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Thomas Schönfeld: Juni 1950: Der Erste Österreichische Friedenskongreß
Vor 50 Jahren, am 10. und 11. Juni 1950, tagte in Wien, im Grossen
Konzerthaussaal, der Erste Österreichische Friedenskongreß. 2100 Delegierte,
die in den Wochen davor von über 300 Friedensräten in Städten, Orten und
Betrieben gewählt worden waren, beteiligten sich.
Heute - ein halbes Jahrhundert danach - ist zu unterstreichen: Die damaligen
Aktionen für den Frieden erhoben Forderungen, denen noch immer höchste
Aktualität und Dringlichkeit zukommt. Damit ein Atomkrieg verlässlich und
dauerhaft verhindert wird, müssen weitere Schritte zur atomaren Abrüstung und
schliesslich das vollständige Verbot von Atomwaffen durch einen internationalen
Vertrag und durch strenge Kontrolle seiner Einhaltung erreicht werden. Die
Friedensbewegung , die sich damals für dieses Ziel einsetzte, wurde mit
Verleumdungen, Hass und Polizeimaßnahmen bekämpft. Heute wagt es aber keine
Regierung und kaum eine politische Kraft, offen gegen dieses Ziel aufzutreten.
Nun wird nicht bestritten, dass Atomwaffenabrüstung eine historische Aufgabe
der internationalen Gemeinschaft darstellt. Dieser Wandel ist als
moralisch-politische Errungenschaft der vor einem halben Jahrhundert entstandenen
Bewegung gegen die Atomwaffenrüstung anzusehen.
Die Bemühungen zur Verhinderung der atomaren Abrüstung, die auf Fortsetzung
einer Politik der Drohung mit Atomwaffen gerichtet sind, gehen jedoch weiter.
So hat der USA-Senat im Oktober 1999 die Ratifizierung des Vertrags über das
vollständige Verbot von Atomwaffenversuchen abgelehnt. Obwohl bei der im April
und Mai 2000 in New York durchgeführten Überprüfungskonferenz zum Vertrag über
die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (NPT) positive Absichtserklärungen
angenommen wurden, ist selbst ein Beginn von konkreten Verhandlungen über das
Verbot von Atomwaffen noch keineswegs gesichert.
Und der in den USA diskutierte Plan für den Aufbau eines Raketenabwehrsystems
würde - wenn er tatsächlich umgesetzt wird - gültige internationale Verträge
zur Rüstungsbegrenzung torpedieren und zu einer neuen, äußerst gefährlichen und
kostspieligen Phase des Wettrüstens bei Atomwaffen und Raketen führen.
Ein Rückblick auf das Jahr 1950 hat nicht nur darauf hinzuweisen, dass es gelungen
ist, die Eliminierung von Atomwaffen zu einem weithin anerkannten Ziel zu
machen, es ist auch hervorzuheben, dass dies nur durch die mühevollen
Anstrengungen der in der Friedensbewegung engagierten Menschen erreicht wurde.
Den tausenden Aktivisten der damaligen Friedensbewegung in Österreich gebührt
Anerkennung und Dank für ihren mutigen und ausdauernden Einsatz. Sie haben eine
Mauer der Verleumdungen und Feindseligkeiten durchbrochen. Mit den in
Österreich gesammelten Unterschriften für den Stockholmer Appell haben sie
einen wichtigen Beitrag zur internationalen Friedensbewegung geleistet.
Antwort auf die Gefahr eines Atomkrieges
Der Kongress im Juni 1950 war ein Höhepunkt der Friedensbewegung in
Österreich, die sich seit 1948 weltweit und auch in Österreich in kurzer Zeit
zu einer Massenbewegung entwickelt hatte, vor allem im Frühjahr 1950 mit der
Sammlung von Unterschriften zur Unterstützung des Stockholmer Appells für ein
Verbot der Atomwaffen. Diese Bewegung war eine Reaktion auf die bedrohliche
Entwicklung der internationalen Lage:
– Führende Politiker der USA, die bis September 1949 als einzige Macht über
Atomwaffen verfügte und einige weitere Jahre bei Atomwaffen zahlenmäßig
überlegen war, erklärten mehrmals, dass sich Situationen abzeichnen, in denen
der Einsatz dieser Waffen notwendig sein würde und es gab auch Empfehlungen für
einen atomaren Präventivschlag.
– Die Verhandlungen im Rahmen der Vereinten Nationen über eine internationale
Kontrolle der Atomenergie scheiterten, weil die USA eine Behörde durchsetzen
wollten, die die Atomenergie auf der ganzen Welt kontrollieren sollte, und sie
nicht bereit waren, ein Verbot der Atomwaffen zu akzeptiert.
– Die Kolonialmächte Frankreich, Großbritannien und Niederlande führten Krieg
bzw. gaben mit ihnen verbündeten Regierungen militärische Unterstützung, um
Befreiungsbewegungen niederzuringen. (Vor allem ist an Indochina, Griechenland,
Malaya und Indonesien zu erinnern.)
– Die Propaganda des Kalten Krieges behauptete, dass die Sowjetunion einen
Angriff auf Westeuropa vorbereitet, mit dem sie bis zum Atlantik und zum
Mittelmeer vorstoßen will, und dass diesen Plänen nur durch schnelle Aufrüstung
der westlichen Staaten begegnet werden könne. Dazu gehörte auch die
Vorbereitung und dann die Durchführung der Remilitarisierung Westdeutschlands.
Schiffsladungen mit neuen amerikanischen Waffen wurden in Frankreich und
Italien entladen. Bei Treffen der Außenminister der USA, Großbritanniens und
Frankreichs wurde eine Verstärkung der Rüstungsanstrengungen beschlossen.
Die Angst vor einem neuen Weltkrieg wuchs, nicht zuletzt weil Stimmungen
propagiert wurden, dass ein solcher Krieg unvermeidlich sei.
Der Kongress in Wien
Professor Strebinger, vom Lehrstuhl für Analytische Chemie der Technischen
Hochschule Wien, eröffnete den Kongress am 10. Juni 1950. Zahlreiche Vertreter
ausländischer Friedensbewegungen waren gekommen - aus Deutschland (Ost und
West), Frankreich, Italien, Polen, Schweden, Sowjetunion, Tschechoslowakei und
Ungarn. Die Weltfriedensbewegung wurde durch ihren Generalsekretär Jean
Laffitte (Frankreich) vertreten. Professor Strebinger begrüsste besonders die
Vertreter und Vertreterinnen von Gewerkschaftsorganisationen und Betrieben, von
Kriegsopfer- und Sozialrentnerverbänden, von Kultur-, Sport- und Jugendorganisationen.
Hauptreferate hielten Pfarrer Erwin Kock, Obmann des Österreichischen
Friedensrates, Universitätsprofessor Dr. Josef Dobretsberger, Nationalökonom,
Universität Graz, und Abgeordneter zum Nationalrat Ernst Fischer, KPÖ. In der
Diskussion kamen Delegierte aus allen Bundesländern und aus vielen Betrieben zu
Wort. Der Kongress beschloss ein Manifest, einen Aufruf an alle
Österreicherinnen und Österreicher, sich am „gerechtesten und
menschenwürdigsten Kampf des Jahrhunderts, am Kampf für den Frieden“ zu
beteiligen (siehe D+A - Das Manifest des Kongresses). Zur Weiterführung der
Friedensbewegung wurde auf dem Kongress ein erweiterter Österreichischer
Friedensrat gewählt, dem 42 Frauen und Männer angehörten.
Am Abend des ersten Konferenztages fand vor dem Wiener Rathaus eine große
Friedenskundgebung statt, an der viele Zehntausend Wienerinnen und Wiener
teilnahmen. Ein eindrucksvoller Demonstrationszug der Teilnehmer war davor über
die Ringstrasse gezogen. Besonders herzlich wurden bei der Kundgebung die Reden
der ausländischen Delegierten zum Kongress begrüßt und so der internationale
Charakter der Friedensbewegung manifestiert.
Ein im Kongresssaal begeistert aufgenommenes Ereignis war das Eintreffen der
Jugendstafetten aus allen Teilen Österreichs. Sie überbrachten viele
Grußbotschaften und hatten mit Kundgebungen entlang ihrer Wegstrecken
wirkungsvoll auf den Kongress aufmerksam gemacht. Im Konzerthaus wurde auch
eine von Architektin Margarete Schütte-Lihotzky und vom Maler Axl Leskoschek
gestaltete Ausstellung über Kriegsfolgen, Kriegsgefahr und die Aktionen der
Friedensbewegung gezeigt. Als Wanderausstellung gestaltet wurde sie später an
vielen Orten in Österreich aufgestellt und leistete so einen wertvollen Beitrag
zum Erfolg der Unterschriftensammlung für den Stockholmer Appell.
Die Friedensbewegung und Österreich
Wichtige erste Schritte zu einer internationalen Friedensbewegung waren die
Konferenz von Kulturschaffenden und Intellektuellen für den Frieden in Wroclaw
im August 1948 und eine Konferenz der Internationalen Demokratischen
Frauenföderation. Die Aufrufe dieser Konferenzen zum Kampf gegen die
Kriegsgefahr fanden ein starkes Echo und sie führten dann zu einer gemeinsamen
Initiative beider Bewegungen zur Einberufung eines Weltfriedenskongresses.
Dieser fand vom 25. bis 29. April 1949 in Paris und Prag statt. Die
französische Regierung wollte den Kongress stören oder verhindern. Sie
verweigerte vielen Delegationen die Einreise. Daher entschloss man sich zur
zeitgleichen Abhaltung eines Parallelkongresses in Prag. In Paris kamen über
2000 Delegierte zusammen, in Prag mehr als 300.
Bemühungen um Unterstützung des Ersten Weltfriedenskongresses bildeten auch den
Ausgangspunkt für eine breite Friedensbewegung in Österreich. Viele
Persönlichkeiten und zahlreiche Betriebsräte unterzeichneten
Begrüßungsschreiben an den Kongress und es wurde eine österreichische
Delegation nominiert, der Menschen aus vielen gesellschaftlichen und
politischen Bereichen angehörten. Die französische Regierung (der zuständige
Innenminister war der Sozialist Jules Moch) erteilte den österreichischen
Delegierten aber keine Visa. Sie nahmen daher am Parallelkongress in Prag teil.
Auf dem Weltfriedenskongress wurde ein Ständiges Komitee zur Weiterführung der
Arbeit gebildet. Es tagte dann im Oktober 1949 in Rom und im Dezember in Paris.
Grosse Bedeutung erlangte das Treffen vom 15. bis 19. März 1950 in Stockholm.
Von dort erging der Ruf zur
Unterschriften für das Verbot der Atomwaffen
In Österreich wurde mit der Sammlung von Unterschriften für den Stockholmer
Appell Anfang Mai begonnen. Bis zum Beginn des Friedenskongresses waren 450 000
Unterschriften beim Österreichischen Friedensrat, der die Aktion koordinierte,
eingelangt. Der Kongress beschloss die Weiterführung der Unterschriftensammlung.
Die Sammlung von Unterschriften wurde zunehmend durch Eingriffe und Verbote der
Behörden behindert. Ein Friedensmarsch aus Anlass des Hiroshima-Tages (6.
August) wurde in Graz verboten. In mehreren Städten verlangte die Staatspolizei
die Entfernung von Transparenten zum Hiroshima-Tag. Offensichtlich gab es
entsprechende Weisungen westlicher Besatzungsmächte. Zur Entfernung eines
Transparentes zum Hiroshima-Tag am Haus der KP-Bezirksleitung Wien-Hernals
rückte die Feuerwehr aus.
Zwei Wochen nach dem Wiener Friedenskongress, am 25. Juni, begann der Krieg in
Korea. Die Gegner der Friedensbewegung sprachen von einer Aggression Nordkoreas
und sie zielten darauf ab, dadurch die Bewegung für das Verbot der Atombombe
lahmzulegen . Diese Rechnung ging nicht auf. Das massive Eingreifen
amerikanischer Truppen in Korea, die Erklärung Präsident Trumans, zwei Tage
nach dem Beginn der Kämpfe in Korea herausgegeben, dass die USA nun auch
militärische Unterstützung für Frankreich in Vietnam, für die Kuomintang auf
Taiwan und auch auf den Philippinen leisten würde, zeigten, dass militärische
Interventionen in großem Maßstab in Ostasien in Gang gebracht wurden und es
dabei zum Einsatz von Atomwaffen kommen könnte. Die Friedensbewegung forderte
einen Waffenstillstand in Korea und den Abzug aller ausländischen Truppen. All
das - vor allem aber die Hartnäckigkeit der Friedensaktivistinnen und
-aktivisten - trug dazu bei, dass die Aktion für den Stockholmer Appell
erfolgreich fortgesetzt wurde. Im September und Oktober wurden in vielen
Bezirken Österreichs besondere Aktionswochen durchgeführt. Ab September 1950
erschien die vom Friedensrat herausgegebene „Österreichische Friedenszeitung“.
Die Unterschriftensammlung wurde am 10. November abgeschlossen, um über die Aktion
in Österreich, die nun 955 000 Unterschriften erbracht hatte, beim Zweiten
Weltfriedenskongress (Warschau, 16.-22. November 1950, siehe D+A)
zusammenfassend zu berichten.
Die Regierungsparteien ÖVP und SPÖ, die Bundesregierung selbst und die meisten
Zeitungen griffen die sich entfaltende Friedensbewegung an, bezeichneten sie
als einseitig und riefen zu einem Boykott der Unterschriftensammlung auf. Eine
Kampagne der Hetze und Verleumdungen setzte ein (siehe D+A - „Argumente“ gegen
die Friedensbewegung). Der starke Widerhall, den der Stockholmer Appell in
Österreich und weltweit fand, wurde verschwiegen. Dass es trotz der
feindseligen Haltung und der Gegenaktionen diese starke Unterstützung für die
Forderung „Verbot der Atomwaffe“ gab, war dem unermüdlichen Einsatz der
Aktivisten der Friedensbewegung zu verdanken. Vor allem viele Frauen leisteten
einen hervorragenden Beitrag zum Erfolg der Unterschriftensammlung. Durch ihre
Gespräche mit Arbeitskolleginnen und -kollegen, oft Tag für Tag und Abend für Abend
von Tür zu Tür gehend und auch abgelegene Ortschaften aufsuchend traten sie den
Anfeindungen der Gegner der Friedensbewegung wirkungsvoll entgegen.
Was können Unterschriften bewirken?
Von manchen, die zögerten, die Forderung nach Verbot der Atomwaffen zu
unterschreiben, wurde gefragt: „ Kann denn eine Unterschrift nützen?“. Die
Friedensaktivistinnen und -aktivisten antworteten: Eine Unterschrift bewirkt
nichts, dutzende und hunderte Millionen Unterschriften aus der ganzen Welt
können von den Staatsmännern aber nicht ignoriert werden. Unterschriften können
also den Verlauf des Weltgeschehens beeinflussen. Erst später ist die
Richtigkeit des Standpunktes der Friedensaktivisten bestätigt worden. Die
USA-Führung zog sowohl im Korea-Krieg (1950-53), in dem amerikanische Truppen
eingesetzt waren, wie zur Unterstützung Frankreichs im Vietnam-Krieg (1947-54)
den Abwurf von Atombomben in Erwägung. Aber diese Pläne wurden von den
Regierungen in Paris und London abgelehnt. Sie betonten, dass es ihnen nicht
gelingen würde, einen solchen Atombombeneinsatz gegenüber ihrer eigenen
Bevölkerung zu rechtfertigen. Der Einsatz von Atombomben könnte daher zu einem
Auseinanderbrechen des Bündnisses dieser Länder mit den USA führen.
„Warum wird nur ein Verbot der Atomwaffen verlangt und nicht eines von allen
Waffen?“ so lautete ein zweiter Einwand gegen den Stockholmer Appell. Die
Friedensaktivisten betonten:
Das Verbot der Atomwaffen ist die dringendste Forderung in den
Friedensbemühungen. Ein Atomwaffeneinsatz würde zu einem neuen Weltkrieg mit
unabsehbaren Folgen führen. Es ist notwendig, bei den Bemühungen um Abrüstung
und Frieden zunächst für die Eindämmung der größten Gefahr einzutreten.
Die Friedensaktivistinnen und -aktivisten mussten oft lange Gespräche führen,
um von der Bedeutung des Stockholmer Appells zu überzeugen. In vielen Fällen
wurde eine Unterschrift erst nach mehreren Gesprächen geleistet. Daher ist zu
bewundern, dass viele Aktivistinnen und Aktivisten hunderte Unterschriften und
einige sogar mehrere Tausend erhielten
1950 und heute
Der Rückblick auf die internationale Friedensbewegung um 1950 - und der
Erste Österreichische Friedenskongress war ein Element dieser Entwicklung -
zeigt, dass damals der Grundstein für die Herausbildung eines neuen Faktors in
der internationalen Politik gelegt wurde. Es entstanden neue Formen der
Organisierung der öffentlichen Meinung, um mit Konsequenz und Ausdauer für
Frieden und Abrüstung einzutreten. Die Grundlage war die sich
ausbreitende Erkenntnis, dass es um Existenzfragen der Menschheit geht, bei
denen die Entscheidungen nicht einem kleinen Kreis von Staatsmännern und
Militärs überlassen werden dürfen.
Die Organisationsformen der Friedensbewegung haben sich gewandelt und sie sind
vielfältiger geworden. Geblieben sind die wesentlichen Ziele der Friedenskräfte
und die Notwendigkeit, im Wirken für Frieden und Abrüstung eine breite
Zusammenarbeit - in jedem Land und auf internationaler Ebene - zu erreichen.
Als Grundlage für dieses Wirken gilt es bewusst zu machen: Eine Orientierung
der internationalen Politik, die Sicherheit durch Überlegenheit, vor allem auf
militärischem Gebiet anstrebt, muss überwunden werden. Die Kräfte, die eine
solche Politik weiter verfolgen, müssen zurückgedrängt werden. Eine
Orientierung auf Friedenssicherung durch Zusammenarbeit und Interessenausgleich
der Staaten, auf fortschreitende Entmilitarisierung und Abrüstung muss
durchgesetzt werden.
Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 2/2000
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