Hintergrund setzen wir uns für eine Arbeitszeitverkürzung: Konkret schlagen wir vor, dass – sollte das Schichtmodell eingeführt werden – an vier Tagen jeweils neun Stunden gearbeitet werden soll, also insgesamt 36 Stunden statt bisher 38,5 Stunden. 
Ein wichtiger Aspekt unserer Gegenwehr ist die Betriebszeitung „Puch-Arbeiter“. Hier haben wir zum Beispiel unser Arbeitszeitmodell vorgestellt, worauf es auch breiter diskutiert worden ist, über den Betriebsrat und über die Arbeitsbereiche hinaus, in denen Peter Scherz und ich (ab Dezember dieses Jahres) als Betriebsräte tätig sind.
Bei der vorletzten KV-Auseinandersetzung, als die Arbeitgeber eine Ausweitung der Flexibilisierung wollten, haben wir als GLB-Fraktion im Werk Unterschriften gesammelt. Diese Petition konnte Peter Scherz im Präsidium der Gewerkschaftsspitze überreichen. Das hat mit dazu beigetragen, dass die Arbeitgeber dann von der weiteren Flexibilisierung absehen mussten.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es – trotz des ideologischen Trommelfeuers der Arbeitgeber und trotz der Ausbeutung der Menschen bis hin zu Erschöpfung – Möglichkeiten der Gegenwehr gibt, aber die Schritte sind natürlich unterschiedlich groß. Manche sind sehr klein, wie z.B. dass wir die Menschen dazu bringen, überhaupt miteinander zu reden. Manche sind größer, wie z.B. die Unterschriftenaktion, wieder andere sind sehr groß, z.B. wenn die Menschen bereit sind, für ihre Interessen zu streiken. Bei allem aber brauchen wir viel Geduld sowie einen langen Atem und dürfen nie den Draht zu den KollegInnen im Betrieb verlieren.

Referat am Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft, des Bildungsvereins der KPÖ Steiermark und des GLB Steiermark „Klassenkampf und Interessenpolitik. Kommunistische Gewerkschaftspolitik in historischer und aktuell-politischer Perspektive“ am 12. November 2011 in Graz.

 

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