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Hilde Tragler: Die
Ausbeutung der arbeitenden Menschen in der heutigen Arbeitswelt – und
Gegenwehr
Zu Beginn möchte
ich schildern, wie ich Ausbeutung damals empfunden habe und was sich seither verändert
hat. Ich habe 1985 im Grazer Puch-Werk, dem heutigen Magna-Steyr, zu arbeiten
begonnen. Ich war als Maschinenarbeiterin im Komponentenbau des Getriebewerkes tätig
und mit der Einzelteilefertigung mit Mehrmaschinenbedienung beschäftigt. Die
Einzelteile wurden eingelegt bis zum fertigen Zahnrad, mehrere Zahnradgrößen
an den verschiedenen Maschinen gleichzeitig. Ich habe im Einzelakkord
gearbeitet, die Arbeitstakte lagen zwischen wenigen Sekunden und Minuten. Genau
kann ich mich nicht mehr erinnern, aber der Akkord lag bei etwa 600 Teilen pro
Tag. Habe ich mehr geschafft, so gab es auch mehr Geld.
Es gab bessere und schlechtere Arbeitsplätze. Als Frau und „Neue“ hatte ich
die schleißigen Arbeiten, so konnte der Unterschied bis zu 30 Schilling in der
Stunde ausmachen. Ich habe das damals subjektiv nicht als Ausbeutung empfunden
– für mich und für viele meiner KollegInnen war das „normal“.
Heute arbeite ich in der Materialwirtschaft/Logistik, wo ich die Teile auf
Materialwagen für die einzelnen Montagebänder einschlichte. Wie hat sich heute
die Ausbeutung verändert? Zunächst haben wir 18 Autos am Tag gebaut, heute
sind es 34. Dadurch hat sich das Arbeitstempo gegenüber früher enorm erhöht,
ebenso die Anforderungen an die Konzentration, denn wenn wir einen Wagen falsch
beschicken, dann steht das Band. Solche Fehler dürfen nicht passieren, weshalb
wir auch schärfer kontrolliert werden als früher. Die von uns bearbeiteten
Produkte haben auch eine Produktionsnummer, d.h. für den Fall, dass etwas
schief läuft, ist immer festzustellen, wer genau den Fehler verursacht hat. Das
bedeutet einen enormen Druck. Wenn früher etwas schief gelaufen ist – und
Fehler geschehen schließlich immer – so war am nächsten Tag nicht mehr
nachzuvollziehen, wer den Fehler verursacht hat. Heute ist das anders, was den
psychischen Druck auf jede Kollegin und jeden Kollegen erhöht.
Weiters gibt es ständig Programmänderungen. Kontinuierlich und mehr oder
weniger schleichend wird eine höhere Arbeitsleistung verlangt, quasi hinter
unserem Rücken, ohne dass wir es merken. Erst wenn wir nach einem längeren
Zeitraum zurückschauen, z.B. auf die letzten zwei Jahre, dann sehen wir, wie
viel wir zusätzlich machen müssen, wie sehr sich die Arbeit intensiviert hat,
natürlich mit dem gleichem Personal und in der gleichen Zeit. Es gibt keine
Zeitpuffer mehr, man kann nichts mehr planen und muss immer bereit sein. Wir
sind praktisch nur noch eine Nummer. Nach der Schicht sind die KollegInnen völlig
erschöpft.
Welche Möglichkeiten zur Gegenwehr gibt es unter diesen Bedingungen? Ein
deutliches Zeichen der Gegenwehr war der Streik der MetallerInnen. Es ging hier
vor allem ums den höheren Lohn, aber nicht nur. Die Leute haben die Schnauze
voll und wollten denen „da oben“ zeigen, dass sie nicht alles mit sich
machen lassen. Auch aus diesem Grund war der Streik sehr wichtig.
Es ist wichtig, das Selbstbewusstsein der arbeitenden Menschen zu stärken und
es uns nicht mies machen zu lassen, wie z.B. durch Industrielle oder durch
Minister Mitterlehner, die behaupten, der Streik sei unnötig gewesen. Er war
notwendig, einerseits wegen des Geldes, denn 4,2 Prozent Lohnerhöhung ohne
Streik hätten wir nicht erhalten, aber er war auch wichtig wegen des
Selbstbewusstseins und der Gegenwehr. Klar hätte noch mehr herausgeholt werden
können – keine Frage. Aber genauso muss gesehen werden, dass in der Zeit der
Streikvorbereitung und auch während dem Streik der Druck der Geschäftsleitung,
das neue Schichtmodell durchzudrücken, nachgelassen hat, eigentlich sind die
Verhandlungen darüber zum Erliegen gekommen.
Gegenwehr bedeutet auch, das Bewusstsein zu schärfen, damit die KollegInnen
erkennen, wie Ausbeutung heute konkret abläuft. Es kann nicht immer noch
schneller gehen bei der Arbeit. Das muss man immer wieder bewusst machen, tagtäglich
müssen wir mit den KollegInnen darüber diskutieren. Ich selbst habe 1985 diese
Ausbeutung noch nicht erkannt, habe sie erst mit der Zeit richtig einzuschätzen
gelernt.
Gegenwehr ist auch, den Solidaritätsgedanken zu entwickeln und zu pflegen,
damit wir uns nicht so leicht auseinanderdividieren lassen. Dazu muss das
Vertrauen der KollegInnen gewonnen werden. Mit ihnen muss ich ständig Draht
halten. Heute sehe ich die Früchte meiner Arbeit: Als ich in die Abteilung kam,
haben die Leute hier nicht einmal miteinander geredet, niemand hat dem Neuen
etwas erklärt. Heute ist das anders. Die KollegInnen hören mir zu und sie
akzeptieren mich, aber sie hören sich auch gegenseitig zu. Im Sozialraum wird
miteinander gesprochen, es wird auch darüber nachgedacht, was mit uns seitens
der Werksleitung gemacht wird.
Ich setzte mich auch dafür ein, dass die MitarbeiterInnen Wertschätzung
erfahren. Dabei habe ich im Rahmen meiner Arbeit als Betriebsrätin auch
gelernt, dass es nicht richtig ist, wenn es Probleme gibt, gleich anstelle der
KollegInnen aktiv zu werden. Ich versuche vielmehr, sie dazu zu motivieren, dass
sie sich selber wehren, dass sich auch selbst einmal zum Chef oder zum
Vorgesetzten gehen, wenn sie wollen, dass sich etwas ändert. Das machen heute
tatsächlich schon einige. Sie sind dann auch stolz darauf, dass sie sich
getraut haben und dass Erfolge erzielt wurden.
Im Betriebsrat haben wir als GLB-Fraktion mit dazu beigetragen, dass das
Schichtmodell mit der geplanten Einbeziehung des Samstags bisher nicht eingeführt
wurde. Natürlich sind wir als kleine Gewerkschaftsfraktion nicht so stark, aber
ohne uns wären diese Pläne der Direktion womöglich schon verabschiedet
worden. Gleichzeitig müssen wir realistischerweise davon ausgehen, dass das
Schichtmodell mit dem Samstag langfristig nicht verhindert werden kann. Der
Arbeitgeber erpresst den Betriebsrat und die Belegschaft: Er droht damit, ein
zweites Montagewerk in Europa zu bauen, um uns dazu zu bringen, dem neuen
Schichtmodell zuzustimmen. Vor diesem Hintergrund setzen wir uns für eine
Arbeitszeitverkürzung: Konkret schlagen wir vor, dass – sollte das
Schichtmodell eingeführt werden – an vier Tagen jeweils neun Stunden
gearbeitet werden soll, also insgesamt 36 Stunden statt bisher 38,5
Stunden.
Ein wichtiger Aspekt unserer Gegenwehr ist die Betriebszeitung „Puch-Arbeiter“.
Hier haben wir zum Beispiel unser Arbeitszeitmodell vorgestellt, worauf es auch
breiter diskutiert worden ist, über den Betriebsrat und über die
Arbeitsbereiche hinaus, in denen Peter Scherz und ich (ab Dezember dieses
Jahres) als Betriebsräte tätig sind.
Bei der vorletzten KV-Auseinandersetzung, als die Arbeitgeber eine Ausweitung
der Flexibilisierung wollten, haben wir als GLB-Fraktion im Werk Unterschriften
gesammelt. Diese Petition konnte Peter Scherz im Präsidium der
Gewerkschaftsspitze überreichen. Das hat mit dazu beigetragen, dass die
Arbeitgeber dann von der weiteren Flexibilisierung absehen mussten.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es – trotz des ideologischen
Trommelfeuers der Arbeitgeber und trotz der Ausbeutung der Menschen bis hin zu
Erschöpfung – Möglichkeiten der Gegenwehr gibt, aber die Schritte sind natürlich
unterschiedlich groß. Manche sind sehr klein, wie z.B. dass wir die Menschen
dazu bringen, überhaupt miteinander zu reden. Manche sind größer, wie z.B.
die Unterschriftenaktion, wieder andere sind sehr groß, z.B. wenn die Menschen
bereit sind, für ihre Interessen zu streiken. Bei allem aber brauchen wir viel
Geduld sowie einen langen Atem und dürfen nie den Draht zu den KollegInnen im
Betrieb verlieren.
Referat
am Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft, des Bildungsvereins der KPÖ
Steiermark und des GLB Steiermark „Klassenkampf und Interessenpolitik.
Kommunistische Gewerkschaftspolitik in historischer und aktuell-politischer
Perspektive“ am 12. November 2011 in Graz.
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